(Foto: Bildarchiv-Suedliche-Weinstrasse-eV)

Fast schon gespenstisch wirkt das Haus, an dem ich jeden Morgen, seit mehr als fünf Jahren, auf dem Weg zur Arbeit vorbeilaufe. Die Fenster, wenn man sie hinter den Efeuranken und meterhoch gewachsenem Unkraut noch ausmachen kann, sind größtenteils eingeschlagen, der Außenputz blättert ab. Jedes Mal, wenn ich an diesem Haus und an anderen mir bekannten „Geister“-Immobilien vorbeilaufe, stelle ich mir die gleiche Frage: zahlreiche Leerstände auf der einen, Wohnungsnot auf der anderen Seite – wie passt das zusammen? Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt ist völlig aus der Balance geraten, Mieten und Kaufpreise steigen, teils dramatisch. Jeder Quadratmeter Wohnfläche wird gebraucht. Warum also kann man Eigentümer:innen nicht einfach dazu zwingen, ihre Immobilien zu verkaufen oder zu vermieten, wenn sie seit zig Jahren nicht genutzt werden? Und warum lassen manche Menschen ihre Immobilien lieber zerfallen, als sie einer fünfköpfigen, eigenheimsuchenden Familie zu verkaufen?

Im Gespräch mit lokalen Politiker:innen über die Leerstände in der Südpfalz habe ich nach Antworten auf die sich bestimmt nicht nur mir stellenden Fragen gesucht.

„Schwarmstadt, Wohnungsnot – in Landau kann man eigentlich alles vermieten“, sagt Lukas Hartmann, Oberbürgermeisterkandidat der Grünen Landau und verrät, dass er selbst verwundert darüber ist, dass es in der beliebten Universitätsstadt so viele Leerstände gibt. „In der Wohnraumanalyse der Stadtverwaltung Landau aus den Jahren 2015 und 2016 ist man von 2,7 Prozent Leerstand ausgegangen, inklusive der Stadtdörfer. Bei ca. 22.000 Wohneinheiten bedeutet dies, dass etwa 600 bis 700 Immobilien leerstehen“, so der Grünen-Politiker. „Die neue Position der Stadtverwaltung ist, dass es einen weitaus geringeren Leerstand gibt und da werden auch nur die vermietbaren Objekte miteinberechnet.“ Verfallene Objekte tauchen in den Zahlen nicht mehr auf.

Meine Recherchen in den südpfälzischen Verbandsgemeinden waren ernüchternd. In den allermeisten Fällen sind Gebäudeleerstände nicht dokumentiert. Man wisse zwar, dass es Leerstände gibt, aber dies eher aufgrund persönlicher Kenntnis. Lediglich die Stadt Bad Bergzabern hatte ab dem Jahr 2016 im Rahmen des Zentrumsmanagements ein proaktives Leerstandsmanagement betrieben. Diese Aktivitäten wurden allerdings mit Ende des Jahres 2020 eingestellt. Von Dr. Dennis Nitsche, Bürgermeister der Stadt Wörth, sowie von Hedi Braun, Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Herxheim, erfahre ich, dass ihnen in vielen Fällen Leerstand bekannt sei – in vergleichsweise kleinen Städten und Regionen sei es möglich, den Überblick zu wahren. Eine vollständige Erfassung von Leerstand werde aber nicht betrieben. 

Ein exemplarisches Geisterhaus -Foto: Freepik

Eine kreisweite Initiative zur Aktivierung von Wohnraum bewertet Dr. Dennis Nitsche als sinnvolles Instrument bei der Bekämpfung von Leerstand, denn dieser „ist ein regionales Problem, kein kommunales“, betont er.

Der Leerstand ist aber nicht nur im Hinblick auf den Wohnungsmangel ein Problem. Leerstehende Immobilien erweckten im Stadtbild den Eindruck völliger Verwahrlosung, so Lukas Hartmann. Natürlich kann sich nicht jeder die Instandhaltung seiner Immobilie leisten – keine Frage. Aber: Leerstand ohne erkennbaren Grund sollte laut Hartmann ganz oben auf der Agenda der Lokalpolitik stehen. Eine finanzielle Ausrede für Leerstand gibt es in seinen Augen nicht: „Meine Großväter würden sagen: ‚Wohnraum leerstehen zu lassen, ist unanständig!‘

Neben leerstehenden Häusern und Wohnungen sorgen aber auch leerstehende Baugrundstücke bei vielen Menschen für Unmut. „Wir weisen Baugrundstücke aus, damit Menschen dort bauen und später leben können, nicht, damit andere diese Grundstücke kaufen und einfach leerstehen lassen. Grundstücke werden oft als Geldanlage missbraucht“, ärgert sich auch Hartmann. Im Baugesetztbuch steht die Möglichkeit der Enteignung für solche Fälle – angewandt habe diese rabiate Lösung in Deutschland aber seines Wissens noch niemand. Ein unbeliebtes Thema – aber auch in Landau gebe es ca. 120 solcher unbebauter Grundstücke. 

Personen zum Verkauf oder zur Vermietung zwingen, kann man nicht. „Wenn jemand seine Immobilie partout nicht vermieten will, gibt es dafür Gründe“, so Dr. Maximilian Ingenthron, Oberbürgermeisterkandidat der SPD. Diese können wirtschaftlicher Art sein oder aber dem Ganzen hängt ein Rechtsstreit an:  „Man sollte nicht immer vom Schlechtesten ausgehen. Deswegen geht es meiner Meinung nach zu weit, jemanden zur Vermietung zu zwingen. Am Ende läuft es dann doch darauf hinaus, dass mehr gebaut werden muss, um dem Wohnungsmangel entgegenzuwirken.“

„Es gibt ein Instrument, das zumindest neuen Leerstand verhindert – die Zweckentfremdungssatzung bzw. die Wohnraumschutzsatzung“, führt der OB-Kandidat der Grünen an. Wenn Wohnraum nicht innerhalb eines gewissen Zeitrahmens seinem eigentlichen Zweck zugeführt wird, fällt eine Strafe an. Natürlich gebe es auch Präzedenzfälle. Zum Beispiel wenn sich eine Erbengemeinschaft nicht auf den Verkaufspreis einer Immobilie einigen kann. „Wenn diese Erbengemeinschaft aber 5.000 Euro pro Jahr zahlen müsste, in der die Immobilie leersteht, würde man sich bestimmt schnell einigen“, so Hartmann und er fügt hinzu: „Ein bisschen ordnungspolitischer Druck für Dinge, die uns als Gesellschaft wichtig sind, finde ich nicht verkehrt.“

Leerstand ist wahrlich kein Massenphänomen, aber jedes einzelne Beispiel ist ein Aufreger in einer Stadt oder einer Region, in der sich so viel um Wohnen und Mieten und den Mangel dreht. Darauf aufmerksam zu machen und neuen Leerstand zu vermeiden, war das Ziel der Grünen Landau, als sie vor knapp einem halben Jahr einen Leerstandsmelder online stellten. Auf diesem werden Leerstände im Landauer Stadtgebiet gesammelt und visualisiert. Jede:r kann hier Leerstände melden. Nach einer Prüfung wird der Leerstand in der Karte eingetragen. An den Pranger gestellt würden Eigentümer:innen aber nicht: Weder die Adresse noch Name oder Kontaktdaten der Besitzer:innen werden veröffentlicht. 

Dem Online-Leerstandsmelder steht Dr. Ingenthron jedoch zurückhaltend gegenüber. „So etwas kann den Charakter des Anschwärzens annehmen“, gibt er zu bedenken. „Es gibt immer Gründe, warum Menschen ihre Immobilie nicht vermieten oder verkaufen wollen. Man ist da schnell einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, der die Öffentlichkeit nichts angeht.“

Auch Axel Wassyl, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Offenbach, steht dem ganzen skeptisch gegenüber: „Einen online verfügbaren Leerstandmelder halte ich datenschutzrechtlich für hoch problematisch. Wenn ein Leerstand bekannt ist, sollte die Kommunalverwaltung auf Anfrage von Interessierten hilfreich tätig werden und versuchen zu vermitteln.“

Lukas Hartmann verteidigt den Leerstandsmelder jedoch. Um Vermietungszwang oder gar Enteignung ginge es dabei nicht, sondern lediglich darum, anständig damit umzugehen, was man besitzt. „Es heißt doch nicht umsonst, dass Eigentum verpflichtet.“ 

Die Verärgerung mancher Menschen über leerstehende Objekte, vor allem wenn sie selbst seit langer Zeit auf der Suche nach einer Immobilie für ihre Familie sind, kann Dr. Maximilian Ingenthron nachvollziehen, gibt aber zu bedenken: „Muss die Familie unbedingt eine Immobilie in Landau finden? Es kann ja sein, dass eine passende Wohnung für diese Familie 25 Kilometer von Landau entfernt zu finden ist. Es gibt viele schöne Gründe, direkt in Landau wohnen zu wollen, aber es gibt eben kein Recht darauf, hier eine Wohnung zu finden.“

Einen weiteren Grund für den zunehmenden Wohnungsmangel sieht Dr. Ingenthron in der gesellschaftlichen Entwicklung. Menschen benötigen (ihres Erachtens) immer mehr Wohnfläche und auch die Anzahl der Bürger:innen pro Wohnfläche ist zurückgegangen. Wo früher noch fünf Personen in einer 80-Quadratmeter-Wohnung zusammengelebt haben, beanspruchen heute zwei Personen diesen Platz für sich. „Selbst wenn kein Mensch mehr in Landau zuzieht, brauchen wir trotzdem jedes Jahr mehr Wohnfläche.“ (pdp)