Dr. Thomas Gebhart zu Besuch in der PFALZ-ECHO-Redaktion. (Foto: hea)

Als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium sind Sie seit über einem Jahr durch die Pandemie einer besonderen Belastung ausgesetzt – mit der Sie so vorher sicherlich nicht geregnet haben. Wie geht es Ihnen damit?

Es ist eine schwierige Zeit – keine Frage! Aber Gottseidank bin ich robust. Man muss sich auch immer wieder bewusst machen, dass es sehr, sehr viele Menschen in unserem Land gibt, die seit Monaten unter den Umständen extrem leiden: Familien mit Kindern, die nicht betreut werden können, Einzelhändler, Selbstständige, Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind, usw. Viele Menschen haben gerade einiges zu schultern.

Wie sieht denn der typische Arbeitsalltag bei Ihnen aktuell aus? Hat das Gesundheitsministerium beispielsweise Mitspracherecht, was die Maßnahmen angeht?

Sehr viele Bereiche der Pandemiebekämpfung fallen in den Zuständigkeitsbereich der Länder, aber es gibt natürlich auch Themen, für die der Bund zuständig ist. Wir kümmern uns beispielsweise um die Rettungsschirme für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Einen typischen Alltag gibt es für mich dabei aber nicht. In Sitzungswochen, wenn ich in Berlin bin, nehme ich in erster Linie an zahlreichen Besprechungen und Verhandlungsrunden teil – Fraktionssitzungen, Arbeitsgruppenbesprechungen, Ausschusssitzungen usw. Wenn ich hier in der Südpfalz bin, arbeite ich sehr viel im Homeoffice. Videokonferenzen machen Vieles möglich. Mein Alltag besteht also in erster Linie aus Besprechungen. Es geht auch darum, Entscheidungen zu erklären.
Wie ist denn dabei Ihr Eindruck, was die aktuelle Bewertung der Pandemielage angeht? Die große Mehrheit scheint sich ja einig zu sein, dass nur verschärfte Maßnahmen die steigenden Zahlen bremsen können – trotzdem wird weiter abgewartet.
Wenn es um Maßnahmen wie Schulöffnungen, Regeln für den Einzelhandel, Kontaktbeschränkungen und ähnliches geht, sind ja die Länder zuständig. Durch die Runden der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin wird der Bevölkerung allerdings ein etwas verschobenes Bild von den Zuständigkeiten vermittelt. Vielen Menschen ist nicht klar, wer genau wofür zuständig ist. Und ich gebe zu, dass wir bei der Pandemiebekämpfung oft mit einem Kompetenzwirrwarr konfrontiert werden. Für wichtige Maßnahmen sind die Länder zuständig – sie bräuchten die Kanzlerin und den Bund nicht, um bestimmte Entscheidungen zu treffen.

Hat das Bundesgesundheitsministerium denn nicht zumindest beratenden Einfluss?

Das Bundesgesundheitsministerium ist natürlich für eine Reihe von Fragen zuständig: zum Beispiel die Frage der Kostenübernahme für Bürger-Tests, die Priorisierung bei den Impfungen, Schutzschirme für medizinische Einrichtungen, usw. Darüber hinaus geben unsere Fachleute – wie beispielsweise die Experten des Robert Koch-Instituts, das eine nachgeordnete Behörde des Gesundheitsministeriums ist – jeden Tag ihre Expertise weiter. Aber am Ende liegt es in der Hand der Länder, über Kontaktbeschränkungen zu entscheiden. Ich habe den Eindruck, dass viele Länderchefs sich in den letzten Wochen hinter der Kanzlerin versteckt haben – nun hat sie in den letzten Tagen aber ja deutlich gemacht, dass sie erwartet, dass die Länder ihrer Verantwortung nachkommen.
Halten Sie die aktuelle Verteilung der Zuständigkeiten denn weiterhin für sinnvoll?
Wenn diese Krise bewältigt ist und sich die Lage wieder entspannt hat, müssen wir uns die Mühe machen, ganz offen und kritisch – über alle Parteigrenzen hinweg – zu diskutieren: Welche Lehren können wir aus der Pandemie ziehen? Was müssen wir verändern, um in Zukunft besser aufgestellt zu sein? Da gibt es sicherlich viele Themen. Für mich persönlich gibt es aber einen zentralen Punkt, der verbessert werden muss und das ist die Frage der Zuständigkeiten. Ich will, dass klipp und klar ist, wer in diesem Land für was zuständig ist. Wir brauchen weniger gemischte Zuständigkeiten.

Ist es denn nicht fatal, abzuwarten, bis die Pandemie vorbei ist? Es besteht ja jetzt gerade akuter Handlungsbedarf.

Es ist schwierig, mitten in einer Pandemie grundsätzliche Entscheidungsstrukturen zu ändern. Aktuell muss vor allem jeder die Aufgaben gewissenhaft erfüllen, für die er zuständig ist. Das fängt auf europäischer Ebene an und endet bei den Kommunen. Jetzt geht es darum, die Pandemie zu bewältigen. Danach müssen wir für die Zukunft die Strukturen ändern.

In der Südpfalz ist es aktuell ja schon so, dass sich die Regelungen von Landkreis zu Landkreis unterscheiden. Denken Sie, das dies einer der Gründe ist, warum die Menschen immer unzufriedener mit der Situation sind?

Dieser Flickenteppich ist sicher für einen Teil des Verdrusses verantwortlich. Pendler, die zwischen verschiedenen Bundesländern unterwegs sind, müssen sich ständig über neue Bestimmungen informieren, da in jedem Land andere Bestimmungen gelten. Das ist kein optimaler Zustand!

Auch unabhängig von der Pandemie werden in der Politik manchmal falsche Entscheidungen getroffen. Angela Merkel hat sich letzte Woche für solch einen Fehler entschuldigt. Aber das passiert äußerst selten. Woran liegt das? Fehler sind doch menschlich und in vielen Fällen würde das sicher für mehr Sympathie sorgen.

Zunächst muss ich der Kanzlerin meinen großen Respekt dafür aussprechen, dass sie diesen Schritt gewagt hat – Sie haben recht, das passiert eigentlich viel zu selten! Aber vielleicht macht es nun Schule. Ich würde es mir wünschen! Jeder von uns macht auch mal Fehler.

Ganz konkret: Ihr direkter Chef, Jens Spahn, hat im Krisenmanagement offenkundig auch Fehlentscheidungen getroffen – Stichwort Maskenbestellungen. Würde ihm solch eine Entschuldigung nicht auch helfen?

Ich fände es auf jeden Fall gut, wenn dieser Weg auf politischer Ebene öfter gewählt werden würde. Deswegen hoffe ich, dass in Sachen Fehlerkultur die Kanzlerin nun als Vorbild dient und in Zukunft offener damit umgegangen wird. Auch Jens Spahn hat in einer frühen Phase der Pandemie gesagt, dass wir einander viel verzeihen müssen. Politiker sind Menschen, und wo Menschen arbeiten, werden leider auch Fehler gemacht. Entscheidend ist, dass daraus Schlüsse gezogen werden.

Seit Jahren schon wird über schlechte Arbeitsbedingungen und Bezahlung im Bereich der Pflege gesprochen. Während der Pandemie wird die Situation nun noch einmal deutlicher. Warum ist es so schwierig, diese Bedingungen zu verbessern?

Wir befinden uns seit Jahren schon in einer angespannten Situation im Bereich der Pflege: Es gibt zwar immer mehr Pflegekräfte, aber die Zahl der Pflegebedürftigen ist stetig angestiegen. Dies führt oftmals zu schwierigeren Arbeitsbedingungen. Wir haben uns schon lange vor Corona vorgenommen, diesen Trend zu durchbrechen. Wir möchten für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen sorgen! Einige Maßnahmen haben wir bereits entschieden und auch umgesetzt, allerdings braucht es eine Weile, bis die Wirkung auch sichtbar wird. So haben wir – wie in der Konzertierten Aktion Pflege vereinbart – unter Beteiligung der relevanten Akteure eine „Roadmap zur Verbesserung der Personalsituation in der Pflege und zur schrittweisen Einführung eines Personalbemessungsverfahrens für vollstationäre Pflegeeinrichtungen“ erarbeitet und vorgelegt. In der Roadmap werden die notwendigen Umsetzungsschritte dargestellt und mit einem Zeitplan versehen. Im Krankenhausbereich haben wir die größte Reform der Krankenhausfinanzierung der letzten 20 Jahre angestoßen und dabei u. a. die Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen genommen. Es wird nun separat vergütet. Auf diese Weise konnten wir den Druck von den Krankenhäusern nehmen, bei der Pflege sparen zu müssen. Es bestehen aktuell also Anreize, mehr Pflegekräfte einzustellen. Das Problem ist nun allerdings, dass Personal trotz hoher Ausbildungszahlen nicht unmittelbar zur Verfügung steht. Und das ist ein Grund, warum unsere Maßnahmen noch nicht wirken können. Auch deshalb gehören bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal in der Pflege – sowohl in der Langzeitpflege als auch im Krankenhaus – weiter ganz oben auf die Tagesordnung.

Welche weiteren Maßnahmen in diesem Bereich sind denn noch geplant?

Wir möchten als nächstes beispielsweise erreichen, dass auch in den stationären Pflegeeinrichtungen überall nach Tarif bezahlt wird – ich hoffe, dass wir das noch in dieser Legislaturperiode beschließen können.

Sind auch noch einmal kurzfristige Hilfen für den Pflegebereich angedacht – als Reaktion auf die besonderen Pandemiebedingungen?

Wir haben vor Kurzem den Schutzschirm für Pflegeeinrichtungen wieder verlängert. Das heißt, durch die Pandemie verursachte Mehrausgaben bzw. Mindererlöse werden ausgeglichen.

Das ist aber Geld, das bei den Unternehmen dahinter und weniger beim Pflegepersonal landet, oder?

Der Schutzschirm dient der Sicherstellung der pflegerischen Versorgung. Es gab aber auch Unterstützung für das Pflegepersonal. Wir hatten im letzten Frühjahr zunächst einen Bonus für Altenpflegekräfte beschlossen, später wurde dieser ausgeweitet auf Pflegekräfte in Krankenhäusern – allerdings in angepasster Form. Er wurde ausgezahlt in Abhängigkeit der Belastung. Aktuell arbeiten wir im Krankenhausbereich nun wieder an einer Ausweitung. Viel wichtiger als die einmaligen Bonuszahlungen ist meiner Meinung nach aber, die Bedingungen dauerhaft und nachhaltig zu verbessern.

Ein großes Thema, das uns alle zurzeit umtreibt, ist natürlich die Impfung. Wie sehen da die Perspektiven für die nächsten Wochen aus? Werden noch weitere Impfstoffe zugelassen?

Aktuell werden ja drei Stoffe verimpft – Moderna, AstraZeneca und Biontech/Pfizer, ein weiterer ist in der EU bereits zugelassen, aber noch nicht verfügbar: Johnson & Johnson. Impfstoffe von weiteren Herstellern sind in der Pipeline, darunter u.a. CureVac aus Tübingen und der Sputnik V aus Russland – diese brauchen noch eine Zulassung.

Sind für diese letzteren denn auch schon Vorbestellungen getätigt worden? Es hat sich ja gezeigt, dass Vorbestellungen in großen Mengen hilfreich sein können.

Ja, für CureVac beispielsweise haben wir ein Kontingent vorbestellt und auch andere Stoffe stehen bereits auf der Liste. Dass die Impfstoffbestellungen europäisch geregelt werden, war ja eine Grundsatzentscheidung, für die es gute Gründe gab. Denn die Alternative wäre gewesen, dass gerade kleinere Länder vermutlich bis jetzt noch keinen Impfstoff zur Verfügung hätten. Dennoch muss man im Nachhinein die Frage stellen, ob der Beschaffungsprozess auf europäischer Ebene wirklich optimal gelaufen ist. Hätte man früher oder noch größere Mengen reservieren müssen?

Wann werden die großen Mengen, die bestellt wurden, denn geliefert?

Tatsächlich können wir in dieser Hinsicht optimistisch sein, nach Ostern stehen große Lieferungen aus. Dann werden uns pro Woche 3,2 Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen. Diese Zahl wird sich bis Ende April weiter erhöhen. Insgesamt sind für die Monate April bis Juni 60 Millionen Dosen zu erwarten, zusätzlich könnten noch weitere 10 Millionen von Johnson & Johnson geliefert werden, deren Impfstoff nur ein Mal gespritzt werden muss. Das Versprechen der Kanzlerin, dass bis zum Ende des Sommers allen ein Impfangebot gemacht werden kann, ist also realistisch.

Wie stellt man denn praktisch fest, ob jeder ein Impfangebot erhalten hat?

Jede Impfung wird dokumentiert. Jedes Land geht da ein wenig anders vor.

Wäre es vor dem Hintergrund einer solchen Mammutaufgabe nicht logisch, ein bundesweit einheitliches System durchzusetzen, zum Beispiel mit Hilfe einer Software, die vom Gesundheitsministerium empfohlen wird?

Das ist leider nicht so einfach, auch Gesundheitsämter fallen in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Etwas Ähnliches wollen wir ja mit dem System „Sormas“ machen. Es ist seit Jahren bereits unser Ansinnen, dass alle Ämter über ein System verfügen, weil es die Kommunikation untereinander erheblich erleichtert würde. Wir können den Einsatz aber nicht erzwingen.

Der Bundestagsabgeordnete ist regelmäßig im Gespräch mit Südpfälzer Bürger:innen. (Foto: honorarfrei)

Aber die Länder könnten es? Oder entscheidet jedes Gesundheitsamt selbst?

Das Land kann Vorgaben machen. Ich verstehe aber auch, wenn sich die Behörden schwer tun, mitten in einer Krise ihre Software umzustellen. Die meisten haben ja selbst Systeme entwickelt, die sich in der Praxis bewährt haben. Als Konsequenz wurden nun Schnittstellen entwickelt, die es ermöglichen, Sormas parallel zu etablieren.

Apropos Digitalisierung: Warum wird inzwischen nur noch so wenig über die Corona-Warn-App gesprochen? Bräuchte es nicht eine Marketingoffensive, um sie wieder mehr ins Gespräch zu bringen?

Am Anfang sind wir ja sehr offensiv mit der App an die Öffentlichkeit getreten, aber ich nehme das als Anregung gerne mit, dass wir da wieder mehr tun können (lacht). Die App ist auf jeden Fall besser als ihr Ruf, das möchte ich klar betonen! Es gibt aktuell 26.5 Millionen Downloads und im Schnitt warnen jeden Tag 2.700 Nutzer andere Menschen über diese App.

Bei 20.000 Neuinfektionen ist sind das aber weniger als 15 Prozent …

Keine Frage, da ist noch Luft nach oben! Aber die Zahl steigt stetig. Und das wichtigste: Sie erfüllt ihren Zweck damit sehr gut. Die App greift in Situationen, wo die Kontaktverfolgung der Gesundheitsämter an ihre Grenzen stößt. Nämlich dann, wenn wir die Namen aller Kontaktpersonen gar nicht kennen können, weil wir mit der Bahn unterwegs waren oder Ähnliches.

Aber könnte die App nicht noch viel mehr bewirken und aktive Unterstützung für die Gesundheitsämter bieten?

Der Datenschutz verhindert an dieser Stelle natürlich vieles. Das ist eine Diskussion, die man sicher führen muss. Es muss selbstverständlich immer gewährleistet sein, dass Daten nicht in falsche Hände geraten können – aber es muss trotzdem die Möglichkeit bestehen, Daten in die richtigen Hände zu geben.

Ist das ein generelles Problem im Gesundheitswesen?

Ja, deswegen bin ich der Meinung, dass hier ein großer Diskussions- und Handlungsbedarf ist. Ein Beispiel: Es gibt in Deutschland ca. 6.000 seltene Erkrankungen, von denen in der Summe vier Millionen Menschen betroffen sind. Wir müssen dahin kommen, dass die Daten dieser Erkrankten, sofern diese damit einverstanden sind, stärker genutzt werden, um daraus neue Erkenntnisse zu gewinnen. Der Lerneffekt, zum Beispiel für die richtige Therapie, wäre riesig. Wenn wir es schaffen würden, europaweit einen Gesundheitsdatenraum zu etablieren, könnten wir die medizinische Versorgung enorm verbessern. Das ist eine Aufgabe, an der wir arbeiten.

Kommen wir noch einmal zurück in die Region. Mit welchen Anliegen kommen die Südpfälzer denn aktuell vor allem auf Sie zu?

Die meisten Menschen, die mich ansprechen, machen sich Sorgen um ihre Zukunft und wünschen sich Perspektiven – das sind natürlich vor allem Unternehmer und Selbstständige, aber auch Privatpersonen.

Welche Perspektiven können Sie für die nächsten Wochen denn geben?

Ich setze vor allem sehr viel Hoffnung auf die Impfungen, die nun deutlich an Tempo aufnehmen werden. Aber auch die Aussicht auf Frühling und Sommer lassen mich optimistisch in die Zukunft blicken, denn draußen und bei höheren Temperaturen verbreitet sich das Virus nicht so leicht. Zunächst müssen wir aber noch ein paar schwierige Wochen überstehen.

Und was wäre Ihr Wunsch für genau diese schwierige Zeit? Wie kommen wir da am besten durch?

Wir befinden uns mitten in der dritten Welle, besser gesagt in der ersten Welle der britischen Virusvariante – je später wir eingreifen, desto länger wird es dauern. Ich plädiere deswegen für strenge Kontaktbeschränkungen, möglichst bald. Wenn sich dann jeder an diese Regeln hält, werden wir die Situation bewältigen. (hea)