Katharina Wackernagel: Für mehr Mut und Verrücktheit

Unter vier Augen: Schauspielerin Katharina Wackernagel über ihre Rolle als Nina Petersen in der ZDF-Reihe „Stralsund“ und über Veränderungen in der Filmbranche

Markus Eisel traf Katharina Wackernagel. (Foto: hea)

Steckbrief: Katharina Wackernagel
Geboren am 15. Oktober 1978 in Freiburg
Bekannt wurde die Schauspielerin 1997 durch ihre Rolle in der Fernsehserie „Tanja“.
Ihr erster großer Kinofilm war 2003 „Das Wunder von Bern“.
Zahlreiche Preise und Nominierungen erhielt sie für ihre Rolle im Fernsehfilm „Contergan – eine einzige Tablette“ (2008)
Seit Beginn der Produktion im Jahr 2008 bis heute spielt Wackernagel die Kriminalkommissarin Nina Petersen in der ZDF-Krimiserie Stralsund.


Seit 2008 gibt es die Fernsehserie „Stralsund“. Wie hat sich die Figur der Nina Petersen mit der Zeit verändert?

Katharina Wackernagel: Sie ist härter und misstrauischer geworden. Denn der eigene Freund hat zur anderen Seite gewechselt und ihr Chef hat sich als korrupt erwiesen. Andererseits ist sie aber auch erfahrener und geradliniger geworden.

Es lässt sich beobachten, dass die Entwicklung der Charaktere in Krimiserien immer in eine düstere Richtung geht.

Katharina Wackernagel: Ja, das liegt in der Natur der Sache, wenn man immer nur mit Mord zu tun hat! (Alle lachen)

Wie viel Katharina Wackernagel steckt in der Figur der Nina Petersen?

Katharina Wackernagel: Ich persönlich entwickele mich nicht in eine düstere Richtung! (lacht). Bei mir ist viel Licht! Im Grunde hat Nina Petersen gar nicht so viel mit mir zu tun. Weder bin ich so skeptisch, noch bin ich so extrem zielstrebig. Ich bin zwar ehrgeizig, wenn ich für etwas brenne. Aber bei ihr habe ich immer das Gefühl, dass ihr Ehrgeiz nicht aus der Sache heraus entsteht. Es ist auch ein Unterschied, ob man Schauspielerin ist oder tatsächlich Kommissarin. Es geht nicht darum, dass ich mich mit der Figur identifizieren kann, sondern dass ich sie glaubwürdig rüber bringen kann.

Seit 2008 ist Katharina Wackernagel in der ZDF-Reihe „Stralsund“ als Nina Petersen zu sehen. (Foto: ZDF/Gordon Timpen)

Würden Sie sagen, dass Sie in der Figur versinken?

Katharina Wackernagel: So ein Kommissar ist eine Kunstfigur. Jede Regisseurin, jeder Regisseur, mit dem wir zusammenarbeiten, hat einen anderen Ansatz. Die eine will sie realistisch zeigen und dann muss alles genau so wie bei der Polizei in der Wirklichkeit zugehen. Der andere will vor allem Film machen und bewegt sich auch ein bisschen von der Realität weg. Deswegen ist es bei so einer Figur auch nicht so leicht, über den langen Zeitraum einen Bogen zu spannen. Man könnte in einer Serie auch horizontale Linien erzählen und eine Figur über 17 oder 18 Filme sich ganz anders entwickeln lassen. Aber eine Samstagabend-Reihe wie Stralsund hat nur eine ganz minimale horizontale Ebene. Die einzelnen Fälle müssen immer abgeschlossen sein und die Charaktere dürfen sich eigentlich gar nicht zu sehr entwickeln. Das hält mich als Schauspielerin auch auf Distanz zu der Figur. Dagegen gibt es bei dem Zweiteiler “Aenne Burda” eine abgeschlossene Geschichte, die über einen Zeitraum von zehn Jahren erzählt wird. Dadurch ist man viel dichter am Leben und baut zu der Figur eine ganz andere Bindung auf. Nina Petersen ist mir zwar als Figur inzwischen sehr vertraut, aber im Mittelpunkt steht immer der Fall. Mein Interpretationsspielraum ist darauf beschränkt, wie sie an die Lösung des Falls herangeht.

Haben Sie während der Dreharbeiten auch Einfluss auf den Charakter der Figur?

Katharina Wackernagel: Alexander Held und ich sehen uns die Drehbücher frühzeitig an, nicht unserer Charaktere wegen, sondern weil wir darauf achten wollen, dass unsere Figuren irgendwie konstant bleiben. Insofern sind wir schon in einer gewissen Weise involviert, aber später ist es eigentlich selten, dass wir noch Änderungen möchten. Es läuft eigentlich alles ziemlich harmonisch ab.

Sie haben eine enorme Wandlungsfähigkeit. Ich nehme Ihnen nicht nur die Nina Petersen, ab, sondern auch die vielen – oft ganz anderen – Figuren. Das ist wirklich sehr beeindruckend! Wählen Sie bewusst so unterschiedliche Rollen für sich aus?

Katharina Wackernagel: Man muss natürlich erstmal die Möglichkeit bekommen, sich überhaupt in anderen Rollen zu zeigen. Zum Beispiel war die Rolle der Aenne Burda einfach auch ein großer Glücksfall! Gleichzeitig war es mir schon immer wichtig, nicht immer das Gleiche zu machen. Als ich mit der Vorabendserie “Tanja” angefangen hatte zu drehen, wurden mir danach fünf weitere genau solche Serien angeboten. Andere Angebote gab es zunächst nicht. Ich habe das damals aber ausgehalten und habe gewartet, bis etwas kommt, das sich abhebt. Währenddessen habe ich bei kleineren Sachen Szenen gespielt, sogar in einem RTL-Horrorfilm habe ich mal mitgespielt – was meine Eltern bis heute nicht verstehen können (lacht). Von Anfang an habe ich darauf geachtet, dass die Figuren so unterschiedlich wie möglich sind. Das ist für mich der größte Reiz an dem Beruf. Ich möchte nicht immer mich selber spielen oder immer nur die Nina. Das wäre einfach zu langweilig. Aber bei einer Reihe wie Stralsund irgendwann doch festgelegt zu werden, ist nicht ganz abwegig. Denn selbst wenn ich eine Aenne Burda spielen kann, heißt das noch lange nicht, dass mir die Redakteure, Caster oder Regisseure diese Rolle geben. Ich könnte ihnen als Figur eines ZDF-Krimi zu bekannt sein. Dieses Risiko gibt es. Aber bisher hat es gut funktioniert. Jeder andere Film, den ich drehen kann, trägt dazu bei, dass man mir auch andere Sachen zutraut.

Spielen Sie auch Theater?

Katharina Wackernagel: Ja, seit einigen Jahren spiele ich immer Anfang des Jahres bei den „Kammerspielen“ in Hamburg. Die letzten beiden Stücke waren von Moritz Rinke, also von einem modernen Autor.

Sie kommen aus einer Schauspielerfamilie. Die Schauspielerei ist Ihnen quasi in die Gene geschrieben.

Katharina Wackernagel: Ja, meine Mutter und meine Großmutter waren Schauspielerinnen, mein Großvater war Intendant und mein Vater ist Regisseur.

Hatten Sie da überhaupt eine Chance, etwas anderes zu machen? (lacht)

Katharina Wackernagel: Also mein Bruder ist Mathematiker! Unsere Eltern haben uns zu nichts gedrängt. Aber ich bin von mir selbst aus schon sehr früh gerne ins Theater gegangen und habe selbst Theater gespielt. Es gab für mich eigentlich nie eine Alternative.

Sie bauen sich gerade ein zweites Standbein als Produzentin und Regisseurin auf. Wie beurteilen Sie aus dieser Perspektive ihre Arbeit als Schauspielerin?

Katharina Wackernagel: Es gab schon immer Situationen, in denen ich es anders gemacht hätte, nicht erst seitdem ich selbst Regie führe. Das passiert einfach nach einer gewissen Zeit in diesem Beruf. Der Hauptgrund, warum ich selbst produzieren und Filme machen will, hängt auch damit zusammen, dass ich die Sehnsucht danach habe, Sachen ein bisschen anders zu machen. Meiner Ansicht nach ist vieles sehr konventionell. Ich denke aber, dass die Zuschauer nicht so einfältig sind, wie man glaubt, sondern dass sie sehr wohl bereit wären, um die Ecke zu denken, wenn man es ihnen mal zutrauen würde. Ich habe zwar schon einen eigenen Film gemacht, aber ich stehe da noch ganz am Anfang. Dieser Film ist als kleiner Indie-Film im Kino gelaufen und deshalb noch kein Aushängeschild für die Regie bei einem Fernsehfilm.

Richten Sie Ihre Kritik an das deutsche Fernsehen oder an den Film im Allgemeinen?

Katharina Wackernagel: Meine Einschätzung bezieht sich natürlich auf das deutsche Fernsehen. Wenn ich mir den Film insgesamt betrachte, sehe ich ja, dass ganz andere Dinge möglich sind und sage eigentlich deshalb, dass wir sehr konventionell sind. Ich beziehe mich jetzt nicht nur auf Netflix, Amazon und die USA. Auch Länder wie Skandinavien oder selbst Belgien sind viel mutiger, lustiger und verrückter als Deutschland. Dabei müssten diese Länder aus lauter Sorge, dass die Leute ihre Sendungen nicht anschauen könnten, viel konventioneller und angepasster sein. Aber sie sind wild und toben sich aus. Da ist bei uns auf jeden Fall Luft nach oben. Die Angst verstehe ich eigentlich auch nicht. Denn bei der Begründung, der Zuschauer wolle es so, weil es schon immer so war, beißt sich doch die Katze in den Schwanz!

Am 9. Mai strahlt das ZDF „Stralsund – Blutlinien“ aus. (Foto: ZDF/Sandra Hoever)

Sie sind schon sehr lange im Geschäft. Wie hat sich denn mit der Zeit der Dreh durch die Technik und die Produktionszeiten verändert?

Katharina Wackernagel: Eine große Veränderung zu früher ist, dass heute angeblich immer gespart werden muss. Das irritiert mich sehr. Natürlich ist das Equipment nicht billiger geworden, aber die Möglichkeiten aufzunehmen sind billiger geworden. Dabei ist es gar nicht so wie man anfangs vermutet hat, dass die Kamera die ganze Zeit läuft, auch wenn man gerade nicht dreht. Viele Regisseure, mit denen ich gearbeitet habe, haben auch schon zu Filmzeiten gewirkt und immer noch das gleiche Drehverhältnis wie früher. Deswegen verstehe ich nicht, warum man die Drehtage verkürzt und insgesamt überall einspart. Ich weiß nicht, woher das kommt. Vielleicht wird sehr viel mehr produziert, weshalb jeder nur einen kleineren Happen abbekommt?

Eines wollte ich schon immer mal wissen: Wie kann man im realen Leben einem Schauspieler trauen, dass er in der Partnerschaft nicht schauspielert?

Katharina Wackernagel: (Überlegt) Ich glaube, das hat etwas mit Menschenkenntnis zu tun. Wenn man selber Schauspieler ist, kennt man die Mittel und würde das irgendwie durchschauen. Aber ganz sicher kann man sich natürlich nie sein (lacht). Aber kann man sich bei Menschen überhaupt jemals ganz sicher sein – ob Schauspieler oder nicht?

Das ist richtig. Trotzdem: Als Schauspielerin sind Sie in einer Rolle und müssen sich verkaufen, privat und in der Öffentlichkeit. Irgendwann kann man Fiktion und Wirklichkeit vielleicht nicht mehr unterscheiden?

Katharina Wackernagel: Da würde ich schon einen Unterschied machen. Hier, in dieser Situation, bin ich sehr viel mehr Schauspielerin als zu Hause an meinem Frühstückstisch. Da bin ich dann Katharina. Aber nicht, weil ich Ihnen etwas vorlüge, sondern weil das zu meinem Beruf gehört. Wenn ich dagegen mit meinen Freunden zusammen bin, muss ich ja nicht meinen Beruf ausüben. Ich glaube auch nicht, dass mich mein Beruf so beeinflusst, dass ich nicht mehr wahrnehmen könnte, wer ich gerade bin.

Gibt es fiktive Figuren, die Sie auch in der Wirklichkeit privat begleiten?

Katharina Wackernagel: Ja, das gibt es. Als ich zum Beispiel „Die Boxerin“ gedreht habe, habe ich mich während des sechsmonatigen Drehs in mir ganz fremden Kreisen bewegt. Ich musste zur Vorbereitung in einem Männer-Boxclub boxen lernen und war dort in einer ganz ähnlichen Situation wie die Figur Joe im Film. Da hat sich die Figur mit mir tatsächlich vermischt und ist ein Teil von mir geworden. Als dann der Film abgedreht war, war es ganz seltsam, dass es sie auf einmal nicht mehr gibt.

Haben Sie die Figur dann vermisst?

Katharina Wackernagel: Oh ja, ich habe sie am Anfang sehr vermisst.

Haben Sie noch andere Hobbys durch eine Rolle für sich entdeckt?

Katharina Wackernagel: Durch den Dreh “Die Boxerin” habe ich das Laufen entdeckt, was mir inzwischen sehr, sehr wichtig ist. Aber sonst habe ich eigentlich keine Hobbys.

Welchen Film haben Sie zuletzt gesehen, mit dem Sie selbst nichts zu tun hatten?

Katharina Wackernagel: Parasite, ein toller Film! Da war ich ganz verblüfft. Dann habe ich Jojo Rabbit gesehen, der auch recht originell ist. Grundsätzlich schaue ich gerne Indie-Filme. Dabei mag ich es, mich einfach auf die Geschichte einzulassen.


Im Fernsehen: „Stralsund – Blutlinien“, Samstag, 9. Mai, 20.15 Uhr; ab Freitag, 8. Mai 10 Uhr in der ZDF Mediathek.