Lars Reichow: „Wir leben in einer Zeit der politischen Clowns“

Unter vier Augen: Kabarettist Lars Reichow über aufreizendes Frauenlachen, Humor-Eintagsfliegen und seine Mission, die Menschheit aus dem Lügengebäude herauszuführen

(Foto: Mario Andreya)

Steckbrief: Lars Reichow
Geboren:
1964 in Mainz)
1985: Studium der Musik, Musikwissenschaften und Germanistik in Mainz
1992: Debüt als Musik-Kabarettist mit dem Programmtitel „Ich bin auf jeden Fall da!“
2003: Erste eigene Show im HR-Fernsehen („Lachen mit Lars“) und SWR-Fernsehen  („Reichows Reisen“)
2015: Gastgeber der „Lars-Reichow-Show“ im ZDF
Lars Reichow erhielt bis heute zehn Kleinkunst- und Kabarettpreise, u. a. den „Deutschen Kleinkunstpreis“, den „Kulturpreis NRW“ und den „Berliner Kabarett-Preis“


Sie sind bereits eine ganze Weile auf Tour. Wie schaffen Sie es, sich immer wieder neu zu erfinden und sich jedes Mal mit einem neuen Programm zu präsentieren?

Lars Reichow: Ich bin ein Wort- und Tonkünstler. In meinem Arbeitsvertrag, den ich mir selbst auferlegt habe, steht, dass ich alle drei Jahre ein neues Programm schreiben will(!). Das ist aber nicht schlimm und es ist auch nicht so schwer, weil der Druck erst langsam wächst und nach zweieinhalb Jahren seinen Höhepunkt erreicht hat. Nach zwei Jahren muss ich den Namen des neuen Programms wissen und nach zweieinhalb muss ich es fertig geschrieben haben. Müsste ich, also ich sollte dann dringend anfangen. Mein innerer Druck entsteht vor allem durch Eitelkeit, denn ich möchte ja niemanden enttäuschen, der sich ein Ticket kauft für mein Programm. Mein Ehrgeiz ist es, immer besser zu werden. Und meine Bank soll auch daran interessiert sein, dass ich Geld verdiene …

Sie kommen aus Mainz. Würden Sie sagen, dass es in dieser Stadt viele Kabarettisten gibt? Hat Mainz vielleicht sogar ein Gen für Kabarett?

Lars Reichow: Ich glaube nicht, dass das Kabarett dort zu Hause ist. Vielmehr ist Mainz eine wunderbare Stadt für das Publikum. Viele Künstler kommen gerne hierher. In Köln, Hamburg, Stuttgart, München oder Berlin ist die Dichte an Künstlern viel höher, aber in Mainz steckt die gute Laune tief drin in den Genen. Das Publikum ist einfach sensationell.

Hat das Kabarett unter dem Aufkommen der Comedy gelitten?

Lars Reichow: Nein, so habe ich das nie empfunden. Die Comedy ist eine Bereicherung. Was mir grundsätzlich nicht gefällt, ist die Tatsache, dass viele Comedians und auch Kabarettisten eigentlich kein ganzes Abendprogramm vorweisen können. Sie haben nur starke zehn Minuten. Damit kann man sehr gut im Fernsehen auftreten, aber man sollte die Leute auf Tournee damit nicht langweilen. Wenn ich mich so umschaue, dann würde ich sagen, dass wir im komischen Fach am Ende nicht mehr als 50 sehr gute, künstlerisch hochwertige „Rampensäue“ sind. Die Comedy lebt auch von Humor-Eintagsfliegen – sie kommen und am nächsten Tag sind sie schon nicht mehr da.

Sie machen viel politisches Kabarett. Wie schwer ist es, die Realität zu übertreffen?

Lars Reichow: Wenn die Realität sich schwer übertreffen lässt, dann stimmt irgendetwas nicht. Wir leben in einer Zeit der politischen Clowns. Männer, die auf Ziegen starren, intellektuell eingeschränkt, aber mit einem fast unkontrollierbaren Hang zur Allmacht. In diesen Zeiten versuche ich mit den beschränkten Mitteln, wenigstens eine Art „Nullpunkt“ zu markieren. Eigentlich ist es ja die Aufgabe des Kabarettisten, die Welt zu überzeichnen und sich etwas „auszumalen“, etwas dazu zu erfinden. Aber manchmal komme ich mir so vor, als wäre es mein Job, die Zusammenhänge einfach darzustellen, damit man aus dem Lügengebäude herausfindet, das andere aufgebaut haben. Entscheidend ist doch bei dieser dramatischen Lage in der Welt: Wem kann man vertrauen und wer hat gelogen? – Für mich schlägt jetzt die Stunde der Wahrheit!

Verstehen Sie sich mehr als Musiker oder mehr als Wortakrobat?

Lars Reichow: Ich komme ja von der Musik. Musik ist – das ist nicht meine Erfindung – die höhere Kunst und erreicht ein anderes Niveau, andere Sphären als ein Wortbeitrag. Musik kann Tränen auslösen, glücklich machen und einen durch den Tag und die Nacht begleiten. Wenn man in einem Theater singt und das Publikum ist still und ergriffen, dann gehört das zu meinen schönsten Augenblicken in diesem Beruf. Aber ich wollte beides, genauso gern höre ich schallendes Gelächter, helles, aufreizendes Frauenlachen und das Aufgrunzen von Männern, die sich seit Monaten nicht mehr so gefreut haben.

Sie treten auch bei der Veranstaltung „Mainz bleibt Mainz“ auf. Ist es für Sie eine Ehre, dorthin eingeladen zu werden?

Lars Reichow: Ja. Ich bin da sehr gerne und genieße es auch, mich nicht zu verstellen. Ich spüre keinen Unterschied zur Kabarettbühne. Der Anspruch ist sehr hoch und man merkt es sofort, wenn das Publikum nicht mitgeht, wenn sie sich nicht angesprochen fühlen oder sogar unzufrieden sind. Die Fastnacht fordert unbedingte Witzigkeit! Und die Quote der Sendung ist phänomenal, in der Spitze schauen fast zehn Millionen Menschen zu. Ich bin mal am Tag nach einer Vorstellung in den Urlaub geflogen. In der Wartehalle saß mir ein Mann gegenüber, der mich irgendwann ansprach und sagte: „Hat mir gut gefallen gestern!“ – Fastnacht ist eine faszinierende Mischung aus Amateuren und Profis, die sich wunderbar ergänzt. Und ich habe mit meinem Heimatverein, dem GCV (Gonsenheimer Carneval Verein) den besten Club der Welt gefunden. Die ganze Sitzung dort ist ein wahnsinniges, mitreißendes Erlebnis!

Markus Eisel (links) traf Lars Reichow zum Interview. (Foto: Bauer)

Sind Sie ein Fastnachter?

Lars Reichow: Ich bin zu einem geworden. Wenn ich heute im Finale der Sitzung – fünf Stunden Musik, Tanz, Büttenreden und Kokolores liegen hinter uns – schunkelnd auf der Bühne stehe, dann spüre ich ein starkes Heimatgefühl. Es ist einfach wunderbar, mit so vielen, engagierten und netten Menschen, Nachbarn und Freunden zu feiern. Die unbeschwerte Freude, die menschliche Wärme und der Zusammenhalt – das ist etwas, was uns alle, was die Gesellschaft zusammenhält.

Werden Sie nach Ihrem Auftritt im Capitol bekannte Gesichter wiedertreffen?

Lars Reichow: Hoffentlich! Aber ich kenne leider nicht so viele Menschen persönlich in Mannheim. Ich denke oft an die unglaubliche Weltklasse-Stimme von Joy Fleming, die ich auch persönlich kannte. – Ich freue mich sehr, wenn mich alte Freunde oder „Fans“ nach der Vorstellung besuchen. Aber die wichtige Begegnung findet vorher auf der Bühne statt.. In ganz großen Momenten entsteht manchmal ein Zauber, eine kollektive Begeisterung, ja bei Musikern sogar eine Entrückung, die nur durch diese besondere Hervorhebung möglich ist. – Wenn man sich dann hinterher gegenüber steht, Auge in Auge, wer weiß, was dann passiert? Vielleicht denkt sich die Zuschauerin: „Och, der ist ja gar nicht so witzig.“ Und der Künstler ist vielleicht auch unglücklich: „Was? Diese Nervensäge war eben in meiner Vorstellung …“ Es ist wahrscheinlich Absicht, dass die Ausgänge für die Bühne und das Publikum getrennt voneinander liegen. Man möchte den Zauber nicht verfliegen lassen.

Wenn Sie ein neues Programm geschrieben haben, proben Sie es zuvor im kleinen Rahmen?

Lars Reichow: Ja. Früher, als ich noch Lehrer war, habe ich meine Programme in der Schule, also im Klassenraum ausgetestet. Heute mache ich Vorpremieren. Im nächsten Jahr startet das neue Programm – am 10.10.2020 im Staatstheater in Mainz. Im Juni findet eine Vorpremiere mit dem halben Programm statt und im August oder September eine mit dem vollen Programm.

Kommt es vor, dass Sie während einer Vorpremiere merken, dass das Programm gar nicht gut ankommt?

Lars Reichow: Eigentlich nicht. So eine völlige Fehleinschätzung ist eher selten. Ich kann vorher schon ungefähr sagen, ob etwas gut ist oder nicht. Wenn ich es nicht wüsste, dann würde ich mich ja total abhängig vom Publikum machen! Man ahnt schon am Schreibtisch, ob eine Idee witzig ist und manchmal geht es nur um die Art der Darstellung, die formale Verarbeitung, die Perspektive etc. Natürlich gab es auch Stücke, bei denen ich dachte: Naja, mal schauen… Aber dann haben die Leute geschrien vor Lachen. Das ist dann eine tolle Überraschung.. Das Premierenpublikum ist wie ein „erstes Mal“. Die Reaktionen, die Lacher, den Applaus, die vergisst man nie.

Ist das Publikum in Kiel anders als in Mannheim?

Lars Reichow: Nicht unbedingt. Wenn ich zum ersten Mal an einem Ort auftrete, wo ich noch nie war und ich dem Publikum das erste Mal begegne, kann es sein, dass das Publikum zuerst nur schnuppert, aber nicht gleich in Jubel ausbricht, nur weil ich da bin. Entscheidend ist das Ende, das Finale eines Abends. Wenn man die Leute dann begeistert hat, dann klatschen und jubeln sie in jeder Stadt ähnlich. Und wenn ich wiederkomme, dann ist das fast schon ein Familientreffen.

Sind die Reaktionen in den verschiedenen Städten vergleichbar?

Lars Reichow: Grundsätzlich ja, aber es gibt Mentalitätsunterschiede. Es gibt ein eher leichtes, schreiendes Publikum. In Mannheim z.B. ist das Publikum erfahren, abgebrüht, aber enorm begeisterungsfähig. Hier schlägt sich vielleicht die reiche Kulturgeschichte der Stadt nieder. Auch die über 100 Nationen, die sich hier tummeln, die Pop-Akademie, die vielen talentierten Töchter und Söhne Mannheims haben ihre Spuren hinterlassen. Meine Erfahrung ist, dass Menschen, die am Fluss wohnen, auch meistens weltoffener und vergnügter sind. Das gilt ganz besonders für die, die am Neckar wohnen (lacht). (eis)