Die Kopfschmerzen gestern Abend kamen wohl doch nicht vom Wetter. Seit heute Morgen ist das Taschentuch ein wichtiger Begleiter, denn die Nase läuft, der Hals kratzt und ein allgemeines Unwohlsein hat sich breit gemacht. Sich in diesem Zustand in ein volles Wartezimmer beim Arzt zu setzen, ist enorm anstrengend. Insbesondere zu Zeiten der Corona-Pandemie meidet jeder gerne den Aufenthalt im Wartezimmer. So zieht Frau Schiller eine Terminvereinbarung in der Videosprechstunde ihres Hausarztes vor und lässt sich auf ihrem Sofa behandeln. Da zeigt sie ihm auch gerne ihr ausgeschneuztes Nasensekret, damit er sich ein Bild von ihrer Erkrankung machen kann. Immer mehr Menschen teilen diesen Gedankengang und können sich eine Behandlung per Video vorstellen.

Viele Praxen bieten seit diesem Frühjahr ihren Patienten die Möglichkeit, über eine Videosprechstunde mit dem Arzt zu kommunizieren. Herr Dr. med. Rüdiger Bergmann, Hals-Nasen-Ohrenarzt aus Landau, bietet seit Längerem bereits eine Behandlung per Videosprechstunde an und erklärt uns im Gespräch, die Abläufe: „Nachdem der Patient einen Termin über die Homepage vereinbart hat, erhält er einen Link per Mail. Wird dieser zur vereinbarten Uhrzeit bestätigt, befindet sich der Patient automatisch im virtuellen Wartezimmer. Zur allgemeinen Datenaufnahme und Abarbeitung eines Fragenkataloges schaltet sich zu Beginn eine Telemedizinassistentin in die Videosprechstunde. Zusammen mit dem Patienten wird sie je nach Symptomen auch Fieber und Puls messen sowie bei Kurzatmigkeit die Atemfrequenz bestimmen. Besitzt der Patient eine Smartwatch oder einen Fitnesstracker kann zusätzlich die Sauerstoffsättigung eruiert werden.“
Nach dieser Vorbereitung übernimmt Dr. med. Bergmann die weitere Videosprechstunde. „Häufig gelingt mit einer guten Kamera und Taschenlampe auch die Inspektion der Mundhöhle, der Zunge, der Gaumenmandeln und des Mundrachenraumes“, erklärt Dr. Bergmann. Mit den so gewonnenen Informationen kann bei den meisten Patienten eine Verdachtsdiagnose gestellt und eine entsprechende Therapie begonnen werden. Notwendige Rezepte werden direkt an die Wunschapotheke des Patienten geschickt. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder eine Überweisung zum Coronatest wird per Post gesendet. „Auch wenn die Videosprechstunde keine körperliche Untersuchung ersetzen kann, hat sie sich als sinnvolle Ergänzung–vor allem in der Coronakrise – und als wichtiges Lenkungsinstrument bewährt“, so Dr. Bergmann.

Bereits 2018 hatte der Deutsche Ärztetag durch die Lockerung des Fernbehandlungsverbots den Weg für die Videosprechstunde geebnet. Allerdings wurde diese Möglichkeit in den meisten Praxen bisher nicht genutzt. Durch die Pandemie erfährt die Telemedizin nun einen enormen Schub und viele Arztpraxen rüsten ihre Technik und ihr Wissen auf. Um das neue Medium anbieten zu können, durchlaufen die Praxen ein Prüfverfahren. Auch die Telemedizinplattformen, über welche die Online-Sprechstunden geführt werden, müssen bestimmte technische und datenschutzrechtliche Anforderungen erfüllen und von der Kassenärtzlichen Bundesvereinigung (KBV) zertifiziert sein. Die technischen Voraussetzungen für die Teilnahme als Patient an einer Videosprechstunde sind heutzutage in den meisten Haushalten vorhanden. Benötigt wird ein Smartphone, Tablet oder Computer mit Kamera, Mikrofon und gegebenenfalls Lautsprecher – und natürlich eine Internetverbindung.

Dr. Bergmann und sein Team halten regelmäßig miz Patienten per Video Kontakt. (Foto: privat)

Wegen einer Erkältung oder einer Magen-Darm-Erkrankung nicht unbedingt eine Arztpraxis aufsuchen zu müssen, kommt den Patientenbedürfnissen gerade jetzt entgegen. Lange Wartezeiten in Praxisräumen mit der dadurch verbundenen Ansteckungsgefahr entfallen. Lange Anfahrtswege zur nächsten Arztpraxis werden ebenfalls hinfällig. Dies stellt für die medizinische Versorgung besonders im ländlichen Raum, in dem eine geringe Ärztedichte herrscht, einen großen Vorteil dar.

Eine Videosprechstunde kann grundsätzlich von allen Arztgruppen angeboten werden – ausgenommen sind lediglich Laborärzte, Nuklearmediziner, Pathologen und Radiologen. Kritiker befürchten jedoch zum einen die Entfremdung des Arzt-Patienten-Verhältnisses, zum anderen sehen sie die reduzierte Wahrnehmung am Bildschirm oder Telefon als Risiko für eventuelle Behandlungsfehler.

Die Kosten für die Videosprechstunde werden in den meisten Fällen von der Krankenkasse – gesetzlich oder privat – übernommen. Da sich die Verordnungen in diesem Bereich ändern können, empfielt sich vorab eine kurze Rücksprache mit der Krankenversicherung.
Zeitersparnis, geringes Ansteckungsrisiko und die Überwindung des Ärtzemangels auf dem Land sind die Hauptargumente für den Einsatz der Videosprechstunden. Die Integration moderner Medien stellt vor allem auch im Hinblick auf die derzeitige Corona-Pandemie eine große Chance für die medizinische Versorgung der Zukunft dar. (plp)