Fast die Hälfte der Frauen in Deutschland (43 Prozent) wurden laut einer Umfrage des Instituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur, an der Ende Oktober bundesweit insgesamt 2056 Menschen teilnahmen, schon einmal sexuell belästigt. Die Sexismus-Debatte ist nicht neu, aber wieder aufgekeimt.

Ist die mediale Präsenz des Themas eine gerechtfertigte Notwendigkeit oder geht der Aufruf „#metoo“, der schon fast wie eine Hetze gegen das männliche Geschlecht anmutet, schon zu weit?

Regina Pfanger (Herxheim): Die Debatte ist notwendig, weil es Missbräuche gibt und gab, die nicht toleriert werden dürfen. In einer über Jahrtausende von Männern geprägten Gesellschaft galten viele Übergriffe als normal oder allenfalls als Kavaliersdelikt, und die sogenannte sexuelle Revolution war in erster Linie eine Befreiung für die Männer – dank moderner Verhütungsmittel mussten sie sich nicht einmal mehr über die Folgen ihres Tuns den Kopf zerbrechen.

Hedi Braun (Bürgermeisterin von Herxheim): Solange man sachlich bleibt, finde ich jede Diskussion zu diesem Thema gut. Was ich nicht mag, ist, wenn Hasskampagnen entstehen. Das ist nicht mehr sachlich. Ansonsten ist die Debatte sehr wertvoll, weil Frauen sich über viele Jahrzehnte hinweg nicht getraut haben, sich zu äußern, aus Angst vor den Konsequenzen.

Claudia Bär (Landau): Ich finde es gerechtfertigt und absolut notwendig, dass es diese Debatte gibt. Ich finde es schade, wenn manche Äußerungen von Frauen als übertrieben bewertet werden, wie in meinen Augen jede Frau ihr eigenes Gefühl dafür hat, was für sie in Ordnung ist und was nicht. Wenn für eine Frau anzügliche Komplimente oder Kommentare auf körperlich, sexueller Ebene zu viel sind, dann darf sie das auch aussprechen.

Michael D’Aguiar (Herxheim): Generell finde ich den Aufruf #metoo nicht schlecht. Es ist wichtig, dass über diese Themen gesprochen wird. Viele Männer sind möglicherweise  verunsichert und wissen nicht, welchen Witz sie noch machen können, ohne der Sexuellen Belästigung bezichtigt zu werden. Die Debatte kann eine Chance sein, das eigene Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen zu überdenken und ich würde es als falsch empfinden, wenn dies nun zu einem Tabuthema avancieren würde.

Unter dem Hashtag „metoo“ äußern sich betroffene Frauen zu Sexueller Belästigung. (Foto: mda)

Wo fängt Sexuelle Belästigung an? Für die eine Frau mag ein Kompliment oder ein schlechter Witz schon Belästigung sein…

Michael D’Aguiar: Manche haben einfach ein lockereres Mundwerk. Und ganz verbiegen möchte man sich ja auch nicht. Da muss man sich, im übertragenen Sinne, erst einmal abtasten und herausfinden, wo die Grenzen des Gesprächspartners sind. Das hat viel mit Fingerspitzengefühl zu tun. Wer zu weit gegangen ist, sollte die Größe besitzen und sich entschuldigen. Aber das gleiche wünsche ich mir auch für die Frau: Sie sollte gleich Stellung beziehen und nicht im Nachgang mit einem Hashtag im Netz.

Hedi Braun: Ich glaube, das ist bei jeder Frau anders. Die eine empfindet schon einen anzüglichen Witz als Belästigung; eine andere Frau ist schlagfertig und gibt eine entsprechende Antwort und damit ist das Thema für sie erledigt. Ich glaube, das ist einfach abhängig von dem persönlichen Empfinden. Aber wenn man an Körperstellen berührt wird, die nicht üblich sind, und ich spreche jetzt nicht von einem Schulterklopfen, dann ist es für mich definitiv Belästigung.

Regina Pfanger: Belästigung kann auch verbal sein. Ich erinnere mich, dass ich als junges  Mädchen einmal dabei war, als Männer zu vorgerückter Stunde Witze erzählten, die einfach nur plump frauenverachtend waren. Ich habe damals all meinen Mut zusammengenommen, um gegen die Geschmacklosigkeit zu protestieren, weil ich sie als beschämend und verletzend empfand. Ich wurde für meine „Frechheit“, einen Mann zu kritisieren, übel in den Senkel gestellt, und er griff noch tiefer in die Kiste.

Claudia Bär: Für mich fängt Sexuelle Belästigung auch schon auf verbaler Ebene an.

Auf einer Party wird geflirtet, was das Zeug hält. Aber für den ein oder anderen mag ein Kompliment zum Dekolleté schon zu weit gehen. (Foto: mda)

Mal ganz konkret: Empfinden Sie  ein Kompliment für ein schönes Dekolleté, dass Sie auf einer Party bekommen, als Sexuelle Belästigung?

Claudia Bär: „Kommentare zum Dekolleté einer Frau empfinde ich als anzüglich und nicht angemessen. Ich würde in so einer Situation meinem Gegenüber aber gleich auf die Unangemessenheit seines Kommentars aufmerksam machen.

Herr D‘Aguiar, wurden Sie schon einmal von einer Frau sexuell belästigt?

Michael D’Aguiar: Ich hatte mal einen homosexuellen Kollegen, der permanent anzügliche Bemerkungen mir gegenüber gemacht hat und mir auch körperlich nah kommen wollte. Ich musste erst sehr deutlich werden, bis er meine Grenzen schließlich akzeptieren konnte.

Glauben Sie, dass es einfach eine gewisse Kommunikationsschwierigkeit zwischen Mann und Frau gibt?

Hedi Braun: Ich glaube immer an das Positive in einem Menschen. Und deswegen glaube ich auch, dass es Männer gibt, die einer Frau wirklich nur ein Kompliment machen wollen… während es bei der Frau als Belästigung ankommt. Aber die Kommunikation zwischen Mann und Frau ist jedoch höchst kompliziert. Und deshalb gibt es Missverständnisse. Schlimm ist nur, wenn man nicht sachlich darüber redet, was bei so einem Thema natürlich auch schwierig ist. Wenn mir etwas nicht gefällt, sage ich es gleich. Man muss den Mut haben, es anzusprechen, wenn einem etwas nicht gefällt. Oft fehlt den Frauen aber das Selbstbewusstsein. Sie haben Angst, etwas zu sagen, weil sie Konsequenzen befürchten. Gerade in der Arbeitswelt ist das ein alltägliches Problem, weil diese immer noch stark von Männern geprägt ist.

Claudia Bär: Es ist möglich, dass Kommunikationsprobleme zwischen Männern und Frauen eine Rolle spielen. Aber meiner Meinung nach gilt, dass man sich in jeder Kommunikationssituation auf seinen Gegenüber einstellen sollte.

Frau Keim, Sie sind Gleichstellungsbeauftragte im Landkreis Germersheim. Was konkret ist Ihre Aufgabe, wenn sich eine Frau Ihnen anvertraut?

Alexandra Keim: Zunächst einmal ist es wichtig, dass ich zuhöre und der betroffenen Frau einen Raum schaffe, in dem sie langsam Vertrauen zu mir aufbauen kann. Ich berate und zeige ihr Möglichkeiten auf, auf Sexuelle Belästigung zu reagieren. In extremen Fällen von Übergriffen, rate ich auch, zur Polizei zu gehen.

Was raten Sie konkret, wenn sich eine Frau von Kollegen belästigt fühlt?

Alexandra Keim: Da ist ganz klar der Arbeitgeber gefragt. Er ist dazu verpflichtet gegen solche Vorfälle vorzugehen. Deswegen rate ich, dass man sich seinem Arbeitgeber anvertrauen sollte.

Wie wichtig ist Prävention und Aufklärung?

Alexandra Keim: Das ist ein sehr wichtiges Stichwort! Anlässlich des Internationalen Tages „Nein zu Gewalt an Frauen und Mädchen“ am 25. November, findet deswegen auch am
28. November auf dem Nardiniplatz in Germersheim, die Fahnenaktion von ‚Terre des Femmes‘ statt. Dabei setzen wir ein deutliches Zeichen für ein gleichberechtigtes, selbstbestimmtes und freies Leben von Frauen und Mädchen und informieren an einem Stand zu diesem Thema. Ich suche nicht das Gespräch zu Betroffenen, sondern zu Mitstreitern.

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Ansichtssache

2013 gab es schon einmal eine Diskussion um Sexismus. Damals stand unter dem Hashtag Aufschrei (#Aufschrei“) ein deutscher Politiker im Fokus der Debatte. Sie erinnern sich? Besagter Politiker hatte einer Journalistin gegenüber anzügliche Bemerkungen an einer Hotelbar gemacht. Vier Jahre später wird wieder geschrien, mit einer großen Wucht: „#metoo“. Aber warum dieser öffentliche Aufschrei? Warum reagieren betroffenen Frauen nicht sofort und sagen deutlich: „Stop“. Wie soll ein Mann wissen, dass er zu weit gegangen ist, wenn man es ihm nicht sagt?

Ich denke, dass das eigentliche Problem in der Kommunikation zwischen Frau und Mann liegt: Frau sagt A, Mann versteht B – und andersherum. Weiß Mann, wie belästigend seine Andeutungen (für Frau) sind? Mann neckt, Frau fühlt sich erniedrigt. Das ist der ganz alltägliche Sexismus. 

Vielleicht wäre die Überlegung gar nicht mal so schlecht, ein Wörterbuch herauszubringen ähnlich dem von Comedian Mario Barth nur das dieses dann heißen müsste„Mann-Deutsch/Deutsch-Mann: Was bedeuten die Avancen meines männlichen Gegenübers wirklich?