Steckbrief: Heike Drechsler

  • Geboren am 16. Dezember 1964 in Gera
  • 1983 Weltmeisterin im Weitsprung in Helsinki (mit 18 Jahren)
  • 1992 und 2000 Olympiasiegerin im Weitsprung
  • Erfolge im Sprint (u. a.): 1986 Gold 200 Meter (Europameisterschaften), 1988 Bronze 100 und 200 Meter (Olympische Spiele) 
  • 1986 DDR-Sportlerin des Jahres, 2000 Sportlerin des Jahres in Deutschland

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Als ich Heike Drechsler gegoogelt habe, ist mir aufgefallen, dass Sie eine unheimlich vielseitige Sportlerin waren, sie waren ja auch Sprinterin und Mehrkämpferin.

Heike Drechsler: Zuerst war ich Mehrkämpferin, dann war ich Weitspringerin und dann bin ich natürlich auch zum Sprint gekommen. Mehrkämpferin war ich von Anfang an, auch das Training war mehrkampfspezifisch ausgerichtet, was sicherlich ein Vorteil war für meine Sprint- und Weitsprungfähigkeit.

Sie waren über 20 Jahre lange in der Weltklasse – wie kann man über einen so langen Zeitraum so ein hohes Niveau halten?

Heike Drechsler: Ein Grund ist, dass ich gute körperliche Voraussetzungen hatte. Der zweite Grund ist, dass ich super Trainer hatte, die natürlich darauf geachtet haben, dass ich Regenerationszeiten habe. Aber auch eine gute Technik und Basis gehören zu den Faktoren, die eine Rolle gespielt haben. Zudem war ich verletzungsunanfällig.

Man muss aber auch Erfolgswillen besitzen …

Heike Drechsler: Ja natürlich, die Motivation entwickelt sich automatisch. Wenn man einmal auf dem Treppchen gestanden hat, möchte man die Position behalten. Aber es ist natürlich schwer, jedes Jahr aufs Neue seine Kräfte zu sammeln. Aber die Liebe zum Sport hat die nötige Motivation mitgebracht. Ich bin ein Mensch, der sich gerne Herausforderungen stellt. Grunddisziplin gehört natürlich auch dazu. Ich habe die Disziplin von Anfang an gelernt, ich bin ein Kind der DDR. Ich hatte von Anfang an gute Trainer, die Wert darauf gelegt haben, dass wir altersgerecht trainieren und gefordert werden. Die haben auch viel von uns abverlangt, natürlich auch den Körper zu pflegen mit Regeneration, mit 13, 14 Jahren haben wir schon Massagen bekommen – ich habe das damals überhaupt noch nicht verstanden, mir war das eher unangenehm (lacht).

Sie waren 1992 und 2000 Olympiasiegerin – sich über eine so lange Zeitspanne so zu motivieren, finde ich faszinierend.

Heike Drechsler: Ich bin in den Sport reingewachsen. Er gehörte einfach immer für mich dazu. Das ist so, wenn man eine Ehe eingeht und täglich an ihr arbeitet. Im Sport kommt man natürlich irgendwann an seine Grenzen.

Die mehrfache Olympiasiegerin Heike Drechsler. (Foto: privat)

Sie haben gesagt, dass sie ein Kind der DDR waren. Dann sind Sie in das politische System von Westdeutschland gekommen – wie schwer war für Sie der Übergang von dem einen ins andere System?

Heike Drechsler: Das war eine Herausforderung. Ich hatte mit dem Sport in der DDR angefangen und hatte meine Erfolge. 1988 hatte ich ein Regenerationsjahr, das musste ich auch begründen. Die Funktionäre dachten, ich würde dann irgendwann wieder anfangen. In der Zeit habe ich meinen Sohn geboren, dann kam der Mauerfall, da kam alles zusammen und ich hatte schon Zukunftsangst. Ich war gerade Mutter geworden und ich wusste auch nicht, wie ich das alles hinbekommen sollte. Ich war auch noch im Studium. Ich war damals erst 24 und weil ich den Sport so liebte, habe ich mich entschieden, noch einmal anzugreifen, dort, wo ich 1988 aufgehört hatte. Ich hätte niemals gedacht, dass meine Karriere bis 2004 weitergeht. Es war für mich die erfolgreichste Zeit, die ich erleben durfte. Es war eine schwierige Zeit, aber ich hatte ein starkes Team, meine Familie spielte dabei natürlich auch eine Rolle. Mein Schwiegervater war mein Trainer. Es war ein neues Lebensgefühl. Obwohl ich am Anfang etwas überfordert war, auch von den vielen Presseanfragen, weswegen ich mich ein bisschen abgeschottet habe und meinen eigenen Weg gegangen bin.

Es gab bestimmt Vorbehalte der deutschen Leichtathletik gegenüber der DDR-Athletik.

Heike Drechsler: Ja, die Westdeutschen wussten nichts über uns, wie wir trainierten und umgekehrt war es genauso. Es hat lange gebraucht, bis man sich vertraut hat, aber als wir das erste Mal zusammen in einer Mannschaft aufgetreten sind, kam das Gefühl, sich zu kennen, man diskutierte und wuchs zusammen. Ich glaube aber, dass die Athleten da immer weniger Probleme hatten als die Trainer. Es entstand ein harter Konkurrenzkampf und man musste immer Angst haben, als Athlet oder Trainer noch dabei zu sein. Wir hatten aber auch schon zu DDR-Zeiten Kontakt zu westdeutschen Athleten. Ich muss gestehen, dass ich am Anfang oft dachte: die überheblichen Westdeutschen … sie waren auch teilweise uns gegenüber von oben herab. Das galt aber nicht für alle. Es gab viele, die wirklich den Kontakt zu uns gesucht haben, man durfte sich nur nicht erwischen lassen. Als Wettkämpferin war ich eher mit den Franzosen oder Briten zusammen als mit den Westdeutschen.

Ist es nicht komisch, in der DDR aufzuwachsen und auf einmal für ein anderes Land zu starten?

Heike Drechsler: Natürlich gehörte ich zur DDR, aber nicht mit ganzem Herzen. Da gab es die Geschichte und Westdeutschland … Der Moment, als wir gemeinsam als Gesamtdeutschland bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona die Nationalhymne sangen, war bewegend. Nach der Geschichte von Deutschland, war das einmalig. Das hat mich sehr berührt. Natürlich war man auch in der DDR stolz, wenn man Medaillen gewonnen hat, aber im Hinterkopf war immer, dass es da doch noch ein Deutschland gibt. Ich bekomme heute immer noch Gänsehaut, wenn ich an damals denke. Und ich sehe es auch nicht als Normalität an. Es haben viele dafür gekämpft, dass es ein Gesamtdeutschland gibt. Und ich bin auch dankbar dafür, dass ich das so erleben durfte in diesen zwei Welten. Die DDR-Vergangenheit hat mich auch geprägt und hat heute noch Einfluss darauf, wie ich die Dinge sehe. Ich bin heute auch viel kritischer als noch zu DDR-Zeiten.

Und zwischenzeitlich sind Sie für Karlsruhe gestartet.

Heike Drechsler: Für Karlsruhe und für Ludwigshafen. Ludwigshafen ist ein richtig toller Verein. Ich bin immer dorthin gependelt. Ich habe mich immer sehr wohl gefühlt in der Pfalz und in Ludwigshafen. Der Verein ist sehr professionell geführt und es steckt bis heute noch so viel Herzblut darin.

Wollten Sie nie professionell in den Trainerjob einsteigen?

Heike Drechsler: Ich hatte ein Angebot vom DSV, aber ich wollte nach meiner Karriere auch ein bisschen Zeit für mich haben. Ich wusste natürlich, was es bedeutet, Trainer zu sein, da ist man auch die Wochenenden wieder unterwegs. Aber ich berate gerne Athleten und gebe meine Erfahrung weiter. Ich bin dann eher mal auf der anderen Seite. Ich war als Kampfrichterin für die Europameisterschaften in Berlin unterwegs. Trainerschaft ist sehr aufwendig.

Jetzt stehen die Olympischen Spiele vor der Tür, wie es aussieht ohne Zuschauer – sagen Sie zu Tokio ja oder nein?

Heike Drechsler: Ich bin dafür, dass die Athleten ihre Spiele haben. Das ist ein Lebenstraum, der sonst für viele zerplatzen würde. Es werden außergewöhnliche Spiele und es werden auch andere Spiele als die, die ich erlebt habe, aber es ist wichtig, den Athleten die Sicherheit zu geben, dass die Spiele stattfinden. Ich bin der Überzeugung, dass Japan und vor allem Tokio die Olympischen Spiele stemmen kann. Sie sind so diszipliniert mit allem. Die Auflagen sind natürlich hoch und jeder Athlet muss sich darauf einstellen, aber die Japaner werden alles tun, dass die Spiele für alle ein Fest werden. Die Olympischen Spiele haben einen wahnsinnig hohen Stellenwert für uns Sportler. Nun herrschen besondere Bedingungen und man hofft, dass die Athleten damit klar kommen.

Wo leben Sie heute?

Heike Drechsler: In Berlin, hier bin ich auch angekommen, aber das Badische Ländle vermisse ich schon manchmal.

Und die Pfalz?

Heike Drechsler: Wir sind immer rübergefahren, in Maximiliansau gab es so eine Hühnchenbude, da haben wir uns immer die leckeren Hühnchen geholt.

Mein Verlag sitzt in Kandel …

Heike Drechsler: Oha, in Kandel gibt es einen tollen Weihnachtsmarkt – also zumindest vor Corona. Ich muss sagen, ich bin weiter weg von Thüringen als vom Badischen oder der Pfalz. Das ist schon ein bisschen Heimat für mich. (eis)