Michael Kessler: „Einen Saal zum Lachen zu bringen, ist viel schwerer, als ihn zum Weinen zu bringen“

Unter vier Augen: Der Schauspieler und Komiker Michael Kessler spricht im Interview mit Anne Herder und Markus Eisel über seine Reise von den Theaterbühnen über „Switch“ bis hin zu „Kessler ist...“. Ab dem 5. März läuft im ZDF eine neue Reihe mit Kessler, wo er durch Russland, England und Italien reist.

Die „Wand“ spielt bei „Kessler ist …“ eine zentrale Rolle. (Foto: ZDF/Mike Christian)

Steckbrief
Kessler wurde am 24. Juni 1967 in Wiesbaden geboren.
Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre war er in vielen Theaterproduktionen zu sehen.
Als Klausi in „Manta, Manta“ hatte Kessler 1991 in seine erste Kinorolle.
Einem breiten Fernsehpublikum wurde er ab 1999 als Mitglied von „Switch“ und Switch reloaded“ bekannt.
Seit 2010 reist der Schauspieler im Rahmen von „Kesslers Expedition“ durch Deutschland.
In „Kessler ist …“ schlüpft er seit 2014 in die Rolle von Prominenten, die sich am Ende dann selbst interviewen dürfen.


Wie würden Sie ihr neues Projekt „Ziemlich beste Nachbarn“ beschreiben?

Michael Kessler: Es ist ein unterhaltsamer Blick über den Tellerrand. Ich glaube, wir alle sind gefordert, mal über diesen Tellerrand zu schauen. Wir alle haben ja über die Menschen in unseren Nachbarländern schon Bilder im Kopf: So sind die Russen, so sind die Italiener, so sind die Engländer. In unserer Bequemlichkeit berufen wir uns dabei gerne auf die gängigen Klischees. Ich bin für diese Reihe also einfach mal losgezogen, um dem auf den Grund zu gehen: Wie sind denn nun „die Russen“ wirklich? Am Ende ist daraus ein sehr unterhaltsames Format geworden, das den Horizont erweitert.

Gab es denn auch so richtig überraschende Erkenntnisse?

Michael Kessler: Ja! Ich war zum Beispiel in meinem Leben zuvor noch nie in Russland. Und das teile ich sicher mit vielen Deutschen – das ist ja nicht unbedingt unser Urlaubsland Nummer eins. Aber es lohnt sich, dorthin zu fahren! Wir haben so viele Bilder von diesem Land schon im Kopf, sind natürlich auch historisch vorbelastet, haben kein einfaches Verhältnis. Und dann habe ich dort ganz viele Russen kennengelernt, die mir gezeigt haben: Wir sind uns eigentlich relativ ähnlich! Das war für mich eine überraschende Erkenntnis. Es war ein großes Abenteuer und genau der Beweis, wie wichtig es ist, mal selbst hinzufahren und sich ein Bild zu machen!

Werden in der Reihe auch politische Themen aufgegriffen?

Michael Kessler: Wir sprechen in England natürlich auch über den Brexit – wenn auch nicht als Schwerpunkt. Wir reden in Russland über Putin und das Verhältnis der Russen zu ihren Herrschern. Das Format soll natürlich in erster Linie unterhaltsam sein, aber es ist gespickt mit historischen und politischen Fakten.

Dreharbeiten für „Ziemlich beste Nachbarn“: Michael Kessler trotzt den eisigen Minusgraden in Sibirien. (Foto: ZDF/Oliver Halmburger)

Sie haben gesagt, dass Sie großer Europa-Fan sind. Wie zuversichtlich blicken Sie in die Zukunft? Im Mai steht die Europawahl an …

Michael Kessler: Ich bin ein Europa-Fan, weil ich der Meinung bin, dass wir die Probleme und Herausforderungen der Zukunft nur in einer Gemeinschaft lösen können. Es macht keinen Sinn, wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht. Deswegen hoffe ich sehr, dass der Europäische Gedanke weiter lebt und wir weiterhin so gut zusammen leben und zusammen arbeiten können. Ich sehe das als einzige Chance!

Ist das auch eine Botschaft der Reihe „Ziemlich beste Nachbarn“?

Michael Kessler: Es steckt keine konkrete politische Botschaft dahinter. Aber es war natürlich auch einer meiner Hintergedanken, als man mich für diese Reihe angefragt hat. Ich finde es wichtig, gerade in dieser Zeit, über die Grenzen zu schauen und sich mit unseren Nachbarn zu beschäftigen! Das bringt uns sicher ein Stückchen näher zusammen.

Ein bisschen fehlt genau diese Idee des Zusammenrückens im politischen Diskurs, oder? Europa ist schließlich der größte Friedensbringer.

Michael Kessler: Richtig. Über die Idee „Europa“ haben lange verfeindete Staaten zueinander gefunden. Es wird viel geschimpft auf die EU. Man darf die großen Vorzüge aber auf keinen Fall vergessen. Die Reisefreiheit, die gemeinsame Währung, der Binnenmarkt – das sind Dinge, von denen viele, viele Menschen profitieren!

„Wohl bekomm‘s!“: Michael Kessler lernt in der Russland-Folge von „Ziemlich beste Nachbarn“, dass Russen sich nicht mit „Nasdrovje“ zuprosten. (Foto: ZDF/Oliver Halmburger)

Das Fernsehpublikum kennt Sie zunächst vor allem als Komiker. Inzwischen sind Sie öfter auch in „ernsteren“ Formaten zu sehen. Woran liegt das?

Michael Kessler: Ich war immer auch ein ernster, nachdenklicher und reflektierender Mensch. Das verschwindet vielleicht auf den ersten Blick hinter der Comedy-Fassade. Ich habe mir immer Projekte ausgesucht, die ich spannend fand – auch in der Comedy. „Switch“ zum Beispiel war ja auch nicht nur Blödelei, sondern hatte auch einen satirischen Ansatz. Und mit der Zeit haben sich dann auch Projekte wie „Kesslers Expedition“ ergeben. Ich habe das so aber nie forciert. Es kam einfach auf mich zu, ich fand es spannend und hab es gemacht! Trotzdem bin ich immer noch kein Journalist! Was ich tue, tue ich rein intuitiv. Es ist meine reine Neugier, mit der ich unterwegs bin. Auch das jetzt war ein Abenteuer, auf das ich mich eingelassen habe und das ich mit meiner – vielleicht naiven – Neugier durchlebe!

Setzen Sie bei solchen Projekten hauptsächlich Ihre eigenen Ideen um? Oder liegt ein konkretes Drehbuch zugrunde?

Michael Kessler: Das kommt auf die Sendung an. „Kessler ist…“ ist ganz stark mit mir verbunden. Ich überlege mir alle Fragen selbst, überlege mir die Richtung und den Schwerpunkt, worum es bei den Prominenten gehen soll. Dabei werde ich natürlich von einer Redaktion unterstützt, die viel für mich recherchiert und mich mit Informationen versorgt. Und so ähnlich war das jetzt bei „Ziemlich beste Nachbarn“ auch.
Sie sind bei „Switch“ schon in verschiedene Rollen geschlüpft und haben Prominente parodiert. War das die Vorstufe zu „Kessler ist…“ – also quasi das Trainingslager?
Michael Kessler: Ich habe vor „Switch“ tatsächlich nie parodiert! Ich wusste vorher gar nicht, ob ich das überhaupt kann – und es hat dann ja wirklich gut funktioniert. Als das ZDF dann jemanden für „Kessler ist…“ gesucht hat, konnte ich also eine ganz gute Kombination aufweisen: Ich hatte Erfahrungen beim Parodieren, war aber auch schon in journalistischen Formaten unterwegs – zu dem Zeitpunkt mit „Kesslers Expedition“, meinen Reisen durch Ostdeutschland.

Haben Sie sich „Kessler ist …“ direkt zugetraut?

Michael Kessler: Es ist ja ein Format aus Israel. Dort ging das aber nur 15 Minuten und es war relativ einfach umgesetzt. Trotzdem habe ich sofort gesehen, welch großartige Idee dahinter steckt. Wie die beiden sich am Ende selbst gegenübersitzen – das musste ich einfach machen! Das Format ist spannend, toll und überraschend für den Zuschauer. Bei der Euphorie habe ich am Anfang aber die Arbeit, die dahinter steckt, fast unterschätzt. Es ist bis heute das Schwierigste, was ich je beruflich gemacht habe in meinem Leben!

In der letzten Folge haben Sie sich selbst interviewt! Sie kennen inzwischen also sogar beide Seiten …

Michael Kessler: Ja, das war extrem spannend. Und sehr aufwendig beim Dreh. Besonders überwältigend fand ich den Moment vor der Wand. Ich habe die Prominenten ja schon oft dabei beobachtet, wie sie sich diese Wand anschauen. Jetzt hatte ich diesen Moment selbst. Ich wusste vorher nicht, welche Fotos da hängen – und das ist ein wirklich ergreifender Moment, schwer in Worte zu fassen. Man sieht sein ganzes Leben auf einer Wand – dabei geht einem einiges durch den Kopf.

Gab es auch schon mal negative Rückmeldungen von Prominenten, die Sie parodiert haben?

Michael Kessler: Nein. Das würden sie mir vermutlich auch nicht ehrlich sagen. Bei Switch gab es sicher Szenen, nach denen sich der ein oder andere auf den Fuß getreten gefühlt hat, aber das bekommen wir ja nicht mit. Bei Günther Jauch bin ich mir aber zum Beispiel sicher, dass er kein Problem damit hatte! Das war ja eine sehr wohlwollende Parodie. Florian Silbereisen musste da schon ganz andere Dinge einstecken.

Haben Sie noch Träume, die Sie sich beruflich gerne erfüllen möchten?

Michael Kessler: Das hatte ich in dem Sinne noch nie! Ich denke immer sehr stark für den Zuschauer: Womit kann man das Publikum überraschen, was könnte interessant sein? Das wird allerdings immer schwieriger. Man kann das Rad nicht ständig neu erfinden. Aber beispielsweise mit „Kessler ist…“ haben wir so einen Moment erlebt. So etwas gab es noch nicht! Danach suche ich immer wieder, ich schaue mir an, was auf mich zu kommt, und lasse dann mein Bauchgefühl entscheiden. Einen Plan oder einen Traum dahinter gibt es aber nicht.

Gab es rückblickend in Ihrer Karriere etwas, was sie lieber hätten sein lassen?

Michael Kessler: Nein. Ich stehe zu allem, was ich gemacht habe! Man muss es ja mal so sehen: Dieser Beruf ist ein sehr schwieriger und auch ein sehr gefährlicher. Es gibt Zeiten, wo ich mir meine Projekte aussuchen kann. Es gab aber auch Phasen, da war das nicht möglich. Da nimmt man auch Sachen an, die nicht unbedingt extrem anspruchsvoll oder kreativ sind. Aber das ist okay und ich kann immer noch jeden Kollegen verstehen, der solche Kompromisse eingeht. Da ich sehr breit aufgestellt bin und mich selbst nie in Schubladen hab einordnen lassen, bin ich sehr zufrieden mit meinem beruflichen Weg!

Gerade als Comedian ist es wahrscheinlich oft nicht einfach. Lustig zu sein, ist richtig schwer!

Michael Kessler: Die Engländer haben ja den Ausdruck „funny bones“. Lustig zu sein liegt einem also in den Knochen – oder eben nicht. Komik kann man nicht erlernen. Klar, über Humor lässt sich nicht streiten. Aber die Komik an sich muss man in sich haben. Es ist ein großes Geschenk, wenn man dieses Talent hat. Viele Menschen kommen auf mich zu und sind dankbar, weil ich sie zum Lachen gebracht habe, weil ich sie vom Alltag oder sogar von einer Krankheit abgelenkt habe. Das ist ein sehr herzliches und tolles Feedback, über das ich mich sehr freue – auch wenn die Comedy im deutschen Feuilleton nicht unbedingt die am höchsten angesehene Kunst ist. (räuspert sich) Das Drama hat in Deutschland einfach eine größere Bedeutung, es drückt schließlich die deutsche Schwere aus! Aber einen Saal zum Lachen zu bringen, ist viel schwerer, als ihn zum Weinen zu bringen!

Anne Herder im Gespräch mit Michael Kessler. (Foto: eis)

Apropos Theater! Spielen Sie aktuell noch?

Michael Kessler: Im Moment leider nicht, obwohl ich das Theater liebe und es toll finde, auf der Bühne zu stehen. Aber um dorthin zurückzukehren, müsste wirklich alles stimmen: das Stück, die Kollegen, die Regie. Ich fühle mich in der klassischen Kunst-Abteilung einfach nicht zuhause. Auf einer schrägen, kahlen Bühne zu stehen, nackt, sich mit Blut übergießend – das ist nicht meins! Damit kann ich nichts anfangen. Theater bedeutet für mich Illusion, Zauber, Entführen in eine andere Welt. Zum Lachen bringen, zum Weinen bringen, nachdenklich machen – es muss etwas passieren auf der Bühne. Ich brauche Bühnenbilder, Kostüme, Perücken. Theater soll nicht nur im Kopf entstehen, sondern im Herzen.

Sie sind auch nicht als Stand-up-Comedian auf den Bühnen unterwegs. Wie kommt das?

Michael Kessler: Ich komme vom Theater, von der Schauspielschule und habe nie Stand-up gemacht. Ganz anders als Kollegen wie Michael Mittermeier zum Beispiel. Die haben auf den Bühnen gelernt, sind dort groß geworden. Ich kann das gar nicht! Es ist eine komplett andere Welt. Stand-up-Comedians sind als Solisten unterwegs. Sie schaffen es, große Hallen in den Bann zu ziehen. Ich brauche dafür eine Rolle, etwas, das mir Halt gibt. Ich kann mich nicht hinstellen, Witze erzählen und so die Leute überzeugen. Ich kann spontan sein und improvisieren, aber Stand-up beherrsche ich nicht. Lustigerweise hat mich der Regisseur in der England-Folge von „Ziemlich beste Nachbarn“ dazu verdonnert, in einem Londoner Stand-up-Club aufzutreten. Ich bin dabei aber fast gestorben. Ich musste das ja auf Englisch machen und war so aufgeregt wie seit 30 Jahren nicht mehr.

Sie haben vorhin erzählt, dass Sie oft positive Rückmeldungen von Zuschauern bekommen. Gibt es ein Erlebnis, das Sie besonders stolz macht?

Michael Kessler: Ich freue mich immer sehr über die extrem herzlichen Rückmeldungen auf die „Expedition“ – von den Menschen aus Ostdeutschland. Die Menschen dort sind allesamt sehr dankbar, dass ich diese Reise auf mich genommen habe und ihre Heimat endlich mal anders im Fernsehen zeige, als die meisten Sendungen das sonst tun. Bei mir waren das nicht alles Nazis oder Arbeitslose. Es gab einen Moment, wo ich morgens in Leipzig zum Bahnhof gelaufen bin und mir eine Gruppe entgegen gekommen ist. Eine Frau hat mich in den Arm genommen und ganz fest gedrückt sich bedankt. Das sind großartige Momente.

Dann haben Sie auch keine Berührungsängste, wenn Fans einfach so auf Sie zukommen?

Michael Kessler: Nein! Überhaupt nicht! Die allermeisten Menschen sind ja sehr freundlich und wissen sich zu benehmen! Wenn ich nicht fürs Fernsehen arbeiten würde, wäre ich doch genau so, wenn ich einen Prominenten im Supermarkt treffen würde. Das ist doch völlig normal! Das sind unsere Zuschauer, das ist unser Publikum! Für diese Leute mache ich meinen Job. (hea/eis)