(Foto: André Kowalski)

Steckbrief

Jürgen von der Lippe

Geboren:  8. Juni 1948 in Bad Salzuflen
(als Hans-Jürgen Hubert Dohrenkamp)
1980 bis 1984: „WWF-Club“ 158 Folgen
1984 bis 1989: „So isses“ 56 Folgen
1989 bis 2001: „Geld oder Liebe“ 90 Folgen
1994: 1. Adolf Grimme Preis für „Geld oder Liebe“
1995 bis 2000: „WAT IS“ – 188 Folgen
1996: Bambi für „TV Moderation“
2019: Deutscher Fernsehpreis


 

Sie sind nicht nur bekannt und beliebt als Fernsehmoderator, sondern auch als Entertainer, Schauspieler, Musiker, Hörbuchsprecher und Autor. In welcher Rolle fühlen Sie sich denn am wohlsten?

Jürgen von der Lippe: Ich fühle mich vor allem mit der Mischung wohl. Das Fernsehen hat für mich allerdings keine Bedeutung mehr. Ich habe die goldenen Zeiten miterlebt und so, wie das heute gemacht wird, ist das nichts mehr für mich. Da sitzen 20 junge Menschen um einen Tisch und alle wissen, wie Comedy geht. Das ist das große Missverständnis unserer Zeit. Jeder Psychologe weiß, dass Brainstorming nichts bringt. Dennoch wird es gemacht. Dabei kommt natürlich nur Durchschnitt raus, weil etwas kühnere Ideen immer gleich abgebügelt werden. Dazu kommt, dass alle Angst davor haben, irgendwelche Leute zu verprellen, politisch zu unkorrekt oder zu exotisch zu sein oder dass sich irgendwelche Gruppen aufregen könnten. Das ist nicht meine Welt. Da mache ich lieber meinen eigenen Stiefel und keiner redet mir rein. Auf der Bühne fühle ich mich natürlich sauwohl. Aber auch das Schreiben hat mittlerweile bei mir Suchtcharakter entwickelt, weil ich darauf achte, dass ich so gut wie jeden Tag etwas schreibe. Wenn man in Übung bleibt, kann man es gut abwenden, irgendwann einmal vor einem leeren Blatt Papier zu sitzen. Ich habe ohne Übertreibung über 100 angefangene Stücke, in die ich immer mal wieder reinlese. Und wenn mich an irgendeiner Stelle die Muse küsst, schreibe ich weiter. Schreiben ist also wirklich ein wichtiger Teil meines Lebens. Aber dennoch ist die Bühne der Mittelpunkt. Alles andere mache ich auch gerne, weil ich die Abwechslung liebe. Ich habe mir in meinem Leben auch ein paar mal Theater gegönnt, habe sogar mal ein Stück geschrieben. Theater ist ganz anders, weil es eine Ensemblearbeit ist und man als Schauspieler das Publikum eigentlich ignorieren muss. Ich habe dabei auch viel Spaß gehabt. Auch bei kleinen Fernsehgeschichten handelt es sich um eine schöne kleine Teamarbeit ohne aufwändige Vorbereitung, die improvisiert ist und bei der mir deshalb auch keiner reinreden kann – nur schneiden (lacht). 

Und die großen Fernsehgeschichten gefallen Ihnen nicht mehr?

Jürgen von der Lippe: Ich finde es schrecklich, dass einfach kein Geld mehr da ist. Man muss zwei Sendungen am Tag drehen und das noch als Reihenabwurf eine Woche lang. Wo soll da die Qualität herkommen? Dabei steht man nur mit dem Rücken zur Wand und liefert durchgehend. Es werden außerdem im Inneren der Hierarchie ständig neue Posten geschaffen. Die braucht aber niemand. Es handelt sich nur um eine paar Leute mehr, die Ideen abschmettern. Als ich anfing, gab es nur einen Unterhaltungschef, darüber war der Intendant. Mittlerweile hat man fünf Frühstücksdirektoren und dazwischen Posten, wo man sich fragt, wozu?

Es ist nicht mehr so einfach, wie in den goldenen Zeiten?

Jürgen von der Lippe: Einfach war es nie, jetzt aber ist es ärgerlich.

Sie haben einen Roman geschrieben. Obwohl Sie sagen, das Schreiben habe für Sie Suchtcharakter, sollen Sie dafür viele Anläufe gebraucht haben.

Jürgen von der Lippe: Es gab ja nicht wirklich eine Deadline. Ich wollte das aus sportlichen Gründen machen, um zu schauen, ob ich es hinkriege. Ein Roman ist eine völlig andere literarische Form als die kurzen Geschichten, die ich seit 45 Jahren schreibe. Bisher waren es Glossen, die im Grunde auch nichts anderes als Standup-Monologe sind. Die kurze Form ist deswegen so schön, weil man ein Ende vor Augen hat. Beim Roman dagegen zieht es sich. Als ich es dann aber gemacht habe, ging es relativ zügig und es hat mir unheimlich viel Freude bereitet. Dabei habe ich mich an Stephen Kings Rat gehalten, man solle nicht alles gleich am Anfang festlegen. Wenn man die Figuren und das Thema vor Augen hat, braucht man das auch nicht. In meinem neuen Roman geht es ums Fernsehen, das ist ein Thema, mit dem ich mich auskenne. Anders wäre es, wenn es das Thema Ölbohrplattform gewesen wäre. Dann hätte ich einiges nachschauen müssen, um es authentisch zu gestalten. Dieses Passierenlassen ist spannend, dabei entstehen Gedanken, bei denen man sich fragt: Woher kommt das denn jetzt? Das gefällt mir sehr gut.

Wäre das auch Ihr Tipp für jemanden, der mal ein Buch schreiben möchte?

Jürgen von der Lippe: Ja, unbedingt! Sich einfach drauf einlassen, sich treiben lassen und vor allen Dingen würde ich raten, mindestens 80 Prozent der Adjektive wegzulassen. Das ist ein häufig gemachter Anfängerfehler. Die Leute verwechseln den Gebrauch von vielen Adjektiven mit schöner Sprache. Aber das ist Quatsch. Man sollte nur das Nötigste sagen, denn schöne Metaphern brauchen keine Adjektive. Die Fantasie macht sich an anderen Dingen fest. Wenn ich zum Beispiel lese: Er grinste satanisch, dann höre ich sofort auf. Wenn jemand keine Ökonomie in der Sprache hat, bringt mich das um. Das kann ich nicht lesen. Sowieso gebe ich jedem Buch maximal 50 Seiten. Wenn es mich bis dahin nicht hat, lege ich es weg.

Wenn Sie in ein Buchgeschäft gehen, werden Sie dann eher von der Gestaltung des Covers oder vom Buchtitel angezogen?

Jürgen von der Lippe: Das Cover ist mir eigentlich egal, aber man erkennt durchaus an der äußeren Aufmachung ein gehobenes Buch. Ich liebe kleine Buchhandlungen, in denen die Besitzer einen kleinen Tisch stehen haben mit Büchern, die ihnen gefallen. Und dazu gibt es dann kleine Texte, warum die Bücher ihnen gefallen. So etwas finde ich großartig. Da habe ich schon die schönsten Entdeckungen gemacht. Ansonsten gucke ich, ob ich selber im Regal stehe.

Und welche Rubrik zieht Sie an?

Jürgen von der Lippe: Ich schaue immer bei der Rubrik Humor und auch bei Philosophie, die ja immer so ein Stiefkind ist. Sollte ich da mal etwas Moderneres finden, würde mich das freuen. Ich habe Philosophie studiert, fand das toll und würde gerne weiter in die Richtung gehen. Es gibt aber auch viel Langweiliges in der Philosophie. Ich habe mal einen Roman gelesen, in dem ein Philosoph Beratungensstunden gibt. Aber das war so belanglos.

Wenn Sie aus Ihrem Buch „Nudel im Wind“ vorlesen, sprechen Sie auch in verschiedenen Stimmen. Wie schafft man es, so viele unterschiedliche Stimmen während einer einzigen Lesung zu imitieren?

Jürgen von der Lippe: Das ist Training. Da ich öfter Hörbücher einlese und auch schon mit verschiedenen Stimmen auf der Bühne gesprochen habe, bin ich darin ganz gut – ich mache aber nur Sachen, die mir gefallen. Eigentlich ist es meine Lieblingsdisziplin. Es hat mir schon immer Spaß gemacht, Monologe, Gespräche zu dritt oder zu viert mit ganz unterschiedlichen Stimmen zu sprechen. Es ist ja auch spektakulär, wenn man mit 40 Stimmen sprechen kann.

In Ihrem aktuellen Programm geht es aber nicht nur um Ihren neuen Roman, sondern auch um Ihr „Best of bisher“… 

Jürgen von der Lippe: Ja, da trage ich die alten Sachen vor. Ich probiere bei jeder Lesung aber auch neue Texte aus, einfach weil Lesungen einem diese Möglichkeit eröffnen. Das ist wahnsinnig wertvoll. Denn erst, wenn man dem Publikum einen Text vorträgt, spürt man sofort, ob er ein guter Text ist, oder ob er mittelmäßig ist, ob man ihn dann noch als Füllmaterial benutzen kann, oder ob er völlig misslungen ist. Auch wenn die Leute nicht lachen, können Sie trotzdem gebannt sein. Nichts ersetzt den Road-Test. Und das kommt natürlich der Qualität des Buches zugute.

Was war denn das bisher Beste in Ihrem Leben?

Jürgen von der Lippe: Ich bin geneigt zu sagen: Ich hoffe das kommt noch (lacht). Ich habe so viele tolle Sachen erlebt. Das ist wirklich nicht zu beantworten. Vielleicht hängt das auch mit dem Alter zusammen, dass man nicht nur besondere Momente sammelt, sondern auch versucht, jeden Moment zu genießen und sich bewusst zu machen, was man in diesem Moment erlebt. Das ist so ein bisschen Zen. Da kann es sein, dass man morgens beim Sport auf dem Crosstrainer plötzlich feststellt, dass das Spaß macht und es gar nicht so anstrengend ist.

Jürgen von der Lippe nahm sich Zeit für ein Gespräch mit Redakteurin Patrizia Bär. (Foto: privat)

Wenn Ihnen jemand als zehnjähriger Bub’ gesagt hätte, dass Sie 2019 den Deutschen Fernsehpreis gewinnen, mal abgesehen von den vielen anderen Preisen, die Sie schon gewonnen haben – hätten Sie das geglaubt?

Jürgen von der Lippe: Nein. Es war ulkigerweise meine damalige Managerin, die ich über 40 Jahre hatte und die heute in Pension ist. Sie sagte mal zu mir, dass ich eine große Nummer im Fernsehen werden würde. Sie war Liedermacherin und sie prophezeite mir, nachdem ich eine Ansage in einem Club für einen Sänger gemacht hatte, dass ich mal ne‘ große Nummer im Fernsehen werden würde. Ich habe das aber nie angestrebt. Ich wollte immer nur auf die Bühne. Irgendwann wurde mir empfohlen, mich bei Castings u. a. beim WDR zu bewerben – ich wurde sofort genommen. Der Rest ergab sich. Es war aber überhaupt nicht in meiner Planung, ich hätte mir das nie träumen lassen.

Die Reise sollte ja erst woanders hingehen: Sie haben erst Lehramt studiert.

Jürgen von der Lippe: Das habe ich, aber gar nicht in der Absicht, Lehrer zu werden, sondern ich wollte Journalist werden. Damals bekam man den Rat, ein geisteswissenschaftliches Fach zu studieren, das einem Spaß macht, und dann zu gucken, was passiert. Dann habe ich sieben Jahre lang als Tutor für Deutsch als Fremdsprache gearbeitet. Meine Aufgabe war es, ausländische Studenten, die durch die Deutschprüfung gefallen waren, für das Studium fit zu machen. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht und ich hätte mir auch vorstellen können, das zu machen. Allerdings war es aussichtslos, in diesem Bereich einen festen Job zu bekommen.

Wie ging es weiter?

Jürgen von der Lippe: Irgendwann wollte ich in Berlin Examen machen, musste aber feststellen dass meine Fächerkombination nicht lehramtsfähig war. Entweder hätte ich noch ein Nebenfach studieren oder zurück nach Nordrhein-Westfalen gehen müssen, wo es aber gerade keine Referendarstellen gegeben hätte. Die Universitätslaufbahn habe ich ausgeschlossen, also habe ich gesagt, das war´s.

Die Liste Ihrer Fernsehsendungen ist ja sehr lang. Gibt es eine Sendung oder ein Format, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist und die Sie heute noch einmal neuauflegen würden?

Jürgen von der Lippe: Wir haben eine Promi-Ausgabe von Geld oder Liebe gemacht. Das hat sehr viel Spaß gemacht – mit Regina Halmich, Klaas und Bernhard Hoecker. Aber danach gab es drei weitere Aufzeichnungen mit jeweils einem anderen jungen Moderator und da zeigte sich wieder das heutige Problem im Fernsehen: Es gab keine Zeit für Vorbereitung, alles innerhalb von einer Woche, es wurde ein Skript umgesetzt, das kaum geprobt wurde. So kann man das nicht machen. Die eingangs erwähnte Geld-oder-Liebe-Promi-Ausgabe war nur so erfolgreich, weil wir 14 Tage lang intensiv gearbeitet haben und jeder seine Ideen mit eingebracht hat. (pdp)