„Die Pfalz ist gelobtes Land für mich“

Unter vier Augen: Der Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer verrät uns im Interview seine Prognose für die kommende Ampelregierung, erklärt, warum er sich Karl Lauterbach als Gesundheitsminister wünscht, und erzählt, welche morgendlichen Twitter-Nachrichten er in seinem Postfach findet

Steckbrief: Jan Fleischhauer

  • Geboren am 7. Mai 1962 in Osnabrück.
  • War Von 1989 bis 2019 er für den SPIEGEL tätig, u. a. als Reporter in Leipzig, als stellvertretender Leiter des Wirtschaftsressorts und stellvertretender Leiter des Hauptstadtbüros. Von 2001 bis 2005 war er Wirtschaftskorrespondent in New York.
  • 2019 verließ Fleischhauer den Spiegel, um zum Burda-Verlag zu wechseln.
  • Kolumne: „Der schwarze Kanal“, (Seit 2019 im FOCUS).
  • Auf Servus-TV veröffentlich Fleischhauer einen satirischen Wochenrückblick.

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Die Zeiten könnten ja für einen Kolumnisten kaum besser sein: Großes Politik-Chaos, ein Alltag weit weg von der Normalität usw. Das macht Ihnen die Arbeit ja eigentlich recht einfach, oder?

Jan Fleischhauer: Es gibt immer bessere und schlechtere Zeiten für Kolumnisten, das ist richtig. Corona zum Beispiel war am Anfang gut. Aber wenn ein Thema so dominant wird, wird es auch für den Kolumnisten zäh. Wenn alle Themen daneben verblassen, ist es schwierig – man will ja auch mal Abwechslung. Der Wahlkampf war dann wieder eine sehr schöne Zeit. Annalena Baerbock hat mir den Sommer gerettet, ich danke dem Herrgott täglich drei Mal auf Knien, dass er sie mir vorbei geschickt hat (lacht)! Deswegen nehme ich auch mit großer Freude zur Kenntnis, dass sie Außenministerin wird. Wenn jetzt noch mein Wunsch in Erfüllung geht, dass Karl Lauterbach das Gesundheitsministerium übernimmt, kann ich völlig unbesorgt ins neue Jahr blicken.

Was macht Karl Lauterbach als Typ denn so spannend für Sie?

Jan Fleischhauer: Erstens: Die Leute kennen ihn! Im kolumnistischen Geschäft ist es ein Riesenvorteil, wenn die Menschen wissen, um wen es geht, über den man da schreibt, wenn sie im Zweifel sogar auch eine klare Meinung zu dieser Person haben! Ich glaube, wir überschätzen kolossal die Bekanntheit von Politikern. Nur weil wir Journalisten jemanden kennen, heißt das nicht, dass die Leute da draußen das auch tun. Vergangenen Winter gaben beispielsweise in der berühmten „Spiegel-Treppe“ 34 Prozent der Befragten an, Annalena Baerbock nicht zu kennen! Und das sind ja nur die, die es freiwillig zugeben. Ich brauche für mein Geschäft unbedingt Leute, die bekannt sind. Lauterbach ist in dieser Hinsicht also klasse! Außerdem liebe ich Exzentriker. Jemand, der mit 33 Jahren beschließt, sich künftig salzfrei zu ernähren, ohne dass es auch nur den Hauch einer wissenschaftlichen Erkenntnis gibt, die das empfehlen würde, und das dann eisenhart durchzieht, der hat meinen Respekt!

Ich höre da auch eine gewisse Bewunderung für Herrn Lauterbach raus, richtig?

Jan Fleischhauer: Ich habe ja in meiner Kolumne sogar schon für ihn geworben. Zu einer Zeit, als mir die Unfähigkeit und Untätigkeit der nun in wenigen Tagen abgewählten Bundesregierung total die Laune verhagelt hat, da habe ich in meiner Verzweiflung geäußert, dass wir vermutlich besser dran wären mit Karl Lauterbach als Gesundheitsminister. Das war für mich ein großer Schritt. 

Zurzeit entsteht allerdings der Eindruck, dass nicht nur die alte, sondern auch die neue Regierung relativ untätig ist …

Jan Fleischhauer: Das kommt vielleicht den ganzen Lockdown-Freunden so vor, die jetzt gerade wieder Oberwasser haben. Ich sehe das ganz anders. Erstens ist Olaf Scholz ja – verfassungsrechtlich gesprochen – immer noch nicht unser Bundeskanzler. Das ist Frau Dr. Angela Merkel. Und sie kann bis zum letzten Tag alle Entscheidungen treffen, die sie will. Das Zweite ist, dass Olaf Scholz inzwischen ja konkrete Ankündigungen gemacht hat, was er als Kanzler umsetzen möchte. Er hat jetzt angekündigt, dass er einen General im Kanzleramt installieren will, der die Impfkampagne in die Hand nimmt. Das finde ich prima!

Das habe ich vermutet. Sie haben ja erst vor kurzem in einem Beitrag die Beispiele Portugal und Italien genannt, wo ebenfalls ein General zuständig ist. 

Jan Fleischhauer: Diese Länder haben damit gute Erfahrungen gemacht. Militär kann eines sehr gut – und das ist Logistik. Das ist auch etwas, was mich in den vergangenen Monaten wahnsinnig gemacht hat: Dass wir immer über alles Mögliche reden, aber nie über das, was naheliegend ist. Wir sprechen ständig über Maßnahmen, um Menschen zum Impfen zu bewegen, die nicht geimpft werden wollen, anstatt erst einmal all diejenigen zu impfen, die in langen Schlangen draußen in der Kälte stehen und doch nicht dran kommen. Dass Olaf Scholz sich nun offen dafür zeigt, auch dem Apotheker und dem Zahnarzt  zuzutrauen, jemandem eine Spritze in den Arm zu geben, werte ich als gutes Zeichen! Beim Oberarm können sie nicht viel falsch machen, der ist schwer zu verfehlen.

Sie werden dennoch vermutlich nicht abstreiten, dass die Stimmung in der Gesellschaft zurzeit von Unzufriedenheit geprägt ist, oder?

Jan Fleischhauer: Ja, klar. Die aktuelle Situation zehrt an den Nerven. Da bekommt ja selbst der positivste und gutmütigste Mensch schlechte Laune.

Wie kritisch ist denn diese Situation? Tut das der Demokratie gut?

Jan Fleischhauer: Ach, ich finde, ein bisschen Spaltung tut der Gesellschaft ganz gut! Man kann es mit der Harmonie auch übertreiben (lacht). Man sollte aber natürlich aufpassen, dass man nicht zu sehr ins Gegenteil verfällt, das ist richtig. In manchen Situationen ist die Spaltung zurzeit zu krass, das sehe ich auch. Vor kurzem hat mir ein Bekannter erzählt, dass er auf Zeit online einen Beitrag fürs Impfen veröffentlich hat. Daraufhin hat sein Steuerberater – ein eigentlich vernünftiger Mann – ihm einen Brief geschickt mit der Ankündigung, ihn aufgrund seiner Haltung zur Impfung nicht länger vertreten zu können. An dieser Stelle muss ich dann auch sagen: Wow! Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir nicht vom Gleis abkommen. 

Spielen bei dieser Zuspitzung die Medien auch eine Rolle? Zumindest die, die gerne mit provokanten Überschriften und Thesen à la „Bild“ auf sich aufmerksam machen? Oder braucht es solche Medien in Ihren Augen unbedingt, um Kontroversen zu erzeugen?

Jan Fleischhauer: Ich glaube, dass die „Bild“ in diesem Fall nicht zu den Medien gehört, die verantwortlich zu machen sind. Da würde ich eher den linksliberalen Medien einen Vorwurf machen. Ich finde die ganze Impfgegnerei total kurios, aber die Impfgegner zu einer Art Terroristen zu erklären und von der „Tyrannei der Ungeimpften“ zu sprechen, geht mir zu weit! Dennoch haben sich darauf nun alle geeinigt.

Wen meinen Sie denn mit „alle“?

Jan Fleischhauer: Na, auf jeden Fall ist das im Impflager die gängige Auffassung: Die Impfverweigerer sind diejenigen, die uns im schwarzen Tunnel halten. Das finde ich insofern auch ganz ulkig, weil bis vor kurzem noch jeder, der der Gentechnik misstraute, ein guter Grüner war! Es sind die gleichen Leute, die sonst sagen, in jedem genveränderten Maiskorn lauere gewissermaßen der Tod, die sich heute lautstark für die Impfung einsetzen. Gentechnik direkt in den Oberarm, intramuskulär – das ist plötzlich gar kein Problem. Das ist schon verrückt. Insofern habe ich Verständnis für den Impfgegner, er hat letztendlich nur ein bisschen zu lange den Grünen zugehört. 

Sie haben es generell immer wieder gerne auf die Grünen abgesehen!

Jan Fleischhauer: Ja! Das ist meine Lieblingspartei (lacht). Für die Sozialdemokraten habe ich alleine schon aus familiären Gründen einen Softspot, meine Mutter ist ja eine Heldin der Sozialdemokratie. Deswegen habe ich Hemmungen, da richtig zuzulangen. Bei den Grünen nicht. 

Sie genießen das aber auch sehr!

Jan Fleischhauer: Klar. Und vor allem ist das eine echte Nische. Das machen ja nicht so viele. Selbst die konservative FAZ wagt es nicht, sich mal mit Wonne an den Grünen abzuarbeiten. Die loben lieber die CDU. Das ist wiederum überhaupt nicht meins. Ich bin die Stimme, die verneint! Ich würde auch niemals eine Wahlempfehlung aussprechen.

Aber Sie äußern klar Ihre Meinung! Ich schätze, Sie müssen dadurch auch einiges an Hass ertragen. Liege ich da richtig? Wie gehen Sie damit um?

Jan Fleischhauer: Hass – das ist ein großes Wort. Klar gibt es Menschen, die nicht meiner Meinung sind, und mich das auch in drastischen Worten wissen lassen. „Fleischhauer friss Atommüll, du Arschloch!“ – Ein kleiner Morgengruß auf Twitter. Aber beeinträchtigt mich das? Nein. Wenn es so wäre, dann könnte ich das nicht tun, was ich tue. Oder ich müsste alles erstmal weg filtern, bevor ich es lese. Meine Frau müsste die Post für mich öffnen. Beeinträchtigend wäre tatsächlich, wenn Beschimpfungen ins reale Leben übertreten würden. Ich werde ja öfter mal erkannt, dann aber eigentlich immer positiv bestärkt. Die Leute, die mich erkennen und nicht meiner Meinung sind, gehen grußlos an mir vorbei. Es ist ja eine große Schwelle, jemanden anzusprechen und ihm ins Gesicht zu sagen, welch schlimmer Typ er sei. Die meisten Menschen scheuen zum Glück vor solch einer direkten Konfrontation zurück. 

Lassen Sie uns nochmal über aktuelle Politik reden. Die Impfpflicht steht ja nun im Raum. Was meinen Sie: Ist es in Ordnung für Politiker und Parteien, wenn sie ihre Meinung so grundlegend zu einem Thema ändern?

Jan Fleischhauer: Seine Meinung als Politiker zu ändern, ist selbstverständlich völlig okay! Schwierig ist es, wenn man vorher drei Eide geschworen hat, dass eine Impfpflicht niemals kommen würde. Man fragt sich dann ja beim nächsten Mal, wenn ein Politiker wieder etwas verspricht, ob man ihm überhaupt noch etwas glauben kann. Ich erwarte vom zukünftigen Bundeskanzler, dass er sich genau dazu äußert. Wie verlässlich ist das, wenn er sich bei der nächsten Finanzkrise hinstellt und sagt, die Sparkonten seien sicher? 

Das Problem ist also nicht die Haltungsänderung an sich, sondern die Kommunikation vorher …

Jan Fleischhauer: Genau. Eine Lehre aus der Krise ist doch, dass man sich zurückhalten muss mit apodiktischen Aussagen. Es geht aber gerade schon wieder los: Intensivmediziner fordern einen kurzen, dreiwöchigen Lockdown. Das coronageschädigte Ich übersetzt das direkt und weiß, dass es wieder sechs Monate werden! Und genau das ist es, was die Leute kirre macht. Ich erwarte von der nächsten Bundesregierung und vom nächsten Gesundheitsminister, dass sie mit diesem Quatsch aufhören. Lieber sollen sie ehrlich sein und Unsicherheit zugeben. So wie sie das im Bezug auf den Kohleausstieg im Koalitionsvertrag auch tun: Der erfolgt „idealerweise“ bis 2030, die Hintertür ist also weit geöffnet. Ich als Bürger kann damit besser umgehen als mit gebrochenen Versprechen. 

Kleiner Themensprung: Selbst ich als Provinzjournalistin aus der Pfalz spüre ja den Druck, mich ständig über alles informieren zu müssen …

Jan Fleischhauer: Moment! Da muss ich einhaken. Die Pfalz ist gelobtes Land für mich. Da kommt der Kanzler der Einheit her – Dr. Helmut Kohl! Als ich den Anruf aus Ihrer Redaktion bekam, musste ich schon deswegen sofort zusagen.

Dann haben wir dieses Gespräch Helmut Kohl zu verdanken? 

Jan Fleischhauer: Ja. So kann man das sagen. Der Boden, über den Helmut Kohl geschritten ist, ist geweihter Boden für mich (lacht).

Dann nehme ich meine Eigenbeschreibung zurück und formuliere meine Frage anders: Wie schaffen Sie es, ständig informiert zu sein, über alle Twitter-Debatten Bescheid zu wissen usw.?

Jan Fleischhauer: Ich lese sehr viel. Der Tag beginnt mit der Süddeutschen und der FAZ. Danach werfe ich einen Blick in die Feindpresse, die TAZ, Feindbeobachtung ist in meinem Gewerbe sehr wichtig (lacht). Twitter ist für mich eine Goldgrube – für Absurditäten aller Art. Es ist interessant zu beobachten, in was sich Leute hineinsteigern. Man begegnet dort auch schon sehr frühzeitig Themen, die in den Nachrichten erst ein paar Tage später auftauchen. Einen guten Kolumnisten macht außerdem aus, dass seine Interessen eine relativ große Schnittmenge bilden, mit dem, was auch viele andere Menschen interessiert. Ich gehörte schon immer zu den Journalisten, die gerne viele Menschen erreichen. Das gilt ja nicht für alle Kollegen! Es gibt welche, die tatsächlich gar nicht an ihr Publikum denken. Und es gibt solche, die so überzeugt von ihrer Sache sind, dass sie glauben, alle anderen interessiere das auch. Das ist aber häufig gar nicht der Fall. 

Lassen Sie uns noch einen Blick in die Zukunft werfen: Wird die Ampel vier Jahre durchhalten?

Jan Fleischhauer: Bevor ich darauf antworte, eine Warnung an die Leser: Glauben Sie nie die Prognosen von Journalisten! Wir sind da nicht gut drin (lacht). 

Ja, das stimmt wohl. Ich habe gerade gestern eine Podcastfolge aus dem Frühjahr 2021 mit Ihnen und Micky Beisenherz gehört, in der Sie sich beide genüsslich über die Chancenlosigkeit der SPD bei der Bundestagswahl auslassen … 

Jan Fleischhauer: Das ist sehr bitter, dass Sie gerade das jetzt aufs Tapet bringen (lacht). Ich darf aber zu meiner Verteidigung anmerken, dass ich sechs Wochen vor der Wahl Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten eine Kolumne geschrieben habe mit der Überschrift „And the next president will be… Mr Donald Trump“. Damals lag ich immerhin besser als 98 Prozent meiner Kollegen!

Und wie sieht es nun mit der Ampel aus? 

Jan Fleischhauer: Olaf Scholz hat gesagt, dass für ihn diese Koalition kein Zweckbündnis ist. Und das meint er ernst. Es unterscheidet ihn möglicherweise von einer Reihe seiner Parteigenossen – Kevin Kühnert beispielsweise –, die von einem rot-rot-grünen Bündnis träumen und dieses auch sofort eingegangen wären, wenn es am Wahlabend gereicht hätte, allen gegensätzlichen Bekenntnissen zum Trotz. Diese Kugel ist nun glücklicherweise an mir vorbeigegangen. Ich muss nicht nach Venezuela auswandern, mein Geld nicht durch irgendwelche Alpentunnel in Sicherheit bringen und lande auch nicht im Umerziehungslager. Leute wie Kühnert würden aber natürlich gerne bei der ersten Gelegenheit die FDP vom Wagen schubsen, um die Linkspartei für das „wahre progressive Bündnis“ an Bord zu holen. Da ist die Einstellung von Olaf Scholz, glaube ich, ganz anders. Er sieht die Koalition als Möglichkeit, eine langfristige tektonische Veränderung in der politischen Landschaft Deutschlands herbeizuführen. Er will die Liberalen dauerhaft mit ins Boot holen und so die CDU marginalisieren. Mit diesem Ziel vor Augen wird er anders mit den kleinen Partnern umgehen als jemand, der das als Zweckbündnis ansieht. Scholz kann sich offensichtlich ganz gut in die Haut anderer hineinversetzen. Und so spricht vieles dafür, dass die Ampel ein längeres Leben hat, als viele in der Opposition sich das wünschen. 

Wir sind gespannt, wie treffend Ihre Prognose dieses Mal ist!