Der erfolgreiche deutsche Fußballtrainer Christoph Daum ist in regelmäßigen Abständen zu Gast im „STAHLWERK Doppelpass“ auf SPORT1. (Foto: Sport 1/Rupp)

Steckbrief: Christoph Daum

  • Geboren 1953 in Zwickau, studierte Sportwissenschaften an der Deutschen Sporthochschule Köln, außerdem Erdkunde und Sport auf Lehramt
  • Trainer verschiedener Bundesligavereine von MItte der 1980er Jahre bis 2014, mit dem VfB Stuttgart 1992 Deutscher Meister
  • 2016 bis 2017 Trainer der rumänischen Nationalmannschaft
  • Seit 1990 engagiert sich Daum unter anderem beim Fußball-Fanclub für Blinde und Sehbehinderte e. V. „Sehhunde“
  • Nach der Kokain-Affaire im Oktober 2000 wurde ein entsprechendes Gerichtsverfahren gegen Auflage der Zahlung von 10.000 Euro eingestellt
  • Verheiratet, vier Kinder, wohnt in Köln-Hahnwald

Herr Daum, wie sehen momentan Ihre Aufgaben aus?

Christoph Daum: Im Prinzip bilde ich Trainer aus unterschiedlichsten Ligen im Fußballbereich fort. Ich habe regelmäßig beim Fußballlehrerlehrgang, bei der Pro-Lizenz mitgearbeitet und Vorträge gehalten. Im Bereich des BDFL habe ich an den regionalen Fortbildungen meine Vorträge gehalten und auch beim internationalen Trainerkongress. Ich bin in der Trainerausbildung und Fortbildung für den DFB tätig und darüber hinaus begleite ich im privaten Bereich einzelne Personen in Schlüsselpositionen wie Trainer oder Mannschaftsmanager im Verein oder in Nachwuchsleistungszentren. Mir geht es darum, wie man Führungs-, Kommunikations- und Kooperationskompetenzen ausbildet und einsetzt, um dort ein Vereinsklima zu schaffen, in dem eine offene und transparente Kommunikation stattfindet. In dem ein ehrliches Feedback erfolgen kann, ohne dass man dadurch Nachteile zu befürchten hat. Denn nur so kommen wir zu einer konstruktiven und synergetischen Kommunikation.

Was würden Sie machen, wenn in der Bundesliga ein Trainerstuhl frei werden würde?

Christoph Daum: Oh nein, da reflektiere ich nicht mehr drauf. 

Sie erhalten aber bestimmt Anfragen diesbezüglich, oder?

Christoph Daum: Aus der Bundesliga nicht, aber aus dem Ausland schon – aus der Türkei, dem arabischen Bereich oder aus China. Neulich habe ich eine Anfrage als Nationaltrainer aus dem Kosovo erhalten. Was interessant gewesen wäre, ich allerdings auch, wie die Anfragen aus Holland und Belgien, abgelehnt habe. Anfragen gibt es noch, aber ich bin nicht mehr auf der Suche. Ich bin in der vorteilhaften Situation, in der ich nicht mehr müssen muss, und bin mir dessen bewusst, dass ich mit meinem Wissen und meiner Erfahrung manchem Verein eine wertvolle Hilfe sein kann, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Aber nur einen Job zu haben und eine Mannschaft in der Liga zu halten – was natürlich auch ein wichtiges Ziel ist –, ist für mich nicht mehr die richtige Herausforderung. 

Es kann aber bestimmt mal vorkommen, dass ein Bundesligamanager anruft und sie nach Ihrer Meinung fragt. 

Christoph Daum: Ich stehe mit einigen Managern in Kontakt. Da geht es immer um Personalentscheidungen, die nicht mich selbst betreffen, sondern um meine Meinung zu Personalentscheidungen, die sie treffen müssen. 

Das ist aber doch auch toll, wenn man an diesem Punkt angelangt ist.

Christoph Daum: Das stimmt. Meine ganze Karriere ist selbstsprechend. Die Kenntnisse sind sowohl national als auch international vorhanden und in manchen Ländern habe ich auch sehr spezifische Kenntnisse. Ich habe eine lange Zeit in Belgien und Österreich verbracht. War fast zehn Jahre in der Türkei und zwei Jahre in Rumänien. In dieser Zeit habe ich natürlich über den deutschen Tellerrand hinausschauen können, was meinen Erfahrungsschatz nochmal enorm erweitert hat.

Sie sind schon immer ein Mensch, der polarisiert. Mich als Bayern-Fan hat es einerseits total erschreckt, ich fand es aber auch sehr mutig und faszinierend, dass Sie Ende der 80er Jahre den heiligen Jupp Heynckes attackiert haben. Ohne Sie jetzt beleidigen zu wollen: Sie waren damals für mich der Uli Hoeneß der Trainerbank.

Christoph Daum: Dazu kann ich sagen, dass es einige Dinge gibt, auf die ich nicht stolz bin. Ich habe mich auch für vieles oft bei Jupp Heynckes entschuldigt. Es gibt einige Dinge, die man mir einfach unterstellt und in den Mund gelegt hat, die ich niemals gesagt habe, von denen ich mich distanziert habe und sogar rechtlich dagegen vorgegangen bin. Was mich einfach richtig gestört hat, war, dass Bayern München immer die sportliche und moralische Instanz des deutschen Fußballs war. Das habe ich überhaupt nicht eingesehen, und es gibt unheimlich viele Personen, die sich einfach geduckt haben. Mir wurde oft von den Kollegen nahe gelegt, dass ich wahnsinnig bin und im deutschen Fußball nie was erreichen könne, wenn ich gegen die Hausmacht von Bayern München antrete. Das hat mich aber nicht interessiert. Ich habe mich für meine Familie, den 1. FC Köln, eingesetzt. Ob meine Wortwahl immer dem Fußballknigge entsprochen hat, wage selbst ich zu bezweifeln. Auf der anderen Seite ist einfach auch eine gewissen Renitenz notwendig, um manche Dinge anzuschieben. Wenn kein Wind ist, fällt die Regatta aus – rein bildlich gesehen. So habe ich hier und da für kleine Windböen oder Orkane gesorgt und habe damit auch den Fußball auf eine gewisse Art und Weise interessant gemacht. Wenn ich heute so darüber nachdenke, hätte ich das damals auch mit einer anderen Wortwahl erreichen können, aber damals war ich einfach noch nicht so weit. Ich befand mich noch in der Sturm- und Drangzeit (lacht).

Es hätte mich unheimlich interessiert, wie Sie Ihre Mannschaft in der Kabine motiviert und eingestellt haben. Sie waren ja kein Profifußballer und haben den Kölner Verein als Amateurtrainer übernommen, in welchem auch Spieler waren, die bereits schon 50 bis 60 Länderspiele absolviert hatten. Die haben sich vermutlich gefragt: „Was will mir so einer bitte erzählen?“

Christoph Daum: Bevor ich Assitenztrainer wurde, habe ich bereits sehr eng mit den Lizenzabteilungen zusammen gearbeitet. Ich wurde in viele Personalentscheidungen mit einbezogen. Oft habe ich mit Lizenzspielern oder suspendierten Spielern ein extra Training abgehalten. Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass mein erstes Lizenztraining mit Bernd Schuster war. Bernd Schuster war suspendiert und hatte Anspruch auf Einzeltraining. So habe ich mein ganzes Trainerregister gezogen und ihn richtig rangenommen. Er hat wahnsinnig gut mitgezogen, war unheimlich sympathisch. Das ging über mehrere Wochen, bis er einen neuen Verein hatte. Ich war also schon seit Anfang der 80er-Jahre in den Lizenzbereich eingebunden, bin nicht von heute auf morgen aus dem Jugendbereich in den Profibereich gekommen, sondern bin langsam reingewachsen. Als ich Assistenztrainer war, habe ich schon die Trainingspläne gemacht, die Spieleanalysen vorbereitet. Die Spieler wussten alle, dass das Training eigentlich von mir kommt. Die Traningsinhalte waren auf einmal unheimlich interessant und abwechslungsreich. Die Gegneranalysen waren viel detaillierter und es gab auch viel mehr individuelle Informationen. Das war vorher nicht der Fall. Dadurch war die Wertschätzung zu meiner Person gegeben und ich war kein Unbekannter mehr. Insofern bin ich nicht ins kalte Wasser geworfen worden, sondern bin in diese Rolle hineingewachsen. Ich hatte nie im Hinterkopf, Cheftrainer beim 1. FC Köln zu werden, sondern einfach meinem Verein zu helfen und ihn zu unterstützen. Die Ergebnisse, die ich erzielt hatte, sprachen für sich, das Vertrauen der Mannschaft in mich – was ich bereits vor der Verpflichtung genoss – sprach für mich. Insofern haben sich einige Dinge glücklich zusammen gefügt und so konnte ich die traumhafte Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär durchlaufen. 

War für Sie als Trainer das Thema Motivation wichtiger als die Taktik? Oder hielt sich das die Waage?

Christoph Daum: Der Bereich der Einstellung – welche Einstellung bringt der Einzelne für die Mannschaft mit – , ich würde es auch als Mentalbereich bezeichnen, ist für mich genauso wichtig wie das Physische, Technische und Taktische. Der mentale Bereich muss genauso geschult werden, wie die anderen Bereiche. Der wurde doch etwas vernachlässigt und ich habe mir gesagt: „Wenn du einen Unterschied zu anderen Mannschaften, anderen Trainern ausmachen willst, dann musst du dich in diesem Bereich ausbilden.“ Somit habe ich zusätzliche Vorlesungen im psychologischen Bereich besucht. Ich war der Erste, der einen Mentaltrainer hatte. Dewegen wurde ich unheimlich attackiert. Das war damals Neuland und führte dazu, dass ich belächelt wurde. Irgendwann merkte man, dass das gar nicht so verkehrt war und ich wurde für meinen Pioniergeist bewundert. Das sind eben Entwicklungen, in denen man durch alle Angriffe durch muss. Psychisch muss ein Spieler natürlich auch top aufgestellt sein, aber ich habe sehr viele Einzelgespräche und auch Gruppengespräche geführt, um das mentale Bewusstsein zu stärken. Es gibt keine Grenzen, außer die, die du dir selbst auferlegst. Wer sagt denn von vornherein, dass Bayern München Meister wird? An diesen Dingen habe ich immer mit den Spielern gearbeitet. Dadurch verändern sie ihr Denken, verlassen ihre Komfortzone und sehen Dinge, die sie ständig hören, beispielsweise, wie toll die Bayern sind, nicht als das Amen in der Kirche an. So habe ich immer Impulse vorgegeben, und die Mannschaft hat das dann reflektiert – manches vielleicht abgelehnt, – aber es hat immer zum Nachdenken angeregt.

In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder Fußballtrainer, die Besonderes bewirkt haben. Sie haben in meinen Augen im Motivationsbereich unheimlich viel nach vorne gebracht. Ralf Rangnick hat erklärt ,wie Fußball funktioniert. Jetzt gibt es Nagelsmann, der in seinen jungen Jahren den Fußball vielleicht nicht neu erfindet, ihn aber besser strukturiert. Sehen Sie das ähnlich?

Christoph Daum: Auf der einen Seite sehe ich das ähnlich. Allerdings schmunzele ich immer darüber, wie einfältig Journalisten sind. Es gibt Dinge, die sind so oft wiederholt worden, dass wir sie als natürliche Weisheiten angenommen haben. Ralf Rangnick hat einmal im Sportstudio etwas an der Tafel erklärt und hat dadurch von den Journalisten ein Image bekommen. Felix Magath hat das Quälix-Image bekommen. Es werden immer wieder Schubladen aufgemacht, in die wir reingesteckt werden. Zu Julian Nagelsmann möchte ich sagen, dass er genau versteht, was heute gefordert ist. Er versteht es, ein Mitarbeiterteam und eine Mannschaft zu führen. Das Mitarbeiterteam ist heutzutage größer als die Mannschaft, das vergessen viele. Dieses Team ist voller Experten, die enorm wichtig sind und ihre Wichtigkeit auch immer wieder unter Beweis stellen. Diese Mitarbeiter vernünftig zu führen, ist eine riesige Koordinationskompetenz. Innerhalb der Mannschaft haben wir ja auch eine Ansammlung vieler „Ich-AGs“ in finanziellen Sphären, die man nicht außer Acht lassen sollte, vor allem bei Bayern München. Um auf der nächsten Ebene zu moderieren, wie es Julian Nagelsmann macht, gehört schon eine unheimliche Reife dazu. In seinem Alter war ich nicht so weit, obwohl ich schon in der Bundesliga war. Er ist überall auf dem neuesten Stand, bildet sich permanent weiter und ist bereit, ständig dazu zu lernen. Sehr interessant fand ich, dass er sich trotz dieser Verwissenschaftlichung des Fußballs, die manchmal ein bisschen zu weit geht, immer noch im Klaren ist, inwieweit Fußball ein Spiel der Emotionen ist. Er versteht, diese Emotionen zu kanalisieren und er versteht es auch, Emotionen in die Mannschaft zu transportieren. Julan Nagelsmann ist einfach klasse, aber auch Jürgen Klopp ist klasse. Wie er sich in Liverpool zunächst zurechtfinden musste, denn es war nicht sofort die Erfolgsstory. Aber wie er sich dann auf die Besonderheiten des englischen Fußballs eingestellt hat, war fantastisch. Auch hier sieht man wieder, wie wichtig es ist, als Trainer offen zu sein, zuhören zu können und lernbereit zu sein. Lernanpassungsfähigkeit ohne deine Stärken aufzugeben – das ist wichtig! Es bringt nichts, wenn ich von meinem Anspruchsniveau herunter gehe, um mich dem bestehenden Anspruchsniveau anzugleichen, sondern ich muss versuchen, das bestehende Niveau auch entsprechend zu erhöhen. Du musst ein Bessermacher sein und darfst kein Besserwisser sein!

In den letzten Jahren habe ich doch immer wieder gelesen, dass unser Jugendfußball reformiert werden müsste. Für die Jugend im Fußball bestehen nur noch taktische Zwänge. Wie soll da eine Änderung herbeigeführt werden? Die Nachwuchsleistungszentren müssten ihre Arbeit ändern. 

Christoph Daum: Wir Deutschen sind ja oft so, wenn etwas schief läuft muss es sofort ins Gegenteil gewendet werden, wie zum Beispiel: Ballbesitzspiel ist out. Ballbesitzspiel wird nie out sein! Das ist Schwachsinn! Was Hermann Gerald sagt, ist eigentlich, dass neben der taktischen Ausbildung den Spielern auch individuelle Freiräume zustehen müssen. In Spanien wird das bereits gut praktiziert – das macht übrigens ein Deutscher. Kinder bis zu einem gewissen Alter spielen nur in einem Kleinfeldbereich 3 gegen 3, um möglichst viele Ballkontakte zu haben. Ich weiß nicht, was es bringen soll, wenn im unteren Altersbereich schon so früh mit Meisterschaften und Tabellen angefangen wird. Die Frage ist, wo und wann gibt es dann den Übergang zu größeren Gruppen mit mehr Spielern und dann eben auch mit wie vielen Spielern. Sollen es erstmal sieben Spieler sein oder gleich elf? Dazu sind sehr viele Diskussionen im Augenblick im Gange. Es gibt Pilotmodelle. Der niedersächsische Verband hat sich als erster auf die Fahne geschrieben, sein Jugendkonzept umzustellen. Vorreiter war Hannover 96. Wir müssen eine größere Individualisierung eingehen, ohne die anderen Dinge des Zusammenspiels, des Kommunikationsspiels, des Gruppenverhaltens und Mannschaftsverhaltens außer Acht zu lassen. Die Frage aus methodisch didaktischer Sicht ist, welche Ausbildungsschwerpunkte in welchem Alter gesetzt werden. Die Konzepte sehen immer sehr gut aus. Für mich ist es wichtiger, wie die konkreten Inhalte aussehen, und noch wichtiger ist es, wie die Umsetzung aussieht. Daran müssen wir arbeiten. Ich habe dem DFB vorgeschlagen, dass wir in der Jugendtrainerausbildung parallel zum Fußballlehrgang fast einen ähnlichen Nachwuchstrainerlehrgang etablieren müssen. Der muss mindestens über ein halbes Jahr andauern. Ich würde mich auch sehr freuen, wenn die Bundesligavereine in ihrer jeweiligen Region mit ihren Jugendtrainern in die kleinen Vereine gehen, um dort den Jugendtrainern, die auch oft ehrenamtlich arbeiten, Hilfen an die Hand zu geben. Der Profifußball muss wieder auf die Basis zugehen, in dem er ihr die Hand reicht.