(Foto: honorarfrei)

Steckbrief: Markus Weise

Geboren 1962 in Mannheim

Begann mit neun Jahren mit dem Hockeyspielen beim TSV Mannheim

2004: Olympiasieg mit der Deutschen Damen-Hockeynationalmannschaft

Seit dem 6. November 2006 war er Bundestrainer der Deutschen Hockeynationalmannschaft der Herren

2008 holte Weise bei den Olympischen Spielen als Trainer zum zweiten Mal die Goldmedaille

2012: drittes Gold bei den Olympischen Spielen in London, ebenfalls mit den Herren

Weise beendete im November 2015 seine Trainertätigkeit, um beim Aufbau einer DFB-Akademie mitzuwirken

Am 31. Juli 2019 beendete er seine Tätigkeit beim DFB auf eigenen Wunsch


 

Du bist ja in der Hockey-Welt nicht nur ein Begriff, sondern eine Institution. Wie kommst du als Hockey-Trainer dazu, dich in der Nachwuchsakademie beim Fußball zu engagieren?

Markus Weise: Da muss ich ein bisschen ausholen. Nach den Olympischen Spielen in London im Jahr 2012 hatte ich schon ein paar Jahre als Bundestrainer auf dem Buckel und habe überlegt, ob ich jetzt so weitermache bis zur Rente oder gucke ich mal nach rechts und links. 2015 hat mich dann Hansi Flick (damals Sportdirektor beim DFB) angerufen und hat von der Nachwuchsakademie erzählt, … dass sie jemanden suchen, der von außerhalb des Fußballs kommt, Erfolg hat und weiß, wie man Leistung entwickelt. Die Akademie war eine Idee, ein Projekt. Und der Gesuchte sollte die Idee mit Inhalten füllen. Es gab damals 16 Inhaltsmodule. Ich fand die Idee von Anfang an spannend und habe es mir mal angeguckt, musste mich bewerben und wurde zu Gesprächen eingeladen. Ich bin ohne Erwartungen dorthin gefahren und dachte mir, ich mache ein bisschen Interviewtraining, kriege den Job eh nicht, die nehmen bestimmt einen Bewerber aus dem Fußballsystem. Im Fußball ist das „Best-Buddy-System“ ja sehr dominant. Ich war also total entspannt bei den Gesprächen, hatte auch ein gutes Gefühl, wusste aber überhaupt nicht, ob es das war, was sich die DFB-Verantwortlichen vorstellen. Zwei Tage später hat sich Oliver Bierhoff bei mir gemeldet und mir die Entscheidung mitgeteilt. Erst da habe ich gedacht: Ups, soll ich das wirklich machen? Wir waren damals schon für die Olympischen Spiele in Rio und ich musste mich zwischen Olympia und der Akademie entschieden. Das war schon ein harter Cut für mich oder sagen wir mal, das Timing war nicht optimal. Ich hätte Rio gerne gemacht. Aber auf der anderen Seite fand ich die Nachwuchsakademie sehr spannend und deswegen habe ich mich dazu entschieden, den Job erst einmal drei Jahre zu machen. Es sind dann dreieinhalb Jahre geworden. Und die Akademie kommt jetzt wirklich – und ich habe da inhaltlich mitgewirkt. Das war sehr spannend für mich. Ich selbst bin ein Generalist und bei 16 grundverschiedenen Modulen haben wir thematisch alles dabei – vom Spielermentor bis zum Schiedsrichter, natürlich auch Trainerausbildung. So kam der Schwenk zum Fußball.

Wenn man sieht, wie viel Zeit die Hockeyspieler in ihren Sport investieren und vergleicht das mit der großen Fußballwelt – ärgert man sich dann über die vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit?

Markus Weise: Nein, ärgern tut mich das nicht, es ist ja eine freiwillige Entscheidung. Natürlich freut man sich, wenn es mal ein bisschen mediale Aufmerksamkeit gibt. Alle vier Jahre, wenn Olympische Spiele anstehen, steigt das an und danach wirst du sozusagen wieder vergessen. Aber so ist es halt. Wenn ich mich darüber ärgern würde …

Markus Eisel traf Markus Weise in Kassel. (Foto: privat)

Ist das ein Problem vom Spitzensport an sich?

Markus Weise: Ja, das betrifft ja nicht nur Hockey, das betrifft viele Sportarten. Das Bild des deutschen Sports ist natürlich geprägt vom Fußball. Und es wäre erstrebenswert, wenn sich mehr deutsche Unternehmen für den Leistungssport in Deutschland engagieren würden. Es wäre für viele spannende Verbände eine große Hilfe. 

Wie schwer ist der Sprung vom Hockey zum Fußball?

Markus Weise: Es kommt darauf an, wovon wir reden.

Die Mannschaftsdynamik wird ähnlich sein, oder?

Markus Weise: Das ist alles gleich. Wenn man sich eine Profigruppe anguckt, hat man natürlich schon hohe Anforderungen. Du hast vier, fünf, sechs, sieben Nationalitäten in deinem Kader. Die andere Wertesysteme haben, andere Religionen und aus anderen Kulturen kommen. Diese super heterogenen Gruppen sind schon anspruchsvoll, wenn du Deutsche, Asiaten und Afrikaner im Team hast. Trotzdem glaube ich, ändert das nichts an den Prinzipien. Nur ist in dem Fußballgeschäft der Druck so brutal hoch, am Wochenende die drei Punkte zu liefern, dass viele Trainer sich auf das fokussieren, was läuft und was sie gut können und zum Teil halt nicht mehr die Zeit investieren, sich mit dem Asiaten hinzusetzen und eine halbe Stunde später mit dem Afrikaner. Das schlaucht schon. Aber ich glaube trotzdem, dass man Mittel und Wege finden muss, das auf die Reihe zu kriegen, wenn so ein Gebilde als Mannschaft funktionieren soll.

Das ist ein Bild von der Gesellschaft…

Markus Weise: Das ist genau das Gleiche und da kannst du auch nicht sagen: Der ist mir zu viel in der falschen Kirche, der ist gar nicht katholisch, der ist mir zu fremd, mit dem rede ich nicht – so funktioniert es halt nicht. So funktioniert Zusammenleben nicht und so funktioniert auch Zusammenarbeit nicht im Sinne von „wir wollen zusammen eine Leistung abliefern“. Es ist eine Chance, das Unterschiedliche als eine Bereicherung zu begreifen, wenn du jedoch die Dinge nur unter dem kleinsten gemeinsamen Nenner laufen lässt, dann kannst du nichts Ambitioniertes erreichen.

Die Arbeit beim DFB ist jetzt beendet?

Markus Weise: Genau, zum 30. Juni war Vertragsende und ich gehe jetzt erst einmal zurück nach Hamburg – und in Hamburg gehe ich wahrscheinlich auch zurück ins Hockey.

Gehst du wieder in eine Vereinsmannschaft?

Markus Weise: Nein, nicht Verein, sondern in den Hamburger Verband. Die Stelle, um die es geht, nennt sich Bundesstützpunkt-Leiter. Im Zuge der Leistungssportreform des DOSB sind verschiedene Stellen geschaffen worden und Hockey hat sog. Bundesstützpunkte erhalten.

Aber als Nationaltrainer wirst du nicht wieder arbeiten?

Markus Weise: Nein, als Nationaltrainer nicht. Das will ich auch ehrlich gesagt nicht. Das habe ich lange genug gemacht und ich würde jetzt lieber am System arbeiten als im System. 

Ein Olympisches Turnier dauert vier Wochen, und dann bereitet man sich ja auch lange vor – das ist eine knüppelharte Zeit, oder?

Markus Weise: Das ist wie in einer Blase, das ist nicht mehr das richtige Leben. Nach dem dritten Tag weiß ich nicht mehr, welchen Wochentag wir haben und auch das Datum kenne ich dann nicht mehr. Du weißt auch nicht, was gerade auf der Welt passiert – es gibt nur noch den Hockey. Du hast für nichts anderes mehr Zeit, es ist super intensiv und wie in einer Blasenwelt. Und nach dem Schlusspfiff ist es, als hätte jemand in die Blase reingestochen und dann gehst du so langsam wieder zurück ins richtige Leben (lacht). Aber anders funktioniert es auch nicht.

Würdest du sagen, dass die Verbindung vom Trainer zur Mannschaft eine andere ist als im Fußball?

Markus Weise: Das ist schwer, ich kenne ja nur meine alte Welt. Ich würde aber wetten, dass es ziemlich vergleichbar ist, wenn z. B. Stefan Kuntz mit seiner U21 unterwegs ist. Okay, die sind in einem viel schickeren Hotel. Ich freue mich für Stefan und die Jungs, die jetzt auch qualifiziert sind für Tokio. Die Olympischen Spiele sind ein phänomenales Turnier, auch für Fußballer. Für junge Spieler ist das ein unvergessliches Wahnsinns-Erlebnis. Das gibt es im Fußball sonst so nicht. Du stehst dann mit Federer und Nowitzki in der gleichen Schlange und frühstückst mit den Superstars und du hast einen direkten Kontakt – das ist eine völlig andere Welt im Vergleich zu reinen sportartspezifischen Turnieren. Das ist eine tolle Erfahrung. Okay, wenn du im Dorf lebst, hast du ein Doppelzimmer und keinen Platz. Da steht ein Schrank drin und zwei Betten und vier Mann teilen sich ein Bad. Luxus ist etwas anderes. Aber wir sind nicht zweieinhalb Jahre im Olympischen Dorf, sondern nur drei Wochen. Und das bewirkt für eine Mannschaft viel Positives.

Das fördert wahrscheinlich das Miteinander, oder?

Markus Weise: Es ist eine superintensive Zeit für alle auf engstem Raum. Da ist nicht den ganzen Tag Instagram und alles nur Ego – es geht primär ums Miteinander im Team, es ist eben eine andere Welt. Auf so etwas musst du vorbereitet sein. Wenn du da ins Dorf kommst, das ist der blanke Wahnsinn. Ich habe mit meinen Jungs, mit den Mädels auch, immer zwei Tage Touristen-Phase gemacht – das musst du machen, weil das ein Bedürfnis der Spieler ist. Und wann sitzt du schon einmal mit Nadal und Federer an einem Tisch und kannst mit den Stars quatschen und Selfies machen, einfach so. Du musst keinen Termin ausmachen, sondern das ergibt sich. Das ist schon cool. (eis)