Rainer Bonhof: „Am Ende war Gott ironisch: WM-Finale 1974 gegen Holland!“

Unter vier Augen: Rainer Bonhof über seine Entlassung bei Borussia Mönchengladbach, seine Trainertätigkeit in Kuwait und die Situation beim 1. FC Kaiserslautern

Steckbrief
Geboren: 1952 in Emmerich
1972 bis 1981: Bonhof trug als Mittelfeldspieler 53 mal das Nationaltrikot und erzielte neun Treffer
1974: Im Finale der Weltmeisterschaft lieferte er die Vorlage für Gerd Müllers Siegtreffer zum 2:1
1976: Vize-Europameister in Jugoslawien sowie 1972 und 1980, jeweils ohne Einsatz, Europameister
In 311 Bundesligaspielen erzielte Bonhof 57 Tore und in 82 Europapokalspielen kam er auf 14 Treffer
1990 bis 1998: Co-Trainer der Nationalmannschaft neben Cheftrainer Berti Vogts. Bonhof gewann mit ihm die Europameisterschaft 1996
seit 2009: zweiter Vizepräsident von Borussia Mönchengladbach.


 

(Foto: imago images/Kicker/Eißner-Liedel)

Sie haben ein recht bewegtes Leben hinter sich, betrachtet man sich Ihren Lebensweg.

Rainer Bonhof: Ja und es ist schön, dass man so viel erlebt hat. Grundsätzlich ist vor allem wichtig, etwas für sich mitzunehmen. Ich habe immer versucht, die Herausforderungen in meinem Leben mit der gegebenen Zeit auch ordentlich zu erledigen, deswegen habe ich auch nicht das Gefühl, etwas verkehrt gemacht zu haben.
Sie waren 1974 bei der Weltmeisterschaft das Küken. Die jungen Spieler von heute haben inzwischen ganz andere Herausforderungen zu bewerkstelligen, Stichwort Social Media.

Würden Sie sagen, dass die Spieler heute deswegen eher geführt werden müssen, auch bezüglich der Außendarstellung?

Rainer Bonhof: Ich glaube nicht, dass die jungen Menschen geführt werden müssen, sie sind alle mit den Handys groß geworden. Wenn du in die Generation des Internets hineinwächst, ist das eine völlig andere Kiste als damals für uns. Heute setzt du dich hin, schickst eine E-Mail und erwartest, dass du in zwei Minuten Antwort bekommst. Das war zu unseren Zeiten unvorstellbar. Als ich 1990 beim DFB war, da kam einer und hat gejubelt, dass es Faxgeräte gab! Kennen Sie noch Telex mit den Lochstreifen? Damit haben wir angefangen. Heute geht alles viel schneller. Früher hast du die Briefe, die du nicht beantworten wolltest, nach unten gelegt. (lacht) Nichtsdestotrotz sollte man das alles als wunderbare Entwicklung betrachten. Ob und wie die Technik benutzt wird, muss man jedem selbst überlassen.

Als Sie Ihr erstes Jugendländerspiel hatten, hatten Sie noch die niederländische Staatsbürgerschaft. War das kein Thema für Sie, für die Niederlande zu spielen?

Rainer Bonhof: Nein, das war kein Thema, mir war das gar nicht als Möglichkeit bewusst, denn ich wurde in Deutschland geboren, in der dritten Generation! Mein Urgroßvater hatte sich in eine Deutsche verliebt und ist von Holland nach Deutschland gezogen. Damals gab es allerdings die Gesetzgebung, dass die Familie die Nationalität des Ernährers annehmen musste. Frauen durften damals noch nicht arbeiten. So ist meine Familie vor drei Generationen holländisch geworden. Sowohl mein Großvater, Vater als auch ich selbst sind in Deutschland geboren, haben aber einen holländischen Pass bekommen. Als ich dann eine Einladung zu einem Länderspiel in Geleen in Holland bekommen hatte und mit dem holländischen Pass für Deutschland spielen sollte, fiel das natürlich auf. Ich erklärte dann, dass ich nichts anderes habe (lacht). Das war ein Länderspiel, da hätte ich theoretisch nicht spielen dürfen. Aber die beiden Trainer haben sich ausgetauscht, dann war das für dieses eine Spiel akzeptiert. Danach wurde ich gebeten, meine Nationalität zu ändern. Damals war ich selbst noch Jugendlicher und das Prozedere gar nicht so einfach. Am Ende war Gott dann ironisch: WM-Finale 1974 gegen Holland …

Wie präsent ist die WM 1974 noch?

Rainer Bonhof: Sie ist sehr weit weg. Irgendjemand hat mir zum 60. Geburtstag das Spiel geschenkt, aber ich habe es dann nie mehr gesehen. Ich glaube, die DVD ist zu Hause. Das ist Schnee von gestern.

Haben Sie zu den ehemaligen Kollegen noch Kontakt?

Rainer Bonhof: Ja, ich fahre jetzt auch wieder einige Leute besuchen. Franz Beckenbauer hat ja eine eigene Stiftung, da treffe ich dann auch viele von damals, die sich mittlerweile auch auf der Charity-Ebene betätigen, beispielsweise werden „Bulle“ Roth, Sepp Maier und „Andi“ Brehme da sein.

Sie waren auch 16 Jahre lang Trainer in verschiedenen Funktionen. Unter anderem wurden Sie als Trainer von Borussia Mönchengladbach eingesetzt und wurden entlassen. Das ist doch Ihr Herzensverein, oder?

Rainer Bonhof: Ja, ich bin gegangen worden, das tat ziemlich weh. Wenn ich darüber nachdenke, wie das alles passiert ist, tut das heute noch weh. Aber heute kann ich das – aus Sicht eines Funktionärs – schweren Herzens nachvollziehen. Der Verein war damals absolut überschuldet. Wir hatten damals 40 Millionen Deutsche Mark Verbindlichkeiten. Aber auch wenn es schmerzte, eines ist wichtig: Du musst dann wieder aufstehen! Aus diesem Grunde habe ich das Weite gesucht. Ein bisschen Abstand gewinnen, um sich zu sammeln. Dass der Abstand so groß werden würde, wusste ich damals auch nicht. Auf einmal war ich Trainer von einem Verein in Kuwait! Das war so etwas Ähnliches wie Bayern München von Kuwait zu dem Zeitpunkt. So nach dem Motto: Ich fahre da mal hin und guck mir das an. Ein paar Tage später war ich der Trainer. Das war ganz lustig, aber auch eine absolut brillante Erfahrung. Im asiatischen beziehungsweise arabischen Bereich eine Tätigkeit zu haben, das war nicht ganz einfach. Ramadan musste berücksichtigt werden und noch vieles mehr. Da muss der Trainingsplan und das Vorgehen schon gut überlegt sein.

Markus Eisel traf Rainer Bonhof. (Foto: privat)

Noch mehr Auslandserfahrung hatten Sie aber als Spieler? Valencia zum Beispiel.

Rainer Bonhof: Gut, aber das ist eine andere Sache. Da muss selbst nicht so viel geplant werden, als Spieler hört man in erster Linie zu und macht, was der Trainer sich überlegt hat. Wenn du Trainer bist, dann bist du 24 Stunden am Tag am Denken, Planen und Organisieren. Das sind dann ganz andere Aufgabenstellungen.

Wie lange sind Sie jetzt noch im Präsidium?

Rainer Bonhof: Wir sind da noch für die nächsten zwei Jahre gewählt: Königs, Söllner, Bonhof, Meyer. Und das Herzblut ist immer noch da. Das muss auch so sein. Aber es ist ganz wichtig, dass man auch in heißen Zeiten die Ruhe bewahrt. Viele werden dann hektisch, werden überproportional kritisch, haben dann das Bedürfnis, das nach außen zu tragen.

Zum Schluss noch ein kleiner Sprung in die Pfalz: Was denken Sie wegen dem FCK?

Rainer Bonhof: Eine einzige Katastrophe! Es geht da ja nicht nur um einen Verein, es geht um eine Region! Es geht um die Pfalz! Da gab es immer Erstliga-Fußball. Was da jetzt draus wird, ist eine andere Frage. Wenn ich sehe, welchen Aufwand der 1. FC Kaiserslautern betreiben musste, um das Spiel gegen Bayern München auf einen vernünftigen Rasen zu bringen – was Standard sein müsste – dann weißt du, dass da die Greenkeeper wochenlang dran rumgebastelt haben. Das sind so äußere Zeichen, bei denen du dir denkst: Verdammte Hacke, das tut mir in der Seele weh. Und es hilft auch keiner. Du musst einen langen Atem haben und jemanden der dich antreibt. Wenn du aber als Verein benutzt wirst, dann siehst du ähnlich aus wie Rot-Weiss Essen oder wie Rot-Weiß Oberhausen, oder wie sie alle heißen.

Könnte es ein Fehler von vielen Traditionsvereinen sein, dass sie sich vor allem auf die Tradition berufen?

Rainer Bonhof: Tradition ist sicherlich ein Bestandteil eines Vereins. Auch wir leben das. Unsere Tradition hat eine Vergangenheit, die nächstes Jahr schon 120 Jahre alt wird. Das, was in den letzten Jahren im Borussia-Park passiert ist, ist wirklich unglaublich. Hier gibt es das Multifunktionsgebäude, die Fohlen-Welt, den Fanshop, das Ärztehaus, das Hotel, Reha-Zentrum, die Verwaltung: Das hat wirklich einen Mehrwert für den Verein. Was mir als Fußballer auf der anderen Seite am meisten am Herzen liegt, ist die Akademie. Wir waren hier 14 Jahre lang im Stadion mit zwölf Zimmern untergebracht. Da haben wir jetzt 24 Zimmer. Das ist schon eine ganz andere Schiene. Die jungen Leute repräsentieren die Zukunft von Mönchengladbach. Wir haben die Presseabteilung, die Verwaltung, die Amateurabteilung, das Marketing, die Merchandiser und die Jugendtrainer hier. Alles eng beisammen. Das macht die Arbeit bei Borussia Mönchengladbach nicht leichter, aber in vielen Entscheidungsfällen angenehmer. Wir präsentieren uns hier und das macht Sinn. (eis)