„Der größte Knackpunkt ist die Überwindung“

Unter vier Augen: Das PFALZ-ECHO traf Skisprung-Legende Martin Schmitt und sprach mit ihm über Olympia, faires Verhalten und Leistungssport

Markus Eisel mit Skispringer-Legende Martin Schmitt. (Foto: privat)

Durch ihn wurde das Skispringen zu einer der populärsten Zuschauersportarten in Deutschland: Martin Schmitt. Er gewann bei den Olympischen Spielen und bei Skiflug-Weltmeisterschaften Gold und Silber. Die Skispringer-Legende arbeitet als TV-Experte, engagiert sich für die deutsche Kinderkrebsnachsorge-Stiftung und hat neben seinem Trainerschein auch ein abgeschlossenes Sportwissenschaftenstudium mit der Note „sehr gut“ in der Tasche. Heute lebt er mit seiner Familie in Freiburg und genießt die Nähe zu seiner Heimat – dem Schwarzwald. Im Gespräch mit Markus Eisel erzählt er von privaten und sportlichen Veränderungen.

Ihre aktive Karriere ist beendet, doch inwieweit reizt Sie es, an so einem schönen Tag selbst wieder Ski zu springen?

Martin Schmitt: Ich habe mich vorhin mit Georg Späth an der Schanze getroffen. Wir witzelten, dass wir uns unter diesen super Bedingungen windstill, gut präparierte Anlage, auch noch trauen würden, zu springen. Aber ich habe mit meiner aktiven Karriere abgeschlossen und bin seither auch nicht mehr gesprungen. Ich habe es auch nicht mehr vor. Es reizt einen manchmal, wenn man an der Schanze steht, aber der Reiz war nicht mehr groß genug, als dass ich die Skier noch einmal angeschnallt hätte.

Aber ohne Training wäre dies doch auch undenkbar, oder?

Martin Schmitt: Ja, einfach zu springen, ohne Training, wäre schon eine extreme Überwindung. Da müsste ich mich auch erst wieder langsam rantasten. Ich würde erst ein paar Sprünge auf einer kleineren Anlage machen, dann würde das bestimmt auch wieder gehen. Da ich noch relativ fit bin, zwar nicht auf Wettkampfniveau, könnte ich schon springen – aber der größte Knackpunkt ist die Überwindung. (lacht)

Die Entwicklung der deutschen Skispringer diesen Winter ist sehr positiv. Kann man eine Vormacht kompensieren bis zu den Olympischen Spielen?

Martin Schmitt: Im Springen schon, da ist es immer wichtig, einen guten Saisonstart zu haben und einen guten Rhythmus aufzunehmen. Das Skispringen ist nicht minutiös planbar, wie beispielsweise der Ausdauersport, bei dem man sich exakt auf Tag X vorbereitet und weiß, dass man vom Formaufbau im Februar besser ist als jetzt. Beim Skispringen startet man mit einem guten Grundniveau und dann muss man über die Wettkämpfe und Resultate versuchen, Selbstvertrauen aufzubauen und mehr und mehr Sicherheit in den eigenen Sprung zu bekommen. Man muss beim Springen den Automatismus zulassen und wenn man diese Form ein paar Wochen vor dem großen Ereignis hat, dass man nicht mehr nachdenken muss, dann ist es eigentlich ideal.

Das heißt, man muss in sich ruhen und an sich glauben?

Martin Schmitt: Im Wesentlichen. Das an sich glauben funktioniert dauerhaft auch nur, wenn man Ergebnisse hat oder zumindest braucht man gute Trainingssprünge, um zu merken, dass man mitkommt. Aber das ein oder andere Podium schadet natürlich auch nicht.

Sie waren Weltmeister und Olympia-Sieger. Damit haben Sie wohl auch alle Höhen und Tiefen erlebt. Zum Ende Ihrer Karriere ist es nicht mehr so gelaufen, trotzdem haben Sie weitergemacht. Was war die Motivation dahinter?

Martin Schmitt: Der Sport hatte für mich trotzdem noch einen großen Reiz, ich war fit, körperlich absolut auf der Höhe. Ich wollte schauen für was es noch reicht. Rückblickend ist es mir einfach nicht gelungen, über einen längeren Zeitraum eine stabile Form aufzubauen. Dann fehlt in der Wettkampfsituation einfach auch das Selbstvertrauen, das man braucht, um ganz vorne reinspringen zu können. 2013 war ich noch einmal Zehnter in der Tournee Gesamtwertung, das war noch einmal ein schöner Erfolg, auch wenn ich insgeheim mehr erhofft hatte. Ich hatte das Gefühl, dass noch mehr in mir steckt, aber ich konnte es einfach nicht mehr abrufen. Damit muss man dann auch leben können.

Ist es schwierig, damit umzugehen?

Martin Schmitt: Man weiß ja auf was man sich einlässt, im Leistungssport gibt es keine Erfolgsgarantien. Etwas mühsam war es, die Fragen zu beantworten wieso ich mir das eigentlich noch antue. Der Sport und der Wettkampf haben mir immer großen Spaß gemacht. Ich hatte meine Ziele und die Motivation war auch noch da. Deshalb war es für mich in Ordnung, so lange noch aktiv zu sein, auch wenn die Ergebnisse nicht mehr kamen.

Und war es dann eine große Umstellung vom Sport ins reale Leben zu wechseln?

Martin Schmitt: Eigentlich nicht. Der Tagesrhythmus ist ein anderer, morgens ist man sonst immer zum Training gegangen, das habe ich dann natürlich nicht mehr gemacht, aber ich hatte gleich meine Aufgaben und meine neuen Ziele. Das war ein nahtloser Übergang. Das war keine große Umstellung.

Sie standen immer unter medialer Beobachtung. Ist das nicht die größte Umstellung?

Martin Schmitt: Naja, es jubelt zumindest mal keiner wenn man ins Büro läuft. (lacht) Das volle Stadion ist auch nur ein Bereich meines früheren Lebens gewesen und klar, der fällt weg. Aber es ist ja nicht so, dass man sich nur über das Stadionerlebnis definiert. Deswegen war mir auch klar, dass es anders sein wird, aber ich habe mir darüber nicht wirklich Gedanken gemacht.

Sie waren selbst seit Ihrer Jugend im aktiven Sport tätig. Kam bei Ihnen der Gedanke auf, in die Nachwuchsförderung zu gehen, beispielsweise als Trainer?

Martin Schmitt: Die Idee gab es natürlich, deshalb habe ich ja auch während meiner Karriere schon die Trainerausbildung begonnen und nach Karriereende das Diplom-Trainer Studium abgeschlossen. Das hat mich sehr interessiert, dennoch habe ich mich jetzt erst einmal dazu entschlossen, andere Wege zu gehen. Es ist aber definitiv noch im Hinterkopf. Das Skispringen hat nach wie vor einen großen Reiz für mich, und mein Wissen zu vermitteln, ist eine interessante Aufgabe, aber momentan ist noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen.

Sie selbst waren damals in einer Sportlergruppe aus dem Schwarzwald.

Martin Schmitt: Ja, wir haben als Gruppe trainiert, aber jeder hatte einen anderen Werdegang. Sven Hannawald und ich waren ein bisschen mehr zusammen und haben auch eine ähnliche Entwicklung durchlaufen. Wir haben zum gleichen Zeitpunkt die Entwicklungsschritte zur Weltspitze gemacht. Unser Werdegang ist vielleicht vergleichbar, aber wir waren ja auch nicht in unserer Jugend zusammen. Er ist ein paar Jahre älter und kommt aus dem Erzgebirge. Er kam ins Skiinternat und als er gegangen ist, bin ich erst gekommen.

Sie arbeiten jetzt immer noch zusammen. Hat man dann auch eine größere Verbindung?

Martin Schmitt: Klar haben wir eine starke Verbindung. Es macht uns jetzt natürlich auch sehr viel Spaß, gemeinsam bei Eurosport das Skispringen zu begleiten. Auch zu Dieter Thoma habe ich ein super Verhältnis. Eigentlich von dem Moment an als ich in die Mannschaft gekommen bin, hat er sich ein bisschen um mich gekümmert und mir viel geholfen. (lacht) Es ist immer schön, wenn man sich an der Schanze wieder trifft.
Wir sprachen schon über mediale Veränderungen Ihre Person betreffend. Ist diese

Veränderung auch bei den Sportlern spürbar?

Martin Schmitt: Ja, es hat sich schon einiges verändert, vor allem auch durch Social Media. Der Umgang ist ein anderer, man gibt heute viel mehr preis. Früher hat man sich manchmal vielleicht auch zu viele Gedanken gemacht. Heute geht man da lockerer mit um. Es wäre undenkbar gewesen, ein Handy mit an der Schanze zu haben. Als dann die jüngere Generation nachkam und alle ihre Smartphones dabei hatten haben sich die Älteren angeschaut und sich erst mal gefragt was das soll. Da hat man heute einen entspannteren Umgang, aber man muss auch schauen, dass man den Fokus nicht verliert. Es kann auch viel Energie kosten alles transparent zu machen. Letztendlich muss aber jeder für sich selbst entscheiden, wie er diese Aufgabe erfüllt.

Die Olympischen Spiele stehen vor der Tür. Das IOC hat eine Entscheidung getroffen – was zumindest die Sportler anbelangt. Halten Sie diese Entscheidung für konsequent?

Martin Schmitt: Es wird angeregt diskutiert, und teilweise unterstellt man dem IOC eine Scheinentscheidung getroffen zu haben. Aber man kann es auch von der anderen Seite sehen und anerkennen, dass sie überhaupt diese Entscheidung mit den entsprechenden Sanktionen getroffen haben. Man darf gespannt sein, wie die FIFA bei der Fußball-WM im kommenden Jahr mit diesem Thema umgeht. Wie das bei den Olympischen Spielen dann umgesetzt wird, muss man sehen, erst dann kann man sich ein abschließendes Urteil erlauben. Ob das generell ausreichend ist, darüber kann man sich natürlich streiten, man muss aber auch immer sehen, dass es nicht einfach ist, allen Forderungen nachzukommen. Ein Komplettausschluss wäre für viele Sportler hart, insbesondere für diejenigen, die vor vier Jahren vielleicht noch in Jugendmannschaften waren und nichts mit der Sache zu tun hatten. So eine Entscheidung kann schnell gefordert werden, muss aber juristisch auch erst einmal durchgesetzt werden. Ich denke, solche Entscheidungen sollten nicht auf dem Rücken der Sportler ausgetragen werden, dennoch muss Betrug im Sport natürlich sanktioniert werden.

Die Diskussion um Doping gab es schon immer. Betrifft das auch Ihren Sport?

Martin Schmitt: Unser Sport ist hiervon zum Glück nicht so sehr betroffen. Skispringen ist ein sehr technischer Sport und man ist nicht von der reinen körperlichen Leistungsfähigkeit abhängig. Aber natürlich trainieren auch Skispringer körperlich hart und es geht auch um schnelle Regenerationszeiten. Von daher darf man, und das gilt für jede Sportart, auch nicht so naiv sein, zu sagen, bei uns gibt es das nicht, oder, bei uns bringt das nichts. Allerdings muss man sehen, dass es im Skispringen deutlich einfacher ist, sich im Materialbereich einen (unerlaubten) Vorteil zu verschaffen. Hier drohen bei einem Vergehen zudem keine ernsthaften Konsequenzen, lediglich eine Disqualifikation im laufenden Wettkampf und keine lange Sperre.

Muss man ein bisschen verrückt sein um seine ganze Jugend und sein Leben dem Leistungssport unterzuordnen?

Martin Schmitt: Man muss nicht verrückt sein, man entwickelt eben eine große Leidenschaft für den Sport. Das fängt schon als Kind an und wenn man es irgendwann auf ein Topniveau geschafft hat, ist das ein Traum, der in Erfüllung geht. Natürlich muss man in Vorleistung gehen. Sich für eine Leistungssportkarriere zu entscheiden birgt natürlich auch ein gewisses Risiko. Mittlerweile kann man mit einer dualen Karriere schon ein bisschen was machen, und die Angebote, was das Studium betrifft, sind deutlich verbessert worden. Man hat jetzt mehr Möglichkeiten, seine Weichen zu stellen. Gerade, wenn die sportliche Karriere zu Ende ist oder doch nicht so läuft wie erhofft. Aber trotzdem investiert man natürlich Jahre seiner Lebenszeit.

Hatten Sie Angst vor dem, was nach Ihrer aktiven Karriere kommt?

Martin Schmitt: Nein, gar nicht. Für mich war es klar. Ich habe mich auch schon zu Beginn meiner Karriere damit beschäftigt. Damals war es so, dass die meisten bei der Bundeswehr waren. Ich habe mich aber bewusst dafür entschieden, nach dem Grundwehrdienst einen anderen Weg zu gehen. Ich wollte studieren, habe mich dann in Freiburg an der Uni eingeschrieben und habe mir gesagt, entweder lässt es sich mit dem Sport vereinbaren, oder ich muss so gut sein, dass ich das Studium zur Not auch aufschieben kann.

Haben Sie einen starken Bezug zu Ihrer Heimat?

Martin Schmitt: Ja, ich wohne in Freiburg, aber der Schwarzwald ist natürlich immer greifbar.

Beim Skispringen sind die körperlichen Voraussetzungen sehr wichtig. Läuft man während der aktiven Zeit Gefahr, an Essstörungen zu leiden oder noch einen Schritt weiter, magersüchtig zu werden?

Martin Schmitt: Magersucht ist eine Krankheit. Das wird medial schnell vermengt. Aber nicht jeder, der sehr leicht ist, ist magersüchtig. Wenn man in einem Umfeld unterwegs ist, bei dem leicht sein belohnt wird und noch leichter sein noch mehr belohnt wird, dann ist natürlich die Voraussetzung relativ günstig, dass vielleicht jemand auch in eine Sucht abdriftet. Trotzdem ist Magersucht nicht das ganz große Thema. Abseits des Krankheitsbilds ist das geringe Körpergewicht aber schon sehr fordernd für den Körper und auch mental sehr anspruchsvoll. Es ist einfach eine Anforderung beim Skispringen, dass man leicht sein muss. Es ist hart, auf das Wettkampfgewicht zu kommen und es ist auch nicht einfach, dabei immer leistungsfähig zu bleiben. Jeder Springer versucht bewusst sein Gewicht zu steuern und zu den Höhepunkten runter zu gehen. Das beeinflusst die gesamte Trainingssteuerung.

Tauscht man sich auch mit internationalen Sportlern aus?

Ja, mit dem ein oder anderen versteht man sich besser. Man grüßt sich und spricht ein paar Sätze, aber man fährt nicht gemeinsam in Urlaub. Dennoch ist es schon sehr kollegial. (eis/nbr)