Dr. Antonia Rados ist in Krisengebieten weltweit unterwegs. Ob Syrien, Afghanistan oder Irak – die österreichische Politologin arbeitete für zahlreiche Fernsehsender, bevor sie Chefkorrespondentin bei RTL wurde. Im November reiste Antonia Rados zum ersten Mal nach Landau – Kabul habe sie deutlich öfter gesehen, schmunzelte die 61-Jährige, die als Referentin des diesjährigen Sparkassen-Forums auftrat. Redakteurin Yvonne Vollmer nutzte diesen Besuch zu einem aufschlussreichen Gespräch.

Wie bereiten Sie sich vor, bevor Sie in ein Kriegsgebiet gehen?

Antonia Rados: Bei jeder Reise lernt man ein kleines Stück dazu und macht wieder eine Erfahrung. Als ich begann, gab es noch keine Krisenausbildung, wie sie jetzt von allen Armeen in Europa angeboten wird. Ich finde es gut, dass die Leute vorbereitet werden. Als ich 1978 anfing – eine Zeit, in der auch schon Journalisten im Libanon entführt wurden – gab es, wie ich mich erinnere, keine kugelsicheren Westen oder Leibwächter. Da hat sich zum Schutz der Reporter viel geändert, aber leider nicht genug. Da hat sich in den letzten Jahren einiges verbessert für den westlichen Reporter, der in Krisengebiete geht, aber nicht sehr viel für die andere Seite.

Ist es als ausländischer Journalist einfacher, Kontakte vor Ort zu knüpfen als für einheimische Journalisten?

Antonia Rados: Ja, es hat natürlich Vorteile, wenn man von außen kommt. Weil man unbelasteter ist, auch eine andere Kultur hat, und gewohnt ist, dass Journalisten frech sind und Fragen stellen. Ich habe aber auch von Anfang an mit an Al Jazeera-Leuten zusammengearbeitet, weil ich den Eindruck hatte, dass diese Leute mehr wissen, ein anderes Wissen haben, an das wir nicht kommen. Man profitiert gegenseitig davon.
Sie arbeiten viel vor Ort, aber mit dem Internet hat sich die Arbeit verändert.

Wirft das nicht Probleme auf, wie man Informationen eingeschätzt, z. B. Bilder?

Antonia Rados: Ja, das ist ein Widerspruch: Auf der einen Seite ist unsere Welt so offen, wir können überall hinfahren, leichter als früher. Wir wissen alle z. B. über Afghanistan Bescheid, glauben, alles gesehen zu haben. Auf der anderen Seite ist das Internet, gerade im Fall des Islamischen Staats eine riesige Propagandamaschine. Das Internet stellt vielleicht genauso viele neue Probleme, wie es gelöst hat.
Sie sagten selbst, als Sie angefangen haben, gab es noch keine Leibwächter.

Sind Sie denn heute mit Leibwächtern unterwegs?

Antonia Rados: Leibwächter habe ich in den seltensten Fällen. Ich glaube, mit einem Leibwächter fällt man mehr auf, als er einem nützt. Sie müssen sich vorstellen, sie sind mit einem Kamerateam und ihrem „Fixer“, wie wir das nennen, dem lokalen Fahrer oder Übersetzer, unterwegs, und dann haben sie noch irgendein Muskelpaket, das hinter ihnen her geht. Das ist sehr auffallend.

Wie schwierig ist es, die Objektivität, die man für diesen Beruf braucht, beizubehalten?

Antonia Rados: Dazu gehört sehr viel Erfahrung, mit den Jahren kommt man auf die interessanten Zwischentöne. Man muss auch immer nachfragen, wenn etwas nicht logisch erscheint. In der arabischen Welt werden Dinge gegenüber Ausländern gerne beschönigt. ‚Alles wunderbar, machen sie sich keine Sorgen, wir sind alle glücklich, dass sie hier sind, möchten Sie einen Tee trinken?‘ Und erst durch mehrmaliges Nachfragen bemerkt man dann die Zwischentöne.

Man braucht viel Erfahrung, um aus Krisengebieten journalistisch berichten zu können. Bereitet die Ausbildung zum Journalisten darauf ausreichend vor?

Antonia Rados: Ich finde, es gibt gute Journalistenausbildungen, gerade in Deutschland. Ich kenne sehr gute Kameraleute, die sich angeboten haben, ins Kriegsgebiet zu fahren. Dann sind sie einmal dort und fahren nie wieder hin. Es gibt aber auch Leute, die zufällig in einen Konflikt kommen, das dann interessant finden und weiter machen möchten. D. h. bevor sie nicht tatsächlich einer Gefahr ausgesetzt sind, können sie noch so eine gute Ausbildung haben, sie können sich auf den Trip nicht vorbereiten. Man muss sich in der Situation selbst beobachten, ob man bleibt oder nicht. Man kann trocken schwimmen, aber es ist immer etwas anderes hinzufahren.

Wie viel Risiko sind Sie bereit, einzugehen? Gerade wenn man bedenkt, dass in diesem Jahr schon knapp 100 Journalisten ums Leben gekommen sind.

Antonia Rados: Jedes Mal, wenn ein Kollege umkommt oder eine Kollegin – bei den Frauen wahrscheinlich noch mehr, weil man sich damit identifiziert – fragt man sich: Ist eine Reportage das Leben wert? Aber diese Frage stellt man sich nicht, wenn man vor Ort ist. Man denkt überhaupt nicht daran, dass man sein Leben verlieren könnte. Man geht in Kriegsgebiete hinein, weil man glaubt, es gibt etwas zu berichten.

In Ihrem Job arbeiten immer noch überwiegend Männer, oder?

Antonia Rados: Ich glaube, der Krieg ist eine echte Männerdomäne. Die haben es nicht so gern, wenn Frauen auftauchen. Auf der anderen Seite darf man das nicht übertreiben, als westliche Frau sind sie immer noch etwas anderes als ein Opfer der IS. Da gibt es eine Unterscheidung, ob sie eine einheimische Frau sind, die machtlos ist. Als westliche Frau werden sie immer noch anders angesehen, praktisch wie ein halber Mann. Frauen werden aber genauso entführt, kugelsichere Westen und Helme sind alle für Männer gemacht. Was ich an mir und auch an anderen Kolleginnen beobachtet habe: Wenn man im Krisengebiet ist, reden wir wie Männer, treten auf wie Männer. Im Grund genommen muss man alles, was Frau ist, ablegen. Man muss sich einfügen in die Männerwelt. Man darf nicht weinen oder Emotionen zeigen. Erst wenn sie zurückkommen, stellt man sich die Frage, bin ich eine Frau oder ein Mann. Es ist eine Männerdomäne und das färbt total ab.

Haben Sie Angst vor Traumatisierung? Sie kommen ja mit vielen Situationen in Berührung, die einem sehr nahe gehen können.

Antonia Rados: Ich kenne niemanden, der in ein Kriegsgebiet hinein geht und genauso raus kommt. Die Traumatisierung ist sehr stark, viele Schicksale ziehen an ihnen vorbei. Aber die Traumatisierung, wie wir sie bei Soldaten erleben, gibt es bei Journalisten in dieser Ausprägung nicht. Weil wir nicht kämpfen, sondern den Kampf beobachten.

In einem Interview hat der Bischof von Erbil sie angegriffen. Sie als Europäerin seien mit schuld, dass die Lage in Syrien seit Jahren so angespannt ist. Wie geht man damit um?

Antonia Rados: Er hatte ja auch recht. Ich habe den Vorwurf bewusst akzeptiert, weil ich glaube, dass es wichtig war, was er da sagte. Es ging um den Syrischen Konflikt, der seit dreieinhalb Jahren ging, Europa und Amerika haben politisch nicht eingegriffen, um einen Kompromiss zu finden. Diesen Vorwurf sehe ich täglich in den Augen aller. Wir sehen das ständig in den Gesichtern der Leute: Warum habt ihr nichts für uns getan?

Geben Sie darauf eine Antwort?

Antonia Rados: Ich bin ja eine westliche Frau und gehe dort nicht hin, um den Leuten zu sagen, dass sie Recht haben, sondern erkläre ihnen auch, was ich meine. Aber ich glaube, man hätte im Syrien-Konflikt viel mehr machen müssen. Es war ein Fehler der westlichen Politik, hier nicht einzugreifen, alle an einen Tisch zu setzen und eine Lösung zu finden. Jetzt die IS zu bombardieren, ist keine Lösung. Man kann nicht dreieinhalb Jahre blind sein, dann ein Auge auf machen und nur ein Flugzeug hinschicken. Das ist unmöglich. All die Jahre habe die Menschen nach Waffen gefragt, um sich selbst zu verteidigen, jetzt sagen alle nur noch: Wir können nicht mehr, gebt uns ein Visum.

Was war ihr schönstes Erlebnis in ihrer Tätigkeit?

Antonia Rados: Da gibt es mehrere. Allgemein gesagt ist das schönste Erlebnis immer, aus einem Kriegsgebiet herauszufahren. Man soll nicht glorifizieren, in ein Kriegsgebiet zu fahren, das ist Stress. Aber aus dem herauszukommen und das ganze Team hat überlebt, das ist immer ein guter Augenblick. Auch nach all diesen Jahren ist es immer noch Stress, in ein Kriegsgebiet zu fahren. Ich mache es, weil ich davon überzeugt bin, dass man darüber berichten muss, aber es ist keine Tätigkeit der Freude. (yv)