Johann von Bülow spielt am 22. Oktober in dem ZDF-Krimi „Ein Kind wird gesucht“ Reinhard Schlitter, den Vater von Mirco Schlitter, der 2010 entführt und ermordet wurde. 145 Tage lang suchte Deutschlands bislang größte Sonderkommission nach dem Kind, machte den Täter ausfindig und wurde von diesem zu der Leiche geführt. Die Rolle des Reinhard Schlitter zählt zu einer der herausforderndsten und emotionalsten in der Schauspiel-Karriere von Johann von Bülow. PFALZ-ECHO-Redakteurin Patrizia Bär sprach in Köln mit ihm über seine Arbeit.

Als Schauspieler muss man sich viel intensiver mit Geschichten und den Personen dahinter beschäftigen, vor allem, wenn man in einem Film mitspielt, der auf wahren Begebenheiten beruht. Wie war es für Sie, sich so intensiv mit dem wahren Fall Mirco zu beschäftigen?

Johann von Bülow: Als Schauspieler muss man sich mit allen Geschichten intensiv beschäftigen und tief einsteigen. Bei diesem Film ging es darum, die Würde der Menschen, die man darstellt, zu respektieren. Man darf so eine Geschichte nicht ausschlachten und voyeuristisch denken. Auch wenn es ein ernstzunehmendes Thema ist, ist es gleichzeitig auch eine tolle Herausforderung für mich als Schauspieler gewesen, den Vater von Mirco Schlitter zu spielen. Das ist die Schizophrenie unseres Berufs, dass es trotz der Tragödie etwas Beglückendes hatte, diesen Part spielen zu dürfen. Man muss nah an seine eigenen Schmerzpunkte gehen, gleichzeitig muss man versuchen, der Rolle gerecht zu werden, die im Übrigen für mich unheimlich spannend war.

Hatten Sie Angst vor dem Zusammentreffen mit Familie Schlitter?

Johann von Bülow: Ja, weil ich den Schlitters als Schauspieler gerecht werden wollte. Ich wusste natürlich, dass Reinhard Schlitter mir mit dem Gedanken gegenübertritt: „Okay, das ist jetzt also der Typ, der mich in dem Film spielen soll.“ Dass es nicht um eine äußerliche Angleichung ging, war klar. Für die Menschen, die man verkörpert, ist es wichtig, dass man sie nicht verrät und dass man ihnen zuhört. Dass man sich fragt, was in ihnen vorgeht und sich Gedanken darüber macht, was bedeutet es eigentlich, wenn jemand sagt, dass der Glaube einen aufrechterhält. Dieser Aspekt hat mich persönlich auch sehr interessiert. Die Schlitters sollten in dem Film ja nicht wie eine verrückte Sektenfamilie rüberkommen, sondern so, wie sie wirklich sind: ernstzunehmende reflektierte Menschen, die einen besonderen Umgang mit dem Glauben haben, der nicht jedem so zugänglich ist, wie ihnen. Das wollte ich respektvoll abbilden.

Würden Sie sagen, dass die Rolle des Reinhard Schlitter eine Ihrer herausforderndsten war?

Johann von Bülow: Da gab es schon noch ein paar andere Rollen, die sehr herausfordernd waren, z.B. meine Rolle in dem Film „Elser – Er hätte die Welt verändert“ als Gestapo-Chef Heinrich Müller. Es ist aber schon eine besondere Form, einer Figur als Schauspieler seinen Schmerz zur Verfügung zu stellen – ein Schmerz, der echt ist. Das kann man nämlich nicht faken. In diesem Punkt war die Rolle sehr herausfordernd für mich.

In „Ein Kind wird gesucht“ spielt Johann von Bülow Reinhard Schlitter, den Vater von Mirco. (Foto: ZDF/Kerstin Stelter)

Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

Johann von Bülow: Ich mache etwas, was viele amerikanische Kollegen auch machen: Ich arbeite mit Coaches zusammen. In diesem Aspekt ist der Beruf des Schauspielers auf enttäuschende Weise handwerklich. Ich glaube nicht, dass das Forschen in der Biografie von Figuren, die Figuren reicher macht, sondern, dass das Forschen in der Fantasie des Schauspielers die Figuren reicher macht. Selbst in einem Fall, in dem das Vorbild echt ist, kann ich ja Reinhard Schlitter nicht eins zu eins spielen. Ich muss der Figur Reinhard Schlitter etwas von mir zur Verfügung stellen. Da geht es eigentlich nur darum, sich, in dem Moment, in dem die Kamera läuft, öffnen zu können und das auch zuzulassen.

Genau das wäre meine nächste Frage gewesen: Wie viel Johann von Bülow ist denn in der Figur Reinhard Schlitter vorhanden?

Johann von Bülow: Zwischen mir und dem echten Menschen gibt es natürlich kaum Momente, die sich decken. Aber in jeder Figur, die ein Schauspieler aufrichtig spielt, steckt etwas von dem eigenen Schmerz, der eigenen Freude und dem eigenen Lachen. Darum geht es ja. Und das ist das, was die Empathie weckt. Der Fall Mirco ist eine erschütternde Geschichte. Als Schauspieler habe ich die Aufgabe, das Leid dieser Menschen nachvollziehbar zu machen. Am eindrücklichsten ist der Moment, als sich die Eltern Schlitter in dem Fernsehstudio an die Öffentlichkeit wenden. In der Szene nehme ich die Hand von Silke Bodenbender, die Sandra Schlitter spielt. Diese Szene hat auch in Wirklichkeit so stattgefunden. Als Schauspieler reichert man solche Szenen mit dem eigenen Leben und der eigenen Fantasie an.

Haben Sie aus dem Fall Mirco, dem Geschehenen und den Dreharbeiten zu dem Film etwas für Ihr persönliches Leben mitgenommen?

Johann von Bülow: Ich habe tatsächlich in den Gesprächen mit Reinhard Schlitter viel über Glauben und über Demut gelernt. Zunächst war es für mich ein sehr verstörendes Gefühl, dass jemand sagt „Wir sind in Gottes Hand“. Ich betrachte das Leben nicht so. Ich habe in einem Gespräch mit Reinhard Schlitter meine Position dargestellt. Ich glaube nämlich, dass wir Schöpfer unserer eigenen Geschichte sind. Er fragte mich sinngemäß, was wäre, wenn ich mir das nur einbilde. Und dass alles, was ich bisher glaubte, aus meiner eigenen Kraft geschafft zu haben, nicht in meiner Hand lag. Das fand ich sehr interessant. Vielleicht sind wir viel kleiner und viel unwichtiger in all unserem Bemühen. Der Umgang mit Religion hat bei den Schlitters nichts Frömmelndes, sondern es hat eine beeindruckende Kraft. Aber deswegen habe ich jetzt nicht mein Leben umgestellt (lacht). Für mich war es dennoch ein Geschenk, so tiefe Einblicke in die Sichtweise eines anderen Menschen zu bekommen. „Da kann man etwas lernen“ ist zu groß und zu didaktisch gedacht, aber man bekommt definitiv einen anderen Blickwinkel.

Sie haben ja auch einen 15-jährigen Sohn. Gibt es nicht Situationen, in denen Sie denken: „Ich möchte nicht, dass er alleine durch die Weltgeschichte läuft“?

Johann von Bülow: Ich bin da nicht ängstlich. Ich glaube, dass solche schrecklichen Dinge Schicksalsschläge sind. Ich könnte auch morgen die Diagnose einer schweren Krankheit erhalten – das wäre genauso ein Schicksalsschlag. Ich finde, dass wir in einer Zeit leben, in der die Menschen grundsätzlich viel zu ängstlich sind. Dieses Verhalten bringt einen nicht voran. Das Dümmste wäre, wenn die Menschen sich aufgrund eines Einzelfalls – und wenn er noch so schrecklich ist – zurückziehen und nicht mehr ihr Leben leben.

Darf ich Ihnen auch ein, zwei Fragen abseits des Filmes stellen?

Johann von Bülow: Kommt drauf an (lacht).

Wenn Sie nicht Schauspieler geworden wären, wohin wäre die Reise dann gegangen?

Johann von Bülow: Ich hätte mir eine Menge anderer Tätigkeiten vorstellen können. Ich wäre zum Beispiel gerne Journalist geworden. Das hat mich immer interessiert.

Auch wenn Sie ständig von Journalisten belagert werden?

Johann von Bülow: Es gibt ja ganz viele Spielarten des Journalismus: Korrespondent in Berlin und über Politik schreiben oder Feuilletons über philosophische Themen. Als Jugendlicher wollte ich immer Diplomat werden, weil ich einen Onkel hatte, der genau das gemacht hat. Aber da ging es mir mehr darum, immer mal wieder das Land zu wechseln und andere Kulturen kennenzulernen. Ich glaube, dass es einen Menschen sehr prägt, wenn er eine Zeit lang außerhalb des eigenen Landes lebt und auf andere Gepflogenheiten stößt. Das hat etwas ungeheuer Bereicherndes. Ich beneide Menschen, die viel im Ausland gelebt und gearbeitet haben und dort Teil der jeweiligen Gesellschaft waren, es muss mehr Menschen geben, die über den eigenen Tellerrand hinausblicken.

PFALZ-ECHO-Redakteurin Patrizia Bär führte ein interessantes Gespräch mit 
Johann von Bülow. (Foto: Patrizia Bär)

Heute bleibt Ihnen wahrscheinlich kaum Zeit, über den Tellerrand zu blicken…

Johann von Bülow: Vor zwei Jahren konnte ich mit François Ozons einen französischen Kinofilm drehen. Das ist natürlich in der Dimension viel kleiner, aber ich konnte trotzdem ein bisschen etwas Neues, andere Arbeitsweisen kennenlernen. Vielleicht gibt es ja noch ein paar andere Möglichkeiten in Europa. Wir haben in Europa immer mehr Produktionen, in denen Deutsche in Italien spielen, Franzosen in England etc.

Wo würden Sie gerne mal drehen?

Johann von Bülow: Ich kann kein bestimmtes Land benennen. Für mich geht es grundsätzlich darum, dass ich mich aus dem eigentlich Gewohnten herausbewege – und in etwas anderes hineinbewege.

Wofür würden Sie mitten in der Nacht aufstehen?

Johann von Bülow: (Überlegt lange) Ich habe keine Ahnung (lacht). Zumindest nicht, um an den Kühlschrank zu gehen.

Ich gehe noch einmal kurz zurück zu dem Film. Über die Medien wird man ja nur immer bruchstückhaft informiert. Details werden in Mordfällen natürlich auch aus ermittlungstechnischen Gründen zurückgehalten. Gab es ein Detail, von dem Sie während der Dreharbeiten zum ersten Mal erfahren haben?

Johann von Bülow: Besonders beeindruckt hat mich die Funkzellenabfrage, mit der die Polizei damals gearbeitet hat – das war 2010 noch relativ neu. Beeindruckt hat mich aber auch der Wahnsinn, dass das Auto des Mörders eigentlich schon verkauft war und die Polizei es geschafft hat, es wieder zu besorgen. Es ist unglaublich, wie ausdauernd die Polizisten gearbeitet haben. Am Ende ist ihnen sogar der Zufall nicht entwischt.

Würden Sie sagen, dass die Rolle des Reinhard Schlitter eher auf Sie, Johann von Bülow, zugeschnitten ist, als die des Ingo Thiel?

Johann von Bülow: In der Kombination, in der wir gespielt haben, war die des Vaters sicherlich die bessere Rolle für mich. Und ich bin sehr glücklich mit dem Resultat.

Könnten Sie sich auch vorstellen, die Rolle eines Kommissars zu spielen?

Johann von Bülow: Ab dem 17. November bin ich beim ZDF in einer neuen Samstags Krimi Reihe zu sehen. Sie heißt „Herr und Frau Bulle“ und ist eher comedy-lastig, so ein bisschen Ocean’s Eleven-mäßig. Eine flirrende Berlin-Krimigeschichte mit Alice Dwyer und mir in den Hauptrollen als Ermittlerpärchen. In der Serie spiele ich einen Kommissar – aber einen ganz anderen, ein bisschen Inspektor Clouseau artig (lacht).