Steckbrief: Petra Gerster

  • Geboren am 25. Januar 1955 in Worms
  • 1989 bis 1999: Moderation des Magazins ML Mona Lisa im ZDF
  • Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus
  • 1998 bis 2021: Hauptmoderatorin der heute-Nachrichten im ZDF
  • Veröffentlichte Bücher (u. a.): Die Meinungsmaschine. Wie Informationen gemacht werden – und wem wir noch glauben können (2017) und Vermintes Gelände – Wie der Krieg um Wörter unsere Gesellschaft verändert: Die Folgen der Identitätspolitik (2021)

In Ihrem Buch „Vermintes Gelände“, das Sie zusammen mit Ihrem Mann geschrieben haben, sprechen Sie über die deutsche Sprache und bestimmte Begriffe, die man heute nicht mehr so verwenden darf wie „früher“. Was entgegnen Sie einem Menschen, der sagt: „Ich habe mein Leben lang einen anderen Begriff für den Schokokuss verwendet und werde es auch weiterhin tun, deswegen bin ich noch lange kein Rassist!“?

Petra Gerster: Auch ich musste erst lernen, wie kränkend das N-Wort selbst in vermeintlich harmlosen Varianten für schwarze Menschen ist, würde ich antworten. Dass es sie verletzt, weil Menschen aus Afrika in der Kolonialzeit unter dieser Bezeichnung ihrer Individualität und ihrer Nationalität beraubt wurden, als sie wie Vieh nach Europa und Amerika verkauft, misshandelt und versklavt wurden. Sicher ist man noch kein Rassist oder eine Rassistin, wenn man so etwas unbedacht sagt. Andererseits sollte es sich inzwischen herumgesprochen haben, dass es ein Akt der Höflichkeit ist, auf solche Begriffe zu verzichten. Und was geht einem schon verloren dadurch? 

Auch das Thema Gendering wird in Ihrem Buch breit diskutiert. Sie haben als heute-Moderatorin seit vielen Jahren nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Zuschauerinnen angesprochen, nun wird aber auch verstärkt das non-binäre Geschlecht in der deutschen Sprache berücksichtigt. Wird unsere Sprache nicht langsam „zerfetzt“? 

Petra Gerster: Ich verstehe offen gesagt nicht, was daran „zerfetzend“ sein soll, in einem einzigen Wort gleich alle Geschlechter zu vereinen, also „Politiker*innen“ zu sagen statt „Politiker und Politikerinnen“. Es hat sogar eine gewisse Eleganz, finde ich, weil es den Sprachfluss kaum stört. Das Sternchen – auch Glottisschlag genannt – ist die Hundertstel-Sekunden-Pause, die die weibliche von der männlichen Endung trennt. So kurz wie die Trennung im Wort The-ater oder Bäcker-innung, aber lang genug um zu erkennen, dass hier nicht nur von Frauen die Rede ist, sondern alle angesprochen werden. 

Es gibt viele Menschen, die die Debatte um Gendering befürworten, andere lehnen Gendering vehement ab. Vor Kurzem habe ich mit einem Bekannten über das Thema gesprochen, er entgegnete mir, dass wir dringendere Probleme auf der Welt zu lösen haben als die Sternchen-Frage. Erscheint „der Krieg um Wörter“ nicht banal, wenn gerade Krieg mitten in Europa herrscht?

Petra Gerster: Angesichts eines Krieges in Europa erscheint fast jedes andere Thema im Moment eher irrelevant – einerseits. Andererseits führt Putin diesen Krieg nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen den gesamten Westen, gegen die Werte unserer Demokratie. Und dazu gehört ganz wesentlich das, was Putin in Russland komplett unterdrückt: die Freiheit, kontrovers darüber zu diskutieren, unter welchen Bedingungen man leben möchte, welche Rechte die Mehrheit den (ethnischen, sexuellen, kulturellen) Minderheiten im Land zugesteht und wie frei sich jede*r Einzelne äußern kann. Wenn also gefragt wird: Keine anderen Sorgen und Probleme? So muss man antworten: doch schon. Aber die Sorge um das richtige, treffende, heilsame, friedensstiftende Wort sollte man dennoch nicht unterschätzen, denn wenn wir es tun, werden wir tatsächlich bald ganz andere Sorgen und Probleme haben als jetzt.

Warum glauben Sie, reagieren viele Menschen – vor allem Männer – so gereizt auf das Thema Gendering und fühlen sich gar persönlich angegriffen?

Petra Gerster: Das habe ich auch lange nicht verstanden, zumal in diesem Land ja – anders als behauptet – niemand gezwungen wird zu gendern. Jeder und jede kann so sprechen, wie ihm oder ihr der Schnabel gewachsen ist. Ich vermute, am Gendersternchen machen viele fest, was ihnen schon lange nicht passt: dass Frauen und Minderheiten immer mehr Rechte für sich beanspruchen und auf Teilhabe in der Gesellschaft pochen. Die Jahrhunderte währende Dominanz der Männer bröckelt langsam, und das macht vielen Angst.

Zu dem Thema Gendering fällt mir auch das Thema „Frauen in Führungspositionen“ ein. Frauen in Führungspositionen sind immer noch stark unterbesetzt. Woran glauben Sie liegt das? Wollen Frauen keine Verantwortung übernehmen?

Petra Gerster: Das wäre die wohlfeilste Erklärung – selber schuld, sozusagen. Nein, so einfach ist es nicht. Deutschland ist – neben einigen anderen EU-Ländern wie Österreich, Italien und Spanien – ein immer noch sehr patriarchales Land, in dem die alten Rollenmodelle vom Mann als Ernährer der Familie und der Frau als Mutter, die zuhause bei den Kindern bleibt, immer noch lebendig sind. Entsprechend werden Mädchen und Jungen immer noch unterschiedlich erzogen, und das hat Auswirkungen auf ihre späteren Karriere- und Verdienstmöglichkeiten. Mädchen sollen immer noch lieber brav sein und der Mutter zur Hand gehen als sich in Konkurrenz mit Jungen zu behaupten und durchzuboxen. Das halte ich für das Haupthindernis. Und diese Diskriminierung spiegelt sich eben auch in der männlich geprägten Sprache wider: Im generischen Maskulinum („die Politiker“, „die Journalisten“) kommen Frauen gar nicht vor, und deshalb gendere ich: um Frauen sprachlich sichtbar zu machen. Das wird sie kurzfristig nicht voranbringen, langfristig aber vielleicht etwas in den Köpfen bewegen. 

Am 26. Mai vergangenen Jahres haben Sie das ZDF verlassen und sind in den Ruhestand gegangen. Kann man das so einfach von heute auf morgen oder juckt es Sie manchmal in den Fingern, auf dem Lerchenberg anzurufen und sich bei der Themenfindung und Sendungsplanung einzubringen?

Petra Gerster: Ich konnte mich ja lange darauf einstellen und habe – nach 33 Jahren auf dem Schirm – glücklicherweise keinerlei Mangelerscheinungen. Es zeigt sich auch, dass ich ziemlich beschäftigt bin – auch ohne ZDF, ich hätte gar nichts gegen ein bisschen mehr Zeit, z. B. für einen Hund. Und um die Kriegsberichterstattung jetzt beneide ich die Kolleg*innen auch nicht gerade. 

Wie war das eigentlich in Ihrer Zeit beim ZDF – wie viel Mitbestimmungsrechts hatten Sie bei der Sendungs- und Moderationsgestaltung?

Petra Gerster: Wir haben uns immer als Team verstanden in der 19-Uhr-Truppe, diskutierten und gestalteten die 19-Uhr-Nachrichten gemeinsam. Und als Moderator*in ist man natürlich besonders daran interessiert, dass die Sendung optimal über den Sender geht. 

Sind Ihrer Meinung nach dringende Themen hinten runtergefallen aufgrund der Berichterstattung über die Pandemie?

Petra Gerster: Es liegt in der Natur der Sache, dass Themen, die uns in anderen Zeiten einen Beitrag wert gewesen wären, in der Corona-Zeit nicht behandelt werden konnten. Wir haben nun mal nur rund 20 Minuten. In einer Nachrichtensendung muss in erster Linie nach Relevanz entschieden werden: Was ist unseren Zuschauer*innen gerade am wichtigsten, was kommt danach und so weiter. Da hat die Pandemie schon sehr viel Platz eingenommen. Aber die Quoten zeigten uns, dass wir mit unserer Bewertung meist richtig lagen. 

Wenn Sie noch aktiv im Berufsleben stehen würden, mit welcher Person würden Sie gerne ein Interview führen und warum?

Petra Gerster: Ich würde gerne mit der belarussischen Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa sprechen, die bei ihrer Festnahme darauf verzichtet hatte, ins Ausland zu gehen und letzten September zu elf Jahren Straflager verurteilt wurde. Ich würde sie fragen, warum sie auf die Freiheit verzichtet hat, um bei ihrem Volk zu bleiben, und ob sie sich angesichts der Entwicklungen heute noch mal so entscheiden würde. Vor allem aber würde ich wissen wollen, woher sie ihre unglaubliche Kraft und ihren Mut nimmt im Kampf gegen die Diktatur Lukaschenkos. Sie ist eine Heldin.