Timo Gerach: „Ich wollte meiner Stadt etwas zurückgeben!“

Unter vier Augen: Der Landauer Timo Gerach ist erfolgreicher Schiedsrichter in der Bundesliga und außerdem das Gesicht hinter der Landauer Event-Arena. Im Interview mit dem PFALZ-ECHO spricht er über den Video-Assistenten, die Nationalmannschaft und ein Landauer Musikfestival

(Foto: honorarfrei)

Landau. Timo Gerach hatte erst im Januar 2016 die Idee, in Landau eine Event-Arena zu etablieren, wo tausende Fußballfans zusammen die Europameisterschaft auf einer Großleinwand verfolgen können. In nur kanpp fünf Monaten hat er das Projekt dann auch umgesetzt und in diesem Jahr zur WM wieder aufgelegt. Aber nicht nur damit hat sich Gerach einen Namen gemacht: Der Landauer ist erfolgreicher Bundesliga-Schiedsrichter und stand schon in Stadiem mit über 60.000 Zuschauern auf dem Platz.

Wie wird man denn überhaupt Schiedsrichter?

Timo Gerach: Ich war ungefähr 13 oder 14 als man an mich rangetreten ist und mir angeboten hat, die Schiedsrichterausbildung zu machen. Das lief über meinen Fußballverein. Ich war schon immer ein Führungstyp beim Sport, war Mannschaftskapitän – ich denke, deswegen hat man mir das zugetraut. Und weil ich auch schon immer offen für Neues war, habe ich gleich zugesagt. Nach einer dreitägigen Ausbildung habe ich als Teenager dann meine ersten Jugend-Spiele hier im Kreis geleitet. An den Wochenenden habe ich dann im Wechsel mal selbst Fußball gespielt, mal ein Spiel als Schiedsrichter geleitet. Das war beides kompatibel und es war natürlich auch ein schönes Taschengeld. (lacht)

(Foto: honorarfrei)

Und wie ging es dann weiter? Wie haben Sie es bis in die Bundesliga geschafft?

Timo Gerach: Andere haben anscheinend relativ schnell gemerkt, dass ich meine Sache ganz gut mache, dass ich dafür ein gewisses Talent habe: Spiele leiten, Konflikte lösen, kommunikativ sein. Mit 18 Jahren wurde ich vor die Wahl gestellt, entweder Schiedsrichter in der Verbandsklasse zu werden oder Fußball aktiv zu spielen. Ich habe dann schweren Herzens die Entscheidung für die Schiedsrichterei getroffen, rückblickend war auf jeden Fall richtig. Ab dann habe ich ein sehr anstrengendes und herausforderndes Leistungsprinzip durchlaufen. Von der Landesliga, Verbandsliga, Oberliga, Regionalliga, 3. Liga bis ich irgendwann auch in der Bundesliga eingesetzt wurde. Man wird in jedem Spiel beobachtet und beurteilt, es gibt dafür Beobachtungsbögen, die inzwischen 47 verschiedene Punkte umfassen. Auch die athletische Verfassung werden dabei mitgewertet. Und natürlich gehört irgendwann auch das Quäntchen Glück dazu, wenn man so weit oben mitmischen möchte.

Apropos Training – als Schiedsrichter muss man ja unheimlich fit sein. Wie oft trainieren Sie in der Woche?

Timo Gerach: Das ist richtig. Bei einem Bundesligaspiel läuft der Schiedsrichter zwischen elf und 13 Kilometern – und zwar nicht im Dauerlauf, sondern je nach Spielverlauf, in bis zu 40 einzelnen Sprints und schnellen Läufe usw. Man muss also wirklich extrem fit sein. Wer das nicht ist, verliert die Konzentration und macht Fehler. Ich gehe jeden Morgen zweieinhalb bis drei Stunden zum Training und gestalte mein Training von Woche zu Woche anders: Je nachdem ob am darauffolgenden Wochenende ein Einsatz auf dem Platz, als Linienrichter oder als Video-Assistent ansteht. Nachmittags kommt dann an zwei Tagen pro Woche noch Physiotherapie hinzu, einmal pro Woche mache ich auch alternative Trainingsformen wie z. B. Yoga.

Welche Talente muss man denn außer der Fitness mitbringen als Schiedsrichter?

Timo Gerach: Ich würde es eher Fähigkeiten nennen. Und das wichtigste ist sehr hoher Fußballsachverstand. Ich profitiere davon, dass ich sehr lange selbst Fußball gespielt habe und auch jetzt immer noch versuche, Kontakt zum Fußball und den Fußballern zu halten. Außerdem muss man natürlich Bewegungsabläufe richtig erkennen können, einen guten Blick haben, um beurteilen zu können, ob das nun ein Foul oder ein normaler Zweikampf war. Hinzu kommen noch übergeordnete Dinge: Als Schiedsrichter braucht man eine gewisse Körpersprache und muss diese bewusst einsetzen können. Auch die Kommunikation muss man richtig anwenden: Wann ist man etwas lauter in der Ansprache, wann flüstere ich etwas ins Ohr? Lasse ich jemanden nah an mich ran oder halte ihn besser auf Distanz? Als Schiedsrichter muss ich ein respektvolles Miteinander aufbauen auf dem Feld.

Wie geht man als Schiedsrichter mit dem Druck um, der auf einem lastet, wenn die eigenen Einschätzungen spielentscheidend sind?

Timo Gerach: Ich spüre das nie als Druck. Egal ob ich als Schiedsrichter vor 60.000 Fans im Stadion stehe oder in meiner Event-Arena vor 7.000 Zuschauern. Auch bei letzteren gibt es ja eine Erwartungshaltung – ob zum Beispiel die Leinwand funktioniert. Aber ich wäre der falsche Mann, wenn ich das als Druck verspüren würde. Für mich ist es etwas sehr Positives: Ich habe mein Hobby Fußball zum Beruf gemacht! Es gibt mir unheimlich viel Kraft, raus auf den Platz im Stadion zu gehen, mit der Mannschaft aufzulaufen. Ich bin dann in einem Tunnel, es spielt die Mannschaft „Blau“ gegen „Rot“. In dem Moment interessiert es mich nicht, wie die Vereine heißen, ich konzentriere mich voll auf meinen Job. Ich denke dabei an mich und meine Fähigkeiten, mein Ziel ist es, das Spiel fehlerfrei zu leiten – das ist meine Motivation. Dabei kann ich natürlich keine Rücksicht auf Vereine, Spieler und deren Befindlichkeiten nehmen.

Redakteurin Anne Herder mit Timo Gerach. (Foto: privat)

Kann man als Schiedsrichter denn privat Fan einer Mannschaft sein? Oder sollte man sich da besser zurückhalten?

Timo Gerach: Ich kann nur von mir selbst sprechen: Ich bin kein Fan einer bestimmten Mannschaft. Ich bin Fußballfan, weil ich den Sport liebe und die Emotionen, die damit verbunden sind.

Leiden Sie also nicht mit, wenn sich der 1. FC Kaiserslautern in der dritten Liga aktuell sehr schwer tut?

Timo Gerach: Tatsächlich nicht sehr. Ich sehe das neutral: Die Vereine sind für sich selbst verantwortlich, das sind ja mittlerweile auch Unternehmen. Ich verfolge das Geschehen aber natürlich interessiert – nur eben mit wenig Emotionen. Trotzdem pfeife ich keine Spiele von rheinland-pfälzischen Mannschaften, um jedem Verdacht der Befangenheit aus dem Weg zu gehen.

Gab es in Ihrer Schildrichter-Karriere schon Momente auf dem Platz, wo Sie angegangen wurden? Oder hatten Sie schon Auseinandersetzungen mit Fans?

Timo Gerach: Im Profi-Fußball passiert das eigentlich nicht – die Stadien sind zum Glück gut gesichert. Aber bei Kollegen und Kolleginnen, die in den unteren Klassen Spiele leiten, kommt das leider ab zu vor. Das ist nicht schön.

Und wie ist es mit den Spielern? Wird da keine mal ausfällig?

Timo Gerach: Man muss das differenzieren: Spieler und Schiedsrichter beschimpfen sich nicht auf dem Feld. Das ist vielleicht ein Eindruck, der auch an der Basis – also im Amateurfußball – falsch interpretiert wird. Die Intelligenz der Profi-Fußballer – sowohl spielerisch als auch kommunikativ – ist sehr hoch. Natürlich äußern sie öfter mal ihren Unmut, aber es gibt dabei ganz klare Grenzen: Beleidigungen oder Beschimpfungen sind ein absolutes Tabu. Kommunikation auf dem Feld ist in beide Richtungen wichtig, dabei kann es auch mal ernster und lauter werden. Wenn ein Spieler das mit mir macht, muss ich das aushalten können und entsprechend antworten – dabei habe ich aber immer die Grenzen und Regeln im Blick!

Können Sie es denn bei all der Konzentration überhaupt genießen, wenn Sie das Stadion betreten und 60.000 Zuschauer auf den Rängen sitzen?

Timo Gerach: Auf jeden Fall! Wenn ich das nicht könnte, wäre es kein Job für mich. Die Spiele in der ersten und zweiten Liga machen einfach viel Freude. Wenn man aus der Kabine kommt und auf den Rängen eine tolle Stimmung herrscht, packt einen das auch! Aber auch der umgekehrte Fall kann ja passieren: Je nach Spielverlauf kann die Stimmung im Stadion kippen. Auch das hat mich aber noch nie gehemmt. Ich muss manchmal eine Entscheidung treffen, nach der ich das ganze Publikum gegen mich habe. Aber so lange ich weiß, dass meine Entscheidung richtig war, kann ich dazu auch stehen und die Stimmung für mich in positive Energie umwandeln. Ich darf auch keine Angst davor haben, in der 90. Minute einen Elfmeter gegen die Heimmannschaft zu pfeifen, auch wenn ich weiß, dass ich danach 50.000 Fans gegen mich habe. Wenn die Situation einen Elfmeter erfordert, dann muss ich den auch pfeifen.

Es gibt aber ja auch Situationen, in denen man sich als Schiedsrichter trotz allem nicht zu hundert Prozent sicher sein kann. Wie stehen Sie zum Video-Assistenten?

Timo Gerach: Wenn ich mir bei einer Szene auf dem Feld nicht sicher bin, muss ich als Schiedsrichter die Finger davon lassen – das ist Basiswissen! Ich kann nur aufgrund dessen entscheiden, was ich wirklich gesehen habe. Ansonsten muss ich ehrlich sein und zugeben: „Es tut mir leid, ich habe es nicht gesehen.“ In solchen Situationen sind meine Assistenten an den Seitenlinien und auch der Video-Assistent ein absolut wichtiges Mittel. Es gibt immer Dinge, die man mit bloßem Auge einfach nicht erkennen kann. Wir sind die ärmsten Säue, wenn wir eine Entscheidung ohne Video-Assistenten treffen müssen, fünf Minuten nach dem Spiel die Zeitlupe der Szene sehen und realisieren, dass wir falsch gehandelt haben. Wir fühlen uns dann selbst auch richtig schlecht. Da ist der Video-Assistent also wirklich eine tolle Option.

Aber es gibt diesbezüglich ja auch Kritiker …

Timo Gerach: Ja. Das sind meistens Fußball-Nostalgiker. Aber wir müssen uns ja vorwärts bewegen. Natürlich unterlaufen am Anfang noch Fehler. Der Assistent wird eventuell zu häufig eingesetzt. Aber alle Statistiken zeigen, dass die Speile insgesamt gerechter werden durch den Einsatz des Video-Assistenten. Wir brauchen noch etwas mehr Routine und Erfahrung, dann wird das in den nächsten Jahren auch in den Medien gelassener gesehen und zu noch mehr Gerechtigkeit führen.

Wie entstand vor inzwischen zweieinhalb Jahren denn die Idee, neben Ihrem Beruf als Schiedsrichter noch die Event-Arena in Landau aufzubauen?

Timo Gerach: Vor ein paar Jahren war ich längere Zeit verletzt und konnte mich sportlich nicht betätigen. In dieser Phase habe ich mich aus der Geschäftsführung im Familienbetrieb zurückgezogen um mich auf meine Reha zu konzentrieren. Ich habe gleichzeitig gemerkt, dass ich in Zukunft, wenn ich wieder fit bin, mich auf die Schiedsrichtertätigkeit fokussieren möchte und eine Doppelbelastung mit einer Personalverantwortung für über 50 Angestellte nicht möglich ist. Die Entscheidung war auch absolut richtig, ich habe aber schnell gemerkt, dass mich mein Beruf als Schiedsrichter trotzdem nicht komplett zeitlich erfüllt. Ich hatte das Privileg, mir ohne finanziellen Druck Gedanken darüber machen zu können, was ich mir zusätzlich noch aufbauen könnte. Anfang 2016 hatte ich dann die Idee, ein Public Viewing zu organisieren. Anders als man es bisher gesehen hatte, mit Strukturen, die ich auch den Fußballstadien kenne. Etwas nach Landau holen, was die Leute begeistert, meiner Stadt und den Menschen hier etwas zurückgeben – das war meine Motivation.

Die Idee kam aber recht spät – 2016 war ja bereits das Jahr der Europameisterschaft!

Timo Gerach: Oh ja! Ich frage mich heute noch, wie ich das damals innerhalb weniger Monate geschafft habe. Für die WM in diesem Jahr habe ich eineinhalb Jahre Vorlauf gehabt. Klar, die Event-Arena zur WM war dann natürlich auch noch ein paar Hausnummern größer – mit Eröffnungskonzert, Festival, Stabhochsprung, Beach …

Nun sind drei Monate seit Ende der Weltmeisterschaft vergangen – das frühe Ausscheiden der deutschen Mannschaft hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Besucherzahlen in der Event-Arena. Wie lautet mit diesem zeitlichen Abstand die Bilanz?

Timo Gerach: Auf der einen Seite ziehe ich viel Positives aus dem Feedback der Besucher, meiner Partner und Sponsoren. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Wir haben viel Lob bekommen für den vergrößerten Beach, das Rahmenprogramm, die unterschiedlichen Sitzbereiche. Was mich vor allem bestärkt, ist, dass es sich lohnt, den Weg zu gehen, qualitativ hochwertige Events zu organisieren. Auf der anderen Seite steht natürlich das Problem, dass in diesem Sommer in Deutschland kein Fußball-Feuer entfacht wurde. Das hat natürlich eine negative Auswirkung auf die Wirtschaftlichkeit. Man darf die beiden Seiten nur nicht vermischen! Das war am Anfang sehr schwierig. Mir hat es auf jeden Fall sehr viel Spaß gemacht und es wird sicher auch weitergehen.

Gibt es auch für außerhalb der Fußball-Jahre Pläne?

Timo Gerach: Im Moment mache ich mir Gedanken darüber, ob es möglich ist ein Musik Festival im Sommer an mehren Tagen in der Südpfalz ins Leben zu rufen … mal abwarten was da kommt (lacht)!

Die nächste WM findet dann allerdings im Winter statt – soll es trotzdem eine Event-Arena geben?

Timo Gerach: Erstmal ist unsere Nationalmannschaft in Zugzwang – die müssen sich ja schließlich qualifizieren (lacht). Aber ich habe da auch schon einige Ideen. Aufgrund der positiven Rückmeldungen und auch der Erfahrung, die wir inzwischen gesammelt haben – und weil es mir einfach viel Spaß macht – bin ich zuversichtlich, dass wir da auch etwas auf die Beine stellen können. Die Verbindung des geschäftlichen mit dem Sportlichen, die Organisation und Planung, das ganze Drumrum, das macht mir einfach unheimlich viel Freunde. Und man bekommt auch extrem viel zurück, wenn tausende Menschen auf dem Gelände feiern und Spaß haben. Dafür lohnt sich die Arbeit!

Angenommen, Sie hätten die Möglichkeit zu entscheiden: Schiedsrichter bei der WM oder Chef der Event-Arena?

Timo Gerach: Dieser Weg ist noch so weit, dass ich mir da keine Gedanken mache. Mein erstes Ziel ist es, als Schiedsrichter in die erste Bundesliga zu kommen – dort bin ich momentan Assistent, vierter Offizieller oder Video-Schiedsrichter. Danach sind es immer noch ganz viele Schritte, bis ich international pfeifen dürfte.