Was für ein Auto fahren Sie? 

Cem Özdemir: Meine Frau und ich fahren privat ein umweltfreundliches Hybrid-Fahrzeug.

Warum ist es einfach nicht möglich, ein E-Fahrzeug so zu platzieren, wie es eigentlich sinnvoll wäre? 

Cem Özdemir: Es wäre natürlich gut, wenn es ausreichend bezahlbare E-Fahrzeuge gibt. Dazu eine Ladeinfrastruktur, die komfortabel und einfach zu bedienen ist, mit einem einheitlichen Bezahlsystem. Das alles müsste die Bundesregierung angehen. Bei Neubauten sollten wir die Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützen, von vorne herein eine Ladestation in der Garage zu planen. Wir sollten auch dafür sorgen, dass Neuzulassungen von Autos ab 2030 nur noch abgasfrei sind. Wer jetzt auf emissionsarme Autos umsteigt, zahlt weniger oder bekommt sogar einen Bonus bei der KfZ-Steuer. Wer viele Abgase verursacht, zahlt entsprechend mehr. Doch all das geschieht bei dieser Großen Koalition nicht. Damit schaden CDU/CSU und SPD der Gesundheit der Menschen, der Umwelt und dem Wirtschaftsstandort Deutschland.

Verlieren wir jetzt aber nicht wieder viel Zeit, bis solche Sachen überhaupt mal angesetzt werden? 

Cem Özdemir: Das ist immer so, wenn man was verschlafen hat, so wie es CDU/CSU und SPD bei der Verkehrswende gerade tun. Also ist es gut, nicht den Weg der Kanzlerin zu wählen: zu spät, zu wenig und am Ende überstürzt, wie sie es beim Atomausstieg gemacht hat. So eine Strategie dürfen wir jetzt bei der Automobilindustrie nicht wiederholen. Man braucht jetzt einen klaren Ordnungsrahmen und dann muss jeder seine Aufgaben erfüllen. Schwarz/Gelb, das hat ja die FDP schon gesagt, sehen sich als Dienstleister der Industrie. Wir sehen uns als Antreiber der Industrie, damit die Arbeitsplätze auch in Zukunft erhalten bleiben und neue entstehen. Ich habe vorgeschlagen, dass wir eine Zukunftskommission „Mobilität“ gründen, in der auch die Autoindustrie sitzt, aber auch die Wissenschaft, die Gewerkschaften, die Verbraucherschützer und Umweltverbände. Aber reden heißt nicht, denen nach dem Mund zu reden. Manchmal muss man, gerade, wenn man etwas wichtig nimmt, die unangenehmen Wahrheiten sagen. Darin besteht die Aufgabe verantwortungsvoller Politik.

In der Anfangszeit, als sich die Grünen gegründet haben, standen zwei Themen im Vordergrund: Ökologie und Frieden. Ist das Thema Ökologie mehr in den Hintergrund geraten? 

Cem Özdemir: Nein. Wir brauchen eine Mobilitätswende, wir müssen in der Landwirtschaftspolitik dringend dafür sorgen, dass wir mit diesem Irrsinn aufhören, dass wir das Wasser durch die industrielle Landwirtschaft verschmutzen und es dann mit teurem Geld reinigen. Und die Rechnung, die schickt man dann den Verbrauchern, die gar nichts dafür können. Die Artenvielfalt von Insekten und Vögeln geht zurück. Wenn wir das gesagt haben, haben manche ihrer Journalisten-Kollegen gegähnt und gesagt, jetzt kommt der Grüne wieder mit seiner alten Leier. Heute sehen wir wie akut Umweltthemen sind. Wir erleben eine Zunahme von extremen Wetterereignissen, wir haben den Diesel- und Eierskandal, wir erleben ein massenhaftes Bienensterben und dass das Polareis schmilzt: Bei der Energiepolitik wird immer deutlicher, dass wir da in ein Desaster laufen, wenn wir nicht dringend umsteuern. Deshalb ist es gut, wenn man manchmal nicht nach dem Zeitgeist segelt, sondern an seiner Grundüberzeugung festhält. Der Standort Deutschland wird auf Dauer nur konkurrenzfähig sein, wenn er auf Nachhaltigkeit und Modernisierung setzt. Die gute Nachricht: Wir haben alles, was wir dafür brauchen. Einen hoch innovativen Mittelstand. Wir haben tolle Forschungseinrichtungen. Wir haben großartige Ingenieure in Deutschland, die mit Erfindergeist und Mut anpacken, um Dinge zu verändern und zu modernisieren. Das würde ich gerne in die nächste Bundesregierung tragen. Ich will dafür sorgen, dass die Wahl des Verkehrsmittels künftig eine ökologische ist: ob das am Ende das abgasfreie Auto, das Fahrrad oder für mich in Stuttgart der elektrische Roller – in jedem Fall sollte es möglichst wenig die Umwelt belasten.

Wenn es die Möglichkeit gibt. Bei uns in der Region ist das eine Katastrophe. Der Nahverkehr funktioniert gar nicht. Bahnstrecken gibt es im öffentlichen Nahverkehr fast nicht. Wenn sie mit dem Bus fahren wollen, haben sie ein riesen Problem. 

Cem Özdemir: Ich bin unter anderem in die Politik gegangen wegen einer Eisenbahnstrecke in einer kleinen Gemeinde in meiner Heimat, die stillgelegt wurde. Weil alle Parteien, meine Partei gab es damals noch nicht, gegen die Eisenbahnstrecke waren. Die vermeintlichen Experten meinten, Bahnfahrten auf den Nebenstrecken, würde sich nicht mehr rechnen.

Cem Özdemir: Man müsse diese Strecken stilllegen. Bis heute verfolgt die Deutsche Bahn ja weitestgehend die Strategie, die Großstädte mit Schnellzügen zu verbinden und die ländlichen Regionen abzukoppeln. Ich bin ganz froh, dass wir uns damals mit einigen wenigen Leuten für Sonderzugfahrten eingesetzt haben. Heute fährt diese Eisenbahn wieder. Ich erzähle das bei jeder Gelegenheit, weil heute der Ausbau des öffentlichen Verkehrs für manche Gemeinden die Strategie ist, um junge Leute am Ort zu halten. Dass das Gewerbe dort eine Zukunft hat. Wir können nicht dem Stau hinterher bauen. Wir müssen dringend dafür sorgen, dass der öffentliche Verkehr in die Fläche kommt. Dafür brauchen wir auch innovative Lösungen, indem wir z. B. den alten Gegensatz zwischen privatem Autoverkehr und kollektivem Verkehr mit Bussen auflösen.

Bei uns in der Pfalz haben wir eine katastrophale Verkehrsanbindung. Pirmasens, der als ärmster Landkreis in Deutschland gilt, hat in den letzten Jahren 40 Prozent der Bevölkerung verloren. 

Cem Özdemir: So unvertraut ist mir das nicht. In einem Tal sind die Möglichkeiten zu wachsen, sehr begrenzt. Die Kernregionen sind leider woanders. Wenn die jungen Leute studieren, kommen sie meist nicht mehr zurück. Jetzt ist die Frage, ob es uns gelingt, aus dem Stundentakt einen Halbstundentakt zu machen, die Eisenbahnstrecke zu elektrifizieren. Das wird eine ganz zentrale Frage für die Zukunft des ländlichen Raums sein. Wichtig ist ja die Vernetzung zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern. Das haben wir im Wahlprogramm z. B. das Konzept mit dem Grünen Mobilpass, der verschiedene Verkehrsträger intelligent und kostengünstig miteinander vernetzt. Man startet mit dem Auto, dem eigenen oder einem geteilten, fährt dann mit dem Zug und die letzten Kilometer mit dem geliehenen Fahrrad.

Ist das finanzierbar? 

Cem Özdemir: Ja. In Ländern wie der Schweiz funktioniert das schon. Aber natürlich muss der Bund auch mithelfen. Wir haben jetzt gerade eine Luxussituation mit den sprudelnden Steuereinnahmen, dass Finanzminister Schäuble nicht so recht weiß, was er mit dem Geld machen soll. Und bevor die große Koalition auf falsche Ideen kommt, würden wir gerne dafür sorgen, dass das Geld sinnvoll angelegt wird und da ist der Schwerpunkt „Infrastruktur“: gute sanierte Straßen und Radwege, sanierte Brücken, elektrifizierte Eisenbahnverbindungen, gute Kitas, gute Schulen, gute Ausbildungsbetriebe. Ganz wichtig ist auch schnelles Internet, gerade im ländlichen Raum. Es kann doch nicht sein, dass es da eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gibt, dass die Großstadt das Glasfaser bekommt und der ländliche Raum nicht. Wir wollen, dass in Glasfaser mit dem Schwerpunkt ländlicher Raum investiert wird. Der ländliche Raum darf auch in der Kommunikation nicht abgehängt werden. Und natürlich ist das auch für das Gewerbe eine wichtige Frage. Ich kann ja nicht dem Mittelstand sagen, ihr müsst stärker in die Digitalisierung, damit ihr nicht abgehängt werdet und dann sagen mir die Leute: „Spaßvogel, ich komm ja nicht mal ins Netz!“ Das muss in der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt künftig anders sein. Da muss der Turbo eingelegt werden. Das würden wir gerne anpacken in der nächsten Regierung.

Es ist ja so, dass wir die große Koalition haben, d. h. ein Teil ist ja auch ihr möglicher Koalitionspartner. 

Cem Özdemir: Es sei denn es gibt am Ende eine Koalition mit FDP und Linkspartei zusammen, (lacht), was zugegebenermaßen ja sehr unwahrscheinlich ist.

Wer wird dann aber Bundeskanzler? 

Cem Özdemir: (lacht) Angesichts des Lobs von Sahra Wagenknecht für Christian Lindners Russland-Kursschwenk bei der Krim, wären wir ja quasi Solist in der Regierung. Im Ernst: Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass sich die FDP auf einmal auch Putin andient. Kompromisse gehören in jeder Regierung dazu. Aber es ist doch klar: Wer wenn nicht die Grünen hat das Know-How, den Klimaschutz wirklich voranzubringen, E-Autos zum Durchbruch zu verhelfen oder die Landwirtschaft nachhaltig zu machen?

Ist ein Kompromiss aber nicht manchmal so schwierig, dass er nicht mehr die eigene politische Maßgabe hat? 

Cem Özdemir: Es ist ein Wesensbestandteil der Politik, dass man Dinge aushandelt, um gute Ergebnisse zu erzielen. Aber ich sage klar: Wir  regieren nicht um jeden Preis. Es braucht echte Veränderungen. Wenn es die nicht gibt, geht es nicht. In den Zielen muss sich eine Regierung einig sein. Seit acht Jahren bleiben etwa die CO2-Emissionen auf gleich hohem Niveau. Wir sind Weltmeister beim Verbrennen der klimaschädlichen Braunkohle. Man muss hart und gut verhandeln und für uns ist klar, dass wir nur einen Koalitionsvertrag unterschreiben können, der die Politik enkelfähig macht. Eine Politik, mit der wir uns bei unseren Kindern und Enkelkindern eines Tages nicht schämen und entschuldigen müssen. Wir wollen die Intelligenz, die in unserer Gesellschaft ja vorhanden ist, nutzen, um dafür zu sorgen, dass wir Wohlstand, Wachstum, Jobs – alles das verbinden mit einem geringeren CO2-Fußabdruck. Die gute Nachricht: das geht!

Könnten Sie es sich auch mit der CDU vorstellen? 

Cem Özdemir: Demokratische Parteien müssen untereinander gesprächsfähig sein. Deshalb reden wir mit allen – aber wir reden nicht über alles. Nur mit der AFD ist es ausgeschlossen, weil die mit uns nicht das Menschenbild des Grundgesetzes teilen. Bei den anderen ist klar, wenn Horst Seehofer mit uns den ungarischen Politiker Viktor Orbán anhimmeln will, dann wird das ein eher kurzes Gespräch. Wenn die SPD es Gerhard Schröder nachmachen möchte und Wladimir Putin anhimmelt, dann muss ich auch klar sagen: Wir himmeln keine autoritären Herrscher an. Wir sind wahrscheinlich die einzige Fraktion im Bundestag die keinen autoritären Lieblings-Herrscher hat. Selbst die FDP, die ja nicht im Bundestag ist, macht es ja jetzt der Linkspartei und der SPD nach mit dem Kuschelkurs gegenüber Herrn Putin. Wir hingegen glauben an eine wertegeleitete Außenpolitik und für uns ist klar: Wir können keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem es nicht um eine Außenpolitik geht, die dem Menschenbild des Grundgesetzes verpflichtet ist. Wir können keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, der sich nicht klar dazu bekennt, dass die Unterschrift der Bundeskanzlerin unter das Klimaschutzabkommen in Paris auch in nationale Politik umgesetzt wird. Wir wollen das in der Regierungspolitik umsetzen und wenn wir in vier Jahren Bilanz ziehen, wollen wir sagen: „Wir haben die Wende geschafft!“ Bei dieser Wahl geht es um viel: Endlich Klimaschutz oder weiter dreckige Kohle? Echte Integration oder Leitkultur-Nebelkerzen? Mehr Gerechtigkeit oder mehr Billiglöhner? Da gibt es gravierende Unterschiede. Frau Merkel ist gut für Überschriften. Wenn man aber Substanz möchte, muss man uns Grüne wählen. Das Umsetzen, das ist nicht so ihr Ding. Ich hab mal scherzhaft gesagt, wenn die Chinesen Geld sparen wollen, dann sollen sie ihre Industriespionage einstellen und sich einfach ein frei verfügbares Programm von Bündnis 90/Die Grünen zulegen, da steht eh alles drin, was Frau Merkel in fünf oder zehn Jahren machen wird. Der Unterschied ist aber, dass es von uns stammt und wir die durchdachten Konzepte haben. Wir kennen uns da auch aus und können die Dinge qualitativ hochwertig und handwerklich sauber umsetzen. Flüchtlinge ins Land holen kann jeder, Flüchtlinge integrieren kann nicht jeder. Da sind dann wir zuständig.

In den letzten Jahren hat ein unheimlicher Wandel in der Gesellschaft stattgefunden. Dieser wurde durch den Zuzug der Flüchtlinge noch ein bisschen unterstützt. Weil da wahnsinnig viel Polemik ins Spiel gebracht wurde. Aus dieser Schublade kommt meiner Meinung nach die Politik nur ganz schwer raus. 

Cem Özdemir: Man muss sich immer vergegenwärtigen, dass die meisten, die zu uns flüchteten, nicht freiwillig gekommen sind, sondern aus schwierigen Verhältnissen – aus Krieg und Unterdrückung geflohen sind. Übrigens muss man auch immer noch hinzufügen, dass, wenn die Klimakrise sich durch unsere derzeitige Lebensweise weiter verschärft, noch Millionen Menschen weltweit zur Flucht gezwungen werden. Wegen Ernteausfällen, wegen Dürren, weil weite Landstriche Afrikas nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar sein werden. Das sind die, die die Folgen des Ressourcenverbrauchs, für den wir in den Industriegesellschaften verantwortlich sind, am meisten spüren. Insofern ist auch das ein Grund dafür, so schnell wie möglich dafür zu sorgen, dass wir mit dem Bekämpfen der Klimakrise anfangen. Die Folgen der Klimakrise anschließend mit Milliardensummen zu korrigieren, das ist doch geradezu absurd. Beim Thema Flüchtlinge ist es wichtig, immer auch die Fluchtursachenbekämpfung zu erwähnen. Da kann man eine Menge tun. Beispielsweise die Landwirtschaft: Wir exportieren Fleisch nach Afrika, wo wir einheimische Märkte von Bäuerinnen und Bauern kaputt machen und wundern uns dann, wenn die Menschen nach Europa fliehen wollen. Unsere Hochseeflotten, mit denen wir die Meere um Westafrika leer fischen. Aber auch Rüstungsexporte nach Saudi Arabien, wo das Nachbarland Jemen gerade in die Steinzeit zurück bombardiert wird. All das muss ein Ende haben. Die Flüchtlingspolitik zeigt uns, dass wir dringend ein starkes Europa brauchen. Wenn wir uns einig sind und in Europa zusammen arbeiten, dann  können wir uns gegenseitig helfen und dafür sorgen, dass wir Menschen  gemeinsam Schutz bieten können. In Deutschland ist es ganz wichtig, dass  die Flüchtlinge, die zu uns kommen, von Anfang an Deutsch lernen und so  schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt kommen. Manche kommen aus  Ländern, wo es keine Demokratie gibt, wo die Polizei korrupt ist, wo zu  Hause gelehrt wird, dass Männer und Frauen nicht gleichberechtigt sind.  Es ist wichtig, dass wir auch die Werte unseres Landes vermitteln und  die Menschen vorbereiten, auf das Land, in dem sie leben. Wenn uns die  Integration gelingt, profitieren wir alle davon. Aber das ist eine  schwierige Aufgabe für die Politik.

Ist die EU zu schnell gewachsen? Wurde zu wenig hinterfragt? 

Cem Özdemir: Im Fall von Rumänien und Bulgarien kann man das diskutieren. Sie waren, als sie in die Europäische Union aufgenommen  wurden, weit davon entfernt, die Dinge in der Realität und nicht nur auf dem Papier zu erfüllen. Wo wären die jedoch heute? Würden die nicht zum  Putin-Reich gehören, wo Menschenrechte keine Rolle spielen. Gerade wenn  man sieht, wie Putin versucht, auf Länder, die in der EU sind, Einfluss  zu nehmen. Siehe Ungarn. Herr Putin versucht, sein Reich zu erweitern,  die EU zu destabilisieren und zu schwächen und dafür zu sorgen, dass die Kräfte, die gegen Europa sind, gestärkt werden. Nehmen Sie die Einflussversuche bei der französischen Präsidentschaftswahl. Auch in den USA. Wir haben zum ersten Mal einen Präsidenten in den USA nach Moskaus  Wunschvorstellungen. Man sieht die Politik. Wenn das Ziel war, den  Westen zu schwächen, dann kann man nur sagen, Hut ab, das ist ihm  wirklich sehr überzeugend gelungen. In der Herzkammer des Westens sitzt mit Donald Trump ein unzuverlässiger und unberechenbarer Populist. Ich  habe nicht das Gefühl, dass die Bedrohung, die von Putin ausgeht überall  verstanden wurde. Auch in meiner Fraktion im Bundestag gibt es eine Kollegin, Marieluise Beck, deren Computer schon mehrfach mit derselben  Software gehackt wurde, mit denen die Computer der Demokraten in den USA gehackt worden sind. Das dürfen wir nicht einfach achselzuckend hinnehmen. Es ist wichtig, dass wir als Europäische Union zusammenstehen.

Früher waren die Grünen die Protestpartei. Heute, sage ich mal, ist es die AFD. 

Cem Özdemir: Das ist Quatsch. Das ist nicht derselbe Protest, da lege  ich Wert drauf! Unser Protest war immer pro Menschenrechte, für  Zusammenhalt und ein geeintes Europa und deren Protest ist einer, der  menschenverachtend ist, Minderheiten diffamiert und deren Anhänger nicht  das Menschenbild des Grundgesetzes teilen.

Hängt das nicht unmittelbar mit dem Thema Bildung zusammen? 

Cem Özdemir: Was meinen Sie?

Früher war der Protest aus einem ganz anderen Gesichtspunkt heraus und mit einem eher geschichtlichen Hintergrund. Und heute kommt eine Protestpartei hoch, nämlich die AFD, die furchtbar rechtsradikale Tendenzen hat. 

Cem Özdemir: Sie haben Recht: jeder der die AfD wählt, sollte sich  vorher genau ansehen, wen er da wählt. Da gibt es Leute, die ganz klar dem äußersten rechten Rand zuzuordnen und eindeutig rassistisch oder anti-semitisch sind. Die AfD wurde ja ursprünglich mal von Professoren  gegründet, die sicherlich gebildet sind. Aber Bildung haben, heißt eben  noch lange nicht, dass man aufgeklärt und liberal ist. Es gibt Leute,  die sind Leute ohne Abschluss und haben das Herz an der richtigen Stelle  und es gibt Professoren, sehr gut verdienend, bei denen einem das  Grausen kommt.

Mit Bildung meinte ich eigentlich auch die Halbwahrheiten und auch die sozialen Netzwerke, die dazu genutzt werden. 

Cem Özdemir: Ja, das hat sich dramatisch verändert. Die Schwellen sind  gesunken, die Leute denken, dass im Netz andere Gesetze gelten. Falsche  Zitate sind ein ganz beliebtes Spiel, mit dem ich auch selbst  konfrontiert bin. Es ist wichtig, dass die Kinder bereits  in der Schule  lernen, wie man damit umgeht. Man darf den gepflegten Streit nicht  denunzieren, sondern muss ihn lernen. Man muss lernen, dass man mit Argumenten auch gerne hart in der Sache argumentiert, aber den Respekt  voreinander nie verliert. Das muss das Ziel sein in der demokratischen Gesellschaft.

Wird aus dem Wahlkämpfel noch ein Wahlkampf? 

Cem Özdemir: Wir sorgen dafür. Wir bringen Druck, Stimmung und Spannung  rein. Es geht um viel. Gelegentlich schreibt Frau Merkel bei uns ab – aber wir verbieten es ihr nicht. So war es etwa  beim Atomausstieg, dem  Mindestlohn und der Ehe für Alle.  Wenn es eine Copyright-Abgabe auf grüne Ideen gäbe, dann wären wir die reichste aller Parteien. (lacht) (eis)