Steckbrief
Geboren am 5. Dezember 1952 in Chicago, Illinois.
Besitzt sowohl den amerikanischen als auch den deutschen Pass.
Durchbruch im Fernsehen: Mitte der 90er Jahre mit den Seren „Girl Friends“ (ZDF) und „Nikola“(RTL). In beiden Serien spielt Mariele Millowitsch die weibliche Hauptrolle.
Bereits seit mehr als zehn Jahren ist er mit dem Bühnenprogramm „Als ich ein kleiner Junge war …“ (Erich Kästner) unterwegs.
In Ihrer aktuellen Rolle als Erich Kästner in „Als ich ein kleiner Junge war…“ haben Sie eine große Menge Text zu sprechen. Als Schauspieler ist man zwar gewohnt, viel auswendig zu lernen, aber ist das nicht eine besondere Herausforderung?
Walter Sittler: Nein, das würde ich nicht sagen. Der Text ist in Kapitel unterteilt, er mäandert nicht, sondern man geht wie durch einen Garten oder wie durch eine bekannte Gegend, über die ich dann dem Publikum erzähle.
Das Buch von Kästner erschien 1957. Was macht es heute noch aktuell?
Walter Sittler: Kästner gehört zu den Schriftstellern, die beschreiben, wie Menschen und Gesellschaft funktionieren. Er beurteilt sie nicht, sondern beschreibt nur und überlässt das Urteil dem Zuhörer beziehungsweise dem Leser. Da sich die Menschen ja nicht so schnell ändern, sind diese Beschreibungen immer noch aktuell und modern.
Gibt es in dem Stück eine Botschaft, die Sie auf aktuelle politische Ereignisse beziehen?
Walter Sittler: Man lernt einen klareren Blick unter die Oberfläche und es ist so notwendig, dass die Menschen das lernen, damit sie nicht auf jeden Quatsch reinfallen. Durch die intensive Beschäftigung mit dem Text, traue ich den Aussagen einiger Politiker nicht mehr. Ich überlege, was sie eigentlich wirklich meinen. Zum Beispiel im aktuellen Fall, als in Stuttgart Fasanenhof ein Mord auf der Straße passiert ist und alle Politiker nach mehr Polizei rufen. Diese Forderung trifft das Problem nicht. Denn Politiker festigen ihre Macht durch Machtausübung und nicht über Empathie, Mitdenken, Gleichberechtigung usw. Sie wollen die Menschen koordinieren und sagen, mehr Polizei bringe mehr Sicherheit, obwohl das nicht funktioniert.
Sie sind ja ein politisch engagierter Mensch. Über welche Kanäle informieren Sie sich?
Walter Sittler: Ich lese die Taz, den Spiegel und die Süddeutsche Zeitung online, und habe den Guardian und die Washington Post abboniert. Diese Zeitungen sind zwar recht westlich orientiert, aber durch die Taz ist auch der östliche Bereich einigermaßen abgedeckt mit vielen verschiedenen Meinungen. Auch die Monatszeitschrift Le Monde diplomatique ist eine unglaublich gute Zeitung. Sie verurteilt nicht, sondern versucht zu beschreiben, was in der Welt passiert, sei es der Klimawandel, die Abholzung des Regenwaldes oder die Trumpsche Politik. Im Moment geht es wieder rückwärts und das trifft die Frauen übrigens am schlimmsten. Bei einem Rechtsruck gibt es immer auch um eine klare Positionierung der Geschlechter. Die Männer sind oben, die Frauen sind darunter.
Gibt es denn keine Hoffnung?
Walter Sittler: Doch, es gibt die Hoffnung auf die jungen Leute. Bei den Mittleren und Älteren habe ich weniger Hoffnung, weil sie nicht mehr so handlungsfähig zu sein scheinen.
Bewegen Sie sich auch in sozialen Netzwerken?
Walter Sittler: Nein, da bin ich ein Dinosaurier.
Sehen Sie in den sozialen Netzwerken auch einen Teil des Problems?
Walter Sittler: Soziale Netzwerke sind Werkzeuge, die missbraucht werden können. Aber das tun die Leute selbst. Wichtig wäre, dass die Verantwortlichen, denen diese Technik gehört, besser kontrollieren und zum Beispiel alle Hassbotschaften, alle Morddrohungen, alles gegen Frauen, gegen Schwule und Lesben löschen. Das wäre keine Zensur, sondern eine ganz normale gesellschaftliche Hygiene, die wir brauchen. Wir brauchen Regeln, damit die Gesellschaft funktioniert und diese Regeln sind in den Netzwerken wie Facebook oder Instagram gerade nicht wirklich in Kraft. Selbst Personen des öffentlichen Lebens halten sich nicht daran. Sie sind aber Vorbilder. Darauf weist Kästner übrigens auch hin: Menschen brauchen Bilder, an denen sie Sich orientieren. Wenn aber keine da sind, oder die falschen, dann passiert genau das, was wir gerade beobachten.
Sie sind ja auch amerikanischer Staatsbürger. Glauben Sie, Trump wird noch einmal Präsident?
Walter Sittler: Nein. Allerdings – wenn er einen Krieg vom Zaun bricht – kann es sein, dass die Wahl verschoben wird. Ich hoffe aber, dass sich die Demokraten zusammenfinden, sich an der eigenen Nase fassen und sagen, dass es so nicht weiter geht.
Hier in Europa wundert man sich ja fast, dass so vieles, was Trump tut, was er schon geäußert hat, bisher immer noch keine echten Konsequenzen hervorgerufen hat.
Walter Sittler: Man darf nicht vergessen, dass Amerika immer auf Geld gebaut war. Man konnte als Selfmademan Millionär werden und diejenigen, die Geld haben, werden noch viel mehr haben. Solche Aussichten sind sehr verführerisch. Es fehlt in der kurzen Geschichte Amerikas etwas, das sich mit mehr als sich selbst beschäftigt. Und wenn Trump jetzt sagt, die Amerikaner sind die Größten und wollen die Vorherrschaft haben, trifft das bei vielen einen Nerv. Aber es wird schiefgehen. Das hat noch nie funktioniert. Trump ist allerdings eben so, er ist ein Feigling. Immer, wenn es darauf ankommt, ist er nicht da. Er macht sich groß, indem er andere klein macht. Er hat überhaupt keine Statur, keine Richtlinien, gar nichts. Aber er tut so, als ob er ein Präsident wäre.
Nochmal zu Ihrer Schauspielkarriere: „Nikola“ war die erste Serie, mit der Sie richtig bekannt geworden sind.
Walter Sittler: Davor gab es noch die Serie „Girl friends“. 1996 haben wir angefangen „Nikola“ zu drehen und es wurde ein riesiger rauschhafter Erfolg. Da hat alles gepasst, Mariele Millowitsch und ich haben uns verstanden, auch mit dem Regisseur, der die ersten sechs Staffeln gemacht hat. Wir hatten unglaublich gute Autoren und eine tolle Produktionsfirma. Die Geschichte hat auch gepasst. Wenn das alles passt, kommt so ein großer Erfolg raus. Das passiert nicht sehr oft und ist auch ein Glücksfall.
Schauen Sie sich manchmal noch die alten Folgen an?
Walter Sittler: Ja, wenn die Kinder an Weihnachten kommen, muss „Nikola“ geguckt werden. Die sind ja damit groß geworden.
Wie fühlen Sie sich dabei – mit einem Abstand von 20, 25 Jahren?
Walter Sittler: Ich verstehe, warum das immer noch geguckt wird. Ich denke auch, es würde heute noch genauso gut funktionieren.
Hat sich in dem Bereich nicht sehr viel verändert?
Walter Sittler: Es hat sich insofern etwas verändert, dass durch die schwindenden finanziellen Mittel nicht genug Geld für solche Produktionen ausgegeben wird. Für eine Comedy-Serie muss man aber sehr viele Autoren und einen richtig guten Oberautoren haben. Wenn man glaubt, ein Autor könne alle Folgen schreiben, funktioniert das nicht. Comedy ist entweder komisch oder schlecht. Dazwischen gibt es nichts. Es ist höllisch schwer, gute Comedy-Drehbücher zu schreiben.
Bei „Nikola“ waren offensichtlich die Richtigen mit im Boot…
Walter Sittler: Ja, wir hatten viele Autoren und einen Oberautoren. Außerdem waren alle begeistert und überrascht über die gute Eingliederung ihrer Texte. Und wir konnten ihnen auch sagen, wenn eine Szene nicht gut war und wir etwas anderes bräuchten. Dann haben sie nie darauf beharrt, diese Szene zu spielen, sondern sie haben eine neue geschrieben. Dadurch war das eine unglaublich schöne Zusammenarbeit. Es war einfach ein großer Genuss.
Sie sind mit Mariele Millowitsch immer noch eng befreundet. Woran liegt es, dass diese Freundschaft so lange gehalten hat?
Walter Sittler: Es liegt an uns beiden. Wir machen uns nichts vor und vertrauen uns. Mariele fühlt sich bei mir sicher, im Leben wie auch auf der Bühne. Das ist ein unglaublicher Vertrauensbeweis, worauf ich aufpasse und sie auch. Das ist es eigentlich.
Ist es schwer, solche Freundschaften zu erhalten, gerade in Ihrem Beruf? Sie sind ja sehr viel unterwegs …
Walter Sittler: Wir rufen uns nicht ständig an. Und jetzt haben wir wieder ein gemeinsames Projekt, eine Lesung. Dann ist es, als wäre es gestern gewesen, dass wir uns gesehen haben.
Haben Sie einen Tipp für eine gute Freundschaft?
Walter Sittler: Wir wissen immer ungefähr, was beim anderen gerade los ist. In Kontakt bleiben ist wichtig! Wenn ich wirklich Hilfe bräuchte, ist Mariele eine von denen, die ich als Erster anrufen würde.
Sie haben sehr viele Projekte parallel laufen, verschiedene Bühnenprogramme, wahrscheinlich drehen Sie auch noch.
Walter Sittler: Das Drehen habe ich im Moment ein bisschen zurückgefahren, weil ich mehr Zeit haben will. Es gab mal ein Jahr, in dem ich mit Drehen so viel Arbeit hatte, dass ich am Ende gar nicht mehr wusste, wo ich gerade hinfahre. Das habe ich seitdem nie wieder gemacht und mache ich auch nicht mehr.
Kommt auch mal Ihre Frau und sagt: „Es reicht!“?
Walter Sittler: Sie sagt das freundlicher, weil sie weiß, wie gerne ich das alles mache, und dann trete ich auf die Bremse, manchmal vielleicht später als gut wäre.
In Ihrem aktuellen Stück geht es um die Kindheit von Erich Kästner. Gibt es Parallelen zu Ihrer eigenen Kindheit?
Walter Sittler: Es passiert einem beim Lesen ja generell, dass man seine eigenen Gedanken wiederfindet. Bei Kästner passiert mir das immer wieder. Kästner nimmt sich selbst nicht wichtig. Das gibt ihm die Möglichkeit, seine Kraft auf das Außen zu konzentrieren, es auseinander zu klamüsern und in Worte fassen. Seine Art zu beobachten habe ich schon immer gemocht.
Wie waren Sie selbst als Kind?
Walter Sittler: Ich habe versucht, alleine geradeaus zu laufen. Ich war der Jüngste von acht Geschwistern und musste eben schauen, wo ich bleibe. Ab 13 Jahren war ich wegen widriger Umstände zu Hause in Internaten als Stipendiat und musste mich deshalb ordentlich benehmen. Meine Eltern hätten das Internat niemals selbst bezahlen können. In dieser Hinsicht gibt es keine Parallelen zwischen mir und Kästner. Ich wäre auch lieber zu Hause geblieben, so wie er.
Der Begriff Heimat ist für Sie ja etwas schwierig, weil Sie schon an vielen verschiedenen Orten zu Hause gewesen sind.
Walter Sittler: Zu Hause bin ich bei mir selber und da, wo ich gerade bin, und mit meiner Familie, egal wo die gerade ist. Ein Heimatgefühl, wie es viele haben, die 20 Jahre irgendwo aufgewachsen sind, kann ich mir nur anschauen. Aber ich selber habe das nicht.
Wir sind jetzt in Mannheim, wo Sie auch schon mal gelebt und gearbeitet. Inzwischen wohnen Sie in Stuttgart. Da ist die Pfalz ja nicht weit – waren Sie schon mal in der Pfalz?
Walter Sittler: Wenn man in Mannheim wohnt, kommt man da gar nicht drum rum. Zum Wandern, wegen des guten Weins und der guten Lokale sind wir da natürlich oft hingefahren. (hea)