WIR sind die Südpfalz: Elisabeth Traunmüller: „Wollen wir nicht alle gute Menschen sein?“

Die Leiterin des Caritas-Zentrums Landau Elisabeth Traunmüller über Nächstenliebe, sozialen Neid und den „Gutmenschen“

Elisabeth Traunmüller – Leiterin Caritas Zentrum Landau 


Frau Traunmüller, wie kamen Sie dazu, sich beruflich in einem karitativen Beruf zu engagieren? 

Elisabeth Traunmüller: Für mich sind da sehr viele biografische Gründe ausschlaggebend. Ich bin größtenteils in Asien aufgewachsen, in Ländern, in denen ich viel Armut gesehen habe – auch schon als Kind. Dort habe ich auch eine Religiösität kennen gelernt, die anders ist als die unsere hier. Ich habe in Indien Mutter Teresa persönlich erlebt, in Thailand ehrenamtliche Helfer getroffen, die alle aus ihrem katholischen Glauben heraus ihre Arbeit tun. Und nirgends auf der Welt habe ich diese Energie und Nächstenliebe so gespürt, wie bei diesen Frauen, die sich um arme Menschen gekümmert haben. Die Motivation, mich in meinem Leben um Menschen zu kümmern, denen es nicht so gut geht, wuchs aus dem heraus, was ich damals erfahren habe. Ich bin gemeinschaftsbezogen aufgewachsen. Solidarität und Verantwortlichkeit für den Nächsten ist ein Hauptteil meiner Prägung. 

Wie war der Einstieg in Ihre berufliche Laufbahn? 

Elisabeth Traunmüller: Ich habe zuerst ganz klassisch Internationales Management in England studiert. Danach habe ich ein Magister-Studium in den Fachbereichen Archäologie und Religionswissenschaft, mit Schwerpunkt Katholische Theologie, abgeschlossen. Im Anschluss habe ich noch einen Master in Verwaltungswissenschaften absolviert. Nach einigen Jahren im Wissenschaftsmanagement wechselte ich in den sozialen Bereich, zunächst bei einem diakonischen Träger. 

Mir geht es vor allem um diejenigen, deren Stimmen überhört werden. 

Sie haben 2018 Ihr Amt als Leiterin des Caritas-Zentrums Landau übernommen. Wie sieht denn Ihr Alltag aus? 

Elisabeth Traunmüller: Natürlich gehören viele organisatorische und administrative Dinge zu meinem Aufgabenbereich: Finanzen und Prozesse müssen geklärt sein, Personalangelegenheiten müssen geregelt werden. Ich sehe meine wichtigste Aufgabe darin, Verantwortung zu übernehmen für die Menschen, die in der Region leben und die Unterstützung brauchen. Dabei geht es vor allem um diejenigen, deren Stimmen leicht überhört werden. 

Durch die führende Position, die Sie jetzt inne haben, sind Sie aber nicht direkt an den bedürftigen Menschen dran, denen Sie Hilfe angedeihen lassen. 

Elisabeth Traunmüller: Ja, das stimmt, und das ist auch in Ordnung. Direkt am Menschen dran sind die Beraterinnen und Berater. Meine Aufgaben sind komplex. Zum einen geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit unsere Angebote den größtmöglichen Nutzen für die Hilfesuchenden bieten. Andererseits geht es darum, die Botschaften der Caritas auch öffentlich zu vertreten und eine solidarische Gesellschaft mitzuprägen. 

Sie sind auch viel auf Mithilfe angewiesen, auf Publicity und das Engagement Freiwilliger. Wie wichtig ist das für Sie? 

Elisabeth Traunmüller: Wir versuchen, Menschen für eine ehrenamtliche Tätigkeit zu begeistern, wobei uns wichtig ist, dass im Vordergrund die Freude steht und nicht die Pflicht. Der Wert des Ehrenamts kann nicht hoch genug geschätzt werden, schafft es doch eine Nähe zu den Menschen, die den Hauptamtlichen so nicht möglich ist. Hierbei sind den Möglichkeiten keine Grenzen gesetzt und es ist mir eine Freude zu sehen, welche Vielfalt und Kreativität sichtbar wird. 

Julia Weber-Tritscher (Mitte) in einer Beratungssituation der Allgemeinen Sozialberatung (Foto: honorarfrei)
Julia Weber-Tritscher (Mitte) in einer Beratungssituation der Allgemeinen Sozialberatung (Foto: honorarfrei)

Man kann auch Gutes tun, ohne Christ zu sein. 

Ist es schwierig, Ihre Ideen umzusetzen in einer Zeit, in der auch christliche Werte eine eher untergeordnete Rolle spielen? 

Elisabeth Traunmüller: Selbstverständlich kann man auch Gutes wollen oder tun, ohne Christ zu sein. Aber wer sich als Christ bezeichnet, hat nach meiner Meinung keine Wahl. Ich kann nicht sagen: „Ich bin überzeugter Christ, aber Nächstenliebe ist nicht so meins.“ Das geht gar nicht. Die Nächstenliebe ist die Essenz unseres Glaubens. Aber ich glaube auch, dass Menschlichkeit in uns allen verankert ist. Das Potential ist auf jeden Fall da, egal welche oder ob überhaupt irgendeine Religion mein Leben begleitet. Jeder erkennt die Sinnhaftigkeit von gutem Tun. Diese Botschaften sind in unserer Kultur zum Glück etabliert. 

Wie viel kann man denn erwarten von einem, der sich Christ nennt? Ist das vorgegeben oder eine individuelle Entscheidung? 

Elisabeth Traunmüller: Das ist eine ganz wichtige Frage. Wie weit geht man mit der Nächstenliebe? Wo ist die Grenze? Ich kann hier nur für mich sprechen. Meine Ansichten sind aufgrund meiner eigenen Erfahrungen eher etwas strenger und ich folge hier der Linie unseres Papstes Franziskus. Er fordert, dass es uns um die Förderung des ganzen Menschen und aller Menschen gehen müsse, von einer Grenze ist hier nicht die Rede. So denke ich zum Beispiel auch, dass sehr großer finanzieller Reichtum eine Art von Sünde ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass immenser Reichtum nicht auch auf Kosten anderer entstanden ist. 

Großer finanzieller Reichtum ist eine Art von Sünde. 

Sie stoßen doch mit Ihren Sichtweisen bestimmt auch mal auf Gegenwehr und Unverständnis oder werden als „Gutmensch“ im negativen Sinn bezeichnet.

Elisabeth Traunmüller: Meine Meinung zum Thema Reichtum ist sicherlich etwas provokant, aber ich stehe dazu. Mir gefällt der Titel der diesjährigen Caritas-Kampagne ganz besonders gut: „Sei gut, Mensch“. Dass dies wie „Sei Gutmensch“ klingt, ist kein Zufall. Der Begriff eckt an. Und das ist auch beabsichtigt. „Gut“ und „Mensch“ beschreibt doch eigentlich ein erstrebenswertes Ideal. Wollen wir nicht alle „gute Menschen“ sein? 

Manuela Erben von der Gemeindecaritas hat das Schulranzenprojekt koordiniert, mit dessen Hilfe bedürftigen Schulanfängern neue Schulranzen geschenkt wurden. (Foto: honorarfrei)
Manuela Erben von der Gemeindecaritas hat das Schulranzenprojekt koordiniert, mit dessen Hilfe bedürftigen Schulanfängern neue Schulranzen geschenkt wurden. (Foto: honorarfrei)

Bei all der Hilfsbereitschaft begegnet Ihnen dann auch der soziale Neid? Wie gehen Sie damit um?

Elisabeth Traunmüller: Natürlich. Ein ganz großes Thema. Aber wir sind nicht Gott, wir sind Menschen und somit nicht perfekt. Wir dürfen Fehler machen und auch menschlich urteilen. Und Neid ist eben auch etwas sehr Menschliches. Und es ist schwierig, damit umzugehen – gerade auch in unserem Job. Eine Familie spart lange auf einen Schulranzen für das Kind, und wir schenken einer anderen Familie eine funkelnagelneue Schultasche. Schüren wir damit nicht Neid? Ja, tun wir. Aber sollen wir deshalb jemandem keine Freude mehr machen? Ein sehr schwieriges Thema. Wir können sozialen Neid nicht vermeiden, aber unsere Einstellung dazu verändern. Dankbarkeit ist hier vielleicht das Zauberwort. Dankbar sein, dass wir den Schulranzen selbst bezahlen können, auch wenn wir lange sparen müssen, anstatt neidisch zu sein auf Menschen, die darauf angewiesen sind, dass man ihnen hilft.

Können Sie denn einen gewissen Luxus in Ihrem Leben genießen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben?

Elisabeth Traunmüller: In der Tat gab es eine Zeit als junge Erwachsene, in der ich dachte: „Solange es Menschen gibt, die Hunger leiden, habe ich kein Recht, glücklich zu sein“. Das ist natürlich eine sehr extreme Sichtweise, die ich heute so nicht mehr habe. Heute bin ich einfach nur jeden einzelnen Tag unendlich dankbar für alles, was ich habe. Manche fragen fast bemitleidend: „Wie machst du das, mit vier Kindern und einem stressigen Vollzeit-Job?“ Aber ich entgegne: „Ist es nicht ein Glück, dass ich die Möglichkeit habe mit vier wunderbaren Kindern einen Job auszuüben, der uns nicht nur ernährt, sondern mir auch noch große Freude bereitet?“ (bam)