(Foto: Vier-Türme-Verlag/Andrea Göppel)

Stand für Sie schon in Ihren Kindheitstagen fest, dass Sie eine kirchliche Laufbahn einschlagen möchten – oder gab es andere Berufswünsche?

Pater Anselm Grün: Mit zehn Jahren war ich bei der Erstkommunion sehr berührt. Damals habe ich schon mit meinem Vater gesprochen, ob das Priestersein für mich ein Weg wäre. Der Bruder meines Vaters war auch Mönch, in Münsterschwarzach. So war mit zehn Jahren mein Weg schon vorgezeichnet. Natürlich gab es dann noch einmal Krisen und ich fragte mich, ob ich wirklich diesen Weg gehen sollte. Ich habe es dann aber gemacht und es war sehr wichtig für mich, weil ich in die Mission gehen wollte.

Sie sind nicht nur Benediktinermönch, sondern auch ein erfolgreicher Schriftsteller, Referent und Sie managen Abteibetriebe – in welcher Rolle fühlen Sie sich am wohlsten?

Pater Anselm Grün: Als Seelsorger und auch als Autor. Aber vor allem als Seelsorger, der Gespräche führt mit Menschen, die Rat suchen. Die Abteibetriebe führe ich nicht mehr. Ich war 36 Jahre lang Cellerar in der Abtei Münsterschwarzach. Vor sechs Jahren habe ich das Amt aber abgegeben.

PFALZ-ECHO-Redakteurin Patrizia Bär hat den Mönch getroffen. (Foto: privat)

Wie sieht Ihr Alltag bez. Arbeitsalltag aus? Oder anders gefragt: Wie lebt man eigentlich in einem Kloster?

Pater Anselm Grün: Wir stehen um 4.30 Uhr auf, um 5 Uhr findet ein Chorgebet statt. Es folgt eine stille Meditation, dann die Eucharistiefeier. Dann gibt es Frühstück, und ich lese noch eine halbe Stunde. Um 8 Uhr beginne ich in der Verwaltung. Da habe ich Briefe und E-Mails zu beantworten – seelsorglicher Art oder auch meine Kurse betreffend. Und auch einige Geldgeschäfte mache ich noch. Nachmittags habe ich meistens Gespräche. Und dreimal in der Woche halte ich abends Vorträge.

Sieht bei Ihnen also nicht jeder Tag gleich aus?

Pater Anselm Grün: Nein, das ist abhängig von den Terminen und den Menschen, die einem am Tag begegnen.

Sie haben über 300 Bücher geschrieben – ich wäre schon glücklich, wenn ich es schaffen würde, eines zu schreiben. Wo finden Sie Inspiration?

Pater Anselm Grün: Einmal durch Gespräche, die ich führe. Meine Bücher sind ein verlängerter Versuch, zu antworten, wenn ich in Gesprächen nicht die richtigen Worte finde. Die Fragen, die die Menschen haben, bewegen mich. Manchmal kommt die Anregung auch von dem Verlag, ein bestimmtes Thema zu bearbeiten. Ich überlege dann, ob ich Lust darauf habe und es eine Resonanz bei mir zu dem Thema gibt. Ich kann nicht über alles schreiben.

Selbst Papst Franziskus hat eines Ihrer Bücher empfohlen – haben Sie ihn auch mal persönlich getroffen?

Pater Anselm Grün: Persönlich nicht. Aber ich war schon ein paarmal in Argentinien. Da wollte er zu einem Vortrag von mir kommen. Aber dann war er doch verhindert.

Haben Sie Vorbilder?

Pater Anselm Grün: Ja, mein Doktorvater Pater Magnus Löhrer zum Beispiel. Dann den holländischen Theologen und Psychologen Henri Nouwen, er hatte vor 28 Jahren unser Recollectiohaus eingeweiht. Das sind für mich schon Vorbilder. Dann gibt es noch manche Heilige, aber die sind ein bisschen weit weg.

Ich habe es angesprochen, Sie sind als Autor äußerst erfolgreich, das waren sie auch 36 Jahre lang als Manager – Wie wichtig ist Ihnen Erfolg bzw. Karriere?

Pater Anselm Grün: Ich habe nie Erfolg geplant und ich habe nie eine Karriere geplant. Ich habe immer nur auf Fragen geantwortet. Als Cellerar war mir klar, dass ich die Arbeitsplätze im Kloster und die Zukunft der Schule sichern muss. Und das hat mir auch Spaß gemacht. Der wirtschaftliche Erfolg war mir nicht so wichtig. Mir war wichtiger, dass die Menschen das Gefühl haben, sie arbeiten gerne bei uns, und dass ich ein gutes Arbeitsklima geschaffen habe.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas an der Kirche zu ändern oder zu erneuern, was wäre das?

Pater Anselm Grün: Sich nicht hinter Macht zu verstecken und auch nicht zu moralisieren, sondern die Botschaft Jesu zu verkünden, sodass die Sehnsucht der Menschen angesprochen wird. Und deswegen muss die Kirche erst einmal eine hörende Kirche werden. Sie muss genau hinhören, was die wirklichen Sehnsüchte der Menschen sind. Oft hat sie schon gedacht, sie hätte die Antwort, ohne dass sie richtig auf die Menschen gehört hat.

In meinen eigenen Traugesprächen hat der Kaplan traurig erzählt, dass er im vergangenen Jahr nur zehn Trauungen durchgeführt hat. Warum wenden sich immer mehr Menschen von der Kirche ab?

Pater Anselm Grün: Das hat viele Gründe. Der Skandal um die Missbrauchsfälle ist ein Grund. Aber vorher gab es ja auch schon Gründe. Der Glaube wird heute leider nicht mehr so weitergegeben, wie es noch in den 50er Jahren gemacht wurde. Viele können deswegen nichts mehr mit der Kirche anfangen. Sie sind nicht mehr in und mit der Kirche großgeworden. Ich kenne aber auch viele Menschen, die in der Mitte des Lebens aus der Kirche austreten als Protest gegen manche Strukturen. Oft werden die Menschen im Laufe ihres Lebens aber wieder mit religiösen Fragen konfrontiert und sie sind dann wieder offen für die Kirche. Aber es ist schon erschreckend, wie beide Kirchen, die katholische und die evangelische, an Einfluss verlieren. Offensichtlich können die Kirchen die Menschen nicht mehr so ansprechen.

Glauben Sie, es gibt ein Patentrezept, wie man wieder mehr junge Menschen für die Kirche und den Glauben begeistern kann?

Pater Anselm Grün: Junge Menschen suchen nach Erfahrungen. Sie wollen Gott erfahren und Gott spüren. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass der Weg über die Erfahrung geht. Die Menschen müssen spüren, dass die Kirche nicht nur Moralgebote aufstellen möchte, sondern sie will einen Weg zeigen, wie das Leben gelingt. Und sie will zeigen, wie ich leben kann, ohne mich von Macht und Geld leiten zu lassen. (pdp)