Tobias Angerer ist einer der erfolgreichsten Skilangläufer Deutschlands. Vor drei Jahren hat er sich aus dem aktiven Wintersport zurückgezogen. Markus Eisel traf sich mit dem Sportler zum Gespräch in seiner Heimat.

Wie schwer fiel Ihnen der Abschied vom aktiven Sport?

Tobias Angerer: Eigentlich fiel es mir nicht schwer. Ich habe 2012 schon gewusst, dass ich 2014 als letztes Ziel Olympia haben werde und dass dies mein Karriereabschluss sein wird.
 Ich war 15 Jahre im Weltcup unterwegs und habe über 
20 Jahre Hochleistungssport betrieben. Irgendwann kommt dann auch der Zeitpunkt, wo es etwas schwerer wird. Man hat Familie, man sieht, wie die Kinder größer werden, aber man selbst ist mehr als 200 Tage im Jahr unterwegs. Für mich war es ein schöner Abschluss, vier olympische Spiele erleben zu dürfen. Ich bin immer gesund gewesen und das ist für mich auch eigentlich das Schöne und das Wertvolle, dass ich während der Karriere keine Verletzungen hatte. Mir fehlt nichts, ich bin nicht verbraucht und fühle mich auch nicht als hätte ich über 20 Jahre Leistungssport hinter mir. In meiner ganzen Karriere hatte ich einen Bänderriss und ich glaube die Quote ist nicht so schlecht.

Das heißt es gibt auch keine Spätschäden?

Tobias Angerer: Nein, gar nichts. Der Langlauf ist da einer der gesündesten Sportarten, die es gibt. Das Skilaufen hat den großen Vorteil, dass du keinen Körperkontakt hast. Du hast eine natürliche, geschmeidige Bewegung, die nicht auf die Gelenke oder den Rücken geht. Ein weiterer Vorteil ist, dass du immer an der frischen Luft bist.

Der Langlauf ist ja eigentlich keine deutsche Domäne, sondern eher eine nordische. Zu Ihrer Zeit ist die Deutsche Mannschaft zum ersten Mal in die Weltklasse vorgestoßen.

Tobias Angerer: Es gab Einzelkämpfer, gute Sportler, auch unser damaliger Bundestrainer Jochen Behle war einer von ihnen, aber es gab eine spürbare skandinavische Dominanz. Um 1998 kamen einige gute junge Athleten, wie z.B. Axel Teichmann als Juniorenweltmeister, nach. René Sommerfeldt wurde 2001 Vizeweltmeister, er hat das erste Ausrufezeichen für unser Team gesetzt. Ich habe in der Saisonvorbereitung auf die olympischen Spiele in Salt Lake City viel mit ihm trainiert. Durch ihn wusste ich, wohin ich muss und an was es mir fehlt. Wir haben uns gegenseitig gefordert und gefördert, wir haben uns motiviert und durch gute Ergebnisse kam das Selbstvertrauen.

(Foto: Atomic)

Gab es auch Beziehungen zu anderen internationalen Langläufern, mit denen man sich zu einer Trainingsgruppe zusammengeschlossen hat?

Tobias Angerer: Nein, eigentlich nicht. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt mit René im Team einen Weltklasseathleten, so etwas zeigt die Richtung an. Es gab eine klare Hierarchie und diese hat uns auch in der Entwicklung geholfen. René gab im Training den Takt vor und wir wussten, wo es hin geht. Dadurch wurden wir alle besser und ab hier ging es dann rasant in die Weltspitze.

Aber diese Ära ist ja dann irgendwann logischerweise zu Ende gegangen.

Tobias Angerer: Ja, leider (lacht). Über zehn Jahre haben wir mitdominiert und viele Siege, Gesamtweltcupsiege und Medaillen gewinnen können, aber irgendwann kommt der Punkt, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, dann fällt die Regeneration schwerer und du kommst nicht mehr bei jedem Rennen nach vorne. Ich habe dann den Schwerpunkt auf die Großereignisse wie Olympia oder WM gelegt, um dort in Topform zu sein und Medaillen zu gewinnen. Es wurde aber immer schwerer, da vor allem aus dem skandinavischen Raum wieder viele gute junge Läufer nach oben kamen. Dort wurde vor allem in den Jahren, als unser Team den Weltcup dominierte, kräftig umstrukturiert und investiert. Indirekt sind wir sozusagen an der aktuellen Dominanz der Skandinavier mit schuld.

Die Skandinavier scheinen immer einen Schritt voraus zu sein.

Tobias Angerer: Damals erwischten wir eine Phase, in der sie ein Vakuum hatten. Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort und konnten viel erreichen. Die anderen Teams schauten darauf, was wir machten. Wir haben unser Trainingssystem umgesetzt und waren erfolgreich. Doch irgendwann kamen junge Athleten nach und sie waren verdammt schnell. Trotz Training kamen wir nicht mehr richtig hinterher. Sie haben den Langlauf verändert und wir haben darauf zu spät reagiert.

Sie haben auch die Tour de Ski gewonnen.

Tobias Angerer: Ja, das war etwas Besonderes! Die größte Belastung ist das Ungewisse. Viele haben sich deshalb schon vorher verrückt gemacht. Ich hatte für mich die richtige Taktik. Ich dachte nur an den nächsten Tag und habe mich nur im Hier und Jetzt bewegt. Ich hatte ein super Team und gutes Material. Wenn der letzte Tag kam, konnte ich mir Gedanken machen, was passieren wird und so schlimm war es dann gar nicht. Der Kopf entscheidet und man glaubt gar nicht was man alles schafft, wenn der Wille da ist.

Das war aber nicht der Saisonhöhepunkt oder? Es gab ja auch noch die WM…

Tobias Angerer: Für mich schon. Tour de Ski war eine neue Wettkampfform, um den komplettesten Läufer zu suchen. Bei der ersten Auflage habe ich bereits im Sommer gesagt, dass es mein Ziel ist, ganz vorne mit dabei zu sein. Ich war in Form und hatte die Bereitschaft das Ding zu gewinnen. Ich hatte die richtige Taktik gewählt, hatte ein super Team an meiner Seite – das hat alles zusammengespielt und war der Schlüssel zum Erfolg.

Sie sind inzwischen Experte. Experten gab es auch zu Ihrer aktiven Zeit. Inwieweit waren die Kommentare der Experten störend und beeinflusst Sie diese Erfahrung heute in Ihrer Arbeit?

Tobias Angerer: Die Analyse des Experten habe ich als Sportler nicht mitbekommen, ich war ja grad erst im Ziel (lacht). Für mich muss der Experte dem Zuschauer am TV die Lage des Athleten näherbringen. Er muss verstehen, was in dem Läufer vorgeht. Ich mache auch Streckenvorstellungen, um die Schwierigkeiten der Strecke und die wichtigsten Punkte zu erklären. Der Zuschauer muss sich in den Sportler hineinversetzen, auch mitfühlen und mitleiden können. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt.

In den letzten Jahren wird die Sportförderung in Deutschland kritisiert. Wie sehen Sie das für den Wintersport?

Tobias Angerer: Im Wintersport sind fast alle bei einer Behörde angestellt. Ich selbst war bei der Bundeswehr. Da kann man sich auch auf den Sport konzentrieren, ohne Existenzangst zu haben. Vor allem wenn man diesen Übergang vom Junioren- in den Seniorenbereich schaffen möchte. Ohne die Bundeswehr hätte ich diesen Übergang wahrscheinlich nie geschafft. Natürlich habe ich auch sehr gute Trainer gehabt, aber ohne diese Förderung wäre es nicht möglich gewesen. Die Sportleistungsreform, die nun kommen wird, ist letztlich das Ergebnis, weil die letzten 30 Jahre nichts passiert ist. Das ist natürlich nicht leicht, weil man jeden mitnehmen muss: die Länder, die Verbände und an allererster Stelle, die Athleten. Denn um die geht es! Das ist auch für den Nachwuchs wichtig. Sie müssen sehen, dass sich Leistungssport lohnt. Es geht nicht nur darum, die Medaille für Deutschland zu holen, ich muss auch davon leben können. Das ist eben die wichtige Frage: Was ist uns der Sport in Deutschland wert? Ich sage ganz klar, viel! Der Sport ist ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft, es gibt die Vorbilder, denen die Kinder nacheifern möchten, nur man muss den Nachwuchs auch fördern!

Tobias Angerer mit Markus Eisel. (Foto: privat)
Tobias Angerer mit Markus Griesch. (Foto: privat)

Der Hochleistungssport wurde in den letzten Jahren aufgrund von Dopingvorfällen immer häufiger kritisiert. Wie stehen Sie zu diesem Thema?

Tobias Angerer: Es ist viel passiert, da brauchen wir gar nicht drüber sprechen. Das Thema war auch im Langlauf vertreten. Ich persönlich konnte für mich jeden Tag in den Spiegel schauen. Ich habe meinen Sport immer sauber betrieben, deshalb ging und gehe ich auch offensiv mit diesem Thema um. Wenn jemand absichtlich gedopt hat, müsste dieser lebenslang gesperrt werden! Das ist meine persönliche Meinung. Dann wäre eine Abschreckung gegeben und es würde ein Umdenken einsetzen. Ich musste mich pro Jahr 30 bis 40 Dopingkontrollen unterziehen. Das war für mich aber nie ein Problem, denn ich wollte den Sport machen und wollte zeigen, dass ich ein sauberer Athlet bin. Ich bin mir sicher, dass 99 Prozent der aktiven Sportler auch sauber sind. Und trotzdem müssen Dopingjäger dranbleiben, um die schwarzen Schafe zu überführen. Im Sinne des sauberen und fairen Sports.

Haben sich aus der aktiven Zeit heraus auch Freundschaften gebildet?

Tobias Angerer: Ja, im Team haben sich Freundschaften gebildet. International weniger, da trifft man sich und freut sich, wenn man sich wiedersieht. Ganz enge Freundschaften haben sich da aber nicht gebildet.

Sie arbeiten als Experte beim ZDF, sind aktiv in der Jugendförderung. Wie geht es bei Ihnen beruflich weiter?

Tobias Angerer: Mein Hauptschwerpunkt ist mein Studium. Da habe ich noch meine Bachelorarbeit vor mir. Ich halte zusätzlich Vorträge über Motivation, wie man diese aktivieren und erfolgreich einsetzen kann. Dann betreue ich noch mein Jugendteam und bin nach wie vor viel für meine langjährigen Partner und Sponsoren aktiv unterwegs.

Zum Abschluss unseres Gesprächs: Gibt es eine Frage, die Ihnen noch nie gestellt wurde, die Sie aber gerne beantworten möchten?

Tobias Angerer: Ob ich es in einem anderen Sport auch geschafft hätte. Ich habe früher Tennis gespielt und habe sogar Trainingseinheiten beim Langlauf sausen lassen, um auf dem Tennisplatz stehen zu können. Das hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht. Heute spiele ich weniger, versuche das aber an meine Kinder weiterzugeben. (eis)

(Foto: Atomic)
(Foto: Atomic)