Zurzeit wird oft darüber gesprochen, dass die Bundesliga im Vergleich zu anderen Ligen schwächer geworden ist. Sehen Sie das auch so?

Hans-Peter Briegel: Sicherlich. Wenn man die Ergebnisse des letzten Jahres sieht. Die deutschen Mannschaften sind in internationalen Wettbewerben ja relativ früh ausgeschieden. Ziel der Mannschaften ist es, in die Europa-League zu gelangen und wenn sie es geschafft haben, scheiden sie schnell wieder aus und beschweren sich. Auf der einen Seite wollen sie sich qualifizieren und auf der anderen Seite jammern sie, wenn sie eine herausfordernde Aufgabe annehmen müssen.

Aber ist es nicht auch so, dass ein Fußballer lieber spielt als dass er trainiert?

Hans-Peter Briegel: Wir mussten früher auch in einem Mittwoch-Samstag-Rhythmus spielen und waren noch zusätzlich für die Nationalmannschaft tätig. Das hat sich heute geändert. Heute fallen die Spiele der Bundesliga aus. Ich hatte mich früher über die ganzen Spiele gefreut, dann musste ich nämlich weniger trainieren. (lacht)

Oder ist es vielleicht eher eine Kopfsache?

Hans-Peter Briegel: Das Problem der meisten Mannschaften ist, sie bereiten sich vor, spielen dann acht oder neun Spiele und sagen dann schon, dass die Saison Kraft gekostet hat. Nach so kurzer Zeit! Da wundere ich mich immer. Aber um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen – die Bundesliga ist, mit Ausnahme von Bayern München, schwächer geworden. International sind sie momentan nicht in der Lage, weiterzukommen. Nur Bayern gehört zur absoluten Spitze. Deshalb wundere ich mich auch immer über die Leute, die sich freuen, wenn Bayern verliert. Da würden wir ja noch einen weiteren Startplatz verlieren. Da denken viele Leute nicht drüber nach. Oder es ist ihnen egal. Im internationalen Vergleich muss ich immer für Deutschland sein und das sind viele nicht.

Auf der einen Seite heißt es, die Bundesliga verliert an Qualität, doch auf der anderen Seite befindet sich die Nationalmannschaft auf einem unheimlich hohen Level.

Hans-Peter Briegel: Das haben wir den Leistungszentren zu verdanken, dass wir eine Nationalmannschaft haben, um die uns andere Länder beneiden. Wir haben einen Kreis aus bestimmt 50 Spielern, die locker bei der WM teilnehmen könnten. Das fängt beim Tormann an und hört beim Stürmer auf. Andere Mannschaften haben diese Breite nicht. Das haben wir uns mit den Nachwuchsleistungszentren aufgebaut, die der DFB installiert hat. Das hat uns in den letzten 15 Jahren weitergeholfen.

Wie ist es denn für einen aktiven Fußballer – ist die Nationalmannschaft oder die Champions League aufregender? Oder macht man hier keinen Unterschied?

Hans-Peter Briegel: Für einen Spieler ist es natürlich das Größte, in der Nationalmannschaft zu spielen. Aber auch die Champions League ist mittlerweile auf einem ähnlichen Niveau. Wenn man in Europa die Champions League gewinnt, ist es so, wie wenn man die Europameisterschaft gewinnt.

Der Fußball hat heute ja eine ganz andere Präsenz als damals als Sie aktiv waren. Auch die Medienpräsenz hat sich verändert. Es ist viel wirtschaftlicher geworden. Sind Sie froh, dass Sie zu einem früheren Zeitpunkt gespielt haben?

Hans-Peter Briegel: Man denkt, als Spieler würde man heute mehr Geld verdienen. Aber alles hat seine Zeit. Bei Fritz Walter war es genauso. Ich durfte ihn noch kennenlernen und war auch befreundet ihm. Er erzählte mir, dass er froh war, zu seiner Zeit aktiv gewesen zu sein. So geht es mir auch. Man kann sich nicht aussuchen, wann man geboren wird. (lacht) Ich bin froh, dass ich damals gespielt habe, und war sehr zufrieden. Das Geld war für mich auch zweitrangig. Ich bekam, in der Zeit als ich beim FCK gespielt habe, ein Angebot von Real Madrid. Ich wollte aber lieber zu Hause bleiben. Für mich gab es einen Verein, und das war Lautern. Vielleicht provinziell gedacht, ich bin in Rothenbach aufgewachsen und in Kaiserslautern geboren, ich konnte mir niemals vorstellen in einer anderen Mannschaft zu spielen und habe daher auch auf viel Geld verzichtet. Mit dem FCK stand ich 1981/82 gegen Real Madrid im Finale und wir haben sie rausgeboxt mit 5:0. Zu diesem Zeitpunkt war Boskov bei Real Trainer und er wollte mich später verpflichten. Das war mein erstes Angebot.

Markus Eisel (rechts) sprach mit Hans-Peter Briegel. (Foto: privat)

Ging dieses Angebot zuerst an Sie oder an den Verein?

Hans-Peter Briegel: Das ist zuerst an mich gegangen. Aber ich habe gleich abgesagt.

Haben Sie diese Entscheidung jemals bereut?

Hans-Peter Briegel: Nein, sonst wäre ich ja nicht nach Verona und Genua gekommen. (lacht)

Ich dachte nur, dass Real Madrid etwas ganz Besonderes ist.

Hans-Peter Briegel: Ja, das war damals auch schon so, aber trotzdem konnte ich mir das nicht vorstellen. Vielleicht war ich auch noch zu jung. Ich war gerade mal 26 Jahre alt. Ländlich, auf dem Bauernhof aufgewachsen – die große Welt war nicht so mein Ding. Und zwei Jahre später bin ich dann aus dem einfachen Grund nach Verona, dass ich keine guten Spiele mehr gespielt habe – die Zuschauer haben sogar angefangen zu pfeifen. Der FCK hatte nicht viel Geld und aus finanzieller Sicht fing die Sache an zu kippen. Eigentlich hätte ich noch einen Vertrag für zwei Jahre gehabt, aber Udo Sopp stimmte dem ganzen zu, wir haben erst mit Neapel verhandelt, die entschieden sich dann für Maradona und drei Wochen später kam Verona. In Paris, wo die Europameisterschaft war, habe ich dann meinen Vertrag unterschrieben. Im Trainingslager mit der Nationalmannschaft – das würde es heute auch nicht mehr geben. (lacht)

Zu diesem Zeitpunkt gab es noch eine Ausländerbeschränkung, wenn ich mich richtig erinnere.

Hans-Peter Briegel: Es durften nur zwei Spieler einer Mannschaft aus dem Ausland kommen. Später waren es drei. Ich fand das damals gar nicht schlecht. Ich habe noch in einer richtig italienischen Mannschaft gespielt. Heute spielt man im Europapokal gegen eine Mannschaft, die zwar einen englischen Namen trägt, aber keine englischen Spieler mehr hat. Die Spieler werden zusammengewürfelt.

Sie waren auch ein erfolgreicher Trainer. Die Trainingsinhalte und die -lehre haben sich stark verändert. Kommt man irgendwann an einen Punkt, an dem man merkt, dass man die neuen Anforderungen nicht mehr bewältigen kann?

Hans-Peter Briegel: Nein, das würde ich so nicht sagen. Zu dem Zeitpunkt, als ich aufgehört habe – das war 2008 –, da war die Trainingssteuerung schon wie sie heute auch ist. Es wurde weniger trainiert, dafür intensiver. Es gab einen ganz anderen Trainingsaufbau. Da hat sich zu heute nicht viel geändert.

Heute wird weniger trainiert als damals?

Hans-Peter Briegel: Ja. Es wird weniger trainiert, aber anders. Effektiver für den Körper und deshalb sind die heutigen Spieler auch fitter. Bei unserem Training sind wir früher mehr gelaufen als während des Spiels. Man hat gedacht, wenn der Spieler trainiert, muss er 20 km durch den Wald laufen. Das würde heute kein Mensch mehr machen. Das war bekloppt! Ich habe einmal, das ist kein Scherz, in Kaiserslautern, während eines Trainings, nicht mehr aus dem Wald rausgefunden. Irgendwann sind wir in Johanniskreuz rausgekommen. Wir wussten ja nicht, wo wir sind. Eine alte Frau hat uns dann von dort wieder zurück gefahren. Wir waren zu Dritt und danach bekamen wir noch von Trainer Ribbeck einen Anschiss. (lacht) Das war beim ersten Training. Wir sind nicht mehr nachgekommen und sind kreuz und quer gelaufen. Das muss man sich mal vorstellen.

Es gibt heute einige Talk-Sendungen zur Berichterstattung von Fußball. Würden Sie an so einer Runde teilnehmen?

Hans-Peter Briegel: Ich hatte schon Anfragen, aber heute, da der FCK nicht mehr oben mitspielt ist, ist das eher uninteressant. Außerdem ist das nicht so mein Ding. Das ist mir zu viel theoretisches Gerede. (lacht)

Sie sind eine Ikone für den 1.FC Kaiserslautern. Warum sind Sie im Nachgang nie so installiert worden wie ein Fritz Walter?

Hans-Peter Briegel: Fritz Walter wurde auch nicht installiert. Die meisten vergessen, dass Fritz Walter in den 60er Jahren über zehn Jahre gar nichts mehr mit dem FCK zu tun haben wollte. Er war als Berater für einen anderen Verein tätig. Da gab es Leute an der Spitze, die ihn nicht wollten und die er nicht wollte. Er ist zwar immer derjenige, bei dem man sagt, er stehe für den FCK, für die Tradition. Aber er hatte keinerlei Funktion. Er hat den 1. FCK repräsentiert, ohne dass der FCK etwas dafür gekonnt hätte.

Aber der FCK ist doch auch Ihr Verein.
Hans-Peter Briegel: Der FCK ist auch mein Verein, das stimmt. Egal wo ich hinkomme, ob im In- oder Ausland, die Leute sprechen mich immer zuerst auf den FCK an.

Die Bayern machen es ja eigentlich richtig, die integrieren ihre ehemaligen Stars. Ist es nicht ein Fehler, wenn Vereine wie der 
1. FCK das nicht machen?

Hans-Peter Briegel: Der 1. FCK hat das auch gemacht. Aber es kann auch nicht jeder integriert werden, der einmal bei diesem Verein gespielt hat.

Sind Sie zuversichtlich, was die neue Runde anbelangt?

Hans-Peter Briegel: Das Problem ist – und das hatte der KSC im letzten Jahr übrigens auch –, dass sie mit einer ganz neuen Mannschaft in die neue Runde gehen müssen und sich auf die Drittliga-Bedingungen einstellen müssen. Das muss sich alles erst einspielen. In den letzten Jahren war das anders, da gab es zumindest einen Grundstock an Spielern, die schon länger in der Mannschaft waren. Und bis zur letzten Saison haben wir ja in der Zweiten Bundesliga auch oben mit um den Aufstieg gespielt. Zwei Mal haben wir es nur ganz knapp verpasst. Jetzt bleiben nur sechs Spieler dabei, es kommen also fast 20 neue dazu. Und die muss ich bis zum Trainingsbeginn im Juni erst mal finden. Der Etat für die Dritte Liga ist dabei aber nicht besonders hoch. Man muss heftige Abstriche machen. Beim KSC war das auch so und es hat einige Spiele gedauert, bis sich der Verein wieder gefunden hat – nach ein paar Spielen waren sie Zweitletzter! Dann hat der Trainer gewechselt und seitdem lief es besser.

Stimmen Sie auch in das klare Lied ein mit den Traditionsvereinen und den Retortenclubs?

Hans-Peter Briegel: Für mich gibt es zwei, drei solcher so genannter „Retortenvereine“. Bayer Leverkusen zähle ich da nicht dazu, dieser Werksklub hat schon seit den 60er Jahren Tradition. Aber Wolfsburg, Leipzig und Hoffenheim kann man schon zu dieser Kategorie zählen. Andererseits könnte ein Traditionsverein wie Kaiserslautern auch froh sein, wenn es einen großen Geldgeber gäbe.

Wer wird Ihrer Meinung nach in diesem Jahr Weltmeister?

Hans-Peter Briegel: Ich habe auf Deutschland getippt. Brasilien war übrigens 1958 und 1962 das einzige Land, das es geschafft hat, zweimal hintereinander Weltmeister zu werden. Das ist eine große Leistung. Es wird bestimmt eng für uns. Man hat zum einen große Schwierigkeiten damit, den richtigen Kader zu finden, dann gibt es Probleme mit dem Tormann – ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich möchte nicht die Qual der Wahl haben, das ist erdrückend.

Denken Sie in dieser Zeit auch an Ihre Zeit bei der Nationalmannschaft zurück?

Hans-Peter Briegel: Da kommt man zwangsläufig drauf, wenn man Interviews gibt und über aktive Zeiten spricht. Vor allem weil ich auch bei Spielen dabei war, die besonders im Fokus standen. Zum Beispiel 1982 im Halbfinale gegen Frankreich, es stand 1:1. Das Finale von 1986 sieht man heute noch immer im Fernsehen. Man sieht mich immer dem Ball nachrennen – ich rannte dem Ball jedes Mal nach. (lacht)

Tut das noch weh, wenn man das heute sieht?

Hans-Peter Briegel: Ach was! Man wird immer nur auf eine Szene reduziert. Aber in diesem Spiel, das kann man in allen Zeitungen nachlesen, war ich der beste Mann auf dem Platz. Ich bin um mein Leben gelaufen auf zweieinhalbtausend Metern Höhe! Das war gegen Argentinien. Aber auf die eine Szene wird man reduziert – so ist es nun mal.

Briegel gegen Rummenigge, das war für mich immer das Duell in der Bundesliga. Auf hohem Niveau – ein sehr faires Duell.

Hans-Peter Briegel: Ich war immer einer der fairsten Spieler, die es überhaupt gab. Das glaubt mir nur niemand. Man sagt immer, ich hätte jemanden umgerannt und hätte gefoult. Gut, gegen Maradona bin ich manchmal ein bisschen dagegen gegangen. (lacht) Aber in 72 Länderspielen habe ich nie eine gelbe Karte bekommen.

Haben Sie noch Kontakt zu ehemaligen Mitspielern?

Hans-Peter Briegel: Ja, mit Karlheinz und Bernd Förster treffe ich mich noch regelmäßig. Gerade waren wir zusammen in Frankreich essen.

Man spricht immer davon, dass man als Sportler in einer Blase lebt. Als die Karriere zu Ende ging, war das für Sie ein Bruch?

Hans-Peter Briegel: Anfangs bin ich schon in ein Loch gefallen. Aber das ist nun mal so. Die Welt dreht sich weiter und es kommen neue Spieler und man gerät in Vergessenheit. So geht es vielen Spielern. Für mich war das immer sekundär. Mir war immer bewusst, dass es irgendwann so weit kommen wird.

Und dann wurden Sie Trainer in Edenkoben und mussten wahrscheinlich von Ihrem professionellen Denken erst einmal Abstand nehmen?

Hans-Peter Briegel: Ja, wobei das alles super Jungs waren. Der älteste Spieler war damals 
25 Jahre alt. (eis)