Collien Ulmen-Fernandes: „Die Frauenquote ist eher als Not-Instrument zu verstehen“

Unter vier Augen: Collien Ulmen-Fernandes im Gespräch mit uns über die Frauenquote, Geschlechterklischees und ihre eigenen Erfahrungen damit

"laut. stark. gleich. berechtigt.: Zeit der Frauen“ - mit Collien Ulmen-Fernandes -Foto: ZDF/Maximilian Koenig

Steckbrief

Collien Ulmen-Fernandes

Geboren am 26. September 1981 in Hamburg

Deutsche Fernsehmoderatorin, Schauspielerin und Autorin

Absolvierte eine klassische Ballettausbildung in Hamburg und London

Wurde bekannt als Moderatorin des Musiksenders VIVA 

„laut.stark.gleich.berechtigt“ erzählt von der „Zeit der Frauen“ in einer Mischung aus Dokumentation und Reportage. Presenterin Collien Ulmen-Fernandes taucht ein in die unterschiedlichsten Lebenswelten von Frauen. Ab 26. September, 20.15 Uhr, sind alle Folgen in der ZDF-Mediathek verfügbar. 

Sie sind die Presenterin des Formats laut.stark.gleich.berechtigt. Das finde ich ein unglaublich interessantes Format! Ich habe mir vorher die Ausschnitte angeschaut, die es zu sehen gab – die Werbemotive und die Ausschnitte der Werbesendungen von früher sind für mich surreal und fast schon komisch. Wie haben Sie die Arbeit an dem Format empfunden?

Collien Ulmen-Fernandes: Grundsätzlich beschäftige ich mich ja schon eine ganze Weile mit genau diesem Themenfeld und ich finde es gut, jetzt mal alles in so komprimierter Form zusammenzupacken und in chronologischer Reihenfolge auf diese Zeitreise zu gehen. Ich habe einige ZDF.neo-Formate gemacht, in denen wir uns mit Familienthemen und Geschlechterstereotypen befasst haben und da kommt man natürlich immer wieder auf die Fünfziger. Wie war es denn damals in den Fünfzigern? Wie war es in den Siebzigern? Insofern finde ich das jetzt richtig genial, einmal  durch das Leben der Frauen zu marschieren. Ich habe nämlich das Gefühl, dass ganz viel von dem, was damals in den Fünfzigern war, bis heute nachwirkt. Nur, dass es damals viel unverblümter ausgesprochen wurde. Man erinnere sich nur an die Frauengold-Werbung: Gezeigt wird eine Sekretärin, die sagt „Ich lass’ mir das nicht mehr bieten, mein Chef behandelt mich nicht gut, ich gehe!“ Dann trinkt sie Frauengold, geht danach ins Büro ihres Chefs und sagt: „Ich hab inzwischen eingesehen, dass alles mein Fehler war. Ich möchte mich entschuldigen und ich werde Sie nie wieder kritisieren.“ Und das ist dann das Happy End dieser Geschichte. Ich habe auch heute noch das Gefühl und so erlebe ich es auch: Wenn eine Frau sich wegen irgendetwas beschwert, gilt sie schnell als aufmüpfig, hysterisch und zickig, während der Mann sich einfach durchsetzt. Vieles von dem, was damals war, spürt man auch heute noch, nur dass es eben nicht mehr ganz so unverblümt ausgesprochen wird.

Die Emanzipation durch die Pille ist auch ein großes Thema in einer der Folgen. Die Pille steht heutzutage ja aber vor allem wegen der Nebenwirkungen, die sie haben kann, stark in der Kritik. Wie stehen Sie dazu – glauben Sie, dass es mal so etwas wie eine Pille für den Mann geben kann? 

Collien Ulmen-Fernandes: Das habe ich tatsächlich mal gegoogelt und war dann ganz froh, als ich gelesen habe, dass man zumindest an dem Thema forscht. Da hab ich gedacht „na immerhin“, aber da ist wohl noch nichts so spruchreif, dass es irgendwann in den nächsten Jahren auf den Markt kommen wird. Ich habe da aber vollstes Vertrauen in die Forschung und gehe davon aus, dass es in baldiger Zukunft ein Präparat geben wird, mit dem das Thema Verhütung in einer Beziehung nicht alleine bei der Frau hängen bleibt. 

Sie haben ja für das Format auch viele Frauen interviewt und haben sich informiert, wie das Thema Verhütung heutzutage auch in der jüngeren Generation gehandhabt wird. Haben Sie den Eindruck, es liegt trotzdem noch bei der Frau? 

Collien Ulmen-Fernandes: Das liegt ganz klar noch bei der Frau. Waldtraud Schoppe hat ja damals eine ziemlich beeindruckende Rede im Bundestag gehalten, genau zu dem Thema, dass sie es furchtbar findet, dass das alles an den Frauen hängen bleibt – und das war in den Achtzigern. Ich hab auch heute noch das Gefühl, wenn man mit jungen Paaren spricht und fragt: „Wer bezahlt denn die Pille?“ – sagen die völlig überrascht: Natürlich die Frau. Ich finde, rein als Geste, denn Verhütung geht schließlich beide etwas an, könnten junge Paare sich die Kosten doch teilen. Damit fängt es ja schon an. Unabhängig davon ist das alles natürlich nicht ideal, die Spirale, die Pille, alles hat irgendwelche Nebenwirkungen für die Frau. Viele Männer interessieren sich aber auch gar nicht dafür, Hauptsache die Frau verhütet irgendwie, damit man bloß kein Kind bekommt, wenn man das nicht möchte. Darüber hinaus befassen sich die meisten Männer aber gar nicht damit. 

Ja, schade. 

Collien Ulmen-Fernandes: So zumindest mein Empfinden, ohne dass ich irgendwelche Zahlen und Studien zum Thema, inwiefern Männer sich mit der Verhütung der Frau befassen, kenne.

Auch Sie sind ja Mutter einer Tochter – versuchen Sie, sie generell ohne Geschlechterklischees zu erziehen oder ist das überhaupt möglich?

Collien Ulmen-Fernandes: Das Verheerende ist ja, dass man sich dieser Klischees oft gar nicht bewusst ist. Ich glaube, dass die meisten denken, sie würden ihre Kinder komplett klischeefrei erziehen. Wir haben mal eine Doku gesehen, in der es auch um diese Thematik ging. Da spielte ein Mädchen mit einem Roboter, unsere Tochter kam rein, sah den Roboter und sagte: „Boah, einen Roboter hätte ich auch gerne mal.“ Erst da ist uns bewusst geworden, dass wir ihr nie Roboter oder andere technische Spielzeuge geschenkt haben, während ihr Bruder ständig sowas bekommen hat. Und warum? Weil sie ein Mädchen ist. Wie doof ist das eigentlich von uns? Also haben wir ihr eben zum Geburtstag einen Roboter geschenkt und da kam auch prompt die Bemerkung „Was, wieso schenkt ihr ihr sowas, sie ist doch ein Mädchen?“ Als unsere Tochter ihren Roboter dann mit in den Kindergarten nahm, wollten plötzlich alle Mädchen auch einen haben. Mir zeigt das, dass Technik nichts ist, was Mädchen einfach von Natur aus nicht mögen, sondern dass es vielmehr an uns Erwachsenen liegt. Wir enthalten Mädchen gewisse Dinge vor, weil wir irgendwelche blöden Geschlechterklischees im Kopf haben. Dieser Roboter hatte eine super komplizierte Fernbedienung, man musste tausende Tastenkombinationen drücken, damit er tanzt oder sich verbeugt. Wie sollen Mädchen denn technisches Verständnis erlernen, wenn man diese Dinge von ihnen fernhält, technisches Spielzeug vorwiegend in Jungsabteilungen zu finden ist? Kein Wunder, dass sie dadurch als Erwachsene eben manchmal davor stehen und denken: „Ach nee, Technik, das kann ich eh nicht, das lass ich lieber mal den Mann machen.“

Da schließt sich meine nächste Frage gut an. In einer der Folgen wird ein Experiment gezeigt, das Sie mit einer 10. Klasse und einer Wissenschaftlerin gemacht haben, ob es geschlechtsspezifische Veranlagungen für bestimmte Fächer gibt – wie sind denn da die Erfahrungen gewesen? 

Collien Ulmen-Fernandes: Das war ein Test zum Thema „stereotype threat“, dazu gibt es ganz viele Studien, die folgendermaßen ablaufen: Man macht einen Mathematiktest mit Jungs und mit Mädchen, wobei beide Gruppen gleich gut abschneiden. Das ist wichtig für das Experiment. Man stellt die Gruppen vorab so zusammen, dass beide auf dem gleichen Leistungsniveau sind. Vor der nächsten Aufgabe beeinflusste man die Mädchen, indem man ihnen sagte: „So, wir haben jetzt eine Aufgabe, bei der wir festgestellt haben, dass Mädchen sie nicht können. Wir wissen nicht, warum, aber Mädchen sind einfach schlechter darin. Mädchen können nicht so gut mathematisch denken wie Jungs, sie kapieren das einfach nicht.“ Und durch diese Beeinflussung schneiden die Mädchen, die vorher gleich gut waren, automatisch schlechter ab, das haben ausnahmslos alle Studien zu diesem Thema ergeben. Was man mit diesen Studien illustrieren möchte ist: „Wenn dir immer jemand sagt, du kannst das nicht, dann bist du irgendwann tatsächlich schlechter, weil du ja schon denkst, du kannst das eh nicht.“ Das ist ja im Prinzip genau das, was wir gesellschaftlich machen. Wenn man immer sagt: „Du als Frau hast nicht so ein gutes technisches Verständnis“, dann probierst du es gar nicht erst, ob du es nicht doch kannst. Wir zeigen auch Ausschnitte aus der Sendung „Der siebte Sinn“, in der es völlig unverfroren heißt, dass Frauen nichts von Technik verstünden und beim Autofahren den Verkehr behindern, weil sie es eben leider gar nicht können. Ich hab mir auch jahrelang einreden lassen, ich könne nicht einparken, weil ich eine Frau bin. Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass ich viel besser einparke als mein Mann

Sehr interessant, unglaublich. Im dritten Teil geht es ja vor allem ums Thema „Karriere und Frauen“ und „Frauen in Führungspositionen“ – ich würde jetzt auch Sie als Karrierefrau bezeichnen. Wie waren denn Ihre Erfahrungen in Ihrer Karriere mit Sexismus? Dass Sie vielleicht zum Beispiel auch gemerkt haben, Sie kriegen einen bestimmten Job nicht, weil Sie eine Frau sind?

Collien Ulmen-Fernandes: Da hat, zumindest in der Fernsehwelt, ein gewisses Umdenken stattgefunden. Damals, so circa 2012 bis 2014, hatte ich öfter mal Anfragen für Show-Moderationen. Die liefen immer folgendermaßen ab: Ein männlicher Haupt-Host steht vorne auf einer Bühne und moderiert, kurz vor der Werbung schaltet er zu einer Frau im Backstagebereich, die dann freundlich lächelnd in einem Glitzerkleid eine Telefonnummer für ein Gewinnspiel vorliest, dann geht’s in die Werbung. Mehr hat der weibliche Host nicht zu tun. Der Mann war also immer der Haupt-Showmaster und die Frau sowas wie ein dekoratives i-Tüpfelchen. Diesbezüglich habe ich aber das Gefühl, dass sich bei vielen fernsehmachenden Menschen die Haltung verändert hat, auch dadurch, dass es viele laute Frauen da draußen gibt, die genau das anprangern. Insofern ist es total wichtig, dass man laut ist. Deshalb freue ich mich auch so sehr über diesen Sendungstitel, weil die Lautstärke eben auch ein wichtiges Instrument ist im Kampf um Gleichberechtigung.

Auf jeden Fall! Glauben Sie auch, die Frauenquote kann da noch eine Änderung bewirken, sie beschleunigen? 

Collien Ulmen-Fernandes: Die Frauenquote wird auch in unserer Sendung kontrovers diskutiert. Ich habe dazu mit einer Frau gesprochen, die mir gesagt hat, dass in dem Bereich, in dem sie arbeitet, viele, wie sie sagt, „inkompetente Frauen auf Posten gekommen sind, für die es sehr viel bessere Männer gegeben hätte“. Das ist natürlich unfair. Aber es ist eben leider auch so, dass von alleine nichts passiert und genau das ist ja auch das Problem. „Gleich und gleich rekrutiert sich gern“, wenn irgendwo vorwiegend Männer sind, befördern die eben auch vorwiegend Männer. Die Frauenquote ist eher als „Not-Instrument“ zu verstehen, weil sich von alleine leider gar nichts bewegt. 

Dann hoffen wir auf die Zukunft. Gerade mit solchen Sendungen wie der, die Sie jetzt gemacht haben, kann überhaupt das Bewusstsein in der Bevölkerung erweitert werden für solche Themen. Ich danke Ihnen für das interessante Gespräch.