Rülzheim. Draußen regnet es und die Holzverkleidung der Dachschrägen im Apartment des Landhotels knackt gemütlich. „Diese Woche habe ich meinen Personalausweis erneuern lassen, da ist mir aufgefallen, dass auch mein Reisepass demnächst abläuft. Da fragt man sich dann schon: Lohnt sich das noch, den neu machen zu lassen?“, erzählt Lydia, die in der Südpfalz gemeinsam mit einer Audiobiografin ein sogenanntes Familienhörbuch aufnimmt. Dabei handelt es sich um ein wissenschaftlich begleitetes Projekt für Menschen, die schwer erkrankt sind und noch minderjährige Kinder haben. Sie erhalten die Möglichkeit, ihre Lebensgeschichte, ihre Erinnerungen und Zukunftswünsche als Hörbuch einzusprechen und etwas ganz Besonderes zu hinterlassen.

Manchmal kommen Lydia Tränen während der Aufnahmetage, oft wird aber auch gelacht. (Foto: cdr)

Lydia ist Mutter zweier Töchter und an Krebs erkrankt. Aufgrund ihrer Diagnose muss sie damit rechnen, dass sie ihre Kinder nicht mehr lange begleiten kann. Das schmerzt und macht wütend. Sie betont: „Ich weiß, es ist utopisch und trotzdem hoffe ich immer noch, dass ich noch lange da sein kann.“ Es sei ihr ein wichtiges Anliegen, dass ihre Mädchen einen Eindruck davon bekommen, wer sie war und welche Werte ihr wichtig sind. „Sie sollen wissen, das hat die Mama begeistert und interessiert, aber ich möchte auch erzählen, dass im Leben nicht immer alles positiv verläuft und vermitteln, dass es sich lohnt, trotzdem weiter zu machen und eine große Offenheit für das Leben mitzubringen. Das ist etwas, was ich mir wünsche, dass sie freimütig auf Neues zugehen und dass sie dabei nie vergessen, wie lieb ich sie habe“, so die Projektteilnehmerin. Sie spricht zur Erinnerung auch Abendgebete ein, berichtet von ihrer ersten großen Liebe und ihrem Grundschullehrer, der recht deutlich ihr mangelndes Talent für Gesang benannte. Manchmal kommen Tränen während der Aufnahmetage, oft wird aber auch gelacht und ganz selbstverständlich fließt so ganz viel Persönlichkeit und der Kern, der Lydia ausmacht, in die Erzählungen mit ein. Nach drei Tagen sind alle Kapitel aufgenommen, Vor- und Nachwort formuliert und eine Liste mit Lieblingsmusikstücken erstellt. Nun ist ein Sounddesigner, eine weitere wichtige Berufsgruppe im Familienhörbuch-Team, an der Reihe und fügt die Geschichten harmonisch zusammen, unterlegt sie mit Musik und passenden Geräuschen und macht das Ganze rund. Im Idealfall geht das Endprodukt zeitnah an die Teilnehmenden zurück und sie können noch zu Lebzeiten gemeinsam mit der Familie in die Erinnerungen eintauchen, sie Teil des Alltags werden lassen und für sich selbst, aber auch die Angehörigen Trauerarbeit leisten.

Nach der Aufnahme ist ein Sounddesigner an der Reihe und fügt die Geschichten harmonisch zusammen, unterlegt sie mit Musik und passenden Geräuschen und macht das Ganze rund. (Foto:cdr)

Die Rundfunkjournalistin Judith Grümmer, die das Familienhörbuch aus der Taufe gehoben hat, freut sich, dass sie gemeinsam mit ihrem Team mittlerweile 140 Hör-Vermächtnisse produzieren konnte. Die vielen positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden und deren Familien sowie eine wachsende Anzahl an Preisen, wie beispielsweise der Publikumspreis beim Social Design Award 2021 des Spiegels, bestärken sie darin mit voller Kraft das Familienhörbuch-Projekt auszubauen. Die Aufnahmen werden auf Spendenbasis finanziert. Es gab bereits Zeiten, in denen mehr Interessenten Hörbücher angefragt haben, als das Budget hergab. Das führte dazu, dass die schwerkranken Eltern auf eine Warteliste kamen und unklar war, ob sich ihr Wunsch noch realisieren lassen würde. Die gemeinnützige Organisation geht damit transparent um und viele Projektteilnehmer:innen oder deren Angehörige stoßen deshalb selbst Spendensammelaktionen an, damit noch viele andere lebensverkürzt Erkrankte die Möglichkeit erhalten, ein Familienhörbuch für ihre Lieben einzusprechen. Ein solches Hördokument kann den Trauerprozess ein Stück leichter machen und auch für spätere Generationen eine Art Zeitzeugenbericht sein. (cdr)

Anmerkung: Damit Ansteckungsrisiken minimiert werden, wird das Projekt selbstverständlich unter Einhaltung von Hygieneabstandsregeln durchgeführt und auf Wunsch auch online realisiert.


Wer sich ehrenamtlich für das Familienhörbuch engagieren möchte oder mit einer Spende die gute Sache unterstützen kann, findet unter www.familienhoerbuch.de weitere Informationen.