Auf See

Ein wenig Wehmut überkommt mich natürlich schon, ich wäre unglaublich gerne durch Cartagena geschlendert und auch auf die Schleusen vom Panamakanal habe ich mich sehr gefreut. Aber es ist okay. Und ich glaube, den allermeisten auf dem Schiff geht es ähnlich. Es ist schade, dass wir abbrechen müssen, aber dafür kann nun wirklich niemand etwas.

Wir passieren St. Vincent und die Grenadinen – leider nur aus der Ferne. (Foto: hea)

Die drei Tage auf See gestalten sich dann auch erstaunlich kurzweilig. So ein Kreuzfahrtschiff hat ja auch eine Menge zu bieten: Neben den schier unendlichen vielen Möglichkeiten, Cocktails mit schöner Aussicht zu genießen, kann man auch Sport treiben, rund um die Uhr gut essen, schwimmen, saunieren, sich massieren lassen, gemütlich auf dem Balkon lesen, zum Frisör gehen, in der Mall einkaufen – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das Internet ist inzwischen unbegrenzt für alle an Bord freigeschaltet. Dadurch haben wir in dieser Zeit viel Kontakt mit unseren Verwandten und Freunden zu Hause. Am Anfang überwiegen noch die Nachfragen, ob es uns denn gut ginge und ob man sich Sorgen um uns machen müsse. Aber das ändert sich sehr schnell. Natürlich kriegen wir alles aus der Heimat mit: Es werden nicht mehr nur die Großveranstaltungen abgesagt, sondern auch kleine und private Feiern, immer lauter werden die Empfehlungen, so viel es geht daheim zu bleiben. Wir verfolgen die Rede von Angela Merkel und lesen die Pressemitteilungen über Ausgangsbeschränkungen. Und immer mehr wird uns bewusst, dass nicht wir diejenigen sind, um die man sich Sorgen machen müsste oder die unter der inzwischen weltweiten Krise leiden. Im Gegenteil, während unsere Bekannten zu Hause sich (zurecht!) an strenge Regeln im sozialen Miteinander halten müssen und um das letzte Hefepäckchen im Supermarkt kämpfen, genießen wir weiter vollen Luxus. Die Kinder an Bord werden im Kids-Club von morgens bis abends betreut, wir sitzen in großen Runden beim Essen zusammen, die Restaurants fassen mehrere hundert Gäste. Wir dürfen noch Live-Shows erleben, Konzerte und Theaterstücke auf der Bühne verfolgen und unser Sohn kann hier noch mit seinen Großeltern kuscheln. Wenn wir erst zu Hause sind, werden wir auf all das verzichten müssen. Also fragen wir in unseren Nachrichten zurück: „Uns geht es sehr gut, aber was ist mit euch?“

Vor Barbados

Erst gegen Abend erreichen wir Barbados. Gerade noch rechtzeitig, um den Sonnenuntergang – die rote Sonne – zu erleben. Noch acht weitere Kreuzfahrtschiffe liegen hier im Hafen oder vor Anker. Die Insel spielt eine wichtige Rolle beim Rücktransport europäischer Touristen in die Heimat. Die Borddurchsage hat an diesem Abend gleich zwei ernüchternde Informationen für uns: Erstens werden wir das Schiff hier leider nicht verlassen können und das obwohl zweitens die Flüge für die meisten Gäste frühestens in zwei Tagen gehen. Beides hatten wir bereits geahnt, bzw. wurde schon in vorherigen Durchsagen angedeutet. Aber jetzt, wo wir in nur ein paar hundert Meter Entfernung die weißen, von Palmen umsäumten Sandstrände sehen, das türkisfarbene Meer … das ist schon ein bisschen hart.

Der Containerhafen von Bridgetown: Diese Aussicht begleitet uns die letzten Tage an Bord. (Foto: hea)

Gerade als ich anfangen will mich darüber zu ärgern, kommt die nächste ernüchternde Nachricht aus Deutschland: Die Zeitung, bei der ich seit über elf Jahren arbeite, deren erste Ausgabe ich bereits mitgestaltet habe, wird vorerst nicht mehr gedruckt. Das ist hart für mich, auch wenn ich es natürlich geahnt habe in den letzten Tagen. Ich bin aber doch gerade mal seit zehn Tagen weg – wie konnte das alles nur so schnell eskalieren? Ich halte für ein paar Minuten inne, schaue zu wie das Meer die Sonne verschluckt und rapple mich dann wieder auf. Babados? Was soll’s! Immerhin kann ich ab jetzt erzählen, dass ich hier war! Und dass ich bei der großen Abschiedsfeier dabei war, die heute Abend stattfinden sollte.

Solche Abschiedsfeiern finden eigentlich immer statt am Ende einer Runde, bevor die neuen Gäste wieder zusteigen. Eigentlich ist das also nichts Besonderes. Eigentlich. Dieses Mal ist es natürlich anders. Denn das erste Mal in der Geschichte der Flotte werden nach uns vorerst keine Gäste mehr kommen. Das erste Mal bedeutet die Abschiedsfeier auch für die Besatzung mehr als nur einen Bettenwechsel. Und das merkt man dann auch spätestens als fast alle Crew-Mitglieder zusammenkommen, gemeinsam eine Runde zwischen den hunderten Zuschauern gehen, dabei mit Tränen in den Augen ihre Landesflaggen schwingen und „Große Freiheit“ singen.

Ab dann heißt es nur noch abwarten. Abwarten, bis der Transport zum Flugzeug los geht. Für uns heißt das: Noch fast zwei ganze Tage an Bord. Zwei Tage, in denen wir noch den vollen Komfort genießen können, denn alle Restaurants und Bars haben weiter geöffnet, das Kind darf sich weiter im Kids-Club austoben und wir können es uns am Pool gemütlich machen. (Wobei das natürlich auf dem Kreuzfahrtschiff eigentlich ein Widerspruch ist: gemütlich und Pool. Selbst wenn nach und nach die Gäste abreisen, liegt man hier noch wie Sardinen in einer Büchse eng nebeneinander.)


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