Dr. Fritz Brechtel: „Wir haben allen Grund, optimistisch in die Zukunft zu schauen“

Unter vier Augen: Dr. Fritz Brechtel, Landrat des Landkreises Germersheim, über Prachtkäfer, Stechmücken und das Klimaanpassungsprogramm

(Foto: Kreisverwaltung Germersheim)

Steckbrief: Dr. Fritz Brechtel
1955 in Herxheim geboren
1973 Studium der Biologie und Sport an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Universität Karlsruhe. 1986 Promotion zum Doktor der Naturwissenschaften in Biologie/Freilandökologie
1987–1989 Umweltreferent (Ökologe) bei der Bezirksregierung Rheinhessen-Pfalz, Obere Landesplanung, Regionalplanung, Umweltverträglichkeitsgutachten
1989–1992 Leiter der Ökologischen Beratungsgruppe am Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz
1993–2001 Abteilungsleiter am Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe
Seit 2001 Landrat des Kreises Germersheim
2019 wählte die Verbandsversammlung des Sparkassenverbands Rheinland-Pfalz Dr. Fritz Brechtel zum neuen Verbandsvorsitzenden


Sie sind erst seit wenigen Wochen von Ihrem Aufenthalt in Australien zurückgekehrt. Konnten Sie schon wieder im Arbeitsalltag in Deutschland ankommen?

Dr. Fritz Brechtel: Man gewöhnt sich sehr rasch an den Arbeitsalltag und ist sofort wieder in den Themen drinnen. Das ist auch in Ordnung so: Man freut sich zwar immer auf einen Urlaub, aber genauso freue ich mich, wenn ich wieder heimkommen kann und es weitergeht. Das wird einem noch mehr bewusst, wenn man sich die Waldbrände in Australien anschaut – die vorangegangene Trockenheit ist vermutlich eine direkte Auswirkung des Klimawandels. Zehn Millionen Hektar sind verbrannt, das kann man sich gar nicht vorstellen. Wir haben allerdings nur Orte besucht, in denen aktuell keine Brände mehr waren – sonst wäre es viel zu gefährlich gewesen. Es war interessant zu sehen, dass sich die Natur stellenweise schon wieder ein wenig regeneriert. Es besteht also durchaus noch Hoffnung für die Pflanzen und Tiere.

Nicht nur die Waldbrände, auch das Hochwasser war Thema in Australien. Damit hat man im Kreis Germersheim auch immer wieder zu tun.

Dr. Fritz Brechtel: Wir haben in den vergangenen Jahren zum Thema Hochwasserschutz schon viel erreichen können. Unser aktueller Hochwasserschutz ist so gut wie niemals zuvor, dennoch müssen wir uns natürlich stetig weiter verbessern. Ich möchte da gerne auf die Hördter Rheinaue verweisen – ein Reservegebiet für Extremhochwässer. Wenn es fertiggestellt ist, wird dieser Bereich in der Lage sein, etwa 30 Millionen Kubikmeter Wasser zurückzuhalten. Die Hördter Rheinaue ist kein Taschenpolder, sondern für den Fall gedacht, dass alle anderen Taschenpolder bereits gefüllt sind: Stichwort „200-jähriger Hochwasserschutz“. Auch wenn wir schon gut aufgestellt sind, bemühen wir uns natürlich auch weiterhin, den Hochwasserschutz stetig zu verbessern, insbesondere durch die gemeinsame Zusammenarbeit mit der Freiwilligen Feuerwehr und anderen Hilfsorganisationen.

Mit dem Hochwasser-Thema gehen auch immer wieder die Stechmücken einher. Wie geht’s dieses Jahr den Hubschraubern? (beide lachen)

Dr. Fritz Brechtel: Der Vorfall mit den Hubschraubern hat uns letztes Jahr gezeigt, dass wir die Stechmücken immer wieder bekämpfen müssen. Diese Tierart vermehrt sich explosionsartig und kann innerhalb von zwei bis drei Wochen eine neue Generation produzieren. Letztes Jahr konnten wir die Stechmücken einige Wochen nicht bekämpfen, weil der Hubschrauber ausgefallen war, und dies hat genügt, um eine Stechmücken-Plage hervorzurufen. Diese konnte erst eingedämmt werden, als die Hubschrauber wieder im Einsatz waren. Ich bin der festen Überzeugung, dass gegen die Stechmücken am Oberrhein jedes Jahr vorgegangen werden muss. Dazu haben wir weltweit die umweltfreundlichste Bekämpfungsmethode: Bti. Der Wirkstoff funktioniert gattungsspezifisch auf Stechmücken und schont damit alle anderen Insekten-Familien. Natürlich muss auch hier geforscht und verbessert werden, aber wenn man die Stechmücken nicht bekämpft, geht das auf Kosten der Lebensqualität. Auch mit dem vermehrten Auftreten von Krankheiten müsste gerechnet werden. Durch das veränderte Klima haben sich neue Tierarten bei uns angesiedelt, z.B. der Tigermoskito. Da müssen wir wachsam sein! Man muss es sich nur mal vorstellen: Vor etwa 40 Jahren hätte man sich in Germersheim nicht mit kurzen Hosen an einem schönen Sommertag raussetzen können. Damals waren Milliarden von Stechmücken unterwegs – das ist heute nur noch wenigen bewusst.

Sie sind promovierter Biologe und kennen sich natürlich mit der Thematik aus. Sie hatten mal ein Buch über Pracht- und Hirschkäfer in Baden-Württemberg geschrieben. Wie geht’s denn unseren pfälzischen Prachtkäfern und wie verändert sich unsere Tierwelt?

Dr. Fritz Brechtel: Wir haben wirklich das Problem, dass bei uns in der Rheinebene einige neue Tierarten eingewandert sind – Tiere, die eigentlich im Mittelmeerraum heimisch wären. Weil es wegen der Trockenheit ihren Wirtspflanzen schlecht geht, geht es den Prachtkäfern richtig gut. Die Larven leben unter der Rinde von Bäumen. Wenn nun beispielsweise eine Eiche richtig gesund ist, dann hat diese Abwehrkräfte und wehrt sich gegen die Käfer. Aufgrund der zunehmenden Trockenheit bei uns, ist das aber nicht mehr der Fall – die Bäume sind bereits angeschlagen und kämpfen um das Überleben. Unserem Wald geht’s nicht gut, den Prachtkäfern deswegen leider immer besser. Das Thema Klimaschutz ist ein absolut wichtiges Thema, um welches wir uns in den nächsten Jahren vermehrt kümmern werden! Es geht um unsere eigene Gesundheit und wir brauchen ein Klimawandel-Anpassungskonzept. Man könnte es auch Hitzeaktionsplan nennen; damit wären wir der erste Landkreis in Rheinland-Pfalz. Wir stellen die Frage, wie wir mit der zunehmenden Hitze umgehen, die uns im Oberrheingebiet besonders stark trifft – ein ganzes Maßnahmenbündel wird zusammengestellt. Auch sowas wie der angesprochene Tigermoskito, übertragbare Krankheiten oder bauliche Maßnahmen am Eigenheim spielen dabei eine Rolle. Vor Jahren haben wir bereits einen Klimaschutzmanager eingestellt und wir sanieren unsere Schulgebäude inzwischen mit Hinblick auf den Wärme- und Klimaschutz.

Als Landrat werden viele unterschiedlichen Aufgaben wahrgenommen. (Foto: Archiv)

Neben dem Klimaschutz setzen Sie sich auch für die deutsch-französische Freundschaft ein und haben den Vorsitz im Eurodistrikt Pamina. Wieso ist diese Freundschaft so wichtig?

Dr. Fritz Brechtel: Zunächst einmal: wir sind Nachbarn. In einer guten Nachbarschaft spricht man miteinander, um sich zu informieren, auszutauschen und abzustimmen. Schauen wir uns doch mal die Geschichte an: Es ist immer besser, miteinander zu reden, als gegeneinander zu kämpfen! Davon abgesehen, pflegen wir auch viele gemeinschaftliche Interessen. Beispielsweise haben wir viele französische Mitbürger, die nach Deutschland pendeln. In Frankreich gibt es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, wir haben eine hohe Zahl an unbesetzten Arbeitsplätzen und so weiter.

Wird die zweite Rheinbrücke noch ein Thema sein, welches Sie im nächsten Jahr beschäftigt?

Dr. Fritz Brechtel: Oh ja, das wird ein Thema sein und ist es bereits von Anfang an, seitdem ich Landrat bin (lacht). Damals und heute bin ich noch der gleichen Meinung: Wir brauchen eine zweite Rheinbrücke! Die eine Rheinbrücke ist einfach zu wenig, sie ist ein Nadelöhr und wir brauchen eine Absicherung. Wenn da mal was klemmt, dann betrifft das die ganze Wirtschaftsregion und man muss 60 Kilometer Umweg fahren – das geht nicht für so eine prosperierende Wirtschaftsregion. Wir sind ja unter anderem auch Mitglied der Technologieregion Karlsruhe, denn wir haben viele gemeinsame Interessen, zum Beispiel die etwa 20.000 Pendler. Vor dem Hintergrund, dass wir sowohl eine Wirtschafts- als auch Kulturregion sind, muss das Bemühen um die zweite Rheinbrücke weitergehen. Und das Ergebnis wird sein: Wir werden eine zweite Rheinbrücke bekommen, da bin ich mir sicher! Eine zukunftsgewandte Verkehrspolitik bedeutet schließlich nicht, dass man alle Straßen sperren darf, sondern dass alle Möglichkeiten sinnvoll genutzt werden. Zu einem optimalen Verkehrsnetz gehört nun mal auch ein optimales Straßennetz. Was wäre wohl in Mainz passiert, wenn es nur eine Rheinbrücke gegeben hätte?

Sie sind schon sehr lange Landrat, 20 Jahre nun fast. Sie können vermutlich ganz andere Vergleiche anstellen, wie sich der Landkreis in dieser Zeit verändert hat und wie die Veränderungen Ihre Arbeit betreffen?

Dr. Fritz Brechtel: Was mir als Erstes einfällt: Vor 20 Jahren war ich viel jünger (beide lachen). Ich muss ehrlich sagen, dass die Arbeit als Landrat schon immer sehr intensiv war und die Herausforderungen ändern sich. Wenn man denkt, man hat ein Problem gut bewältigt, dann steht schon die nächste Aufgabe vor der Tür. Der ÖPNV ist da ein gutes Beispiel. Wir sind sehr aktiv mit dem Thema beschäftigt. Als ich vor fast 20 Jahren angefangen habe, war eines meiner Hauptziele: Ich möchte die Stadtbahn von Karlsruhe bis nach Germersheim verlängern. Das hat dann innerhalb der nächsten acht Jahre funktioniert. Aber das konnte natürlich nicht das Ende sein, dann ging es nämlich darum, das Stadtbahnkonzept zu verbessern. Es geht darum, Fehler zu entdecken und den gesamten ÖPNV voranzubringen. Das ist eine Daueraufgabe. Bürger tragen es uns regelmäßig zu, dass es Verbesserungspotenzial in diesem Bereich gibt und uns ist das bewusst. Verstehen Sie mich nicht falsch: Der ÖPNV des Landkreises Germersheim ist eigentlich gar nicht so schlecht ausgebaut, da stehen wir besser da als andere Landkreise. Aber es ist nur allzu menschlich, dass auch gerne der Fokus darauf gelenkt wird, was vielleicht noch nicht funktioniert. Ich verstehe das und wir wollen uns auf jedem Fall diesem Thema stellen und sind bereits in Gesprächen mit dem Landkreis Südliche Weinstraße und der Stadt Landau. Ein neues ÖPNV-Konzept soll in den nächsten zwei Jahren gemeinsam entwickelt werden. Wir wollen die Zeit intensiv nutzen, um in einem Planungsprozess die ganze Thematik kritisch zu hinterfragen und Ideen zu generieren. Gemeinsam mit Dietmar Seefeldt und Thomas Hirsch haben wir bereits eine Kosten-Nutzen-Analyse eingeleitet. Es geht da unter anderem auch um den Schienenverkehr zwischen Landau und Germersheim und die Strecke zwischen Landau, Offenbach, Herxheim und möglicherweise Rülzheim. Aber auch die Buslinien sollen nicht vergessen werden und müssen auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden. Eine weitere Herausforderung werden Digitalisierung und Breitbandausbau sein. Raten Sie mal, wie viele Computer wir hier in der Verwaltung hatten, als ich vor fast 20 Jahren angefangen habe. Es waren genau zwei. Unvorstellbar, oder? Heute hat jeder Mitarbeiter einen (beide lachen). Heute haben wir einen wahnsinnig schnellen Fortschritt in allen Bereichen: Unsere Gesellschaft verändert sich so rasch wie noch nie zuvor und wir können sicher sein, dass es auch nicht mehr langsamer werden wird. Da ist es ganz wichtig, dass wir die Menschen mitnehmen und Ängste abbauen können. Wir müssen die technischen Fortschritte nutzen, damit möglichst alle in der Südpfalz einen Vorteil davon haben. In den nächsten 24 Monaten werden nicht nur kreisweit alle weißen Flecken geschlossen, sondern gleich auf Gigabit-Höhe ausgebaut. Dazu gehören alle weiterführenden Schulen und etwa 330 Firmen. Auch auf das Thema Bildung lege ich seit vielen Jahren großen Wert und wir investieren viel in die Sanierung und Modernisierung von Schulen. Letztes Jahr waren dafür etwa 15 Millionen Euro eingeplant, dieses Jahr sind es rund 20 Millionen. Davon abgesehen, gehören zu den wichtigsten Themen unseres Landkreises die Kinder- und Jugendhilfe, Bildung und Soziales. Für diese Bereiche geben wir ungefähr 90 % unserer Finanzmittel aus. Als Landrat kann ich mich absolut auf die engagierte Mitarbeiterschaft von etwa 500 Angestellten in der Kreisverwaltung verlassen. Es sind hervorragend ausgebildete Mitarbeiter und ich bin froh, dass wir uns als Mittelbehörde, die für sehr viele Themen zuständig ist, gemeinsam um die Belange des Kreises kümmern können. Da möchte ich mich auch bei allen bedanken. Es freut mich auch immer wieder sehr, dass wir hier in der Region so viele Ehrenamtliche haben, die sich zum Beispiel in Sport- oder Musikvereinen engagieren, genauso wie in der Feuerwehr, im Katastrophenschutz, DLRG, THW oder DRK. Wir wollen dieses ehrenamtliche Element auch gerne mit unseren Mitteln weiter fördern. Wir waren und sind eine gut aufgestellte Region, was sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern soll. Wir haben allen Grund, optimistisch in die Zukunft zu schauen. (stm)