Steckbrief: Thilo Mischke

  • Geboren am 4. März 1981 in Ost-Berlin.
  • Hat als freier Journalist u. a. bereits für VICE, Playboy, Bild am Sonntag, Die Zeit usw. geschrieben.
  • Im Fernsehen war Mischke z. B. in den Formaten Galileo (ProSieben), Heiß & Fettig (ZDFneo) zu sehen.
  • Das Reportageformat „Uncovered“ (ProSieben) läuft seit 2016 regelmäßig.
    2020 erhielt er den Bayerischer Fernsehpreis für seine Reportage „Deutsche an der ISIS-Front“.

Primetime, zwei Stunden Sendezeit, keine Werbung – und das auf dem Privatsender ProSieben. Die Dokumentation „Rechts. Deutsch. Radikal.“ sorgte im Herbst 2020 für viel Aufsehen – sowohl in der Politik als auch im gesellschaftlichen Diskurs. Unter anderem wurde ein AfD-Sprecher in Folge der Veröffentlichungen gekündigt. Der Journalist Thilo Mischke hat für diese Dokumentation 18 Monate lang recherchiert und dabei bewusst die rechte bzw. rechtsextreme Szene nicht nur von außen betrachtet, sondern viele Gespräche und Interviews mit Mitgliedern und Anhängern rechter Vereinigungen geführt. Denn das ist eines seiner wichtigsten Prinzipien: Allen Menschen in Gesprächen auf Augenhöhe begegnen. Thilo Mischke möchte als Reporter immer eigene Erfahrungen machen, hautnah miterleben, worüber er berichtet. Kriegsgebiete im Nahen Osten, Flüchtlingsrouten in Südamerika, Textilfabriken in Asien – seine Reportagereisen führen Mischke um die ganze Welt. Oft geht er dabei auch ein großes Risiko ein. „Uncovered“ heißt die Dokumentationsreihe auf ProSieben, für die er hauptsächlich unterwegs ist. Er ist aber auch als Autor u.a. für den Focus, die Berliner Zeitung und das Magazin der Deutschen Bahn aktiv.

Beim Thema Pressefreiheit wurde Deutschland vor Kurzem im internationalen Ranking zurückgestuft – unter anderem wegen Angriffen aus dem politisch rechten Spektrum auf Journalisten. Du warst als Journalist sowohl auf Querdenker-Veranstaltungen als auch in rechtsextremen Kreisen unterwegs. Wie war dein Eindruck, was deine Arbeit als Journalist betrifft?

Thilo Mischke: Um ehrlich zu sein, war das Interviewen von Rechtsextremen erheblich leichter als das Interviewen von Querdenkern …

Wobei es dabei ja Überschneidungen gibt.

Thilo Mischke: Die gibt es, ja! Ich habe auch einige der Protagonisten aus meinem Film über Rechtsextremismus auf den Querdenker-Demos wiedergetroffen. Selbst die waren allerdings erstaunt über die Verrücktheit der Querdenker. Trotzdem haben die Rechten sich in diesem Umfeld wohl gefühlt, denn diese Menschen vereint ja das gemeinsame Ziel, unsere Demokratie zu verachten.

Stößt du denn als Journalist in Deutschland bei deinen Recherchen manchmal an Grenzen?

Thilo Mischke: Es gibt eine Grenze, an die wir regelmäßig stoßen: Das Misstrauen der Bürger gegenüber der Presse. Das ist in Deutschland enorm hoch! Journalisten haben hier keinen guten Ruf. Das ist im Rest der Welt anders. Egal, wo ich unterwegs war – El Salvador, Irak, Syrien, auf den Philippinen – überall freut sich die Bevölkerung darüber, dass wir kommen und ihre Probleme thematisieren. In Deutschland gibt es dagegen einen Generalverdacht gegenüber Journalisten. Gerade von Teilnehmern der Querdenkerdemos bekommen wir oft zu hören, wir alle seien Marionetten der Regierung oder Ähnliches.

(Foto: Florian Baumgarten)

Wie gehst du mit solchen Vorwürfen um?

Thilo Mischke: Ich suche ganz offen das Gespräch. Wenn mein gegenüber das Gefühl hat, ich sei ein fremdgesteuerter Journalist, dann akzeptiere ich diese Meinung und stelle dennoch meine Fragen. Durch diese Offenheit sind die Menschen meist schnell entwaffnet. Ich möchte niemanden bekehren – weder Querdenker, noch Neonazi, noch Antisemit oder Islamist. Es ist nicht meine Aufgabe, sie davon zu überzeugen, dass sie falsch liegen. Sie dürfen glauben, was sie wollen! Ich mache klar, dass ich ihre Haltung für falsch halte, aber dass ich mich dennoch für ihre Beweggründe interessiere. Ich bin nicht politisch in diesem Moment. Sich so zurückzunehmen, ist sehr hilfreich.

Aus der Szene der Querdenker hört man ja auch oft den Vorwurf, wir befänden uns inzwischen in einer DDR 2.0. Du hast die ersten Jahre deines Lebens in der DDR verbracht. Kannst du diesen Vorwurf in irgendeiner Weise nachvollziehen?

Thilo Mischke: Nein! Der Vorwurf ist völlig absurd. Auch in den konservativen Medien wird schnell ein DDR-Vergleich gezogen, was ich einfach peinlich finde! Denn meist stecken dahinter kontaktschuldige Westdeutsche, die sich in keinster Weise mit der Geschichte dieses Landes auseinandergesetzt haben. Einen Vergleich darfst du aber nur ziehen, wenn du das getan hast. Und tatsächlich gibt es ja Bereiche, wo ein Vergleich gezogen werden kann!

Ich bin gespannt!

Thilo Mischke: Es gibt in Deutschland immer mehr Ärztehäuser – die gab es in der DDR auch, dort nannte man das „Poliklinik“. Ganztagsschulen werden verstärkt eingeführt – auch die gab es in der DDR schon, wir haben „Hort“ dazu gesagt. Die Gleichberechtigung der Frau! Gleiche Rechte für Homosexuelle! Ja, es gibt Aspekte, die wir aus der DDR übernehmen – für eine modernisierte Gesellschaft.

Machst du dir im Hinblick auf die Bundestagswahlen im September Sorgen? Werden sich diese Strömungen – insbesondere Querdenker – im Ergebnis widerspiegeln?

Thilo Mischke: Diese Sorgen mache ich mir schon ein wenig. Die AfD wäre aber die klassische Partei, die solche Menschen wie die Querdenker auffängt – und sie kriegt es aktuell nicht hin. Eigentlich will ich diese Leute auch nicht unbedingt immer Querdenker nennen. Das klingt so abwertend. Mir fällt aber auch kein treffenderes Wort ein. Letztendlich sind das Menschen, die mit der unfassbar komplexen Situation, in der wir uns befinden, überfordert sind und deswegen eine Komplexitätsreduktion vornehmen. Diese Überforderung kann jeden von uns treffen, dahinter steckt der Wunsch, sich die Welt einfacher zu machen.

Was könnte das für die Wahlen heißen?

Thilo Mischke: Der SPD-wählende Querdenker wird auch weiterhin SPD wählen, er wird nicht plötzlich zur AfD wechseln. Ich kann mir im Bezug auf das Wahlergebnis also nicht vorstellen, dass die Bewegung großen Einfluss hat. Auch wenn man sich die Stuttgarter Szene anschaut, wird das deutlich: Der Anteil der Grünen-Wähler ist dort immens hoch. Und diese Leute werden auch weiterhin grün wählen, da bin ich mir sicher.

Was ist es dann, was dir Sorgen macht?

Thilo Mischke: Es sind die tiefen Risse in der Gesellschaft, die in letzter Zeit entstanden sind. Der wachsende Antisemitismus ist besorgniserregend. Plötzlich wird die Schuld an Krisen wieder auf das „Weltjudentum“ geschoben! Haben wir das nicht eigentlich längst hinter uns gelassen?

Werden die Risse innerhalb der Bevölkerung auch nicht dann wieder kleiner, wenn wir die Pandemie überwunden haben?

Thilo Mischke: Die Risse sind wie ein Trauma. Das ist wie der betrunkene Großvater, der an Weihnachten dann doch stolz davon erzählt, dass er bei der SS war. Man kriegt das nicht mehr ganz raus! Ich stolpere bei Facebook über Freunde, die Beiträge über Jens Spahn teilen, der angeblich mit jüdischem Geld die Impfkampagne in Deutschland finanziert hat. Solch eine Aussage ist im Kopf dieses Facebook-Freundes und sie wird da auch so leicht nicht wieder verschwinden. Die Risse sind extrem schwer zu kitten. Voraussetzung ist, dass beide Seiten es überhaupt wollen. Die eine Seite muss sich ihre Schuld eingestehen, die andere muss verzeihen können. Entschuldigen und Verzeihen sind allerdings zwei Dinge, die in Deutschland klein geschrieben werden.

Thilo Mischke geht für seine Reportagen oft ein großes Risiko ein – z.B. wenn er auf Flüchtlingsrouten im Dschungel unterwegs ist. (Foto: Florian Baumgarten)

Du warst für Reportagen schon in so vielen Ländern der Erde unterwegs und wurdest dabei mit wirklich krassen Lebensumständen konfrontiert. Geht es uns in Deutschland einfach zu gut, dass wir uns wegen vergleichsweise kleinen Dingen so spalten lassen?

Thilo Mischke: Zu behaupten, es ginge uns einfach nur zu gut, wäre eine klassische Komplexitätsreduktion. Grundsätzlich kann man aber natürlich sagen, dass es uns in Deutschland sehr, sehr gut geht. Und man muss sich ja auch verdeutlichen: Längst nicht alle Menschen hier jammern ständig oder lassen sich so einfach radikalisieren. Wenn einer laut mosert, fallen die zehn, die sich nicht beschweren, eben nicht auf.

Dann hole uns mal auf den Boden der Tatsachen zurück: Was war denn für dich die gefährlichste Situation, die du auf deinen Reportagereisen erlebt hast?

Thilo Mischke: Ich bin mit Geflüchteten durch ein Stück Urwald zwischen Kolumbien und Panama gelaufen. Fünf Tage lang waren wir unterwegs – ohne Kontakt zur Außenwelt. Währenddessen waren wir verschiedensten Gefahren ausgesetzt: Die Route wird auch für Kokain-Schmuggel genutzt. Wenn du einem von den Transporteuren begegnest, wirst du ohne Zögern erschossen! Außerdem ist dort viel Militär unterwegs, die sowohl hinter den Geflüchteten als auch den Kokainschmugglern her sind. Auch die schießen sofort, ohne Warnschuss. Man kann in diesem Wald von aggressiven Schlangen gebissen werden, es gibt unzählige giftige Pflanzen, der Weg ist so uneben, dass man sich leicht etwas brechen kann. Die Gesamtheit dieser Situation war also extrem gefährlich. Ich war allerdings auch schon in Mogadischu, wo es ein Scharfschütze auf uns angelegt hatte und wir sehr schnell flüchten mussten. In Kabul habe ich einen Anschlag nur überlebt, weil ich verschlafen hatte.

Gewöhnt man sich denn an solche Situationen?

Thilo Mischke: Ja, das tut man. Ich komme gerade aus Syrien zurück. Dort saß ich auf der Terrasse als ganz in der Nähe plötzlich Schießereien losgingen. Wegen der Gefahr von Querschlägern mussten wir ins Haus gehen. Ich begebe mich also ständig in lebensgefährliche Situationen, die mich aber immer weniger belasten. Auf der Dachterrasse wusste ich, dass die Schüsse 300 Metern entfernt sind, das hat mich beruhigt.

Wie hast du dich im Gegensatz dazu beim ersten Mal gefühlt, als du mit solch einer Situation konfrontiert warst?

Thilo Mischke: Ich stand in Mogadischu auf einem Balkon und habe AK47-Schüsse gehört – etwa zehn Häuserblocks entfernt. Der erste Gedanke war damals: „Jetzt muss ich sterben!“ Heute würde ich meine Stulle weiter essen. Mein Maßstab sind inzwischen die Menschen in meiner Nähe, die dort leben. Wenn sie weiter Orangen einkaufen, weiß ich, es passiert gerade nichts Außergewöhnliches.

Gibt es denn einen Grund, warum du ein Thema nicht angehen würdest? Lebensgefahr kann es ja schonmal nicht sein!

Thilo Mischke: Ich widme mich keinem Thema, das mich nicht interessiert! Den Luxus, das frei wählen zu können, habe ich mir über die letzten 15 Jahre erarbeitet. Ansonsten gibt es aber keine Grenze! Bis vor ein paar Jahren standen noch einige Länder, die ich nicht bereisen wollte, auf meiner schwarzen Liste. Aber selbst diese Liste hat sich inzwischen aufgeweicht.

Du warst ja sogar schon in Nordkorea!

Thilo Mischke: Ja – und zwar mit großer Begeisterung. Nordkorea ist ein total ungefährliches Land, zumindest für ausländische Touristen bzw. Journalisten. Es ist der Wahnsinn dort, so etwas gibt es nicht ein zweites Mal. Unabhängig von den Menschenrechtsverletzungen, ist das Land absolut faszinierend. Es wirkt wie eine Filmkulisse, ein Sozialismus-Vergnügungspark.

Mir war gar nicht klar, dass man das Land überhaupt besuchen kann.

Thilo Mischke: Man muss einfach nur fragen! Es geht sehr einfach. Aber natürlich gibt es dann Regeln, an die man sich vor allem als Journalist halten muss. Als Tourist ist der Besuch sogar noch einfacher und auch relativ günstig. Das Teuerste ist der Flug nach Peking, von dort aus werden verschiedenste Touren angeboten.

In welchem Land würdest du Leben wollen, wenn Deutschland keine Option mehr wäre?

Thilo Mischke: Erstmal muss ich sagen: Ich liebe es, hier zu leben. Ich liebe Berlin, fühle mich hier sehr wohl und kann mir absolut nicht vorstellen, jemals auszuwandern. Ich möchte in Berlin und Brandenburg alt werden. Es gibt aber zwei Länder, in denen ich mir vorstellen könnte immer mal wieder ein halbes Jahr zu leben: Das sind Japan und Island. Ich freue mich jetzt schon unheimlich darauf, Island endlich wieder besuchen zu können – das ist auch der Hauptgrund, warum ich sehr ungeduldig auf die Impfung warte (lacht).

Als Reporter müssen sich Mischke und sein Team oft mit schussicherer Ausrüstung schützen. (Foto: Florian Baumgarten)