Steckbrief: Prof. Dr. Harald Lesch

  • Geboren 1960 in Gießen.
  • Arbeitet als Astrophysiker, Naturphilosoph, Wissenschaftsjournalist, Fernsehmoderator und Hörbuchsprecher.
  • Professor für Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
  • Seit Mitte der 90er Jahre ist er regelmäßig als Experte im Fernsehen zu sehen.
  • Sendungen u. a.: Leschs Kosmos und Terra X.
  • Publikationen u. a.: „Wie Bildung gelingt“ (2020), „Die Menschheit schafft sich ab“ (2018)

Was war die Motivation für die Sendung, in der Sie Verschwörungstheorien auf den Grund gehen?

Harald Lesch: Dirk und ich sind beide sehr engagiert im Bereich der Aufklärung rund um die Themen Klimawandel und Ökokrise – und gerade bei diesen Themen sind in den letzten Jahren die Verschwörungstheoretiker, oder auch so genannte Klimaskeptiker, sehr laut geworden. Sie behaupten, den Klimawandel gäbe es gar nicht oder – falls doch – sei er nicht vom Menschen gemacht. Um diesen Stimmen etwas entgegenzusetzen, wollten wir diese Sendung machen. Sobald man sich mit den Klimaskeptikern beschäftigt, stößt man aber schnell auch noch auf ganz andere Verschwörungstheorien. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie merkt man das aktuell ganz deutlich: Menschen, die an solche Theorien glauben, misstrauen der Wissenschaft insgesamt. Das ist glücklicherweise nur eine kleine Gruppe – allerdings eine sehr laute, eine die viel Beachtung in der Öffentlichkeit findet. Die Reihe „Terra X“ ist eine gute Plattform, um ein Millionenpublikum zu erreichen und zu zeigen, was wirklich Sache ist! Und wir gehen im Rahmen der Sendung der Thematik auch historisch auf den Grund: Verschwörungstheorien sind kein neues Phänomen. Auch die Hexenverbrennung im Mittelalter war eine klassische Verschwörungstheorie, der Antisemitismus – mit all seinen fürchterlichen Auswüchsen – lässt sich da ebenfalls einordnen und den gibt es in Europa tragischerweise auch schon seit vielen Jahrhunderten.

Haben Sie denn die Hoffnung, mit solch einer Sendung, diejenigen zu erreichen, die bisher an Verschwörungstheorien glauben, und im besten Fall zum Umdenken zu bewegen?

Harald Lesch: Ach, die Hoffnung stirbt zuletzt! (lacht) Aber mit denjenigen, die schon komplett eingetaucht sind in die Verschwörungszirkel, ist wahrscheinlich nicht mehr zu reden. Wir hoffen, vor allem die zu erreichen, die auf der Kippe stehen: Menschen, die verunsichert sind, weil sie beispielsweise über die sozialen Netzwerke immer mal wieder mit Nachrichten aus dem Bereich der Verschwörungstheorien konfrontiert werden. Oft bekommt man so etwas von Freunden oder Bekannten zugeschickt, die man für vernünftig hält. Dann können durchaus Zweifel an der eigenen Haltung kommen und man beginnt, Dinge zu hinterfragen. Genau diese Menschen möchten wir abholen, bevor sie komplett eintauchen. Unsere Botschaft ist: „Bemühe dich deines eigenen Verstands und lass dir nicht von irgendwelchen dubiosen Plattformen erzählen, woran du zu glauben hast!“

Harald Lesch (links) und Dirk Steffens zeigen für die Sendung Terra X in einem Experiment, dass CO2 tatsächlich zur Erwärmung der Atmosphäre beiträgt. (Foto: ZDF/Martin Christ)

Sind Sie im Rahmen der Recherchen auf eine Theorie gestoßen, bei der es schwer war, sie zu widerlegen?

Harald Lesch: Es gibt immer wieder Verschwörungstheorien, die einen Funken Wahrheit enthalten. Ein Beispiel sind die Chemtrail-Geschichten. Es gab in den 1950er Jahren tatsächlich Experimente des amerikanischen Militärs, um herauszufinden, wie gut ein chemischer Kampfstoff über Städten verteilt werden kann. Aus dieser einen historischen Tatsache ist dann ein riesiges Netz an Verschwörungen gestrickt worden, das man erstmal auseinander dröseln muss, um es zu widerlegen. Es ist dabei nicht immer einfach, die Spreu vom Weizen zu trennen. Trotzdem kommt man am Ende zum eindeutigen Ergebnis, dass nichts dran ist an der Chemtrail-Verschwörung. Leider gibt es aber immer wieder Autoren – inzwischen auch Influencer –, die eine große Reichweite haben und mit Stuss ihr Geld verdienen – und so den Verschwörungstheorien immer wieder eine Bühne geben. Man könnte diese Leute und ihre Anhänger natürlich belächeln, das Phänomen geht heute allerdings erschreckenderweise so weit, dass es demokratiegefährdend werden könnte. Dagegen muss man vorgehen. Die Sendung ist also auch ein Appell an die schweigende Mehrheit, die sich jetzt mit sachlichen Argumenten zu Wort melden muss.

Lobbyismus, inoffizielle Absprachen, Falschangaben, um Kriege zu beginnen – es gibt ja tatsächliche Verschwörungen. Gerade sorgt zum Beispiel der Fall Nawalny für viele Spekulationen – wie kann ich als Laie beurteilen, wo ein wahrer Kern dahinterstecken kann und wo nicht?

Harald Lesch: Nehmen wir die Causa Nawalny: Der Mann wurde mitten in Sibirien vergiftet. Sich vorzustellen, dass westliche Geheimdienste dorthin gereist sein sollen, um einen Mann zu vergiften, der in einem autoritären Regime die eigenen westliche Werte vertritt, ist absurd. Deswegen wundere ich mich sehr über einige politische Stimmen aus Berlin, die solche Theorien tatsächlich für möglich halten. Er ist ja nicht der erste Kritiker des Regimes, der vergiftet oder ermordet wurde. Wer starke Thesen aufstellt, muss auch starke Argumente haben. Eine Behauptung alleine reicht nicht aus. So ist das auch bei allen anderen Themen. Natürlich darf man immer kritisch hinterfragen, aber absurde Annahmen müssen auch schnell wieder abgehakt werden. Man braucht gute Argumente, wenn man sich gegen den Mainstream wendet. Der Aussage, dass die Erde eine Kugel ist, das Modell der Scheibe gegenüberzustellen, ist das Gegenteil von guter Argumentation. Was für intellektuelle Opfer müssen Menschen erbringen, um solch einen Blödsinn zu glauben?

In den allermeisten Fällen hilft also unser gesunder Menschenverstand, um absurden Theorien auf die Schliche zu kommen?

Harald Lesch: Gesunder Menschenverstand und etwas Zeit. Wenn Sie manche dieser falschen Behauptungen nur oberflächlich betrachten, bleibt unter Umständen ein ganz kleiner „Plausibilitäts-Fussel“ hängen und Sie fragen sich, ob nicht vielleicht doch etwas dran sein könnte. Aber sobald Sie sich die Zeit nehmen und genauer hinschauen, sehen Sie, dass es eben nur ein Fussel und kein Seil ist: Es hält nicht, es trägt nicht, man kann es wegwischen. Heutzutage ist Zeit jedoch leider oft Mangelware, nicht jeder kann sich in Ruhe hinsetzen und sich mit den Theorien auseinandersetzen. Das ist ein Problem.

Verschwörungsmythen sind ja oft sehr apokalyptisch – und dadurch besonders spannend und anziehend. Die Klimakrise müsste doch bei genau den Menschen besonders gut ankommen, die für so etwas empfänglich sind… Warum ist das Gegenteil der Fall?

Harald Lesch: Ich finde es zunächst einmal spannend, dass die Klimaskeptiker fast alle ältere Männer sind und diejenigen, die sich z.B. bei Fridays For Future einsetzen, junge Frauen. Diese Geschlechter- und Generationenteilung finde ich bemerkenswert. Skeptiker haben oft ein „profundes Halbwissen“ und missinterpretierten viele wissenschaftliche Zusammenhänge. Dabei darf man allerdings eines nicht vergessen: Die Lebensleistung einer ganzen Generation wird mit dem Thema Globale Erwärmung extrem negativ beurteilt. Es ist wichtig zu bedenken, was das mit dem Einzelnen macht: „Habe ich mein ganzes Leben nur dazu beigetragen, den Planeten zu vernichten?“ Klimaskeptiker sind also eine ganz andere Gruppe als die Verschwörungstheoretiker, die an Chemtrails, QAnon, o.ä. glauben. Außerdem sind sie ganz anders organisiert: Sie werden von der Energieindustrie und der amerikanischen Ölindustrie unterstützt, auch einige rechtsradikale, reiche Milliardäre sind darunter. Susanne Götze und Annika Joeres haben sich in ihrem Buch „Die Klimaschmutzlobby“ mit diesem Thema auseinander gesetzt. Ein grandioses Buch, das ich wärmstens empfehlen kann. Darin wird erklärt, wie die Verschwörungstheorien genutzt werden, um wirtschaftliche Interessen voran zu bringen.

Wie schaffen Sie es bei so viel Gegenwind, nicht irgendwann frustriert das Handtuch zu werfen?

Harald Lesch: Aufgeben ist keine Option! Natürlich ist es Sisyphosarbeit, aber wenn man es mal geschafft hat, die Kugel auf den Berg zu rollen, hat man frei und kann von dort aus Dinge sehen, die von unten niemand sieht. Meine Aufgabe – auch als Hochschullehrer – ist es, nicht zu verzweifeln, sondern möglichst vielen Menschen mein Wissen weiter zu geben und meine Botschaft zu verbreiten. Das sehe ich auch als meine zentrale Aufgabe an. Ich kann gar nicht anders!

Beobachten Sie denn Erfolge Ihrer Aufklärungsarbeit?

Harald Lesch: Inzwischen gibt es zum Glück auch auf politischer und wirtschaftlicher Ebene immer mehr Unterstützung. Einige große Unternehmen erkennen endlich auch die strategischen Vorteile einer Energiewende, das Thema ökologische Landwirtschaft findet immer mehr Gehör und im Zusammenhang mit Nordstream 2 wird nun auch darüber gesprochen, ob wir mit Blick auf die Zukunft überhaupt noch Gas aus Russland brauchen. Ich beobachte also durchaus, dass die Klimafrage immer ernster genommen wird. Die Frage ist nur, ob das schnell genug passiert. Gleichzeitig darf man auch nicht überradikal werden und den Menschen zu viel zumuten. Es muss machbar sein. Es ist vielen Klimaaktivisten nicht klar, welch riesiger technischer Aufwand hinter einer Energiewende steckt und wie viel Infrastruktur dafür erst noch aufgebaut werden muss. Man muss sich mit den Widerspenstigkeiten der Wirklichkeit auseinandersetzen, was dann leider nur noch wenig mit dem Idealismus der Fridays For Future-Bewegung zu tun. Das ist dann „the dirty kitchen“ – und das muss auch klar benannt und gezeigt werden.

Was wären denn Ihrerseits Forderungen an die Politik und die Gesellschaft?

Harald Lesch: Wir müssen uns überlegen, wie die urbanen Siedlungsräume – wo die Energie hauptsächlich verbraucht wird – ihren Respekt den Räumen gegenüber zeigen, wo die Energie bereitgestellt wird. Wir brauchen, meiner Ansicht nach, dringend einen finanziellen Ausgleich für all die Gemeinden auf dem Land, die die Belastungen durch Windräder, Photovoltaikanlagen usw. auf sich nehmen. Das ist für mich eine ideelle Unterstützung und eine Frage des Respekts. Apropos Respekt: Ich fände es extrem wichtig, dass Schulen oder Kindergärten regelmäßig Feuerwehrstationen oder Polizeiwachen besuchen, um sich bei den Einsatzkräften zu bedanken. Um den Menschen dort zu zeigen, dass sie wahrgenommen werden und dass die Arbeit geschätzt wird. Ich habe den Eindruck, dass ein großer Teil der Politikverdrossenheit nämlich dadurch entsteht, dass Menschen das Gefühl haben, nicht wahrgenommen zu werden. Deswegen sollten wir bei unseren Kindern anfangen und ihnen jetzt schon beibringen, wie viel Arbeit hinter einer funktionierenden Infrastruktur steckt: Polizei, Feuerwehr, Wasserwerke, Stromversorger usw.

Insgesamt sind vor dem Hintergrund der Klimakrise auf jeden Fall große, strukturelle Veränderungen nötig. Wie beurteilen Sie dann den individuellen Aktionismus? Überspitzt gefragt: Bringt es überhaupt etwas, wenn ich weniger Fleisch esse und öfter mit dem Fahrrad fahre?

Harald Lesch: Die Frage ist doch: Bringt es Ihnen persönlich etwas? Wenn Sie für sich feststellen, dass Ihnen Fahrradfahren gut tut, brauchen Sie keine ethische Begründung mit globaler Wirkung. Das Gleiche gilt beim Verzicht auf Fleisch. Wenn es Ihnen gut tut, ist alles andere egal. Wenn Sie dann noch feststellen, dass es auch einen positiven Effekt aufs Klima hat, sobald das ganz viele genau so machen, ist das doch wunderbar!

Terra X: Ein Fall für Lesch und Steffens – Streiten für die Wahrheit; ZDF, Sonntag, 18. Oktober 2020, 19.30 Uhr.

(Foto: ZDF/Jacqueline Krause-Burberg)