Christian „Blacky“ Schwarzer ist einer der erfolgreichsten deutschen Handballer. Er hat 600 Bundesligaspiele absolviert und stand 318 Mal für die Deutsche Handballnationalmannschaft auf dem Feld. 2004 wurde er mit Deutschland in Athen Vize-Olympiasieger. 2007 rückte Schwarzer in den WM-Kader nach– er war drei Jahre zuvor eigentlich schon aus der Nationalmannschaft zurückgetreten – und gewann den Weltmeistertitel. Einen großen Teil seiner Karriere spielte er für den saarländischen Verein TV Niederwürzbach, der in den 90er Jahren große Erfolge feierte. Nach einigen weiteren Stationen wohnt der gebürtige Braunschweiger inzwischen wieder im Saarland und arbeitet als Jugendkoordinator für den Saarländischen Handballverband.

Ist das Saarland für Dich Heimat?

Das Saarland ist ja klein, insofern ist das alles hier Heimat. Der TV Merchweiler ist ein Verein, der sehr, sehr gute Jugendarbeit macht und deshalb haben wir viele Auswahlspielerinnen und Auswahlspieler aus diesem Verein. Deswegen kann man schon sagen, dass ich mich zuhause fühle, ja. Ich wohne in Niederwürzbach.

Dein erstes Länderspiel für die Deutsche Handballnationalmannschaft war noch gegen die DDR. Das klingt aus heutiger Sicht nach einer ganz fremden Epoche.

Ja, das ist tatsächlich etwas Historisches. Deutschland war eigentlich noch geteilt – aber das Spiel fand zwei Wochen nach dem Mauerfall statt. Das war eine ganz besondere Umbruchstimmung. Das mitzuerleben war schön!

Man vergisst inzwischen, wie anders die Situation damals war.

Unsere Generation vergisst das nicht, mir ist das noch sehr bewusst. Aber klar, die Jüngeren haben das ja kaum oder gar nicht miterlebt. Ich merke das auch bei der Arbeit mit den jungen Handballern hier – die kennen mich teilweise nur aus Erzählungen, weil sie noch gar nicht geboren waren, als ich noch aktiv gespielt habe. Trotzdem wissen die meisten hier im Saarland natürlich, wer ich bin – und darauf bin ich schon auch stolz.
Der Stellenwert des Handballs hat sich gewandelt. Alles wird vom großen Thema Fußball überlagert. Hast Du das Gefühl, dass sich durch Sport-Sender wie Sport1 oder Eurosport, die in ihrem Programm auch viel Handball zeigen, die Situation wieder verbessert hat?
In dieser Branche ist ja alles stets im Wandel. Fußball ist beispielsweise ein Thema, über das wir uns gar nicht unterhalten – das ist eine völlig andere Welt und zwar in allen Bereichen, egal ob es um die TV-Präsenz geht, die Zuschauerzahlen oder die finanziellen Mittel. Wir Handballer müssen schauen, dass wir uns mit anderen Sportarten messen, Eishockey, Basketball – das sind die Sportarten mit denen wir konkurrieren.

Im Einsatz für Lemgo. (Foto: honorarfrei)

Profi-Fußballer beklagen sich ja häufig über die Belastung – was sagt denn ein Handballer dazu?

Ach, darüber möchte ich mich eigentlich gar nicht äußern. Die leben auch in dieser Beziehung in einer anderen Welt. Bei der Europameisterschaft 2004 in Slowenien hat die Deutsche Mannschaft sieben Spiele in zehn Tagen absolviert – und wir sind Europameister geworden! ich denke das sagt alles.

Auch das, was die Rhein-Neckar-Löwen in der letzten Zeit leisten müssen, ist ein enormes Pensum.

Ja, allerdings. Wirklich schlimm wird es aber dann, wenn Spiele einer Mannschaft sogar zusammenfallen. Dann muss der Verein eine zweite Mannschaft zu einem Championsleague-Achtelfinale schicken! Das muss man sich mal vorstellen. Das sind leider Dinge, die im Zuge der Kommerzialisierung passieren, aber für die Sportart extrem kontraproduktiv sind.

Am Ende deiner Karriere, warst Du – noch als aktiver Spieler – zwei Wochen lang auch Spieler-Trainer der Rhein-Neckar-Löwen.

Ja. Ich habe das aber schnell wieder aufgegeben. Auf solch einem hohen Niveau als Trainer zu arbeiten und gleichzeitig Teil der Mannschaft zu sein, hat einfach nicht funktioniert. Das war damals eine sehr kurzfristige Entscheidung des Vereins, weil es in dem Moment keine andere Lösung gab. Aber ohne eine Person meines Vertrauens, die von der Bank aus aufs Spielfeld blickt, ging das einfach nicht. Ich glaube, wir haben in der Konstellation auch nur zwei Spiele gemacht – immerhin ein Unentschieden und ein Sieg. In dieser Zeit haben wir auch darüber diskutiert, ob ich ganz auf die Trainerbank wechsle, aber ich hatte am Spielen einfach noch zu viel Spaß. Ich wollte meine letzte Saison auf jeden Fall auf dem Feld zu Ende spielen. Außerdem hatte ich damals schon mit Heiner Brand verhandelt und hatte meine Zusage als Jugendkoordinator und Jugendbundestrainer gegeben für die Zeit nach meiner aktiven Karriere. Auch deswegen war der Trainer-Posten bei den Löwen keine Option für mich – letztendlich war ich froh als mein Gastspiel als Trainer wieder vorbei war. (lacht)

Die Trainer-Karriere beim DHB ist inzwischen auch beendet …

Ja, leider gab es einen Wechsel im Präsidium. Und dieses neue Präsidium scheint ein Problem mit der Heiner-Brand-Generation zu haben. Ich habe nach dem Wechsel noch eine Weile weitergemacht, aber war nicht mehr glücklich auf meiner Position. Es wurden Entscheidungen getroffen, die einfach nicht zu meiner Philosophie passen. Deswegen habe ich bald darauf entschieden, meine Stelle aufzugeben. Ich mache aber immer noch Nachwuchsarbeit.

Markus Eisel hat Blacky in Merchweiler getroffen. (Foto: honorarfrei)

Könntest Du Dir jetzt vorstellen als Mannschaftstrainer in der Bundesliga zu arbeiten?

Ich habe 22 Jahre lang Handball auf höchstem Niveau gespielt. Das heißt, ich war gefühlt jeden Tag in der Trainingshalle, jedes Wochenende unterwegs – bei Championsleague-Spielen, Pokalspielen, Bundesliga. Ich bin in ganz Europa herum gereist. Meine Familie musste in der Zeit auf vieles verzichten. Deswegen war die Stelle als Jugend-Koordinator und Jugend-Bundestrainer optimal. Das war sozusagen mein Traum-Job als Trainer und den durfte ich sechseinhalb Jahre lang machen. Das war eine wirklich schöne Zeit! Aber jetzt nochmal in diesen Trott einzusteigen, jeden Tag in der Halle stehen zu müssen, jedes Wochenende unterwegs zu sein – das ist nichts mehr für mich. Ich möchte jetzt mehr Zeit mit der Familie verbringen. Das kann ich jetzt mit meiner Arbeit beim Saarländischen Handballverband optimal kombinieren. Ich kann mit den Kindern in der Halle stehen, was mir sehr wichtig ist, habe aber genug Freiraum für andere Dinge – sei es die Familie, andere Handball-Projekte, Markenbotschafter bei Fitline oder Vorträge.

Du hast eine sehr bewegte Karriere hinter Dir: Fredenbeck, Niederwürzbach, Lemgo, Rhein-Neckar-Löwen, Barcelona! Gerade letzteres war sicher etwas Besonderes – das ist ein riesiger Verein.

Absolut. Es gibt nichts vergleichbares hier in Deutschland. Man könnte den FC Bayern München nennen, aber die haben keine Handball-Abteilung, die auch auf diesem Niveau spielt. Der FC Barcelona hat fünf Schwerpunkt-Sportarten: Fußball, Handball, Basketball, Roll-Hockey und fútbol sala, also Hallen-Fußball. Das ist natürlich ein ganz anderes Konstrukt als beim FC Bayern. Es ist schon etwas besonderes, in dieser Barcelona-Familie dabei gewesen zu sein. Eine wirklich schöne Zeit! Ich war auch gerade vor wenigen Wochen mit meiner Familie wieder in Barcelona, wir haben uns unser altes Haus angeschaut. Der Kleine war damals zwei Jahre alt, als wir wieder zurück gekommen sind. Er hatte also kaum noch Erinnerungen an die Zeit. Ein Freund von damals hat uns auch die Halle nochmal gezeigt, wir sind durchs Museum und haben ein wenig Vergangenheits-Bewältigung gemacht. Das waren großartige Momente, die man gerne in Erinnerung behält. Wenn ich nach Barcelona komme, habe ich auch immer noch das Gefühl, nach Hause zu kommen. Wenn man einmal zu dieser Barcelona-Familie gehört, ist das fürs ganze Leben.

Wie hast Du Dich damals verständigt? Auf englisch?

Spanisch! Ich hatte in weiser Voraussicht – weil es schon früh mein Traum war, in Spanien Handball zu spielen – in der Schule zwei Jahre lang den Spanisch-Unterricht besucht. Natürlich hatte ich schon vieles wieder vergessen. Aber das kommt alles schnell wieder, man lernt ja am Einfachsten, wenn man sich in dem Land lange aufhält. Außerdem wurde über den Verein für uns auch Spanisch-Unterricht organisiert. Wenn man sich im Ausland befindet, an den Gesprächen in der Kabine teilnehmen will – das ist schließlich mit das Wichtigste im Mannschaftssport – dann muss man die Sprache auch sprechen! Das ist auch meine Philosophie. Wenn ich heutzutage Interviews mit Spielern aus der Fußball-Bundesliga schaue, die schon fünf, sechs Jahre hier spielen und trotzdem steht noch ein Dolmetscher daneben, frage ich mich immer, ob das wirklich die richtige Einstellung ist. Wenn ich irgendwo Geld verdienen möchte, gehört es meiner Meinung nach dazu, die Sprache zu lernen.

Hast du Deine Handball-Gene an Deinen Sohn weitergegeben?

Ja, er spielt beim SV 64 Zweibrücken. Aktuell ist er das erste Jahr offiziell bei den Aktiven in der Oberliga.

Wie kritisch gehst Du sportlich mit ihm um?

Ich bin da eigentlich sehr entspannt. Als Vater gleichzeitig den Trainer zu spielen ist nicht unbedingt meins. Ich versuche ihm aber natürlich, wenn er mich fragt, Tipps zu geben und ihm zu helfen. Aber ansonsten halte ich mich zurück und überlasse das seinem Trainer.

Wenn man so viel erlebt und auch gewonnen hat wie Du, kann man dann von einzelnen besonderen Höhepunkten sprechen?

Wenn Du mich nach der wichtigsten Medaille fragst, ist es die Silbermedaille von den Olympischen Spielen in Athen 2004. Die hat für mich den größten Wert. Olympische Spiele finden nur alle vier Jahre statt und sie haben für mich eine ganz besondere Faszination. Das hat bei mir schon sehr früh begonnen: 1972 war ich gerade zweieinhalb Jahre alt. Mein Papa ist bei uns daheim ins Auto gestiegen und Mama hat mit erklärt, dass er zu den Olympischen Spielen nach München fährt. Natürlich konnte ich damals nichts mit dem Begriff anfangen, aber es hat sich bei mir so eingebrannt. Ich stand da und habe geheult, weil Papa weggefahren ist. Zwei Jahre später sind wir alle gemeinsam nach München gefahren und haben uns den Olympiapark und das Olympiastadion angesehen. Von dem Moment an ist der große Traum entstanden, auch selbst mal an Olympischen Spielen teilzunehmen. Und genau deswegen ist mir diese Silbermedaille so wichtig.

Eine kuriose Anekdote deiner Karriere ist ja auch die Nachnominierung für die Nationalmannschaft bei der WM 2007 in Deutschland.

Ursprünglich hatte ich ja schon 2004 meine Karriere bei der Nationalmannschaft beendet. Zwei Jahre später hat mich Heiner Brand angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, zum so genannten „erweiterten Kader“ zu gehören, und einzuspringen, falls „Not am Mann“ sei, was ich zugesagt habe. Ich war aber gleichzeitig auch schon als Experte fürs ZDF tätig. Beim ersten Spiel, das ich mitkommentiert habe, hatte das ZDF noch aus Spaß ein lustiges Intro eingespielt, bei dem eine Sporttasche neben mir stand. Nach dem Motto: „Der Experte könnte gleich auch auf dem Feld stehen.“ Dass sich das dann zwei Spiele später bewahrheitet hat, war natürlich ein Lacher. Ich denke gerne an diese WM zurück – da nochmal mitmachen zu dürfen, bei der WM im eigenen Land, am Ende als Weltmeister. Das war ein ganz besonderer Moment, den man mit keinem Geld der Welt bezahlen kann. So etwas kann man nur durch sportliche Leistung erreichen.

So ein Weltmeistertitel schweißt ja auch zusammen. Hast Du noch viel Kontakt zu den damaligen Mannschaftskameraden?

Wir haben noch eine Ehemaligen-Mannschaft, mit der wir ein paar Benefiz-Spiele im Jahr machen. So bleiben wir automatisch in Kontakt. Wir haben selbst noch so viel Spaß auf dem Feld, dass wir das nutzen möchten, um Gutes zu tun. Mit den Spielen unterstützen wir vor allem Projekte mit Kindern, weil es leider viele Kinder gibt, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Heiner Brand und Michael Ziegler sind dabei meist unserer Trainer, mit dabei sind Henning Fritz, Michael Krieter, Christian Ramota, Stefan Kretzschmar, Daniel Stephan, Markus Baur, Florian Kehrmann, Pascal Hens etc. Wir haben viel Spaß und das ist eine wirklich schöne Sache.

Gibt es irgendwas in Deiner Karriere, was Dir fehlt?

Ich würde alles wieder genau so machen! Natürlich wäre mir aber die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen noch lieber gewesen als die Silbermedaille. Andererseits bin ich stolz darauf, an vier Olympischen Spielen teilgenommen zu haben! Es gibt nicht viele Mannschaftsportler, die das erleben durften. 2008 durfte ich in Peking fast die Rolle des Fahnenträgers übernehmen! Am Ende hat es aber doch mein guter Freund Dirk Nowitzki gemacht. Und ich hätte mir auch keinen besseren vorstellen können: Es gab damals keinen anderen deutschen Sportler, der diese Aufgabe besser erledigen hätte können, ein Weltathlet, ein wirklich sympathischer Mensch! Ich durfte dann in der ersten Reihe hinter ihm einmarschieren und dieses Gefühl war überwältigend. Der Moment, wenn man das Olympiastadion betritt, diese Kulisse zu erleben – das kann man nicht in Worte fassen. Da sitzen 80.000 Zuschauer auf den Rängen und Milliarden vor den Fernsehgeräten. Das sind Dinge, von denen man ein ganzes Leben zehrt. (hea/eis)