„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Artikel 1 GG).

In der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 1949 trat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft – und endlich, nachdem die Würde des Menschen jahrelang von den Nationalsozialisten mit Füßen getreten worden war, wurde sie fest verankert im ersten Artikel der Verfassung. Nach der Wiedervereinigung wurde sie zur Richtschnur des vereinten Deutschlands. Heute, 70 Jahre – und fast ebenso viele Textänderungen später – stellt das Grundgesetz das Fundament des menschlichen Zusammenlebens dar. Doch die Themen der heutigen Zeit lassen die Frage aufkommen, ob das Grundgesetz noch zeitgemäß ist. 

Politiker aus der Südpfalz und Peter Müller, Richter am Bundesverfassungsgericht, sprechen anlässlich dieses bedeutsamen Geburtstags über die Erfolgsgeschichte Grundgesetz.

„70 Jahre Grundgesetz – das ist ein Jubiläum, über das man wirklich mal ein bisschen nachdenken kann, soll und muss“, sagt Bundesverfassungsrichter (BVR) Peter Müller. „70 Jahre ist eine vergleichsweise lange Zeit. Als Mensch ist man mit 70 Jahren jemand, der die Weitsicht des Alters mit jugendlichem Elan verbindet. Es ist vielleicht so wie bei einem Oldtimer: hohe Fahrleistung, ein paar Kratzspuren, aber eigentlich noch ganz gut in Schuss.“ 

Herr BVR Peter Müller am Gericht in Karlsruhe (Foto: Bundesverfassungsgericht/lorenz.fotodesign, Karlsruhe)

Dass das Grundgesetz 70 Jahre alt wird, war nicht geplant. Die Gründungsväter und -mütter wollten eigentlich nur eine Übergangsregelung schaffen. Aber 70 Jahre später ist das Grundgesetz immer noch da und hat die Wirren der Zeit überstanden und es ist, so Peter Müller, eine Erfolgsgeschichte. „Das Grundgesetz ist die Grundlage für die glücklichsten Jahre der Deutschen Geschichte – 70 Jahre ohne Krieg, 70 Jahre persönliche Freiheit und 70 Jahre (relativ) wirtschaftlicher Wohlstand.“

Laut dem BVR gibt es drei Gründe, warum das Grundgesetz die Grundlage für diese Erfolgsgeschichte geschaffen hat. Das erste Erfolgsgeheimnis sei die Bescheidenheit des Verfassungsgebers im Regelungsanspruch. „Man regelte das Notwendigste und sonst nichts. Das hat der Verfassung und der Bundesrepublik Deutschland gut getan“, sagt Müller und fügt hinzu: „Zurückhaltung im Regelungsanspruch ist heutigen Normgebern eher fremd.“

Der zweite Grund für den Erfolg des Grundgesetzes ist Peter Müller zufolge die Vorstellung, dass im Zentrum von allem der Mensch stehe. „Geprägt durch die Erfahrungen des Nationalsozialismus haben sich die Gründerväter und -mütter ganz bewusst den Schutz der menschlichen Würde an die Spitze der Verfassung gesetzt .“

Das dritte Erfolgsgeheimnis sei das klare Bekenntnis zur Rechtsstaatlichen Demokratie. Das Grundgesetz bekenne sich zur repräsentativen Demokratie. „Zudem wurde einer bestimmt, der aufpasst, dass sich alle, sogar der Gesetzgeber, an die Grundgesetze halten: Das ist die Institution, bei der ich arbeite: das Bundesverfassungsgericht – das stärkste Gericht auf der Welt“, sagt Müller.

Nach 70 Jahren kann man sich schon die Frage stellen, ob etwas Neues her muss, ob die Grundgesetze noch zeitgemäß sind. „Als Frau finde ich Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, besonders wichtig, da diese auch 70 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes in wesentlichen Bereichen – wie z. B. gleicher Lohn für gleiche Arbeit – nicht gelebt wird“, sagt Hedwig Braun, Bürgermeistern der Verbandsgemeinde Herxheim. 

„Das Grundgesetz bildet das Fundament unserer Gesellschaft. Die Werte, die vor 70 Jahren mühsam ausgehandelt wurden, sind nicht verhandelbar und heute aktueller denn je“, betont Landaus Oberbürgemeister Thomas Hirsch. „Ebenso alt wie der so wichtige Artikel 1 unseres Grundgesetzes ist auch die Kreisfreiheit unserer Stadt, deren Wiedererlangung wir in diesem Jahr feiern durften. Sie ermöglicht es uns, von dem in Artikel 28 des Grundgesetzes verankerten Recht auf kommunale Selbstverwaltung mit größtmöglicher Gestaltungskompetenz Gebrauch zu machen und eigenverantwortlich Sorge für ein funktionierendes Gemeinwesen in unserer Stadt zu tragen.“

Dr. Dennis Nitsche, Bürgermeister der Stadt Wörth, sieht keine Notwendigkeit für Änderungen: „Wir brauchen keine anderen Inhalte im Grundgesetz, aber wir brauchen mehr Verantwortung für zukünftige Generationen. Z. B. müsste bei jedem Gesetz ein Anhang folgen, der die Folgen des Gesetzes für zukünftige Generationen abschätzt. Ebenso eine Abschätzung der Gesetzeswirkung auf die Ökologie, die Nachhaltigkeit des Wirtschaftens und die Gesundheit von Lebewesen“, so Dr. Nitsche.

Günther Tielebörger, Stadtbürgermeister von Kandel sagt: „Wir brauchen mehr soziales Gedankengut in einem immer krasser werdenden Kapitalismus. Die Schere von Reich  und Arm geht weiter auseinander. Gesundheit, Rente, Altersarmut bedürfen einer am Menschen ausgerichteten Gesetzgebung.“

Axel Wassyl, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Offenbach ist der Meinung: „Eigentlich würde unsere Gesellschaft mit einigen wenigen Grundregeln, unter anderem wie sie vor 70 Jahren im Grundgesetz festgehalten wurden, weitestgehend konfliktfrei funktionieren. Teilweise wäre eine Besinnung auf gewisse Grundregeln, die schon seit jeher das Miteinander von Menschen in einer wie auch immer gearteten Gesellschaft geordnet haben, sehr viel wichtiger.“

Auch BVR Peter Müller plädiert für die Devise „Weniger ist mehr“: „Wenn ich gefragt werde, was sich am Grundgesetz ändern bzw. was man neu aufnehmen müsste, sage ich: nichts! Im Gegenteil: Wir müssten Dinge wieder rausschmeißen. Wir brauchen eine Entrümpelungsoffensive! Das Grundgesetz ist eine tolle Verfassung. Ob Deutschland in guter Verfassung ist, das liegt an uns, da ist jeder von uns gefordert!“