Erich Kühnhackl: „Kein Sport für „Weicheier“

Unter vier Augen: Vor wenigen Tagen hat die deutsche Eishockey-Nationalmannchaft bei den Olympischen Spielen in Südkorea einen sensationellen zweiten Platz erreicht – Markus Eisel hat mit der Eishockey-Legende Erich Kühnhackl über den Sport gesprochen

Im Gespräch mit Markus Eisel (links): Erich Kühnhackl. (Foto: privat)

Es gibt kaum einen deutschen Eishockeyspieler, der in den 1960er und 70er Jahren erfolgreicher und populärer war als Erich Kühnhackl, der „Kleiderschrank auf Kufen“. Dreimal wird er im Laufe seiner Karriere zum Spieler des Jahres gekürt, viermal holte er die Deutsche Meisterschaft – zweimal mit Landshut, zweimal mit Köln. 1976 gewann Kühnhackl mit dem DEB-Team Olympia-Bronze – bis zur vergangenen Woche war das die einzige deutsche Eishockey-Medaille bei Winterspielen. Nun hat das deutsche Team in Südkorea sogar nie Silbermedaille geholt – eine Sensation. In die Fußstapfen bzw. in die Kufen von Erich Kühnhackl ist sein Sohn Tom getreten – dieser steht seit 2012 bei den Pittsburgh Penguins aus der National Hockey League (NHL) unter Vertrag.

Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

Erich Kühnhackl: Jetzt geht es mir wieder gut nach meiner Operation. Die war vor zwei Monaten. Ich hatte Probleme mit der Hüfte, wahrscheinlich lag das auch an meiner Größe. Ich konnte nicht mehr richtig Sport treiben. Jetzt liegt die OP acht Wochen zurück und ich kann ohne Krücken gehen – natürlich kann ich nur langsam gehen. Ich bin noch in Reha, aber der Arzt ist sehr zufrieden.

Können Sie sich irgendwann wieder sportlich betätigen?

Erich Kühnhackl: Ich treibe bereits jetzt schon wieder Sport – soweit das möglich ist. Ich gehe zum Beispiel vier Mal in der Woche zur Reha. Wenn ich wieder komplett fit bin, gehe ich auch wieder Montag abends zum Alte Herren Training, Eishockey. Im Sommer bin ich viel mit dem Rad unterwegs, damit ich auch mein Gewicht halte – mindestens drei bis vier Mal in der Woche für ein bis zwei Stunden. Je nachdem, wie das Wetter ist. Und in der Weihnachtszeit bin ich mit Nachwuchsspielern auf dem Eis, die bei der jährlichen Weihnachtsaktion meiner Stiftung gewonnen haben.

Die Erich-Kühnhackl-Stiftung wurde hauptsächlich ins Leben gerufen, um den Eishockey-Nachwuchs zu fördern.

Erich Kühnhackl: Wir unterstützen junge Eishockeyspieler – Mädchen und Jungs – bis diese dann auf eigenen Füßen stehen, einen Vertrag bekommen und Geld verdienen.

Wie kann man sich die Arbeit der Stiftung genau vorstellen? Werden auch Eishockey-Camps angeboten?

Erich Kühnhackl: Das haben wir auch schon einmal gemacht, ja. Wir arbeiten aber auch mit dem Landesverband zusammen, es werden Lehrgänge angeboten und wir sind vor Ort. Es wird zudem reger Kontakt zu den Nachwuchstrainern und den Verbandstrainern des Deutschen Eishockeybunds gehalten. Bei uns kommt dann eine Anfrage eines Nachwuchsspielers rein, ob wir ihn finanziell oder materiell unterstützen können – manche brauchen eine Ausrüstung, manche wollen die Lehrgänge besuchen, wieder andere brauchen Hilfe bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz – und da stehen wir immer unterstützend zur Seite. Dem Nachwuchsspieler soll es ermöglicht werden, neben dem Sport eine Lehre oder ein Studium zu absolvieren.

Die Stiftung gibt es jetzt schon seit 17 Jahren. Haben seit Gründung der Stiftung mit deren Hilfe schon Nachwuchsspieler im Profibereich Fuß fassen können?

Erich Kühnhackl: Ja, da gibt es viele. In einem Alter von acht oder neun Jahren kann man noch nicht erkennen, ob jemand das Potential zum Profispieler hat, in Absprache mit dem jeweiligen Trainer unterstützen wir trotzdem und schauen uns die Entwicklung an. Seit 2001 haben wir schon einige Spieler im Landesverband, dem Olympiakader und auch in der Nationalmannschaft untergebracht.

War es für Sie in Ihrer aktiven Zeit nie eine Option in der NHL zu spielen, so wie Ihr Sohn Tom heute?

Erich Kühnhackl: Schon, aber heute zermartere ich mir darüber nicht mehr den Kopf. Klar, im Nachhinein sage ich, dass ich mich damals dafür hätte entscheiden sollen. Aber damals konnte man in Deutschland auch einfach mehr Geld verdienen als in Nordamerika. Heute ist es umgekehrt. Und die Voraussetzungen sind andere. Ich hätte es machen sollen, bin aber in Deutschland geblieben.

Sie sind dennoch eine Eishockey-Legende geworden – oder vielleicht gerade deswegen?

Erich Kühnhackl: Ich habe es nie bereut, in Deutschland geblieben zu sein. Ich bin heute dreimal im Jahr in Nordamerika, in Pittsburgh und schaue mir dann natürlich die Spiele meines Sohnes an.

Kann man das Eishockey in Nordamerika mit unserem vergleichen?

Erich Kühnhackl: Die Amerikaner haben im Laufe der Jahre ganz andere Voraussetzungen geschaffen. Dort drüben steht der Sport an allererster Stelle, an zweiter Stelle kommt der Sport und als Drittes kommt der Sport und dann kommt alles andere. Auch die Voraussetzungen in den Eishockey-Stadien sind unglaublich. Das ist nicht mehr nur Sport, sondern ein richtiges Event. Bei uns früher bestand das Event bei einem Eishockey-Spiel darin, dass der Stadionsprecher den Torschützen durchgesagt oder die Gästefans um etwas mehr Ruhe gebeten hat (lacht), aber das war auch alles. Wenn man damals mit heute vergleicht, kann man schon sagen, dass Eishockey in Deutschland einen hohen Stellenwert hat und sehr gut angenommen wird. Die Voraussetzungen in den Clubs in DEL1, DEL2, Oberliga oder auch darunter sind sehr gut. Man macht viel für den Nachwuchs, investiert viel in die Infrastrukturen der Stadien.

Markus Griesch und Erich Kühnhackl. (Foto: privat)

Ein Handicap der DL1 und auch der DL2 ist doch, dass es keine Auf- und Abstiegsrechte gibt. Widerspricht das nicht dem sportlichen Gedanken?

Erich Kühnhackl: Ich würde das nicht als Handicap bezeichnen. Aber klar, es würde dem Sport guttun, wenn es in jeder Liga die Möglichkeit gäbe, sportlich aufzusteigen.
Grund dafür sind wahrscheinlich wirtschaftliche Überlegungen. Das hat für mich einen unsportlichen Beigeschmack. In der Bundesliga wäre das unvorstellbar.
Erich Kühnhackl: Natürlich überlegen Sponsoren zweimal, Geld zu investieren, wenn die Gefahr bestünde, dass die Mannschaft in der nächsten Saison eine Liga absteigt. Vielleicht kommt irgendwann einmal der sportliche Auf- und Abstieg zwischen den Ligen. Ich befürworte es – und ich glaube, dass ich da nicht der Einzige bin.

Der EV Landshut – Ihr alter Verein – spielt in der Oberliga. Wie kann man von dieser in die DL2 aufsteigen?

Erich Kühnhackl: Es gibt zwei wichtige Komponenten: Der sportliche Wille und der finanzielle Aspekt.

Hat sich das Eishockey in den letzten 20 Jahren sehr verändert – zum Beispiel in puncto Schnelligkeit?

Erich Kühnhackl: Heute würde ich nicht mehr auffallen. Heute sind alle einen Meter neunzig groß (lacht). Früher war es so, dass ich aufgrund meiner Größe schon derjenige war, der zwei Minuten bekommen hat. Wenn Sie und ich auf dem Eis gewesen wären und Sie hätten mich gecheckt, dann hätte der Schiedsrichter mich auf die Bank geschickt. Heute ist bei sechs Verteidigern einer dabei, der misst einen Meter achtzig, alle anderen messen mit Schlittschuhen an die zwei Meter. Also: Die Spieler sind größer geworden und sie bringen mehr Masse aufs Eis. So schwer waren damals nur die Russen. Wenn du gegen einen russischen Spieler gefahren bist, hattest du das Gefühl, auf einen Betonpfeiler zu prallen. Trotz des höheren Gewichts sind die Eishockeyspieler heute unheimlich athletisch. Darauf wird heute sehr viel Wert gelegt. Aber auch auf die Psyche, die Taktik, die Technik, Kondition. Das war früher nicht so professionell. Wenn man körperlich und läuferisch fit ist, kann man viel erreichen.

Heute kann ein Eishockeyspieler auch deutlich mehr Geld verdienen als früher.

Erich Kühnhackl (schüttelt den Kopf): Ein Eishockeyspieler verdient auch heute noch weitaus weniger als andere Profisportler. Natürlich liegen die Beträge viel höher als damals, aber in Relation zu dem, was man in anderen Sportarten verdienen kann, ist das schon ausbaufähig.

Heute wird der Eishockeysport viel mehr vermarktet. Nehmen wir zum Beispiel die Adler Mannheim – das Stadion ist immer restlos ausverkauft.

Erich Kühnhackl: Das liegt natürlich zum einen am Standort. Mannheim war ja immer die Hochburg des Eishockeys in Deutschland. Hinzu kommt die große Nachwuchsförderung. Dort wird unheimlich viel für die Jungs gemacht, dass sie ihren Sport betreiben können. Das ist aber nicht nur in Mannheim so, auch in anderen Städten und Clubs wird wirklich viel gemacht. Hinter jedem Verein stehen Leute, die wissen, dass es ohne Nachwuchs nicht mehr möglich ist, den Sport auf ein hohes Niveau zu bringen und dort auch zu halten. Das ist nicht einfach, weil es sehr viel Zeit und sehr viel Geld kostet.

Die Olympischen Spiele sind gerade zu Ende gegangen – mit einer sehr guten Leistung der deutschen Eishockeymannschaft. Kommen da bei Ihnen Erinnerungen aus der aktiven Zeit hoch?

Erich Kühnhackl: Logisch, das passiert automatisch. Man ist vor Ort, trifft sich mit einem alten Spielerkollegen, führt Gespräche mit Journalisten – man merkt schon im Vorfeld, dass die Olympischen Spiele anstehen – und das nicht nur seit Dezember, das hat schon viel früher begonnen. Und dann denkt man natürlich auch daran, wie es war, als man selber noch auf dem Eis stand. Ich habe sogar den ein oder anderen Spielerkollegen, der heute mein Nachbar ist. Wir treffen uns regelmäßig und reden miteinander.

1976 hatten die Olympischen Spiele einen leichten politischen Beigeschmack – man wollte sich sportlich gegen die Ostländer behaupten.

Erich Kühnhackl: Ich würde es nicht als Politikum bezeichnen. Gerade für uns Sportler war es das nicht. Wenn wir früher gegen die DDR gespielt haben, war beiden Seiten bewusst, dass weder die eine noch die andere Mannschaft etwas für die politische Lage konnte. Klar, jeder wollte gewinnen, das ist ja immer so, aber auch wenn man verloren hat, musste man lernen mit der Niederlage umzugehen. Ich selbst bin in der damaligen Tschechoslowakei aufgewachsen und da hatte ich einen Trainer, der uns beigebracht hat, auch verlieren zu können. Ich konnte ihn nicht wirklich leiden. Aber im Nachhinein muss ich sagen, dass er alles richtiggemacht hat. Er hat uns gescheucht – morgens, mittags, abends – und je härter sein Training war, desto besser war es für uns. Aber das muss man auch erst einmal lernen, in der Härte den Nutzen und den Erfolg zu sehen. Das hat mir unheimlich viel geholfen. Kondition kann man sich immer aneignen, aber die Voraussetzungen, das Technische, das Beherrschen von Schlittschuhen, Schläger und Scheibe, waren in der damaligen Tschechoslowakei exzellent. Auch heute ist das noch so. Es wird unheimlich viel Wert auf die technischen Fähigkeiten gelegt. Wenn wir damals bei diesem Trainer die Scheibe nicht erwischt haben, oder ihm das Tempo nicht hoch genug war, hat er gepfiffen und wir mussten uns alle an der Torauslinie aufstellen und laufen. Immer von der Torauslinie zur roten Linie, wieder zur Torauslinie, dann zur blauen Linie, wieder zur Torauslinie und so weiter. Wir haben uns alle zusammengerissen, ja keinen Fehlpass und alles richtig zu machen. Wenn du selbst nicht die volle Leistung gebracht hast, musste die ganze Mannschaft zur Strafe laufen.

Von dieser Grundausbildung haben Sie sehr profitiert auf dem Weg zur Eishockey-Legende.

Erich Kühnhackl: Ich habe in der Tschechoslowakei gelebt, bis ich 17 Jahre alt war. Ich bin dort zur Schule und auch auf die Sporthochschule gegangen. Und wenn ich meinem Sohn heute erzähle, wie wir damals trainiert haben, was wir gemacht haben und wie oft wir das gemacht haben … Sie müssen sich das mal vorstellen: Mein Vater hatte damals kein Auto. Wenn wir ein Spiel hatten, in Prag oder Sokorov, mussten wir mit der Eishockeytasche auf dem Rücken zu Fuß nach Hause laufen. Auch im Winter. Es gab zwar einen Bus, aber der ist auch nicht immer gefahren, und einen Zug gab es nicht. Und wenn wir keine Lust mehr hatten zu laufen, haben wir die Taschen auf dem Boden abgestellt und mitten auf der Straße Eishockey gespielt.

Sprechen Sie noch tschechisch?

Erich Kühnhackl: Selbstverständlich. Tschechisch und Russisch waren in der Schule Pflichtsprachen. Aber in der Familie haben wir nur Deutsch gesprochen.
Übt man im Training, seinen Gegenspieler in die Bande zu checken?
Erich Kühnhackl: Das sollte man schon üben, ja.

Damit man weiß, wie man richtig fällt?

Erich Kühnhackl: Klar, das lernt schon der Nachwuchs. Der Zweikampf ist ein ganz wichtiger Faktor im Eishockeysport. Man lernt von Anfang an, richtig hinzufallen und den Sturz zu neutralisieren. Das Timing spielt dabei eine wichtige Rolle.

Und in einem Infight?

Erich Kühnhackl: In einem Spiel gibt es immer Spannung, Ärger, Leistungsdruck. Und wenn man dann hinten liegt und dir auch noch die ganze Zeit irgendeiner auf den Füßen steht, muss man lernen, mit diesem Druck umzugehen. Man kann dem Gegenspieler sagen: Jetzt ist aber Schluss, aber wer nicht hören will … Das gehört einfach dazu. Auch bei Nationalmannschaftkollegen – vorausgesetzt er sieht den Check kommen. Wenn er seinen Kopf woanders hat oder zur Bande schaut, dann macht man so etwas nicht. So etwas gehört sich nicht. Das lernt man im Laufe der Jahre. Es muss schon viel passieren, dass so ein Check ausartet. Es bleibt meist im Rahmen.

Beim Eishockey gibt es keine Weicheier im Vergleich zu anderen Sportarten…

Erich Kühnhackl: Beim Eishockey ist Theatralik fehl am Platz. (eis)