(Foto: imago-images / Norbert Schmidt)

Steckbrief

Olaf Thon

Geboren: 1966 in Gelsenkirchen

1983: Debütant für die „Knappen“ als zweitjüngster Spieler der Geschichte der
2. Bundesliga

1988: Wechsel zum FC Bayern München; 1994 wieder zurück nach Gelsenkirchen

1997, 2001/2002: Gewinn des UEFA-Pokals sowie des DFB-Pokals mit Schalke 04

2002: Ende seine Karriere als Bundesligaspieler nach langwierigen Verletzungen

1984 bis 1998: Thon trug 52 mal das Trikot der A-Nationalmannschaft und erzielte drei Treffer

Seit 2012: Offizieller Repräsentant des FC Schalke 04. Seit 2015 Leitung der eigenständige Abteilung „Traditionself“ von Schalke 04


Was ist denn deine genaue Funktion beim FC Schalke 04?

Olaf Thon: Leuten zu zeigen, was hier auf Schalke alles gemacht wird, so wie gerade, als ich euch das ganze Umfeld, Berger Feld und den Neubau gezeigt habe. Aber das ist nur mein Hobby, zu erklären, was hier entsteht. Ich bin Repräsentant bei Schalke 04 für alle möglichen Dinge, die den Verein betreffen. Ich begleite die erste Mannschaft auch mit auf Auslandsreisen. Mein eigentlicher Job ist aber seit gut vier Jahren, dass ich der Traditionself von Schalke 04 als Abteilungsleiter vorstehe mit Martin Max und Thomas Kruse im Vorstand. Anfang Februar 2015 haben wir diese Aufgaben übernommen und Stand heute haben wir 110 Mitglieder – wir haben somit die Mitgliederzahl verdoppelt. Davon sind ungefähr noch die Hälfte in der Lage, Fußball zu spielen. Der Kern sind ca. 30 bis 40 Leute. Man kann das gut auf unserer Schalke-Website sehen. Da sieht man auch die Teams und den Spielplan. Wir machen ungefähr 40 Spiele im Jahr und zusätzlich 40 Veranstaltungen. Und wir haben jetzt auch eine „Dicken-Gruppe“ gegründet.

Eine Dicken-Gruppe?

Olaf Thon: Ja, einige Spieler der Traditionself waren zu dick und passten nicht mehr in die Trikots. Wir haben die Marke gewechselt und als wir ein Mannschaftsfoto gemacht haben, musste sich ein Spieler wie eine Wurst in das Jersey pressen. Ab dem Zeitpunkt haben wir dann gesagt, so geht es nicht mehr. Und wir haben es geschafft, mit 15 Ehemaligen aus der Tradition innerhalb von drei Monaten insgesamt 75 Kilogramm abzunehmen. Das ist eine stramme Leistung. Sogar ich habe drei Kilo abgenommen – obwohl ich nicht zu viel drauf hatte. Trotzdem: Ich habe fünf Kilo mehr auf der Waage als noch zu meiner aktiven Zeit. So konnte ich mich auch wieder ein wenig fit machen. 2019 haben wir dann gesagt, dass wir weitermachen und den Jojo-Effekt verhindern wollen. Wir haben eine Kooperation mit dem Medicos.AufSchalke, mit denen machen wir eine Gesundheitsstraße mit Lactat-Test, Spiroergometrie, Herzuntersuchungen, Blutuntersuchung. Das alles ist jetzt im März gestartet, im September wird es wiederholt. Und im November wollen wir die Ergebnisse  präsentieren und schauen, ob der Jojo-Effekt anhält oder nicht. Wir haben auch zusammen gekocht – Klaus Fischer und ich, er hat aber keinen Fallrückzieher dabei gemacht (lacht). Das sind alles so Projekte, die ich machen darf. Da habe ich auch die volle Unterstützung des Vorstands. Natürlich kümmere ich mich auch ein bisschen um Fußball, klar. Ich bin auch Kolumnist beim Kicker, ich mache Radio und auch bei Sport1 bin ich des Öfteren zu sehen.

Bei uns gibt es ja eine Lotto-Elf …

Olaf Thon: Genau, gegen die haben wir gespielt und sie geschlagen. Hans-Peter Briegel war der Trainer. Wir haben im letzten Jahr dort gespielt. Die Prämisse war, darüber wurde schon bei der Pressekonferenz im Vorfeld gesprochen, dass wir nicht gewinnen dürfen, weil die Lotto-Elf zwei Jahre nicht verloren hatte. Und wer hat sie geschlagen? Wir. Aber es war ganz knapp. Peter kam dann in der Halbzeit zu mir: „Olaaaaf, wir dürfen nicht verlieren.“ Ich erklärte ihm dann, dass ich schlecht zu meinen Jungs sagen kann, sie sollen einen reinlassen.

Du warst 19 Jahre lang Profi. Bleibt da körperlich etwas auf der Strecke?

Olaf Thon: Ja, natürlich. Mit den Knien habe ich Glück gehabt, aber der große Zeh und auch die Sprunggelenke und die Schulter sind in Mitleidenschaft gezogen. Ich hatte über zehn Operationen. Sonst hätte ich ja auch viel mehr Länderspiele gemacht als meine 52. Mein Körper hat da einfach nicht so mitgespielt. Ich wurde ja nach zehn Jahren – eigentlich war ich ja immer Stürmer – aufgrund dessen der offensive Libero. Lothar Matthäus und Matthias Sammer haben von mir gelernt, auf dieser Position zu funktionieren, weil ich diese Position als erster gespielt habe.

Markus Griesch (links) und Markus Eisel (rechts) trafen Olaf Ton auf Schalke. (Foto: privat)

Ist die körperliche Belastung heute anders als damals?

Olaf Thon: Schon. Es gibt heute noch mehr Spiele, noch mehr Druck, der Konkurrenzkampf insgesamt ist größer. Die Spieler müssen sich auch im Training mehr beweisen. Und die Qualität im Fußball ist einfach höher. Als ich beim FC Bayern war, von 1988 bis 1994, hatten wir vielleicht drei Ausländer oder vier. Und auch nicht in dieser spielerischen Qualität wie heute.

Das Spiel hat sich wahrscheinlich auch verändert …

Olaf Thon: Ja, man läuft einen Kilometer mehr im Schnitt und das Spiel wird eigentlich jedes Jahr ein bisschen schneller.

Und was ist mit der Trainingsmethode?

Olaf Thon: Ja, aber das ist ein Vorteil, was die Trainingssteuerung betrifft. Die Trainer gehen heute weitaus vernünftiger mit dem Potential ihrer Spieler um, als ein Felix Magath oder andere. Wenn wir mit Diethelm Ferner ein Spiel verloren haben, war am anderen Tag Straftraining angesagt. Dann hieß es, eineinhalb Stunden im Wald laufen, so schnell du kannst. Obwohl Diethelm Ferner ein guter Trainer war. Früher war es aber anders. Heute kann sich das kein Trainer mehr erlauben, Samstag zu verlieren, und das Team am Sonntag dann im Wald Vollgas laufen zu lassen.

Wird heute an sich weniger trainiert?

Olaf Thon: Das glaube ich nicht. Die Trainingssteuerung, individuelles Training, was Abwehr und Mittelfeld angeht, Torwarttraining – früher hatte man überhaupt kein Torwarttraining. Das hat alles der Cheftrainer gemacht oder der eine Co-Trainer, den man vielleicht hatte. Oder manchmal hat ein Zeugwart, z. B. Giras Kolpas, der Eurofighter, individuelles Training gemacht, weil er auch die Qualität dafür hatte, weil er eigentlich Physiotherapeut war.

Stichwort Eurofighter: War das die schönste Zeit im aktiven Fußball für dich, auch der Erfolg, den man da gefeiert hat?

Olaf Thon: Ich würde sagen, es war der schönste Titel. Ich war da ja auch der Kapitän, der den Pokal hochhalten durfte. 1990 war natürlich der größte Titel, auch international. Wenn man irgendwo hinkam, nach China oder so, dann hieß es: Da kommt der Weltmeister und nicht, dass ich den UEFA-Pokal hochgehalten habe. Aber auch die drei Meisterschaften mit Bayern – die gewinnt auch jeder in sechs Jahren – aber das war damals die erste Meisterschaft, bei der ich mit Uli Hoeneß auf dem Tisch getanzt habe. Das war halt was ganz Besonderes. Wenn man von Gelsenkirchen weggeht, 22 Jahre alt ist, heiratet dann auch und wird direkt Meister – das sind so Highlights und man schwebt über allem. Da muss man erst einmal wieder geerdet werden, das ist gar nicht so einfach.

Wie verändert der Erfolg einen Menschen? Oder verändert sich das Umfeld?

Olaf Thon: Das ist die große Frage. Und es ist bei jedem anders und Glückssache.

Da kommt es schon auf das Umfeld an, ob die einen wieder runterholen, oder?

Olaf Thon: Ja, und so war es bei mir. Meine Frau und ich sind beide in Gelsenkirchen geboren und kennen uns, seit wir 14 sind. Wir sind erst einmal von Gelsenkirchen aus zusammengezogen nach Gladbeck, dann zwei Jahre später nach München, haben geheiratet, Kinder gekriegt – dann hat man auch ein familiäres Umfeld. Und man ist dadurch ein bisschen behüteter und hat seinen Rhythmus und seinen festen Kreis. Wenn man den mit Nachbarschaft und Freundschaften, die sich dann auch in München ergeben haben, pflegt, und nicht nur Party macht, klappt es auch. Wenn man Junggeselle ist, ständig Party und verrückte Sachen macht, ist die Gefahr natürlich groß, abzuheben.

Warum ist Bayern München so ein besonderer Club? Nur wegen des Erfolgs oder auch aufgrund der internen Vereinsaufstellung?

Olaf Thon: Ich glaube, Uli Hoeneß ist der Kopf des Ganzen gewesen. Er hat natürlich auch übernommen von Robert Schwan, der ja damals schon mit Franz Beckenbauer zusammen ein Adlerauge hatte, den richtigen Mann zu fördern, sodass dieser später Legendenstatus erlangte. Hoeneß, Breitner, Müller, Maier – diese Verantwortlichen haben in den 1970er Jahren richtig etwas aufgebaut und das geht ja zurück auf den Manager. Und dann kam die Glücksgeschichte hinzu, dass man damals beim FC Bayern auch nicht so viel Geld zur Verfügung hatte. Uli Hoeneß hat damals eine Marktlücke entdeckt und das Merchandising erfunden. Ich konnte später sehen, wie er alle Dinge vorangetrieben und Kooperationen geschlossen hat. Dann holte er Karl-Heinz Rummenigge und Franz Beckenbauer zurück, als es nicht so gut lief. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Ich spielte zusammen mit Stefan Effenberg und wir wurden 10. in dieser Saison, hatten teilweise sogar Abstiegsangst. Dann kam Franz Beckenbauer, der 1994 noch einmal Meister wurde. Da hatte Uli Hoeneß den richtigen Einfall in der Not. Das er nach seinem kleinen Aufenthalt im Gefängnis dann so wieder zurückkommt – das hätte ich nie für möglich gehalten. Alle haben ihm das gewünscht – eine zweite Chance hat jeder verdient – und er hat es mehr als genutzt, auch wenn da ein paar kleine Fettnäpfchen dabei waren (lacht). Man merkt, der Wind wird rauer, auch bei Uli Hoeneß oder bei Karl-Heinz Rummenigge oder wie man mit Nico Kovač umgeht – für den Erfolg, wie er gesagt hat. Der Druck wird riesengroß. Aktuell ist Bayern München einfach gezwungen, diesen Weg zu gehen. Wenn du nur Friede, Freude, Eierkuchen machst, bist du zweiter Sieger.

Kannst du es nachempfinden, dass Nico Kovač so in Frage gestellt wird?

Olaf Thon: Das ist so und es geht wohl nicht anders, ein junger Trainer muss auch da durch. Wir haben ja leider auch einen jungen Trainer mit Domenico Tedesco verloren, den man wirklich gehalten hat bis zum Ende. Und es war dann alternativlos, dass Huub Stevens, Mike Büskens und Gerald Asamoah die Saison nach Hause gebracht haben. Ob Domenico das geschafft hätte, weiß man nicht. Ich bin froh, dass wir nicht in die Relegation mussten wie Stuttgart. Das war eine sehr unglückliche und sehr schlechte Saison von Schalke 04.

Ich gehe mal kurz auf deine Expertentätigkeit ein. In deiner aktiven Zeit gab es ja auch schon Experten. Haben die dich nicht genervt?

Olaf Thon: Ja, natürlich. Gerade Paul Breitner, der irgendwann einmal gesagt hat, der Olaf Thon spielt wie ein Schmetterling – ohne Zweikampfverhalten. So etwas bleibt dann immer irgendwie haften. So wie beim Schweinsteiger, als ich ihn vor der WM 2014 kritisiert habe, weil er zu langsam war. Und er hat Reaktion gezeigt. Wir beurteilen die Spieler und das, was wir auf dem Platz sehen, und wenn Schweinsteiger langsam ist, dann ist er langsam. Dafür ist ein Kritiker ja da, so wie ich. Letztendlich sitzen wir da aber alle in einem Boot. Die Spieler in der heutigen Zeit wissen damit noch besser umzugehen als die früher. Ich versuche, meine Kritik sportlich zu verfassen und es ein bisschen mit Ironie und Spaß zu verbinden. Solche Expertenrunden sind immer fundiert und oberhalb der Gürtellinie.

Jetzt kommen aufstrebende Vereine wie RB Leipzig, Wolfsburg, Hoffenheim – nicht die typischen Traditionsvereine …

Olaf Thon: Diese Zeit ist vorbei.

Ist der Untergang der Traditionsvereine nicht auch ein bisschen darin begründet, dass man sich in der Tradition suhlt?

Olaf Thon: Das ist genauso wie in der Politik. Mit Blick auf die Europawahl und Andrea Nahles, die zurückgetreten ist bei der SPD. So kann man das auch bei den Fußballvereinen runterbrechen. Es brechen die Mitglieder weg und man muss kämpfen, um die Jugend zu begeistern – das schaffen wir im Fußball noch ganz gut. Der FC Schalke 04 hat rund 160.000 Mitglieder. Bayern hat zwar ein paar mehr, aber wir sind weltweit mit an der Spitze. Man muss die Tradition auch pflegen. Deswegen bin ich froh, dass der Verein mir auch die Möglichkeit gibt, mit der Tradition viel zu machen und sie zu repräsentieren. Es ist nur ein kleiner Teil, aber sehr wichtig für die Zukunft. Aber auch die Leistung muss stimmen. Das ist das, was die Politik uns zeigt. Dass gerade der SPD und der CDU, die das gleiche Problem vielleicht vier Jahre später haben wird, die Mitglieder weglaufen, weil sie viele Themen unterschätzt haben.

Wie spielt da die Vereinstreue mit rein?

Olaf Thon: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Früher hat man im Laufe seiner Karriere vielleicht ein- oder zweimal den Verein gewechselt, nicht häufiger. Und manche, so wie Manni Kaltz oder Uwe Seeler, blieben eben bei einem Verein. Ich hatte zwei Vereine und ich bin froh, dass es diese beiden waren. Eigentlich wäre ich gerne noch im Ausland gewesen, nur meine Verletzungen haben das immer verhindert. Nach Italien wäre ich gerne gegangen, ich hatte schon zehn Wochen italienisch gelernt und sollte nach Verona. Damals gab es die Ausländerbegrenzung, nur fünf Spieler durften verpflichtet werden, und nur drei durften auf dem Spielberichtsbogen stehen. Dann kam aber Bayern und hat mich überzeugt. Die schöne Zeit in München möchte ich auch nicht missen und auch nicht, mit Uli Hoeneß Schafkopf zu spielen – und zu gewinnen.

Fällt man in ein Loch, wenn man seine Profi-Karriere beendet?

Olaf Thon: Nein, man muss nur gucken, dass man während der aktiven Zeit schon für die Zeit, wenn man nicht mehr spielen kann, plant. Ich hatte gleich einen Anschlussvertrag als Repräsentant bei Schalke 04. Ich habe meinen Fußballlehrerschein zusammen mit Jürgen Klopp gemacht – dem besten Trainer der Welt – das muss man einfach so sagen. Pep Guardiola kommt dem noch sehr nahe, aber Klopp gewinnt die Champions League, obwohl er so viele Misserfolge mit Mainz und Dortmund hatte. Das mit dem Klopp ist noch lange nicht zu Ende, es ist nur der Start. Wir waren auf jeden Fall zusammen in dem Lehrgang. Ich konnte meinen Trainerschein aber nicht so sehr mit Leben füllen.

Fühlst du dich als Fußball-Weltmeister?

Olaf Thon: Ich habe zwar im Endspiel nicht gespielt, aber das Halbfinal-Tor – das muss man erst einmal machen. Ich war ja damals der letzte Schütze. Und ihr müsst euch das mal ansehen, Peter Shilton – er war 39 Jahre alt – ist immer erst dann geflogen, wenn der Ball schon im Netz war – so sah es zumindest aus und so habe ich mich auch stark geredet. Ich habe mir gesagt, ich muss einfach nur das Tor treffen, der Peter Shilton fliegt hinterher – und genau so war es dann auch. (eis)