Michael Groß in seiner aktiven Zeit als Schwimmer. (Foto: IMAGO/Alfred Harder)

Steckbrief: Michael Groß

  • Geboren am 17. Juni 1964 in Frankfurt am Main
  • Erfolgreichster deutscher Schwimmsportler
  • 21 Titelgewinne bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften
  • Erzielte drei Olympia-Siege, fünf Weltmeistertitel und dreizehn Europameister-Titel
  • Stellte zwölf Weltrekorde und 24 Europarekorde auf
  • Wurde für seine sportlichen Erfolge mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet
  • Selbstständiger Unternehmensberater 
  • Besitzt seit 2003 einen Lehrauftrag an der privaten Universität Frankfurt School of Finance and Management

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Herr Groß, wie geht es Ihnen denn körperlich nach so vielen Jahren im Leistungssport?

Michael Groß: Das ist bei mir ja schon seit über 30 Jahren vorbei. Insofern kann ich nicht sagen, dass ich damit noch zu kämpfen habe. Es ist eher das normale Fithalten, was mich derzeit beschäftigt. 

Mussten Sie direkt nach Abschluss Ihrer Karriere „abtrainieren“?

Michael Groß: Ja, tatsächlich. Das Abtrainieren dauert so drei bis vier Jahre. Ich habe mich für den Triathlon entschieden, der stand damals noch in den Anfängen. Das war aber eine schöne Abwechslung. 

Nicht schlecht, zum Abtrainieren Triathlon ist schon witzig (lacht).

Michael Groß: Ja, es war eine schöne Sache (lacht). 

Sie haben unglaublich viele Erfolge erzielt, unter anderem Olympiasieger, Weltmeister, Europameister. Nimmt man diese Erfolge gleich wahr oder dauert es etwas, bis man sich dessen bewusst wird?

Michael Groß: Nein, das passierte in der Sekunde, in der ich anschlug. Man arbeitet sehr lange darauf hin und so war es mir auch sofort bewusst.

Würden Sie sagen, dass Ihnen als Schwimmer viel Talent aus Ihrer Familie mitgegeben wurde?

Michael Groß: Ich sage immer, es handelt sich um Talent, Willen und Wissen. Was nützt einem das größte Talent, wenn es nicht ausgebildet wird und es sich nicht permanent weiter entwickelt. Ich kenne von früher mindesten zwei Schwimmer aus meinem Schwimmverein, die mindestens genau so talentiert wie ich waren, aber sie haben das Talent nicht weiterentwickelt. Sie haben nicht wie ich beispielsweise am Sonntagmorgen zwei Stunden trainiert, nachdem wir um drei Uhr aus der Disco kamen. Wer besser sein will, muss permanent dranbleiben und ständig neue Akzente setzen. Jedes Talent ist extrem geduldig, wenn man es nicht ausbildet.

Wobei Siegeswille und Ehrgeiz auch vorhanden sein müssen.

Michael Groß: Das kommt auch ein bisschen auf die Sportart an. Beim Schwimmen haben wir ja keinen Gegner, mit dem wir in direktem Kontakt stehen. Hier kommt es darauf an, dass man zur richtigen Zeit seine beste Leistung abruft. Es ist wirklich das Entscheidende, auf den Punkt fit zu sein und abzuliefern – das war meine große Stärke. 

Schaut man nicht nach links und rechts beim Schwimmen? Haben Sie sich nur auf die eigene Bahn konzentriert?  

Michael Groß: Es wird zunächst nur auf die eigene Bahn geschaut. Es macht keinen Sinn, sich auf andere zu konzentrieren, denn die kann man ja eh nicht beeinflussen. 

In den 80er Jahren wurden die sportlichen Ansetzungen auch in gewisser Weise politisch taktiert oder? Es war schon ein bisschen ein Kampf der Systeme.

Michael Groß: Das hat man so nicht wahr genommen und es hat mich auch nicht beeinflusst. Ich hatte immer Kontakt mit Sportlern aus der DDR, auch mit russischen Schwimmern, der sogar bis heute noch besteht. Über die Sozialen Medien geht das ja super. Damals haben wir wegen den Stasi-Leuten aufpassen müssen, unsere ostdeutschen oder russischen Schwimmer nicht durch zu viele Kontakte in die Bredouille zu bringen. 

Ich kann mich noch gut an die EM 1987 in Straßburg erinnern. Der Kontakt zwischen den Schwimmern aller Nationen war relativ eng, es gab keinerlei Abgrenzung.

Michael Groß: Stimmt, ganz wenig. Wir mussten einfach bestimmte Tabu-Zonen respektieren, unter anderem nicht zu viel Kontakt in der Öffentlichkeit. Wir waren Gegner, haben uns aber natürlich ausgetauscht. Legendär waren immer die Aktionen der Masseure und der Ärzte. Sie haben zum Ende des Wettkampfes immer alles im Behandlungsraum stehen lassen, da die Menschen in der ehemaligen DDR nicht viel hatten. Teure und gute Massageöle zum Beispiel.

War für Sie Olympia das Größte, was man als Sportler erreichen kann, auch im Vergleich zu einer WM?

Michael Groß: Rein sportlich gesehen ist es im Schwimmen exakt dasselbe. Bei der WM als auch bei den Olympischen Spielen starten nur zwei Schwimmer. Olympische Spielen besitzen eine ganz andere Aura und eine andere Dynamik. Man sieht, dass die Australier und Amerikaner sich für die Olympischen Spiele ganz anders vorbereiten und ein ganz anderes Augenmerk darauf legen. Man ist natürlich ein Leben lang Olympia-Sieger, aber irgendwann Ex-Weltmeister (lacht). 

Das ist etwas, was ich noch nie verstanden habe… Sie sind doch trotzdem Weltmeister. 

Michael Groß: Nein, Ex-Weltmeister. Der Titel rolliert ja. Das ist wie im Fußball. Man ist amtierender Deutscher Meister und dann ist man eben der ehemalige Deutsche Meister. 

Die Olympischen Spiele haben begonnen. Die Durchführung war lange unklar. Wie sehen Sie das? 

Michael Groß: Das war die Entscheidung der Japaner. Letztendlich sind sie der Ausrichter und wir können die dortige Lage von Deutschland aus gar nicht beurteilen. Gesagt sei, dass ohne Impfung keine Athleten nach Tokio entsendet werden könnten, das gilt nicht nur für deutsche Athleten, sondern für alle anderen auch. Das Wichtigste ist, dass alle Beteiligten gesund und munter hinfahren und auch gesund und munter wieder zurückkommen. 

Es gab zeitweise eine Bewegung gegen die Durchführung der Spiele …

Michael Groß: Das mag sein. Ich habe dazu auch so einiges gelesen und es ist ja klar, dass dieses Thema in Japan absolut diskussionswürdig war. Ob wir das gut oder schlecht finden, spielt absolut keine Rolle. 

Für einen Sportler muss es doch sehr tragisch sein, wenn er somit nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen kann.

Michel Groß: Ja klar, das hatte ich damals ja auch durch den Boykott. 

Da waren Sie ja noch sehr jung.

Michael Groß: Genau. Es war bei uns Schwimmern für Klaus Steinbach beispielsweise eine Katastrophe damals. 

Welche Rolle hat beim Sport die Psyche gespielt?

Michael Groß: Klar, Körper und Geist sind im Sport gefordert und wie ich eben schon sagte, liegt die Kunst im Schwimmen, dass man zur Stunde X, wie zum Beispiel bei den Olympischen Spielen, seine absolute Top-Leistung abruft. Das ist auch eine absolute Kopfsache. Für mich war der eigentliche Wettkampf immer das Tollste! Dafür habe ich schließlich trainiert. 

Sie haben es geschafft Ihre Karriere auf einem Top-Niveau zu beenden. Das kann auch nicht jeder. War es geplant, dass Sie auf diesem hohen Level aufhören?

Michel Groß: Das war damals absolut geplant. 1991 hatte ich mir vorgenommen mit 26,5 Jahren nochmal die Weltmeisterschaft zu schwimmen. Aber danach hatte ich einfach andere Pläne, weshalb ich dann auch aufgehört habe. 

Sie sind unheimlich vielseitig – Autor, Dozent, Redner, Unternehmer… Wie bekommen Sie das mit einem 24-Stunden-Tag alles geregelt?

Michael Groß: Es stimmt, es handelt sich um eine große Vielfalt, wobei alles inhaltlich schon miteinander zu tun hat. Heute Nachmittag bin ich beispielsweise vier Stunden an der Uni, leider durch die Corona-Lage nur per Zoom. Über die Masterarbeiten, die ich an der Uni betreue, bekomme ich den aktuellen Kenntnisstand dessen, was in der Wissenschaft zu meinen Themen los ist. Halte ich Trainings und Vorträge, profitieren diese wiederum von meiner Beratungstätigkeit. Es hat alles inhaltlich sehr viel miteinander zu tun. Schlussendlich fasse ich mit meiner Autorentätigkeit das Ganze dann noch zusammen. Meine Bücher enthalten das Wichtigste, was ich in den anderen Bereichen erarbeite.   

Mit Ihrer Frau haben Sie das Buch „Das Beste liegt vor uns“ geschrieben. Kann man den Titel wortwörtlich nehmen?

Michael Groß: Ja, es steckt viel positive Lebenshaltung in dem Buch drin. Wir mussten während der Corona-Pandemie einige Rückschläge verkraften, in privater Hinsicht. Das hätte ich mir vor eineinhalb Jahren so nicht vorstellen können. Als es um Menschen ging, die schwer erkrankten oder sterben mussten, kamen wir natürlich schon ins Zweifeln und Grübeln. Oder auch bei Menschen und Familien, die zurzeit schweren Herausforderungen gestellt sind, sei es die Kinderbetreuung oder Homeschooling – ich sehe das bei mir ja auch im nahen Umfeld. Der Blick geht letztendlich in die Zukunft, nämlich wie oder was können wir von Corona mitnehmen und positiv gestalten und nicht in dieselben Muster wie vor der Pandemie zurückfallen. Da bin ich mal gespannt, wie das funktioniert. Werden wir alle wieder wie früher wie die „Lemminge“ Urlaub machen oder wird ein Prozess des weiteren Nachdenkens und der nachhaltigen Verhaltensänderungen beginnen?

Bei mir ist das Glas immer halb voll. Es ist wichtig auch positiv in die Zukunft zu blicken. Durch die Corona-Pandemie kann man schon Einiges mitnehmen – auch positiv.

Michael Groß: Wir sind gerade im Unternehmen auch dabei zu diskutieren, welche Chancen sich durch die Pandemie ergeben. Vom Homeoffice ins Officehome – wie sieht eigentlich die neue Arbeitswelt aus? Das ist ein Thema, welches uns gerade bei manchen Kunden beschäftigt. Dabei geht es darum, dass wir in Zukunft zuhause arbeiten können und wir im Büro arbeiten wollen. Es sollten gewisse Einschränkungen, die wir zur Corona-Zeit hatten, jetzt nicht zum Standard werden. Nach dem Motto: Unsere Leute dürfen nur noch maximal zwei Tage die Woche im Büro arbeiten, um beispielsweise Kosten zu sparen. Das wäre genau das Falsche. Das haben wir leider schon erlebt, so dass hier leider aus der Corona-Lage die falschen Schlüsse gezogen werden. 

Wenn ich das richtig deute, fordern Sie bei den Unternehmen eine gewisse Selbstbeteiligung der Mitarbeiter ein. 

Michael Groß: Ja genau, es ist einfach ein Geben und ein Nehmen und eine Hol- und Bringschuld. Es tun sich manchmal auch die Mitarbeiter schwer, dass sie auch eine Holschuld haben. Bisher war es häufig so, die Führungsposition hat die Bringschuld und die Mitarbeiter sitzen da und werden „bespielt“. In bestimmten Kontexten ist es auch nach wie vor notwendig, beispielsweise in Produktionsbetrieben. Da kann nicht jeder Mitarbeiter, der in der Produktion sitzt, die Produktion neu erfinden. Das geht leider nicht. Es gibt aber viele Umfelder, in denen die Mitarbeiter Verantwortung bekommen und diese Verantwortung auch annehmen und wahrnehmen dürfen. Natürlich ist dazu nicht jeder geboren. Es ist nicht so, dass jeder vor Freude strahlt und sagt „Oh super, ich habe jetzt ein neues Verantwortungsprofil und kann jetzt selbst gestalten“, sondern es gibt eben Mitarbeiter, die wissen möchten, was sie tun sollen und innerhalb dessen, was sie tun sollen, möchten sie gewisse Freiräume. Diese verschiedenen Wirklichkeiten müssen in einem Unternehmen Platz finden. Wir arbeiten viel mit Führungskräften, um ihnen diese „Beidhändigkeit“ beizubringen. Nach wie vor wird es in Zukunft die klassische Führung geben – transaktional nennt man das in unserer Fachsprache. Hier gibt man an, was die Mitarbeiter tun und leisten sollen. Gleichzeitig gibt es Situationen – Stichwort transformationale Führung – in denen man die Mitarbeiter erfolgreich macht, Netzwerke schafft, als Führungskraft Brückenbauer ist und die Mitarbeiter von selbst „laufen“. Das geht alles parallel. 

Den Mitarbeitern muss auch etwas zugetraut werden und der Kontrollmechanismus sollte etwas reduziert werden. 

Michael Groß: Genau.

Wie oft werden Sie denn beispielsweise von Ihren Kunden oder Studenten noch als der Schwimmer Michael Groß erkannt?

Michael Groß: Von den Studenten ganz selten (lacht). Sie erfahren das häufig über die Eltern oder über die Sozialen Medien. In der Regel finden sie das ganz cool, aber es hat ehrlich gesagt keine große Bedeutung. 

Es ist aber schon schön, wenn man aufgrund seiner sportlichen Karriere wiedererkannt wird. 

Michael Groß: Ja klar!