16 Jahre lang war Sven Hannawald der erste und einzige Skispringer, dem es gelang, alle vier Springen der Vierschanzentournee zu gewinnen. Seit dem 6. Januar ist er nicht mehr alleine – und Hannawald war der erste, der dem Polen Kamil Stoch zum Erfolg gratulierte. „Jetzt muss ich endlich keine Selbstgespäche mehr führen“, schmunzelte die Legende im Anschluss. Markus Eisel traf sich ein paar Tage zuvor mit Sven Hannawald zum Interview.

Sie haben sich vom aktiven Sport verabschiedet, sind nun aber für Eurosport tätig. Was ist dort Ihre genaue Aufgabe?

Sven Hannawald: Dort gehöre ich zum Expertenteam und bin seit Kurzem direkt bei dem Kommentator in der Kabine mit dabei. Das vorherige Duo wurde ausgetauscht und Matthias Bielek und ich sind nun die Nachfolger. Es gab im letzten Jahr Gespräche, weil es einen Wandel geben sollte, um ein jüngeres Publikum anzusprechen. Ich kannte ihn schon von meiner Zeit bei Sky Sport News HD. Meine Aufgabe ist das direkte Kommentieren, das ist jetzt neu für mich. Ich musste mich da etwas umstellen, weil das aktuelle Geschehen natürlich direkt bewertet werden muss. Aber es macht mir viel Spaß und Matthias gleicht mich da gut aus. Der Vorteil dabei ist, dass wir uns auch gegenseitig austauschen können und interaktiv sind.

Haben Sie auch Kontakt zu Experten von anderen Sendern wie z. B. Dieter Thoma?

Sven Hannawald: Wenn wir uns sehen, kommen wir natürlich auch immer ins Gespräch. Auch wenn wir eigentlich für getrennte Lager arbeiten, sehen wir uns oft gemeinsam die Sprünge vor dem eigentlichen Wettkampf an. Dabei reden wir auch über frühere Zeiten – das ist schon immer sehr lustig.

Sie können sich aber auch für andere Sportarten begeistern – vor Kurzem waren Sie gemeinsam mit Martin Schmitt für Eurosport bei einem Spiel des FC Freiburg.

Sven Hannawald: Ja, das ist ganz schön, dass wir diese Möglichkeiten haben. Freiburg ist zwar eigentlich nicht mein Heimatverein, aber inzwischen fühle ich mich auch diesem Verein sehr verbunden, da ich ja schon seit Mitte der 90er hier in der Region trainiere und deswegen auch den Fußball hier verfolge. In meiner Kindheit hat mich mein Vater aber auch manchmal zu Spielen von Erzgebirge Aue mitgenommen, allerdings haben wir immer verloren, wenn ich da war. Insofern ist es wahrscheinlich besser, wenn ich das jetzt aus der Ferne beobachte.

Auch Motorsport ist eines Ihrer Fachgebiete, Sie sind sogar selbst gefahren.

Sven Hannawald: Beim Motorsport kenne ich mich dadurch besonders gut aus, das ist richtig. Ich weiß, was dazugehört, um locker am Lenkrad drehen zu können. Zudem interessiere ich mich auch sehr für Tennis. Durch Eurosport bekomme ich die Chance, mich mit vielen verschiedenen Sportarten zu beschäftigen und dabei sein zu dürfen.

Würden Sie die Zeit als aktiver Sportler mit dem Leben in einer Blase vergleichen?

Sven Hannawald: Wir haben es immer „Tunnel“ genannt. Wir trainieren ganzjährig. Im Sommer ist es ein bisschen lockerer. Das Training unterscheidet sich natürlich, vor allem wegen der Temperatur. Auch wird anderes Material genutzt, aber letztendlich ist man als aktiver Sportler immer in seiner eigenen Welt eingeschlossen.

Markus Eisel (links) und Sven Hannawald. (Foto: privat)

Ab wann haben Sie sich Gedanken über Ihre Zukunft gemacht?

Sven Hannawald: Ich habe mir gar keine Gedanken gemacht. Die Thematik Zukunft kommt bei den meisten erst dann auf, wenn sie merken, dass sie bei den Wettkämpfen keine Chance mehr haben. Ich persönlich dachte zuerst, ich hätte nur ein kurzes Tief, war mir aber sicher, dass es auch wieder bergauf gehen würde – so ist es vorher schließlich immer gelaufen. So kam es dann aber ja nicht. Es hat eine Weile gedauert, bis mein Kopf akzeptiert hat, dass mein Körper nicht mehr in der Lage ist, die Topleistungen zu bringen, die ich mir gewünscht hätte. Selbst als mein Burnout diagnostiziert wurde, habe ich wenig Gedanken an die Zukunft nach meiner aktiven Karriere verschwendet. Ich bin davon ausgegangen, dass nach einem kurzen Aufenthalt in der Klinik, alles wieder sein könnte wie vorher.

Wie hart war der Schritt weg vom großen Hype, den es ja um Sie gab, hinein in ein neues Leben?

Sven Hannawald: Dieser Schritt ist vor allem für die besonders schwer, die diese Welt lieben und gerne im Rampenlicht stehen. Wenn das auf einmal vorbei ist, kann das ganz schön schwer sein. Aber dadurch, dass ich trotz des Erfolgs immer bei mir geblieben bin – so wie es mir auch meine Eltern vorgelebt haben – war es zwar eine Umstellung für mich, aber keine allzu schwere. Natürlich habe ich die Momente, wenn ich oben auf dem Balken der Schanze saß und mir unten 30.000 Zuschauer zujubelten, sehr genossen – es war ein berauschendes Gefühl.

Was geht einem in solch einem Moment eigentlich durch den Kopf?

Sven Hannawald: Man muss in dieser Situation hochkonzentriert bleiben und an seine Technik denken. Wer seine Gedanken abschweifen lässt, kann keinen guten Sprung mehr abliefern. Das ist aber in jeder Sportart so und mit solchen Situationen umzugehen, lernt man schnell. Nur ganz am Anfang, wenn man als Nachwuchsspringer zum ersten Mal bei der Vierschanzentournee dabei ist, hat man oben beim Start noch sehr viel anderes im Kopf. Aber je mehr Erfahrung man sammelt, desto besser hat man das im Griff und kommt aufs Wesentliche zurück. Man nimmt die Zuschauer wahr, aber kann den Schalter auch direkt aufs Sportliche umlegen.

Gibt es einen Austausch unter den Sportler über solche Extremsituationen und den Umgang damit?

Sven Hannawald: Nein, nicht direkt. Dafür gibt es ja die Mentaltrainer – auch ich hatte damals einen persönlichen, von dem aber niemand wusste. Das war zu einer Zeit, als das Skispringen noch bei RTL übertragen wurde und es um die Sportart einen riesigen Hype gab. Leider waren da auch alle Geschichten hinter den Kulissen für die Medien höchst interessant. Ich wollte aber nicht, dass das an die Öffentlichkeit kommt, weil ich beispielsweise auch unseren Skisprung-Trainer nicht kränken wollte. Es hätte die Gefahr bestanden, dass plötzlich der Mentaltrainer der Held wäre. Deswegen habe ich das für mich im Geheimen ausprobiert; und heute gebe ich zu: Das war wichtig für mich und wegweisend! Der Mentaltrainer hat mich auch auf viele andere Lebenssituationen gut vorbereitet.

Wie gut kommen Sie damit klar, so bekannt zu sein?

Sven Hannawald: Es ist ja inzwischen schon viel ruhiger geworden. Wir leben heute in München, das ist sehr angenehm. Obwohl mir in der Großstadt natürlich viel mehr Menschen als auf dem Land begegnen, lebt man dort einfach anonymer und wird seltener angesprochen. Aber es ist auch immer wieder ein schönes Gefühl, erkannt zu werden, weil einem dann wieder bewusst wird, was man in der Vergangenheit geleistet hat. So in der Öffentlichkeit zu stehen hat eben immer zwei Seiten. Wer damit nicht umgehen kann, hat ein Problem, denn sich als erfolgreicher Sportler komplett aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, kommt bei den Menschen schnell als arrogant rüber. Auch wenn das natürlich falsch ist.

Ihre Offenheit beim Thema Burnout hat mich ziemlich beeindruckt. Wie kam es zu der Entscheidung, so offen damit umzugehen?

Sven Hannawald: Ich habe darüber nicht viel nachgedacht. Ich merke aber immer wieder, dass sich nur wenige Menschen eingestehen wollen, dass sie von der Krankheit betroffen sind. Und gerade diejenigen, die in der Öffentlichkeit stehen und mit ihrer Offenheit auch anderen helfen könnten, versuchen es zu verstecken. Das ist schade. Es hat sich zwar viel getan in den vergangenen Jahren, aber Burnout ist immer noch ein Tabuthema. Betroffene denken leider häufig, sie selbst seien schuld und mit ihnen sei etwas nicht ganz richtig. Dabei kann es aber jeden treffen – auch Prominente. In der öffentlichen Wahrnehmung gelten sie oft als besondere Menschen, man denkt, „denen“ könne so etwas nicht passieren. Kann es aber, denn als Zuschauer sieht man ja immer nur die eine, glanzvolle Seite des Lebens. Ob die Balance insgesamt aber stimmt, kann man von außen nicht beurteilen.

Profisportler finanzieren sich unter anderem durch die Sporthilfe, die immer Prämien auszahlt, wenn man besonders erfolgreich ist. Ist das fair und zeitgemäß?

Sven Hannawald: Der Vorteil der Skispringer ist, dass wir schon rein körperlich im Vergleich zu unseren Konkurrenten immer die gleichen Chancen haben. Theoretisch können wir immer einen der vorderen Plätze belegen und dadurch Prämien sichern und Geld verdienen. In der Leichtathletik ist das etwas anders – da hat man als weißer Athlet beispielsweise in den Lauf-Disziplinen, rein körperlich bedingt, schon geringere Chancen auf gute Platzierungen und dadurch auch weniger Chancen auf Prämien. Wir haben natürlich trotzdem Sporthilfe bezogen und die meisten aus unserem Kader waren entweder beim Bundesgrenzschutz, bei der Bundespolizei oder bei der Bundeswehr – so wie ich. Sich auf diese Weise abzusichern, ist lebensnotwendig. Wenn man sein Leben ausschließlich über die Wettkampfleistungen finanziert, kann das nicht gutgehen. Da wäre auch der psychische Druck viel zu hoch.

Fußballern wird alles abgenommen, wenn es um die Lebensbestreitung geht. Ist das bei Skispringern auch so?

Sven Hannawald: Nein, ich war sehr selbstständig. In der Fußballwelt ist es ja so, dass sich schnell eine andere Welt um einen herum entwickelt, wenn man viel Geld verdient – mit Pelzmänteln und Ferraris. Das gibt es bei uns Wintersportlern nicht. Da sind andere Themen im Vordergrund. Es fällt den Sportlern leichter, auf dem Boden zu bleiben und es ist gut, dass man in unserem Bereich selbstständig bleibt und sich um viele Dinge selbst kümmern muss. Als Wintersportler kommst du nicht auf einem goldenen Esel ums Eck und lässt die anderen für dich arbeiten.

Wie kamen Sie eigentlich zum Skispringen?

Sven Hannawald: Ich bin im Erzgebirge aufgewachsen und da war der Wintersport wichtiger als Fußball oder andere Sportarten. Als kleines Kind war ich öfter mal bei Wettkämpfen – und alles was Kinder sehen, machen sie nach. So bin ich da reingewachsen. Dann sieht man die Vierschanzentournee im Fernsehen und verfolgt das Skifliegen – und dann sagst du: „Jawoll, das will ich auch.“ Dann ist der Weg geschrieben.

Würden Sie heute noch einmal von einer Schanze runterspringen?

Sven Hannawald: Von einer 30-Meter-Schanze würde ich das noch hinkriegen (lacht). Skispringen ist ein Vertrauenssport. Und da ist es nicht so wie beim Tennis, wo man einfach nach dem Ende seiner Karriere noch einmal zum Schläger greift. Wenn man längere Zeit nicht gesprungen ist, verliert man das Vertrauen. Und das wächst erst, wenn man wieder auf kleinen Schanzen anfängt. Alles andere wäre zu gefährlich.

In Ihrer aktiven Zeit wurde viel über das Thema Magersucht gesprochen. Haben Sie sich angesprochen gefühlt?

Sven Hannawald: Ich war nicht magersüchtig. Ich war damals sehr dünn und wenn ich Bilder von früher sehe, kann ich auch nachvollziehen, dass man mich mit dem Thema in Verbindung gebracht hat. Ich habe mich auf einem schmalen Grad bewegt und meine Grenzen ausgetestet. Wenn man alles perfekt machen möchte, geht man bis ans Limit. Aber das war immer alles mit dem Teamarzt abgesprochen, es gab regelmäßige Blutkontrollen. Ich wusste, dass es nur ein Teil meines Lebens ist. Wenn ich das mein ganzes Leben lang hätte machen müssen, wäre ich ausgestiegen. (eis)

 

Um Sven Hannawald ist es etwas ruhiger geworden. Er genießt sein Leben in München.
-Foto: STAEDTLER
Markus Eisel (links) und Sven Hannawald.
-Foto: privat