Steckbrief: Caren Miosga

  • Geboren am 11. April 1969 in Peine.
  • Studium: Geschichte und Slawistik in Hamburg. 
  • Arbeitete als Reiseleiterin in Sankt Petersburg und Moskau und berichtete für den Hörfunk aus Russland.
  • Als Moderatorin im Fernsehen: Kulturjournal (NDR), Medienmagazin Zapp, ttt – titel, thesen, temperamente.
  • Seit 2007: Moderatorin der Tagesthemen.
  • 2021 wurde sie mit dem Grimme-Preis 2021 als Besondere Ehrung des Deutschen Volkshochschul-Verbandes ausgezeichnet.

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Ich bin im Rahmen der Vorbereitungen auf das Interview immer wieder auf Artikel gestoßen, in denen Sie als Nachrichtensprecherin bezeichnet werden. Das ist ja eigentlich falsch!

Caren Miosga: Nicht nur eigentlich (lacht)!

Ärgern Sie sich über die Bezeichnung?

Caren Miosga: Ich ärgere mich nicht, nein. Denn das ist auch kein leichter Job. Aber ich erkläre gern, dass es einen Unterschied gibt zwischen Nachrichtenmoderatoren und -sprechern: Die einen – die Sprecherinnen und Sprecher – lesen die von der Redaktion geschriebenen Meldungen. Wir Moderatorinnen und Moderatoren schreiben unsere Texte selbst, recherchieren und bereiten uns auf die Live-Interviews vor. 

Haben Sie denn ein berufliches Vorbild? 

Caren Miosga: Nein, das habe ich nicht – zumal dieser Berufswunsch bei mir auch nicht schon im Kindergarten gereift war (lacht). Dass ich Nachrichtenmoderatorin geworden bin, hat sich über die Zeit ergeben. Ich habe mich schon immer fürs Filmemachen interessiert, und wenn es Kollegen gab, die ich bewunderte, dann waren es Reporter, die an Orte gehen, an die es nie eine Kamera geschafft hat: der Meister der literarischen Reportage, Ryszard Kapuscinski, oder auch Gerd Ruge, dessen Reportagen ich nicht nur wegen der wunderbar schnoddrigen Aussprache des Reporters mochte, sondern auch, weil sie in Russland spielten.

Wäre es ein Traum von Ihnen, auch nochmal draußen zu arbeiten, um Reportagen und Dokumentationen zu drehen?

Caren Miosga: Wenn ich in meinem beruflichen Alltag etwas vertiefen dürfte, dann wären es zum einen die Gespräche. In den Tagesthemen hat ein Interview sechs bis zehn Minuten Platz – da würde ich oftmals gern noch fünf Mal nachfragen können. Und, ja, ich würde gelegentlich sehr gerne auch wieder selbst rausgehen und drehen.

Sie haben es gerade angesprochen: Im Rahmen der Tagesthemen haben Sie nur sehr wenig Zeit, um Ihren Interviewpartner:innen Fragen zu stellen. Haben Sie manchmal  die Befürchtung, dass bei einem Gespräch gar nichts Neues oder Konkretes zu entlocken ist? Gerade Politiker:innen – und insbesondere zu Wahlkampfzeiten – halten sich ja gerne bedeckt.

Caren Miosga: Das stimmt! Wir freuen uns also über jedes neu gesetzte Komma und jeden bisher unbekannten Halbsatz. Auch wenn ich immer wieder versuche, die Gesprächspartner mit Fragen oder ungewöhnlichen Einstiegen zu überraschen – es ist ein mühsames Geschäft geworden, seitdem die Politiker immer besser geschult sind für öffentliche Auftritte. Und natürlich ist im aktuellen Wahlkampf besonders stark zu spüren, wie wenig sich die Kandidaten und die Kandidatin herauswagen. Aus Angst vor Fehlern. Denn in diesem Wahlkampf haben zumindest zwei von dreien schon zu viele Fehler gemacht oder haben unsensibel agiert. Man spürt, dass das Korsett immer enger wird. Das zu beobachten, macht es für Außenstehende etwas langweilig.

Caren Miosga moderiert im Wechsel mit Ingo Zamperoni und Aline Abboud (neu im Team und deswegen nicht im Bild) die Tagesthemen. (Foto: NDR/ThomasPritschet)

Es ist also in den letzten Jahren sogar noch schlimmer geworden?

Caren Miosga: Ja, das ist es. Und ich glaube, das hat auch mit Social Media zu tun und damit, dass Desinformation im Umlauf ist. Von „Die Grünen wollen Haustiere verbieten“ über „Die Spendengelder für Flutopfer fließen in Laschets Wahlkampf“ bis hin zu „Die Bundestagswahl wird gefälscht und die Regierung von pädophilen Reptiloiden ferngesteuert“ – das ist grober Unfug und völlig absurd, der sich aber im Netz konsequent hält. Länder wie China und Russland haben inzwischen viele Erfahrungen gesammelt, wenn es darum geht, Wahlen vor allem über Social Media zu beeinflussen. Diese Art der Manipulation wird immer professioneller betrieben – und sie fruchtet.

Und das wiederum hat Auswirkungen auf das Verhalten der Kandidat:innen?

Caren Miosga: Bestimmt auch. Untersuchungen zeigen, dass alle wahlkämpfenden Politiker, aber vor allem Politikerinnen – also insbesondere Annalena Baerbock – Hetztiraden aushalten müssen. Das ist ein Problem, das vor allem durch Social Media forciert wird und das es den Politikerinnen und Politikern nicht einfach macht.

 Wie groß ist der Frust – gerade für Sie als Moderatorin der Tagesthemen – wenn Sie sehen, wie schnell Falschmeldungen im Netz Glauben geschenkt wird?

Caren Miosga: Ich bin manchmal ein bisschen ratlos. Eine Frau kam vor kurzem auf mich zu und fragte: „Stimmt es, dass ich nie wieder Kinder bekommen kann, wenn ich mich jetzt impfen lasse?“ Menschen, die sich in erster Linie bei facebook oder Messengerdiensten wie telegram informieren und weniger klassische Medien konsumieren, bekommen bestimmte Meldungen immer wieder angezeigt – bis sie es irgendwann glauben. Wir begegnen ihnen mit fundierten Argumenten und mit: Wissenschaft! Jede und jeder hat ein Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten. Wir leben in einer Wissensgesellschaft, und in einer solchen ist es unsere Aufgabe, die Dinge auf der Grundlage von Fakten, von Tatsachen zu sortieren. Diese Aufgabe wird in der heutigen Zeit immer wichtiger.

Wie groß ist denn die Macht der Tagesthemen im Vergleich zu den Portalen im Internet, wenn es um Meinungsbildung geht?

Caren Miosga: Macht ist an dieser Stelle ein unpassendes Wort. Ich glaube, dass Social Media aber einen großen Einfluss hat. Allein durch die Art, wie die Netzwerke funktionieren – gesteuert von Algorithmen. Wer sich sehr viel auf den Plattformen bewegt, bekommt immer wieder die gleichen Erzählungen präsentiert – und die Chancen, dass man irgendwann daran glaubt, was einem das System vor die Füße setzt, ist groß. Wir dagegen wollen ja gerade nicht beeinflussen und keine einseitige Haltung präsentieren. Natürlich gewichten wir und natürlich ordnen wir ein. Aber uns ist es wichtig, dass die Leute sich auf Grundlage unserer Sendungen ihre eigene Meinung bilden können – diese Verantwortung haben wir. Und das ist auch das Wort, das meiner Meinung nach besser passt: Verantwortung.

Wie gehen Sie denn vor diesem Hintergrund mit den immer mal wieder auftauchenden Vorwürfen um, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu links sei, zu einseitig berichte usw.?

Caren Miosga: Ich bin glücklicherweise nicht die Pressesprecherin der ARD und muss nicht das komplette Programm beurteilen (lacht). Ich kann diesen Vorwurf nur auf meine Arbeit beziehen und da muss ich sagen: Es ist einfach Unfug! Wir achten – gerade in Wahlkampfzeiten – unheimlich penibel auf Ausgewogenheit, alle politischen Parteien kommen ausgewogen zu Wort. Und die Kommentare – diese laufen bewusst unter dem Titel „Meinung“ – sind immer die Meinung eines einzelnen Kollegen oder einer einzelnen Kollegin und nicht die der gesamten Redaktion. Um das noch stärker zu betonen, gibt es bei uns auch immer häufiger die Meinung im Pro- und Contra-Format. 

Kann es denn überhaupt absolute Objektivität geben?

Caren Miosga: Kann es gar nicht geben. Selbstverständlich treffen auch wir vorab viele Entscheidungen, worüber wir berichten, welche Reihenfolge wir wählen, wo der Schwerpunkt der Berichterstattung liegt. Aber es ist unser Anspruch, alle Perspektiven, die sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen, zu berücksichtigen.

Viele heftige Nachrichten prasseln in letzter Zeit auf uns alle ein: die Pandemie, die Flutkatastrophe, Afghanistan … Und die Stimmung in der Gesellschaft scheint sehr aufgeheizt zu sein. Haben Sie auch das Gefühl,  dass gerade alles schlimmer wird? 

Caren Miosga: Grundsätzlich empfinden es die Menschen schon immer so, dass Nachrichtensendungen vor allem über schlimme Ereignisse berichten – dabei stimmt das so kategorisch nicht. Wir legen sehr viel Wert darauf, Geschichten zu zeigen, die auch Lösungen von Problemen anbieten. Aber natürlich erleben wir tatsächlich gerade extrem große Umwälzungen. Wenn für Ulrich Wickert der „11. September“ das zentrale Ereignis seiner Tagesthemenzeit war, dann ist es für mich die Pandemie. Sie hat die ganze Welt aus den Socken gehoben, mit den Folgen werden wir noch lange zu kämpfen haben. Und hinzu kommt eine Klimakrise, die wir nun auch selbst zu spüren bekommen. Diese großen Umwälzungen verunsichern die Menschen. Und gleichzeitig erleben wir einen Wahlkampf, der diesen großen Themen nicht gerecht wird.

Woran liegt es denn, dass die Parteien ihre Lösungsvorschläge für die großen Krisen nicht ins Zentrum des Wahlkampfs rücken?

Caren Miosga: Das ist eine gute Frage. Es gibt eine große Kluft zwischen dem, was politisch erforderlich wäre, und dem, was die Parteien den Wählerinnen und Wählern präsentieren. Es ist doch völlig klar, dass wir zukünftig länger werden arbeiten müssen als bis 67. Aber keiner will das sagen. Die Klimakrise ist in vollem Gange und die Parteien tun immer noch so, als dürfe man den Bürgern nichts zumuten. Wie teuer wird das alles für die künftigen Generationen und welche Einschnitte müssen oder wollen wir hinnehmen? Es ist doch nicht zu leugnen, dass es einiges kosten wird – warum sagt man das den Leuten nicht ehrlich? Ich glaube, die Menschen sind so doof gar nicht, sie vertragen die Wahrheit. Und wir erleben etwas Historisches: Zum ersten Mal tritt eine Amtsinhaberin nicht mehr zur Wahl an. Warum nutzen die Parteien diese Chance des Neuanfangs nicht, um große Aufschläge zu wagen?!

Glauben Sie nicht, dass zu viel Ehrlichkeit – und zu negative Aussichten – die Wähler:innen abschrecken könnte?

Caren Miosga: Es geht um die Erzählung: Ein gesundes Klima ist gleich eine gesunde Natur ist gleich gesunde Tiere ist gleich gesunder Mensch. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, werden wir krank. Es geht also jeden persönlich etwas an.  Und wenn allen klar wird, dass es wirklich um etwas geht, dann bin ich auch fest davon überzeugt, dass Leute mehr und mehr freiwillig bereit sind, ihren Alltag ein wenig umzustellen.

Ist das Ihr Wunsch für die letzten verbleibenden Wahlkampf-Wochen: mehr Authentizität, größere Erzählungen?

Caren Miosga: Ja, und ich wünsche mir weniger Phrasen und mehr Streit. Franz-Josef Strauß hat gesagt: „Everybody’s darling is everybody’s Depp.“ Wer es allen recht machen will, erreicht am Ende genau das Gegenteil. Aber immerhin: im ersten TV-Triell gabs schon mal eine andere Temperatur.

Wem würden Sie denn – unabhängig vom Wahlkampf – gerne mal in einem Interview begegnen? Haben Sie einen Traum-Interviewpartner bzw. eine Traum-Interviewpartnerin?

Caren Miosga: Ich würde gerne den russischen Präsidenten interviewen, auch weil ich zu diesem Land eine besondere Beziehung und Russisch studiert habe. Gerade in den vergangenen Tagen musste ich an den versuchten Staatsstreich im August vor 30 Jahren denken. Zu dieser Zeit war ich als Studentin in Russland und habe gesehen, wie die Panzer durch Moskau fuhren. Als eine Gruppe reaktionärer Funktionäre gegen Michail Gorbatschow putschte, um den Zerfall der Sowjetunion aufzuhalten, war für den jungen Putin damals klar, keinesfalls würde er sich den Putschisten anschließen. Heute hält er den Zerfall der Sowjetunion für einen großen Fehler, und Putins System wird immer autoritärer. Darüber würde ich gern mit ihm sprechen. 

Woran hat es bisher gelegen, dass ein Gespräch noch nicht geklappt hat?

Caren Miosga: Putin redet nunmal nicht mit jedem und erst recht nicht mit jeder (lacht), und er gibt seine seltenen Interviews nur dann, wenn er den Deutschen, Europa, dem Westen selbst etwas zu sagen hat. Aber wir bleiben dran. Und da er sich selbst das Weiterregieren bis 2036 erlaubt hat, bekomme ich ja vielleicht nochmal eine Chance.