Steckbrief: Fabian Hambüchen
Geboren: 25. Oktober 1987 in Bergisch Gladbach
2004 bis Febrar 2012: Hambüchen turnte für die KTV Straubenhardt in der 1. Bundesliga
Erfolge bei Olympischen Spielen: 2008: Bronze in Peking; 2012: Silber in London; 2016: Gold in Rio de Janeiro (alle am Reck)
Erfolge bei Weltmeisterschaften: 2007 und 2013: Silber in Stuttgart (Mehrkampf) und Antwerpen (Reck); 2007 Gold in Stuttgart (Reck)
Erfolge bei Europameisterschaften: Zahlreiche Silbermedaillen am Reck und im Mehrkampf sowie Goldmedaillen u.a. 2009 in Mailand (Mehrkampf und Boden) und 2010 in Birmingham (Mannschaft-Mehrkampf)


Es ist mittlerweile über drei Jahre her, dass du in Rio die Goldmedaille geholt hast. Anschließend hast du deine Karriere beendet. Was machst du denn heute?

Fabian Hambüchen: Ich bin weiterhin stark eingespannt mit meinen Sponsoren und Partnern. Weiterhin bekomme ich Anfragen für Fernsehshows und Anderes. Ich habe jetzt auch die Zeit dafür, denn früher musste ich immer wegen des Trainings und der Wettkämpfe absagen. Zum Beispiel war ich gerade für einen Sponsor bei einem Dreh in Estland und vor Kurzem war ich auf der Messe in Stuttgart bezüglich der Kocholympiade. Außerdem fahre ich nächstes Jahr zu den Olympischen Spielen nach Tokio als Experte für Eurosport mit. Daneben bin ich mit meinem Studium jetzt so gut wie durch. Meine Bachelorarbeit liegt in den allerletzten Zügen.

Was genau hast du studiert?

Fabian Hambüchen: Der Studiengang heißt Sport und Leistung, also Sportwissenschaften an der Sporthochschule Köln.

Heute bist du hier in Pforzheim und hältst einen Vortrag. Worum geht es?

Fabian Hambüchen: Es geht um Motivation und mentale Stärke. Am Beispiel meiner Karriere mit allen Höhen und Tiefen erzähle ich, wie Hindernisse bewältigt werden und mit Niederlagen umgegangen werden kann. Mit 15 Jahren habe ich begonnen, mit meinem Onkel Mentaltraining zu machen. Bruno ist Diplompädagoge und hat sich auf Mental-Coaching spezialisiert. Was ich gelernt habe, möchte ich Leuten mit auf den Weg geben, weil ich glaube, dass das auf jeden Bereich anwendbar ist, auch auf das Privatleben. Es sind Anregungen dabei, mit denen man sich das Leben leichter machen kann. Ich versuche also, Key-Messages zu vermitteln und es wird es auch ein wenig emotional. Nobody is perfect, auch ich nicht, aber ich finde es gut, als Leistungssportler, der in seinen jungen Jahren schon recht viel durchgemacht hat, aus dem Nähkästchen zu plaudern und den Leuten Motivationshilfen und mentale Anregungen zu geben.

Hast du ein konkretes Beispiel dafür?

Fabian Hambüchen: Ich glaube, vor allem wir Deutsche sind dafür prädestiniert, uns in Sachen hineinzusteigern, ohne immer zu wissen, wieso. Manchmal können wir aber an einer Situation gar nichts verändern und genau das ist der Punkt. An der Stelle ist es gut, sich zu überlegen, ob du bei der Sache überhaupt selbst etwas in der Hand hast. Wenn du nichts verändern kannst, machst du dich nur verrückt und verschwendest Energie, die du für etwas anderes gebrauchen könntest. Das sind so kleinere Dinge, die ich im Sport schnell lernen und verstehen musste. Denn zum einen reden dir unendlich viele Menschen gut zu und haben Erwartungen, zum anderen bist du als Turner von Menschen abhängig, nämlich den Kampfrichtern. Aber es bringt nichts, sich über einzelne Personen und das ganze Drumherum aufzuregen. Letztendlich ist das Einzige, was du in der Hand hast, deine eigene Leistung und das, was du vorbereitet hast. Diesen Ansatz kannst du eigentlich jedem näherbringen. Wenn du merkst, dass du dich wieder in irgendetwas hineinsteigerst, hilft es, einen Moment in sich zu gehen, und zu fragen, ob du wirklich Einfluss auf die Situation nehmen kannst.

Fabian Hambüchen mit Redakteurin Patrizia Bär. (Foto: privat)

Wie hast du es geschafft, den hohen Erwartungsdruck, der z.B. bei den Olympischen Spielen in London und in Peking auf dir gelastet hat, beim Wettkampf auszublenden?

Fabian Hambüchen: Einerseits durch Erfahrung und andererseits durch mentales Training. In Peking 2008 hat meine mentale Einstellung nicht ausgereicht. Körperlich war ich so fit wie nie zuvor, aber nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft war ich mir ein wenig zu sicher. Eigentlich war ich prädestiniert für drei oder vier Medaillen. Gold sollte mindestens einmal dabei sein. Aber mental habe ich das nicht geschafft. Ich habe gedacht, mir könnte nichts passieren, habe mich zu sicher gefühlt. Entscheidend ist, gerade dann an sich weiter zu arbeiten, wenn es richtig gut läuft. Das zu verpassen, hat mir die Medaillen gekostet und auch den Olympiasieg – ich bekam „nur“ Bronze. Das sind Erfahrungen, die sich einbrennen und dich dazu bewegen, noch intensiver an dem Mentalen zu arbeiten, damit die Konzentration nur auf dem liegt, was du selbst in der Hand hast. Das ist ein langer Lernprozess, bei dem ich immer von meinen Fehlern lernen musste, aber am Ende stand dann ein überragendes Ergebnis da mit der Goldmedaille 2016.

Ich habe gerade bei der Begrüßung bemerkt, dass deine Hände Schwielen aufweisen – du turnst also noch. Wenn ich dir hier und jetzt ein Reck hinstellen würde, könntest du dann deine Übungen von Olympia 2016 noch einmal turnen?

Fabian Hambüchen: Die Hälfte der Übungen vielleicht. Die Flugbewegungen kann ich alle noch, aber vieles andere nicht mehr. Die Kondition und Beweglichkeit wäre einfach nicht ausreichend. Aber ich bin weiterhin in der Halle, wenn ich Zeit und Lust habe. Deswegen sehen meine Hände auch so demoliert aus. Ganz ohne Turnen würde ich mich einfach nicht wohl fühlen. Heute mache ich aber mehr Fitnessübungen als Turnsport. Im Keller meines Hauses habe ich letztes Jahr einen Fitnessraum eingerichtet. Aber mindestens ein- bis zweimal in der Woche muss ich in die Turnhalle.

Vor welcher Übung hattest du immer am meisten Respekt?

Fabian Hambüchen: Das Pauschenpferd war immer das Gerät, an dem ich am schlechtesten war. Deswegen habe ich vor diesem immer am meisten Respekt gehabt. Beim Mehrkampf mit allen sechs Geräten hat mir das Pauschenpferd oft Sorgen bereitet und manchmal das Mehrkampfergebnis versaut. An den Geräten, an denen ich gut war, wie zum Beispiel am Reck, war zwar auch eine gewisse Grundnervosität da, weil ich um meine Chancen wusste. Trotzdem fühlte ich mich da sicher, ich wusste immer, was ich kann.
Ich habe noch nie versucht, einen Salto zu machen, weil ich viel zu viel Angst davor habe.

Wie hast du die Angst davor überwunden?

Fabian Hambüchen: Ich hatte nie Angst und war schon immer ein kleiner Draufgänger, und ein Adrenalin-Junkie. Außerdem hat mein vier Jahre älterer Bruder auch geturnt. Als ich als Vierjähriger angefangen habe zu turnen, konnte er schon einen Doppelsalto. Dann wollte der kleine Mann das natürlich auch machen. Also habe ich mich auf einen Kasten gestellt, bin von dort auf das Minitrampolin und rein in die Schaumstoffgrube. Die Saltodrehung hat nicht ganz gereicht, es waren ein bisschen mehr als anderthalb Drehungen, aber die Landung war ja weich und Angst hatte ich nicht.

Es gibt viele Kinder, die früh mit dem Turnen anfangen. Wenn sie aber älter werden, hören sie damit auf und wenden sich anderen Sportarten zu. Was muss passieren, damit der Turnsport wieder populärer wird?

Fabian Hambüchen: Meiner Beobachtung nach liegt das nicht daran, dass es nicht genug Kinder gäbe, die turnen wollen. Es gibt viele Turnvereine in Deutschland. Grundsätzlich muss man sagen, dass Turnen die perfekte Basis für jede Sportart ist. Es bildet deine Koordination, du erlernst eine gewisse Beweglichkeit. Aber gerade das Körpergefühl ist es, das das Turnen zur perfekten Basis macht und deshalb eigentlich unumgänglich ist. Ein Problem ist aber, dass für ein Training auf höherem Niveau in den kleineren Ortschaften die Bedingungen nicht gegeben sind. Wenn du zum Beispiel in Pforzheim bist, müsstest du zum Training nach Stuttgart oder Straubenhardt fahren. Es ist somit immer eine Frage des Aufwands und wer bereit dazu ist diesen zu bewältigen.

Hat deutsche Turngeschichte geschrieben: Fabian Hambüchen. (Foto: honorarfrei)

Was glaubst du, wohin sich der Turnsport entwickeln wird?

Fabian Hambüchen: Ich hoffe, dass er sich dahin entwickelt, wo ich aufgehört habe. Natürlich ist das sehr schwierig. Aber wenn ich dazu etwas beitragen kann, bin ich sehr gewillt, das zu tun. Ich fordere ja auch recht lautstark, dass es allgemein im deutschen Sport mehr Trainerstellen und mehr finanzielle Unterstützung geben sollte. Ich bin auch immer wieder mit dem Deutschen Turner-Bund im Gespräch, wie man in Zukunft zusammenarbeiten kann. Dass ich so lange so erfolgreich sein konnte, ist mir im Rückblick fast unerklärlich. Als wir in der Familie an Weihnachten 2017 direkt nach meinem Karriereende am Esstisch saßen, auf meine Karriere zurückblickten und uns fragten, wie das alles gelingen konnte, hatte auch mein Vater keine direkte Erklärung dafür. Aber 15 Jahre auf so hohem Niveau konstant erfolgreich gewesen und dabei relativ verschont von großen Verletzungen geblieben zu sein, dafür musste vieles zusammen kommen. Auch das Team musste passen. Deswegen ist es jetzt schwierig zu sagen, wo das deutsche Turnen einmal hinkommt. . Es gibt derzeit auch einige Erfolge, aber man muss jetzt richtig dran bleiben, damit da kein Loch entsteht.

Wie wahrscheinlich ist es, dass wir dich bei Olympia 2020 auf der Matte sehen, also nicht als Experte sondern als Turner?

Fabian Hambüchen: Das kann ich zu 100 Prozent ausschließen. Lust, zu turnen habe ich zwar immer, aber ich hätte aufgrund der Regularien allein keine Chance mehr auf eine Qualifikation für Olympia. Aber das ist in Ordnung. Ich hatte damals in Rio den perfekten Abschluss.

Du bist Mitgründer der Initiative „Sports for Future“, die sich für den Klimaschutz einsetzt. Wie kam es dazu?

Fabian Hambüchen: Die Initiative kam über die Dietmar-Hopp-Stiftung und TSG Hoffenheim auf uns zu. Ich finde es gut, wenn Sportler, Vereine und Verbände in nicht-aggressiver Weise auf die Brisanz des Themas hinweisen. Denn wenn jeder einen kleinen Beitrag zum Klimaschutz leistet, ist das schon ganz viel. Da hat auch die Fridays-for-Future-Bewegung eine Menge bewirkt. Aber meiner Meinung nach ist die Schule das A und O. Ich fände es besser, wenn die jungen Leute am Wochenende protestieren würden. Die schulische Ausbildung sollte immer an oberster Stelle stehen. Für mich wäre es nie in Frage gekommen, einen Tag in der Woche nicht in die Schule zu gehen.

Was tust du aktiv, um das Klima zu schützen?

Fabian Hambüchen: Vergangenes Jahr habe ich ein Energieeffizienz-Haus aus Holz gebaut und ich lasse öfter das Auto stehen – dann nutze ich mein E-Bike. Das ist heute mein persönlicher Beitrag zum Klimaschutz. (pdp)