(Foto: Dirk Spath Photography)

Steckbrief: Wolff-Christoph Fuss

  • Geboren am 23. Juni 1976 in Ehringshausen.
  • Von 1999 bis 2009 war er für den Pay-TV-Sender Premiere tätig, inzwischen bei Sky Deutschland.
  • Kommentiert neben realen Fußballspielen auch Computerspiele (Pro Evolution Soccer, FIFA-Reihe).
  • Veröffentlichungen: „Diese verrückten 90 Minuten“ (2014) und „Geisterball“ (2020).

War es schon immer Ihr Wunsch, Kommentator zu werden?

Wolff-Christoph Fuss: Im weitesten Sinne war das schon immer mein Berufswunsch. Ich bin gebürtiger Hesse, aber aufgewachsener Schwabe und habe im Großraum Stuttgart meine komplette Schulzeit verbracht. Von meinem Sechsjährigem Ich wurde dort der Wunsch, Sportkommentator zu werden, bereits hinterlegt. Das war quasi alternativlos.
Sie waren ja aber in der schreibenden Zunft zuhause, sind also ein Kollege von uns.
Wolff-Christoph Fuss: Ja, ich habe bei der Zeitung angefangen und schreibe ja immer noch. Das Schreiben war mir immer sehr nah.

Gibt es ein Sportkommentatoren-Vorbild, an dem Sie sich orientiert haben?

Wolff-Christoph Fuss: An Kollegen habe ich mich nicht wirklich orientiert, eher an Kleinigkeiten wie Handlungsweisen und Verhaltensmustern von Menschen, bei denen ich gesagt hatte, dieses oder jenes ist für mich vorbildhaft, Es gab nie das eine Vorbild bei dem ich hätte sagen können, das ist meine Benchmark oder das ist für mich State-of-the-Art gewesen. Ich mochte in dem Beruf immer Leute, bei denen ich das Gefühl hatte, dass die Gefühle, die sie vermitteln, echt sind. Und das die Art und Weise der Rhetorik echt ist. Das hatten einige, bei anderen hatte ich nicht das Gefühl. Aber das war jetzt auch nicht zwingend auf Fußball-Kommentatoren bezogen.

Ich erinnere mich noch an damals: Schwarzenbeck, Beckenbauer, Müller, Tor …

Wolff-Christoph Fuss: Damals war das noch ein bisschen anders. Ernst Huberty ist vom Typ her einfach ein bisschen ruhiger. Unser Berufsstand und Berufsbild hat sich über die Jahre verändert, dahingehend, dass man mehr Emotionen zulassen durfte und konnte. Damals wurde in unserem Beruf eine eher respektvolle Zurückhaltung geübt. Das kann man mögen oder auch nicht. Man kann ein Spiel auch durchaus emotional begleiten und beiden Seiten gegenüber respektvoll sein – wenn man der Typ dafür ist. Ich traue Huberty zu, dass er schon emotionaler hätte reagieren können in dem Moment, wenn er es denn gedurft hätte (lacht). Von seiner Persönlichkeitsstruktur hätte er es gekonnt. Aber er war natürlich nie einer, der rumgebrüllt hätte, dass die Herberger-Büste von der Wand gefallen wäre. Er war deutlich kontrollierter. Er hat mal zu mir gesagt: „Wissen Sie, in dem Moment ist es doch völlig wurscht, was Sie sagen, Zuhause liegen sich die Menschen in den Armen und keiner bekommt mit, was Sie gesagt haben.“ Alleine dieser Umstand hat sich deutlich verändert in den letzten 15 bis 20 Jahren, auch durch soziale Medien.

Tauschen Sie sich gelegentlich mit anderen Kommentatoren aus?

Wolff-Christoph Fuss: Ja, absolut! Wir haben untereinander ein sehr kollegiales Verhältnis, so nehme ich das wahr. Gerade in der Sportmoderatoren- und Sportkommentatoren-Branche herrscht eine sehr große Kollegialität. Man hilft sich auch untereinander. Wenn Béla Réthy und ich z.B. das gleiche Spiel übertragen, dann tauschen wir uns aus und sprechen vorher miteinander. Es ist ein konstruktiver und kollegialer Austausch. Eine kritische Auseinandersetzung findet eher mit Kollegen statt, die nicht mehr in der Branche aktiv sind. Fritz von Thurn und Taxis meldet sich z.B. ab und zu noch bei mir oder Thomas Herrmann. Die machen einen dann darauf aufmerksam, was ihnen aufgefallen ist, z.B. wenn man sich zu sehr in Formulierungen verliebt hat. Oder sie rufen an – und das kommt am häufigsten vor – und sagen, was sie gut fanden.

Ihre höchste Instanz ist wahrscheinlich Ihre Lebenspartnerin oder?

Wolff-Christoph Fuss: (lacht) Die höchste Instanz bin eigentlich ich selbst. Es kommt ganz selten vor, dass ich aus einem Spiel rausgehe und zu 100 Prozent zufrieden bin.

Hören bzw. gucken Sie sich Ihre kommentierten Spiele noch einmal an?

Wolff-Christoph Fuss: Dass ich mir wirklich jedes Spiel noch einmal anhöre, funktioniert zeitlich nicht. Aber gerade wenn es ein besonderes Spiel war und ich ein ganz besonders gutes Gefühl oder eben kein gutes Gefühl hatte, dann schaue ich mir das Spiel zumindest auszugsweise noch einmal an.

Viele Kommentare und Sprüche kommen spontan, oder?

Wolff-Christoph Fuss: Alles! Da kann ich mich auch relativ gut auf mich selbst verlassen.

Hat man während der Spiele Kontakt zu Experten oder auch den Schiedsrichtern, die dann eine Spielsituation noch einmal überprüfen?

Wolff-Christoph Fuss: Ich habe einen Redakteur neben mir sitzen, der sich im Zweifel kurz mit Unparteiischen oder Experten austauscht. Das Schöne an unserem Sport ist ja: Die eine Wahrheit gibt es nicht. Es gibt ganz viele verschiedene Wahrheiten, jeder hat seine eigene und ich würde nicht für mich in Anspruch nehmen, dass ich derjenige bin, der die Wahrheit verkündet. Ich kann sehr respektvoll mit Emotionen und dem Sport umgehen, ohne zu glauben, die Deutungshoheit zu haben. Ich habe meine Meinung und ich sage meine Meinung, das wird von mir auch gefordert – und ich begründe sie sachlich – aber wenn jemand der Meinung ist, dass es beispielsweise in der betreffenden Szene kein Elfmeter gewesen ist, dann ist es so und dann kann ich damit auch sehr gut leben.

(Foto: Dirk Spath Photography)

Das Thema Corona begleitet ja auch den Sportkommentator, es gibt keine Stimmung mehr im Stadion. Wie schwer ist es, die Begeisterung für ein richtig gutes Fußballspiel zu übertragen.

Wolff-Christoph Fuss: Ich konnte mich über die komplette Zeit, nie von dem Gedanken befreien, wie es jetzt wohl wäre mit Zuschauern. Ich habe darüber bei jedem Spiel nachgedacht. Wie würde sich ein Spiel wenden, wenn jetzt 80.000 aus dem Sattel gehen könnten, wie würde der Schiedsrichter entscheiden, wie würden die Spieler reagieren. Ich habe nach dem ersten Lockdown drei Spiele Zeit gebraucht, um ein professionelles Verhältnis zu der Situation zu entwickeln. Als der erste Lockdown kam, waren wir auf der Zielgeraden, was die Meisterschaft betrifft. Es ging um Existenzen auf der einen Seite, um Meisterschaft und Champions League auf der anderen Seite. Dann kam das dramaturgisch-großartige Champions-League-Turnier in Lissabon. Das waren k.-o.-Spiele, es ging in jedem Spiel um etwas, da lasse ich mich total mitreißen. Ich gebe zu, als die neue Saison dann losging, und wir den dritten, siebten, neunten Spieltag hatten, bekam das Ganze dann zwischendurch auch mal ein paar Längen. Es wurde einem immer wieder sehr bewusst, wie wichtig Zuschauer für Fußballspiele sind, auch für das Gesamterlebnis.

Als Fußball-Fan muss ich sagen, dass das Interesse komplett zurückgegangen ist.

Wolff-Christoph Fuss: Ich habe das Spiel der Bayern in Mainz kommentiert. Sie hätten dort Meister werden können. Aber man hatte wirklich das Gefühl es war ihnen total wurscht, ob sie an diesem Tag Meister werden oder halt eine Woche später. Sie wussten, dass sie sowieso keine Möglichkeit hatten, zu feiern. Das war schon ein Stück weit desillusionierend. Auf der anderen Seite: Man wusste, dass die Mainzer unbedingt drei Punkte brauchten, denen ging es nicht um Feierlichkeiten, sondern ums sportliche Überleben. Sie haben alles in die Waagschale geworfen und das Spiel verdient gewonnen und sich dann aufrichtig gefreut.

Sie haben da bestimmt ziemlich gelitten als Köln-Fan …

Wolff-Christoph Fuss: Ich bin kein richtiger Fan, ich bin Sympathisant. Das war der Club, der sich mich als Junge ausgesucht hat. In Köln geht es auf und ab, aber das passiert meiner Einschätzung nach pandemieunabhängig.

Sie bekommen alles hautnah mit, manche Dinge werden Ihnen gegenüber auch im Vertrauen geäußert, z.B. neue Personalien. Wie schwer ist es, das für sich zu behalten?

Wolff-Christoph Fuss: In meinem Job ist man auch Geheimnisträger. Die Leute, mit denen ich spreche, verlassen sich darauf, dass ich mein Hintergrundwissen nicht preisgebe. Aber es hilft mir natürlich, Dinge von vornherein richtig einzuschätzen. Wenn man früh Wind von etwas bekommt, hat man die Möglichkeit, sich darauf einzustellen – das war z.B. so bei Hansi Flick und den Bayern. Wenn man viel mit Vereinen zu tun hat, ist der Austausch sehr rege und intensiv. Du spürst dann Strömungen oder man lässt dich auch daran teilhaben. Das erleichtert mir die Einschätzung, ohne dass ich den Fakt vorzeitig preisgeben muss. Und häufig genug ändern sich langfristige Planungen im Fußball auch sehr kurzfristig wieder.

Ist es nicht schwer, da den Journalisten in sich auszublenden?

Wolff-Christoph Fuss: Da habe ich kein Problem mit. Wenn ein Trainer im Vertrauen mit mir über Aufstellungen oder taktische Formationen spricht, und mich an seinen Gedanken teilhaben lässt, erwartet er von mir, dass da im Vorfeld nichts rauskommt und da kommt auch nichts raus. Da hätte ich ja auch nichts davon – am Ende würde der Trainer nicht mehr mit mir sprechen. Und ich will ja, dass der Zuschauer am Ende von meinem Gesprächsaustausch mit dem Trainer profitiert.

Was wünschen Sie sich noch, in ihrem Beruf zu erleben?

Wolff-Christoph Fuss: Ich mache meinen Beruf schon seit über 20 Jahren und bisher hat dieser es sehr gut mit mir gemeint. Es gibt ganz viele Rosinen und Highlights, an die ich mich erinnere. Dass Deutschland nochmal Europameister oder Weltmeister wird, sind Dinge, die ich nicht beeinflussen kann. Wenn ich ein gutes Spiel noch ein bisschen besser machen kann, und ein schlechtes erträglicher, dann habe ich meinen Job getan. (eis)