Grenzen überschreiten

Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr falsches Verständnis von Tradition

Ja, stimmt schon, eigentlich ist die närrische Zeit abgehakt. Endlich! – werden einige sagen. Schade! – die anderen. Letztere haben die Tage sicherlich in vollen Zügen genossen, sich albern angezogen, sind mit weniger Schlaf als sonst ausgekommen, haben mehr Alkohol als normalerweise getrunken und über unzählige Büttenreden und Witze gelacht, die man unter anderen Umständen niemals lustig finden würde. Und das ist alles absolut okay – die fünfte Jahreszeit darf ruhig genau dazu da sein! Und trotzdem gibt es Grenzen, die leider während der Faschingszeit immer wieder überschritten werden. Einige dieser Grenzen sind ganz klar zu definieren, weil man Straftaten begeht, wenn man sie überschreitet: betrunken Autofahren, gewalttätig werden, Sachbeschädigung. Darüber braucht man auch nicht zu diskutieren. Dann gibt es aber im Fasching auch Dinge, wo nicht so klar ist, ab wann eine Grenze überschritten ist. Dabei geht es beispielsweise um Kostüme: Darf man sich noch als „Indianer“ oder „Afrikaner“ verkleiden? Oder um Büttenreden: Über wen darf ich denn nun noch Witze machen?

Fakt ist: Es gibt genügend Witz-Material, man muss eigentlich niemanden beleidigen oder diskriminieren. Büttenreden sind andererseits aber traditionell keine politisch korrekten Ansprachen und sie sind ja auch nur halb so lustig, wenn sie nicht die ein oder andere Gruppe auf die Schippe nehmen. Man stelle sich nur mal eine Prunksitzung vor, in der wir Pfälzer uns nicht über die „Badenser“ lustig machen!

Aber – so leid es mir tut – die Moralkeule muss ich trotzdem zücken. Es ist nämlich ein Unterschied, ob ich als „normaler kleiner Pfälzer“ auf der Bühne stehe und mich über die „zugezogenen Nachbarn“ lustig mache oder ob ich als Vorsitzende der größten Partei Deutschlands auf der Bühne stehe und mich über das dritte Geschlecht lustig mache. Letztere hat als Politikerin eine Vorbildfunktion, sie steht hierarchisch über der Minderheit, die sie ins Lächerliche gezogen hat. Dabei ist sie von Berufs wegen dafür verantwortlich, gegen Ausgrenzung und Diskriminierung vorzugehen. Der Pfälzer stößt am nächsten Tag mit den Nachbarn an und zeigt ihnen, wie man gemeinsam Rieslingschorle aus dem Schobbeglas trinkt. Annegret Kramp-Karrenbauer kann diese Grenze nicht durchbrechen, sie versteht die Aufregung nicht und sieht sich nicht im Zugzwang. Im Gegenteil, in ihrer Rede zum politischen Aschermittwoch sieht sie sogar die Tradition von Karneval in Gefahr!

Zur Erinnerung, liebe Frau Kramp-Karrenbauer: Die Grundidee von Fasching und Karneval ist die, dass sich das Volk von den Mächtigen emanzipiert und ihnen den Spiegel vorhält. Nicht umgekehrt! Ja, diese Tradition sollte man bewahren. Bitte nehmen Sie sich das also im nächsten Jahr zu Herzen.