Die Angst vorm Kino

Unter vier Augen: Magdalena Neuner über den vollen Stundenplan eines Leistungssportlers, Freudentränen auf der Couch und über das Talent, nur sich selbst spielen zu können

Magdalena Neuner gilt als erfolgreichste Biathletin aller Zeiten – vor fünf Jahren hat sie sich aus dem aktiven Sport zurückgezogen. Markus Eisel traf sich mit der Sportlerin zum Gespräch in ihrer Heimat.

Wie schwer fiel Ihnen der Abschied vom aktiven Sport?

Magdalena Neuner: Eigentlich nicht schwer. Es überrascht andere, wenn ich sage, dass es einfach war, aber ich bin diesen Schritt bewusst gegangen und habe mir ein Jahr darüber Gedanken gemacht. Ich war mir sicher, dass es richtig ist und hatte das Leben danach auch schon geplant. Natürlich geht man mit einem weinenden Auge, weil man die Kollegen und das Leben, das man vorher hatte, hinter sich lässt. Aber die Freude hat überwogen.

Warum haben Sie ein Jahr überlegt? Weil Sie schon alles erreicht hatten, was man erreichen kann?

Magdalena Neuner: Ja, auch. Aber eigentlich kann ich keinen konkreten Grund dafür nennen. Es war ein Gefühl, das sich in mir breit gemacht hat. Nach Olympia 2010 kam zum ersten Mal der Gedanke – und der hat mich nicht mehr losgelassen. Ich hatte eigentlich alles erreicht, was ich immer erreichen wollte. Ich war Weltmeisterin und Weltcup-Siegerin. Ich hatte weiterhin Spaß am Sport, aber ich wusste auch nach der Weltmeisterschaft zuhause – eins meiner großen Ziele – geht der Weg für mich woanders hin. Das kann man nicht logisch erklären. Es gab verschiedene Gründe: Ich wollte mehr zu Hause sein, ich mochte andere Dinge machen in meinem Leben. Aber letztendlich war die Entscheidung eine Herzens- und Bauchentscheidung.

Sie haben aufgehört, als Sie wirklich noch auf dem Höhepunkt waren, das fällt vielen anderen schwer.

Magdalena Neuner: Ja, ich bin wirklich froh, dass ich aufgehört habe, als ich auch noch Spaß am Sport hatte und als ich auch noch sehr erfolgreich war. Ich hätte wahrscheinlich auch noch ein paar Jahre erfolgreich sein können, aber es ist immer schöner, positiv aufzuhören. Ich kenne genügend Sportler, die aufhören mussten, weil sie verletzt waren oder krank und irgendwann hat es sich dann so verlaufen, dass sie aufhören mussten und nun einen negativen Rückblick auf diesen Sport haben. Bei mir ist es wirklich so, dass ich sagen kann, ich war bis zum letzten Tag meiner Karriere erfolgreich und hatte Spaß. Der Biathlon ist bei mir komplett positiv verankert.

Foto: mg

Wie trainiert man denn ab? Sie waren Hochleistungssporterlin, da kann man ja nicht einfach von heute auf morgen aufhören.

Magdalena Neuner: Nein, das wollte ich auch nicht. Ich hatte ja trotzdem noch Spaß am Sport und ich habe auch sofort, als ich zuhause war, weiter Sport gemacht. Fünf bis sechs Mal die Woche war für mich eine Selbstverständlichkeit – Laufen gehen oder Rad fahren. Wir leben hier in den Bergen, da kann man schöne Bergtouren machen, den Sport einfach genießen. Ich musste nie meine Uhr mitnehmen, sondern bin morgens aus dem Haus, ganz ohne Druck. Es war kein Leistungssport, sondern Spaß und Entspannung. Durch die erste Schwangerschaft ist es weniger geworden und inzwischen ist es noch weniger geworden. Mit zwei Kindern kann man natürlich nicht mehr so viel Zeit aufbringen.

Aber Sie sind dadurch nicht in ein Loch gefallen? Auch weil nun die Prominenz nicht mehr so ausgelebt werden konnte.

Magdalena Neuner: Das war für mich nie so wichtig. Ich habe den Sport ja nicht gemacht, um berühmt zu werden, das war für mich nie Hauptaugenmerk. Ich habe mich darauf eingestellt, dass sich das ziemlich schnell im Sand verlaufen wird und jetzt fünf Jahre danach bin ich noch genauso gefragt wie früher. Wir sagen fast 98 Prozent aller Anfragen ab, weil es einfach zu viel ist. Ich versuche, alles was terminlich machbar ist, zu realisieren, aber Reisen sind für mich durch die Kinder schwierig. Die Nachfrage ist noch groß und ich merke auch in den sozialen Netzwerken, dass die Anzahl der Fans weiter steigt und das finde ich schön. Auch dass sie von mir als Mensch immer noch begeistert sind – nicht nur als Sportler. Das hat mich vielleicht auch ausgemacht, dass mich die Menschen nicht nur als Sportler gesehen haben, sondern auch als Person und als Mensch. Deshalb hatte ich auch dieses Loch, dass mir etwas wegbricht, überhaupt nicht. Klar, die sportlichen Erfolge bleiben aus, aber ich habe jetzt andere schöne Momente.

Was toll ist, sie bestätigen gerade das Bild von sich, dass sie sehr authentisch und natürlich sind.

Magdalena Neuner: Ich kann nur ich selbst sein. Ich hatte am Samstag einen Dreh für einen Werbespot. Der Regisseur ist eigentlich Filmproduzent, er meinte, dass ich eine tolle Schauspielerin sei. Das sehe ich allerdings nicht so. Ich könnte nur mich selbst spielen. Jemand anderen darzustellen – das bin ich einfach nicht und das war ich auch beim Sport nie. Entweder man hat mich so gemocht, wie ich bin, oder eben nicht.

Ein kurzer Rückblick in Ihre aktive Karriere. Sie fahren ins Stadion, letzte Runde, sie führen und haben 20.000 Zuschauer um Rücken. Sie wissen, jetzt müssen Sie treffen. Konnten Sie im Lauf Ihrer Karriere diese Belastung abbauen?

Magdalena Neuner: Das ist von Tag zu Tag unterschiedlich gewesen. Ich war als Jugendliche immer eine ganz gute Schützin. Aber ich habe sehr jung schon angefangen bei den Weltcuprennen zu fahren, weil die Trainer mich unbedingt in der Nationalmannschaft haben wollten. Sportlich war ich auch so weit, aber die Nervenstärke war anfangs noch nicht gegeben. Bei meinem ersten Weltcuprennen ist deswegen das Schießen auch nicht gut gelaufen. Danach hat mir die Presse sofort den Stempel aufgedrückt, ich könne nicht gut schießen. Dieser Ruf hat sich bei mir so manifestiert, dass ich danach viel mit einem Mentaltrainer gearbeitet habe, um diese Gedanken loszuwerden, dass die Leute eh von mir erwarten, dass ich nicht schießen kann. Da waren die Voraussetzungen einfach extrem schwierig, obwohl ich das technische Vermögen hatte. Im Training habe ich immer meine Scheiben abgeräumt, aber dann da zu stehen und vor 20.000 Menschen auch abzuliefern, ist sehr schwierig. Das habe ich durch meine Trainer und die Routine aber gut in den Griff bekommen. Ich habe meine Erfolge gefeiert und konnte dann auch beweisen, dass ich es sehr wohl kann.

Wenn Sie die Rennen von heute sehen, fiebern Sie dann noch mit?

Magdalena Neuner: Ja, ich kann mich gut in die Sportler reinversetzen und kenne die Mädels auch alle ganz gut. Für mich war letztes Jahr das Rennen in Antholz mit Nadine Horchler sehr emotional. Sie ist eine enge Freundin und es war ihr erster Sieg. Das hat mich sehr berührt, da stand ich auf unserem Sofa und bin völlig ausgetickt! Meine Tochter sagte zu mir, dass ich doch nicht traurig sein müsse und aufhören soll zu weinen. Dann habe ich ihr erklärt, dass ich weine, weil ich mich so freue.

Man hat aber nicht das Gefühl, dass man abgelöst wird von den Neuen?

Magdalena Neuner: Nein, die Frage wird mir immer wieder gestellt, doch für mich hat das Eine nichts mit dem Anderen zu tun. Meine Zeit war vor fünf Jahren vorbei und was die Mädels heute machen, ist völlig in Ordnung. Ich hätte noch genauso gut fünf Jahre länger machen können, um mehr Titel zu sammeln. Das war aber nie meine Ambition. Manche Leute haben Angst, dass mein Rekord gebrochen wird. Meine Angst ist das überhaupt nicht! Ich freue mich, dass ich momentan noch als erfolgreichste Biathletin aller Zeiten benannt werde. Aber irgendwann wird auch eine Zeit kommen, in der es eine Andere gibt und damit muss man entspannt umgehen.

Foto: Nicolas Olonetzky/Lana Grossa

Sie haben immer noch Kontakt zu den aktuellen Sportlerinnen?

Magdalena Neuner: Ja, hin und wieder. Allerdings nicht zu häufig, weil unsere Leben sehr unterschiedlich sind und die Sportler schon sehr in ihrer Welt leben. Ich weiß, wie es ist, aber da bleibt einfach nicht viel Zeit für andere Dinge.

Wie viel Zeit hat man als Sportler, um aus dieser Welt rauszukommen?

Magdalena Neuner: Im Jahr sind es vier Wochen. Von Ende März, Weltcup Saisonende bis zum Trainingsbeginn am 1. Mai. Im April hat man Zeit, um wegzufahren, muss aber auch viel erledigen, was über den Winter liegen geblieben ist.

Und dann ist man wieder voll im Trainingsrhythmus?

Magdalena Neuner: Ja, nachdem ich aufgehört habe, habe ich zum ersten Mal wirklich realisiert, wie weit weg man von der Realität ist. Man geht während dem Training nicht ins Kino, weil man Angst hat, sich bei anderen Leuten anzustecken. Oder beim Essen mit Freunden trinkt man ein Glas Wein und ist um 23 Uhr zu Hause. Das hat mir nie wirklich etwas ausgemacht, bei allem ist der Sport im Hinterkopf. Am Wochenende muss man sich erholen, denn montags beginnt wieder das Training. Es geht immer nur um das Training und um den Sport. Man erwartet auch von seinem Umfeld, dass sie Rücksicht auf dich nehmen. Im Nachhinein denke ich mir, dass es schwierig ist, mit einem Sportler zusammen zu sein. Oder auch so jemanden im Freundes- und Familienkreis zu haben.

Der Biathlon gehört zu den Spitzensportarten. Gibt es hier noch eine berufliche Absicherung?

Magdalena Neuner: Ja, eine berufliche Absicherung hat jeder. Wir sind alle bei der Bundeswehr, der Bundespolizei oder dem Zoll. Ich selbst war beim Zoll, dadurch finanziert man sich seinen Lebensunterhalt. Es ist nicht übermäßig viel, je nachdem welchen Dienstgrad man hat und wie weit man als Sportler kommt. Da ist man auf jeden Fall abgesichert. Zusätzlich werden erfolgreiche Sportler gefördert. Der Wintersport allgemein wird gut gefördert. Wir sind aber keine Fußballer oder Formel-Eins-Stars, dennoch können wir gut davon leben.

Können Sie sich vorstellen, dass Sie irgendwann in die Trainerfunktion gehen?

Magdalena Neuner: Für Kinder – ja! Im Verband kann ich es mir nicht vorstellen, aber in der Region schon. Es gibt viele Nachwuchstalente, aber leider zu wenige Trainer. Da muss ich mich auch selbst an der Nase packen. Ich werde immer wieder gefragt, aber wie soll ich das machen? Mit zwei kleinen Kindern und noch voll berufstätig und selbstständig, das funktioniert momentan nicht. Ich habe den Trainerschein gemacht und es wird auch irgendwann ein Thema sein, aber da müssen meine eigenen Kinder auch soweit sein, dass ich mir die Zeit nehmen kann.

Haben Sie sich aus Ihrer aktiven Zeit Kontakte erhalten und sind daraus auch Freundschaften entstanden?

Magdalena Neuner: Hier kommen mir die sozialen Netzwerke zugute. Wir leben verstreut auf der ganzen Welt und gerade als Sportler freundet man sich auch mit Leuten aus anderen Ländern an. Ich habe noch Kontakt zu Martina Beck, zu Kathrin Lang und Simone Denkinger. Es sind schon also noch ein paar Kontakte da, aber es ist nicht so, dass man sich jede Woche schreibt. Mit manchen habe ich fünf Mal im Jahr Kontakt, mit anderen treffe ich mich regelmäßiger. Aber ich glaube, nur weil man sich nicht oft sieht, kann man sich trotzdem gut verstehen. Zu internationalen Kollegen habe ich weniger Kontakt. Ich war immer eher ein Einzelgänger. Mein Freundeskreis besteht hauptsächlich aus Freundschaften die ich schon vorher aus meiner Heimat hatte. Hier zu Hause bin ich auch die Magdalena und nicht die Lena, da kann man immer ziemlich gut unterscheiden, wer mich privat kennt und wer nicht.

Wie trainiert man den Sommer über, gibt es ein spezielles Training?

Magdalena Neuner: Biathlon ist ein toller Sport, denn auch im Sommer kann man vielseitig trainieren. Wir fahren Mountainbike oder Rennrad, fahren Kajak, gehen Laufen oder machen Bergtouren. Krafttraining und Koordinationstraining, mal in der Halle mal draußen. Wir haben Fußball gespielt, wir haben Hockey gespielt. Alles was Kondition und Ausdauer fördert. Man kann als Biathlet ganz viel machen und das macht auch die Woche für uns Sportler sehr abwechslungsreich, weil jeden Tag etwas Anderes auf dem Programm steht. Aber sobald es Richtung Herbst und Winter geht wird es wieder spezieller.

Weckt Biathlon auch ein wenig den Jagdinstinkt? Möchte man mit dem Gewehr auch ein Ziel erreichen?

Magdalena Neuner: Das würde wohl jeder unterschiedlich beurteilen. Ich weiß nicht, welchen Bezug der Jäger zu dem Tier hat, welches er schießt. Ich habe versucht, ein liebesvolles Verhältnis zu den Scheiben aufzubauen, gerade weil unsere Beziehung am Anfang sehr schwierig war. Ich habe mir auch immer vorgestellt, dass mir die Scheiben helfen und gerne umfallen, wenn ich mit Liebe meinen Schuss nach vorne trage. Mit der Jagd fühlte ich mich nie verbunden. Es gibt aber Biathleten die privat auch jagen.

Am Schießstand kann es auch zu Crossfire kommen…

Magdalena Neuner: Das ist mir selbst auch schon passiert. Die falsche Bewegung macht nur 3 Millimeter aus. Als Zuschauer hat man den Eindruck, dass die Scheiben sehr weit voneinander entfernt liegen, wenn man allerdings durch das Ringkorn durchschaut, kommt es zu einem Tunnelblick und man sieht drum herum nichts mehr. Da kann es beim Anlegen passieren, dass ich mich auf die falsche Scheibe fokussiere.

Man läuft am Pulslimit zum Schießstand und muss sich dann konzentrieren. Wie schafft man das?

Magdalena Neuner: Der erste Irrglaube ist, zu denken, dass man den Puls senken kann. Das ist nicht so. Wir versuchen den ersten Schuss mit einem sehr hohen Puls zu setzen, weil der Puls dadurch nicht zu sehr auf die Waffe schlägt. Wenn sich der Puls senkt ist er spürbar und das möchten wir nicht. Trotz des hohen Pulses muss man Ruhe bewahren und die Luft anhalten, aber das trainiert man. Jeden Tag viele Male. Die Schießzeiten liegen bei unter 25 Sekunden, da bleibt nicht viel Zeit zum Durchatmen. (eis)