(Foto: Staatskanzlei RLP/Elisa Biscotti)

Steckbrief: Malu Dreyer, SPD

  • Geboren am 6. Februar 1961 in Neustadt/Weinstraße.
  • 1994: Eintritt in die SPD.
  • Seit 16. Januar 2013 Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz.
  • Von Juni 2019 bis Dezember 2019 kommissarische Vorsitzende der Bundes-SPD.
  • Schirmherrin von TAG Trier, einem Projekt für Multiple-Sklerose-Betroffene.

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Die ganze Welt scheint aus den Fugen und wird seit einem Jahr beherrscht von einer Pandemie. Warum schafft es die Politik in diesen Zeiten nicht, allen Branchen und Betrieben gleichermaßen zu helfen?

Malu Dreyer: Die Pandemie ist eine der größten globalen Herausforderungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Täglich kämpfen tausende erkrankte Menschen um ihr Leben, Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte arbeiten am Limit. Die vergangenen Monate, insbesondere die langen Wochen des Lockdowns, zehren an der Kraft und den Nerven von uns allen und an der Substanz vieler Unternehmen, insbesondere im Einzelhandel und in der Gastronomie. Aber ich kann wirklich sagen: Wir machen uns die Entscheidungen alles andere als leicht; es ist immer eine Gratwanderung zwischen größtmöglichem Gesundheitsschutz und möglichst geringen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgeschäden. Wir wollen, dass unsere Unternehmen die Krise gut überstehen und unsere Wirtschaft an die erfolgreiche Entwicklung der letzten Jahre anknüpfen kann. Bund und Länder haben dazu riesige Summen an Hilfsgeldern in die Hand genommen; allein wir als Land haben 250 Millionen Euro bereitgestellt. Die Landesprogramme reichen vom niedrigschwelligen DigiBooster für kleine Unternehmen über Tourismusförderung bis hin zur Innovationsförderung für unsere mittelständische Wirtschaft.

Wer trägt die Verantwortung dafür, dass die Finanzhilfen spät oder gar nicht bei den Betrieben ankamen?

Malu Dreyer: Ich möchte ausdrücklich anerkennen, dass der Bund so viel Geld zur Unterstützung unserer Unternehmen zugesagt hat. Aber für manche Unternehmen zählt inzwischen jeder Tag, deswegen ist es so wichtig, dass die Hilfsgelder schnell fließen. Viele Firmen haben lange auf Geld gewartet oder warten noch. Vor allem IT-Probleme bei der Programmierung des Portals zur Beantragung der Gelder haben für erhebliche Verzögerungen gesorgt. Diese Probleme hat das Bundeswirtschaftsministerium nicht schnell genug gelöst. 

Sind diese Hilfsmaßnahmen Bundes- oder Ländersache?

Malu Dreyer: Wie bereits gesagt: Bund und Länder stellen gigantische Summen zur Verfügung. Die Finanzhilfen des Bundes werden vom Land mit innovativen Förderprogrammen erweitert. Es hat bis Mitte Januar gedauert, bis die Bundesländer auf Anträge für die Novemberhilfe zugreifen konnten. Wir tun als Land unser Möglichstes und arbeiten schnell – so sind 90 Prozent der Anträge auf Novemberhilfe mittlerweile ausgezahlt.

Seit Beginn der Pandemie lässt sich die Bundesregierung von verschiedenen Experten aus der Wissenschaft beraten. Einige dieser Berater plädieren seit einigen Wochen für die „No Covid“-Strategie. Wie stehen Sie dazu?

Malu Dreyer: Aus meiner Sicht lässt sich das nicht so einfach auf unsere gesamte Gesellschaft übertragen. Es mag für manche Bereiche sinnvoll sein, eine No Covid-Strategie zu verfolgen, also die Infektionszahlen möglichst gegen Null zu bringen. Etwa im Bereich der Altenheime, wo besonders viele gefährdete Menschen leben. Gleichzeitig sind in anderen Bereichen Menschen am Limit, beispielsweise Familien, Gastronomen, Einzelhandel, Kultur und wir greifen sehr stark in Grundrechte ein. Daher müssen wir jede einzelne Maßnahme sorgfältig nach ihrer Verhältnismäßigkeit abwägen.

Malu Dreyer besuchte im Januar 2021 eine Rettungswache. (Foto: Staatskanzlei RLP/ Voss)

In Rheinland-Pfalz waren in den vergangenen Wochen die Kitas „im Regelbetrieb“ – es gab nur eine dringende Empfehlung, die Kinder zu Hause zu betreuen. Warum haben Sie diesen Weg gewählt? 

Malu Dreyer: Wir haben im ersten Lockdown im vergangenen Jahr gesehen, dass die Regelung des Notbetriebes zu erheblichen Konflikten zwischen Eltern und Erzieherinnen und Erziehern geführt hat. Insbesondere eine Orientierung am Begriff der Systemrelevanz führt hier nicht weiter, weil eine Festlegung, wer systemrelevant ist und wer nicht, sehr schwierig ist. Für uns ist maßgeblich das Wohl des Kindes und ob Eltern eine Betreuung anderweitig sicherstellen können. Im Übrigen gehen die Eltern sehr verantwortungsvoll damit um, das zeigt, dass die Appelle, die Kinder nur bei dringendem Bedarf in die Kita zu geben, wirken.

Haben wir in Rheinland-Pfalz nicht ein erhebliches Bildungsproblem?

Malu Dreyer: Nein, ganz und gar nicht. Die gute und gebührenfreie Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern ist eines unserer Kernthemen. Die Gebührenfreiheit hat die SPD-geführte Landesregierung realisiert und immer gegen die CDU verteidigt, die vor der letzten Wahl noch die Einführung von Kitagebühren gefordert hat. Wir haben alleine in den letzten fünf Jahren mehr als 6.000 Lehrerinnen und Lehrer eingestellt, trotz sinkender Schülerzahlen. Wir haben die kleinsten Grundschulklassen und die beste Unterrichtsversorgung in der Geschichte unseres Landes. Und wir haben die Landesmittel für digitale Bildung im Bildungshaushalt fast vervierfacht. Darüber hinaus haben wir – und das gehört auch zu einer hervorragenden Bildung – eines der modernsten Kita-Gesetze. Unsere Schulen werden sich in den nächsten Jahren stark verändern. In der Arbeitswelt der Zukunft wird es keinen Beruf mehr geben, in dem man nicht mit digitalen Technologien arbeitet. Darauf wollen wir die Kinder und Jugendlichen bestmöglich vorbereiten. Dazu gehört, dass alle Schüler und Schülerinnen über digitale Endgeräte und Lehrkräfte über Laptops verfügen. Aber es geht auch um eine neue Lernkultur in unseren Schulen, das bedeutet ein noch projektorientierteres Lernen anhand von individuellen Lernzielen statt starrer Lehrpläne. Wir planen dazu 100 Zukunftsschulen, die im Netzwerk mit allen anderen Schulen vorangehen. 

Warum werden Pflegekräfte, Lehrer:innen, Erzieher:innen etc. nicht deutlich öfter (z.B. durch Schnelltests) getestet? 

Malu Dreyer: Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie die Bewohner und Bewohnerinnen von Pflegeeinrichtungen werden regelmäßig getestet. Lehrkräfte und andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von rheinland-pfälzischen Schulen sowie alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Kitas und in der Kindertagespflege können sich jederzeit anlasslos und kostenfrei testen lassen. 

Neben der Pandemie gibt es noch eine zweite große Krise für die Welt: Wie begegnen Sie den Zukunftsängsten der jungen Generation in Bezug auf die Klimaveränderung?

Malu Dreyer: Die Klimakrise ist die zentrale Herausforderung unserer Generation. Sie wurde von uns Menschen verursacht und ich bin überzeugt: sie kann auch von uns Menschen bewältigt werden. Deswegen nimmt die SPD sich das ehrgeizige Ziel vor, bis 2040 als Land insgesamt klimaneutral zu werden. Dazu gehört der weitere starke Ausbau der erneuerbaren Energien, die energieeffiziente Sanierung vieler Gebäude in unserem Land, die Verkehrswende hin zu alternativen Antrieben und der klimaneutrale Umbau unserer Wirtschaft – eine Mammutaufgabe, die wir entschlossen angehen. Wir fangen aber nicht bei null an. Wir betreiben in Rheinland-Pfalz schon sehr lange engagierten Klimaschutz: als erstes Bundesland haben wir den Klimaschutz im Gesetz verankert, mehr als jede zweite bei uns produzierte Kilowattstunde Strom stammt aus erneuerbaren Energien und 2020 haben wir unser Klimaschutzziel erreicht. Darauf bin ich stolz. 

Respekt und ein vernünftiges Miteinander fehlen immer öfter im politischen Diskurs, die AfD sorgt (auch im rheinland-pfälzischen Landtag) für eine Verrohung der Sprache. Wie nehmen Sie das wahr und wie ist dem beizukommen?

Malu Dreyer: Der Ton hat sich durch die AfD auch im rheinland-pfälzischen Landtag verändert. Die Zahl der vom Landtagspräsidium ausgesprochenen Rügen und Ordnungsrufe hat stark zugenommen. Es ist unerträglich, wie menschenverachtend und diskriminierend sich die Vertreter und Vertreterinnen dieser Partei äußern. Ob im Parlament oder auf der Straße – für Demokraten und Demokratinnen gilt immer: Gegenhalten! Wir müssen widersprechen und deutlich machen, dass die AfD eine von Rechtsextremisten dominierte Partei ist, die nicht die Mehrheit in unserem Land repräsentiert. 

Welche Möglichkeiten sehen Sie, der fortschreitenden Polarisierung in der Gesellschaft entgegen zu wirken?

Malu Dreyer: Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht nachlassen dürfen in unseren Bemühungen, die Zivilgesellschaft zu stärken, das große ehrenamtliche Engagement der Menschen in unserem Land zu unterstützen und die Bürger und Bürgerinnen aktiv an politischen Entscheidungen zu beteiligen – das sind wichtige Beiträge für den Zusammenhalt eines Landes. Wir fördern das als Landesregierung sehr intensiv, ich habe eine Landeskampagne „Gemeinsam gegen Hass und Hetze“ ins Leben gerufen und viel Zuspruch dafür erhalten. Viele Menschen arbeiten jeden Tag für ein gutes Miteinander in Rheinland-Pfalz – ihnen den Rücken zu stärken und immer wieder zu zeigen, dass wir gemeinsam die Mehrheit sind, halte ich für sehr wichtig.

Das Thema Chancengleichheit liegt Ihnen am Herzen, egal ob es um Geschlechterrollen oder die (soziale) Herkunft geht: In welchen Bereichen sehen Sie da den größten Handlungsbedarf und wie wollen Sie Ihre Ziele erreichen?

Malu Dreyer: Ich will, dass alle Kinder, egal aus welcher Familie sie kommen, die gleichen Chancen haben! Das bleibt eines meiner wichtigsten politischen Ziele. Wir haben hier bereits viel erreicht: In Rheinland-Pfalz hängt der Bildungserfolg deutlich weniger von der sozialen Herkunft ab als in anderen Ländern. Damit gebe ich mich aber nicht zufrieden – wir arbeiten ständig weiter an diesem Thema. So auch in der Corona-Pandemie: selbstverständlich haben wir dafür gesorgt, dass Kinder, deren Eltern sich keinen Laptop leisten können, ein Leihgerät erhalten und ebenso selbstverständlich haben wir spezielle Angebote für die Kinder geschaffen, die es im Fernunterricht schwerer haben und die gezielte Förderung brauchen, etwa durch Lernpatenschaften oder unsere Feriensprachkurse. Ein anderes zentrales Ziel ist die echte Chancengleichheit für Männer und Frauen. Wir haben viel erreicht, sind aber noch nicht am Ziel. Wir müssen die Aufstiegschancen von Frauen weiter verbessern, daran arbeiten, dass mehr Mädchen in technischen Berufen Fuß fassen, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit durchsetzen und die Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern. Unser Ziel ist, dass Männer und Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen tatsächlich gleiche Chancen haben!

Wie wird Rheinland-Pfalz in 20 Jahren aussehen, welche Bereiche werden sich grundlegend ändern (müssen) und wo werden wir mit Vertrautem weiterleben (können)?

Malu Dreyer: In 20 Jahren wird es keinen Arbeitsplatz mehr geben, in dem man nicht mit digitalen Technologien umgehen muss. Die Digitalisierung wird in unserem Leben noch präsenter sein, als sie es heute bereits ist. Ich möchte, dass wir diese Entwicklung aktiv gestalten und dafür sorgen, dass auch in der digitalisierten Welt alle Menschen teilhaben können. Für das Arbeitsleben bedeutet das: wir unterstützen die Beschäftigten durch Weiterbildung und Qualifizierung – damit alle in den Veränderungen bestehen können. In 20 Jahren wird unsere Wirtschaft klimaneutral produzieren, unser gesamter Strom wird aus erneuerbarer Energie kommen, unsere Autos und Busse werden mit Strom oder Wasserstoff getankt. Was hoffentlich in 20 Jahren noch genau so ist, wie heute: Rheinland-Pfalz ist ein offenes und tolerantes Land, in dem die Menschen zusammenhalten, aufeinander Acht geben und solidarisch miteinander sind!