Steckbrief: Miroslav Nemec

  • Geboren am 26. Juni 1954 als Miroslav Strkanec in Zagreb
  • Musikstudium am Mozarteum in Salzburg, Schwerpunkt: Klassisches Klavier
  • Theaterausbildung an der Schauspielakademie Zürich
  • Seit 1991: Tatort
  • 1997: Goldener Löwe als „Bester Serien-Schauspieler“ mit Udo Wachtveitl
  • Sänger, Gitarrist und Keyboarder in der „Miro Nemec Band“

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Sie sind nicht nur als Ivo Batic im Tatort zu sehen, sondern auch leidenschaftlicher Theater-Schauspieler. Ihre Ausbildung haben Sie an der Theaterakademie in Zürich absolviert. Wie kann man sich das Bewerbungs- und Auswahlverfahren an einer solchen Akademie vorstellen?

Miroslav Nemec: Ich hatte mich damals in Essen und in Zürich beworben – da melden sich in der Regel 430 Leute für die Vorprüfungen. Ein langwieriges Prüfverfahren. 120 kommen in die nähere Auswahl, ungefähr 40 zur Hauptprüfung. Davon kommen 16 Leute ins erste Studienjahr, ins sogenannte Allgemeine Jahr. Danach wird nochmals „gesiebt“, so dass ab dem zweiten Studienjahr in der Schauspielklasse  nur noch fünf Studierende übrigbleiben. So war es zu meiner Zeit. Eine harte Auswahl. Die Schauspielakademie war ja auf eine Theaterausbildung ausgerichtet – sprachlich, körperlich, rollentechnisch war das alles klassisch-modern und komisch. 

Aber Sie wurden angenommen, einer von 430 Bewerbern. Dann startet die Ausbildung. Erzählen Sie mal, wie diese aussieht.

Miroslav Nemec: In Zürich wurde sehr viel Wert auf Technik gelegt. Spracherziehung, Atemtechnik, Bewegungstraining, Fechten, Ballett, Musikausbildung und Rollenspiel natürlich. Auch Beobachtungen gehörten zur Ausbildung. Wie warten Menschen an einer Bushaltestelle? Einmal sollten wir ein Tier aus dem Zoo nachspielen. Man konnte sich natürlich auch das Faultier aussuchen, das aber wäre nicht so gut angekommen (lacht). Lauter solche Improvisationen. Dann gab es Aufgaben, die dazu beitragen sollten, dass man aus sich herauskam, dass man sich befreit und die Stimme frei schwingen lässt, dass man nicht verhärtet und presst. Täglich wurde gelernt, von morgens um 9 bis abends um 6, auch samstags. Später haben wir das ganze Wochenende zusammen mit Kollegen und Kolleginnen Monologe und Dialoge geprobt, die man in einer Spielszene gemeinsam hatte. Ein ernsthaftes Studium. Es wurde eigentlich immer kollektiv gearbeitet. Zuhause wurde nur der Text vorbereitet und Literatur und Literaturgeschichte gebüffelt. Die Ausbildung dauerte drei Jahre.

Das klingt nach einer anstrengenden Zeit. Haben Sie jemals daran gezweifelt, den richtigen Weg einzuschlagen?

Miroslav Nemec: Erst ganz am Schluss. Im dritten Jahr wird man von Intendanten und Regisseuren begutachtet. Die kommen dann an die Schule und man spricht vor. Ich hatte Angebote aus Graz und aus Köln. Als ich dann in Graz mit den Proben für den Romeo in Romeo und Julia anfing, dachte ich mir: Du gehst im Hochsommer bei wunderschönem Wetter jeden Morgen in diesen dunklen Raum und dauernd sagt dir einer, was du machen sollst. Zudem hatte ich eine große Liebe in Zürich, sie war an der Akademie zwei Klassen unter mir. Ich habe dann in Graz gekündigt, bin zurück nach Zürich, zu der Frau und habe bei einem italienischen Malermeister gejobbt. Das war natürlich keine Dauerlösung (lacht). Ich hatte ja vorher schon am Mozarteum in Salzburg ein Musikstudium mit Diplom abgeschlossen, und nun saß ich mit zwei Abschlüssen in Zürich fest und habe Wände abgebeizt, ohne Arbeitserlaubnis übrigens – das darf ich heute sagen, weil es schon verjährt ist in der Schweiz (lacht). Damals habe ich schon an diesem Beruf gezweifelt. Das hatte auch mit privaten Dingen zu tun, die sich ja oft mit beruflichen vermischen. Die Freundin hat sich kurz danach von mir getrennt, sie hatte eine Affäre mit einem unserer Schauspiellehrer. Ich war verzweifelt. Da kam ein Anruf vom Schauspiel Köln, man fragte mich, ob ich noch frei sei. Das war ein Glücksfall für mich. Ich bin dann nach Köln und ab diesem Zeitpunkt war ich in der Spur. Das war 1977. Seit 44 Jahren spiele ich nun durch (lacht).

Ohne Pause?

Miroslav Nemec: Bis auf die dreimonatige Pause während der Pandemie. Wir hatten Mitte März 2020 gedreht, dann kam der Lockdown und Mitte Juni konnten wir erst weitermachen. Das war die längste Pause in meiner beruflichen Laufbahn.

Bekannt sind Sie vor allem als Kriminalkommissar Ivo Batic. Sie stehen dieses Jahr schon seit 30 Jahren für den Münchener Tatort vor der Kamera – worin liegt für Sie der Reiz an der Filmschauspielerei?

Miroslav Nemec: Die Filmschauspielerei ermöglicht einem zartere Töne. Die Kamera ist sozusagen dein Partner. Man spielt mit der Kamera. Und sie ermöglicht einem, neue Wege der inneren Schau. Man kann mit kleineren Mitteln viel erreichen. Die Kamera ermöglicht einem ein intimes Spiel. Auf der Bühne muss man sehr viel Kraft und Stimme einsetzen. Heute gibt es Headsets und Mikrofone, früher wurde das alles ohne technische Unterstützung gemacht, auch Musicals wurden ohne Mikros gesungen. Die Filmschauspielerei ist eine andere Arbeit, aber sie ist genauso intensiv. Beim Theater probt man wochenlang. Man hat für Text, Abläufe und die Koordinierung von Bewegungen viel mehr Zeit. Beim Fernsehen habe ich die nicht. Das heißt, ich muss mich sehr gut vorbereiten, was den Text angeht und ich muss durchdenken, wie ich Szenen spielen will. Im Theater kann man über die lange Probenzeit und die vielen Vorstellungen eine Perfektion entwickeln. Am Set habe ich nur kurz Zeit, um eine Szene in Bewegung und Abläufe umzusetzen. Das erfordert einen hohen Grad an Präsenz. Ich finde das sehr erfrischend, jeder Drehtag ist eine neue Herausforderung.

Nemec ist bekannt und beliebt für seine Rolle als Kriminalkommissar Ivo Batic im Münchener Tatort. Links sein Tatort-Kollege Udo Wachtveitl.(Foto: BR/hager moss film GmbH/Bernd Schuller)

Ist es schon einmal vorgekommen, dass Sie das Drehbuch gelesen haben und Sie es am liebsten umgeschrieben hätten? Dürfen Sie Änderungsvorschläge machen?

Miroslav Nemec: Ja, sehen Sie: Das ist das Drehbuch und hier sind überall Anmerkungen (zeigt das Drehbuch in die Webcam). Udo Wachtveitl, die Regie, die Redaktion, die Autoren und ich, wir treffen uns, neuerdings machen wir auch Zoom-Konferenzen, wir reden über Szenen und Dialoge, über Gewichtungen und auch über das gesamte Konzept. Das hat sich bei uns von Anfang an so ergeben. Udo und ich arbeiten seit dem ersten Tatort am Skript mit. Es hat sich so eingespielt, dass wir immer ein paar Wochen vor Drehstart das Drehbuch bekommen, dann uns mit den Redakteuren, den Autoren und der Regie unterhalten und unsere Ansichten mit einbringen. Die sind naturgemäß immer etwas unbelasteter, weil alle anderen schon ein Jahr lang  an dem Buch arbeiten. Es ist ein Work in Progress, bis wir anfangen zu drehen. Während des Drehs sollte nicht mehr groß diskutiert werden, dafür ist die Zeit nicht da. Die Zeit ist begrenzt und kostbar. 

Viel Arbeit und Einsatz scheint Ihnen zu gefallen – sonst würden Sie diesen Beruf ja nicht seit 30 Jahren ausüben.

Miroslav Nemec: Es definiert mich. Ich habe mir einen Beruf ausgesucht, der viel Platz für eine wunderbare Kreativität bereitstellt. Man kann sich selbst mit einbringen, anderen zuhören, man muss zusammenarbeiten im Bestfall. Mir gefällt dieses Kollektive, dass da 35 Leute an einem Strang ziehen. Da gibt es mal Ärger, mal Freude – das ist ein sehr produktiver Vorgang, einfach lebenswert.

Man liest immer mal wieder, dass Schauspieler für ihre fiktiven Rollen in Filmen oder Serien im echten Leben angefeindet werden. Ist Ihnen das auch schon passiert?

Miroslav Nemec: Nein, nur im lustigen Sinne. Ich habe ja auch schon mal Bösewichte gespielt. Da sagte morgens mal die Metzgerin zu mir: „Ach, Herr Nemec, ich habe Sie gestern im Fernsehen gesehen, aber so sind Sie ja gar nicht, gell?“ (Lacht). Die Leute haben durch die Rollen ein Bild von einem, eine gewisse Vorstellung, die Sie auch ins Private übertragen.

Gibt es etwas, was Sie noch unbedingt in Ihrem Leben erreichen möchten?

Miroslav Nemec: Ich habe schon immer gesagt: Der Weg ist das Ziel. Man sollte seine Lebenszeit so nutzen, so dass man am Ende das Gefühl hat, es war richtig so, wie man es gemacht hat. Deswegen bin ich jetzt auf dem Weg, auch mal weniger zu machen, auf dem Weg, mehr zu leben, als zu tun – im Hier und Jetzt.

Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich mit auf den Lebensweg geben?

Miroslav Nemec: Vor Kurzem habe ich mit meiner Tochter und ihrer Halbschwester darüber gesprochen, über die ewige Frage nach dem Sinn des Lebens und darüber, wo man hin will. Das ist ein Prozess, der nie endet, es gibt kein Rezept. Es ist wichtig, sich auszutauschen, neugierig zu sein, miteinander zu reden, auch zuzuhören und sich Gedanken zu machen. Wenn ich rede, mache ich damit ein Angebot und das Gegenüber muss entscheiden, ob es damit etwas anfangen kann oder nicht. Für ein gutes Gespräch braucht man Menschen seines Vertrauens. Lebe ohne Vorbehalte und ohne Versteckspiel. Ich glaube, das ist das Wichtigste. (pdp)