Landau. 14 Jahre war Michael Reutter als Kraftfahrer tätig. Bis zu dem Tag, an dem er von der niederschmetternden Diagnose erfuhr: Multiple Sklerose. Seitdem sitzt Reutter im Elektro-Rollstuhl und ist auf eine Arbeit mit barrierefreien Bedingungen angewiesen. Bei der Suche und Vermittlung geholfen hat ihm die Projektinitiative „schwer-begabt“, bei der das Arbeitsamt in Landau federführend war. Heute arbeitet Michael Reutter an einem klassischen PC-Arbeitsplatz in dem Ettlinger IT-Unternehmen AfB. Die geglückte Inklusion im Fall Reutter ist beispielhaft. Ähnliche Projekte schießen seit Jahren in der gesamten Südpfalz wie Pilze aus dem Boden. Für mediale Aufmerksamkeit sorgte in diesen Tagen eine Landauer WG, die von acht Menschen bewohnt wird – vier davon mit Unterstützungsbedarf aufgrund geistiger Behinderung. Träger ist die Bethesda in Landau.

Die prominentesten Einrichtungen betreibt regional die Lebenshilfe mit ihren Kreisvereinigungen in Germersheim, Landau und der Südlichen Weinstraße. Sie alle haben sich mit ihren Leitsätzen und Grundprinzipien der Inklusion verschrieben: Das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft.

Anita Benkler-Jakobs und Waldemar Elsemann wohnen mit weiteren vier Menschen bereits seit über 20 Jahren in einer gut funktionierenden Wohngemeinschaft. (Foto: mda)

Ein Bericht des Vereins „Aktion Mensch“, des beliebtesten deutschen Lotteriebetreibers, bringt das Thema auf den Punkt: Erst wenn alle Menschen die Gesellschaft gleichberechtigt mitgestalten können, wenn es keine Unterteilung in ein „Wir und „die Anderen“ mehr gibt, dann ist Inklusion geglückt. Inzwischen gibt es vielfältige Ansätze, mit denen sich diese Vision der Wirklichkeit annähert. An erster Stelle stehen oftmals Projekte, bei denen es um Beschäftigungsmodelle geht. Werkstätten für Menschen mit Behinderung sollen für den so genannten ersten Arbeitsmarkt „fit machen“. Wie dies gelingt, können beispielsweise Besucher des Herxheimer Cap Marktes bei ihren Einkäufen erleben.

Herxheim scheint ein regionales Epi-Zentrum für Inklusion. Zwei große Betreuungseinrichtungen und eine Werkstätte, haben über viele Jahrzehnte mit dazu beigetragen, dass ein ungezwungenes Zusammenleben der Menschen im Ort möglich wurde. Der Begriff „Sozial“ hat sogar Einlass gefunden in die Marketingpolitik des Ortes. Im Cap Markt in der Ortsmitte arbeiten sie Seite an Seite, beraten und helfen bei Einkäufen, wie es sonst nur noch selten in dieser Branche möglich ist.

In Herxheim wohnen Menschen mit kognitiven Einschränkungen bereits seit mehr als 20 Jahren in (betreuten) Wohngemeinschaften. Hier kommt, nach der Arbeit, das zweite große Feld zum Tragen, in dem sich Inklusionsprojekte versuchen: Wohnen. Erst vor wenigen Wochen wurden anlässlich einer Fachtagung in Landau, Perspektiven für „inklusives Wohnen“ entwickelt. Diskutiert wurde über Neubaumaßnahmen, Bestandsanpassungen, über Quartiersgestaltung, Straßen, Wege und Plätze. Ein weiterer, infrastruktureller Aspekt, mit dem sich Inklusionsprojekte verstärkt auseinandersetzen.

Immer mehr Einrichtungen und Projekte verfolgen die gleiche Idee, wie sie in CAP-Märkten bereits seit vielen Jahren praktiziert wird: Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten – oder leben – gleichberechtigt Seite an Seite. (Foto: mda)

Mit den Bereichen Kultur, Freizeit und Sport schließt sich der Bogen einer allumfassenden gesellschaftlichen Inklusion. Dass auch hier private oder staatlich geförderte Initiativen regional an Bedeutung gewinnen, zeigt ein Crowdfunding-Projekt in Kandel, das am 21. November ausläuft. Bis dahin sammeln Schüler der IGS für die Finanzierung eines „inklusiven Lese- und Lernzentrums“.

Dass sich Inklusion auch lohnen kann, das haben dieser Tage die Landauer Wirtschaftsbetriebe vorgemacht. Sie wurden am vergangenen Freitag mit dem „Landespreis für beispielhafte Beschäftigung schwerbehinderter Menschen“ ausgezeichnet. Zwölf Mitarbeiter mit unterschiedlichen Einschränkungen, das entspricht elf Prozent der Gesamtbelegschaft, sind hier angestellt. Damit hebt sich die Region einmal mehr deutlich vom Bundesdurchschnitt ab. Es scheint, als hätte sich die Südpfalz auf den Weg gemacht, beim Thema Inklusion bundesweit eine Vorreiter-Position einzunehmen. (mda)