Aller guten Dinge

Drei Ärzte kümmern sich an der Asklepiosklinik Kandel um Patienten mit Beckenbodeninsuffizienz

Die Asklepios Südpfalz Kliniken bieten Hilfe auch bei unangenehmen Themen. (Foto: Asklepios)

Kandel. Inkontinenz und Probleme beim Stuhlgang sind den Betroffenen meist unangenehm. Sie warten deshalb oft zu lange, bevor sie zum Arzt und den Beschwerden auf den Grund gehen. Ursache der Symptome ist oft eine Beckenbo-
deninsuffizienz, die sich auf Harnblase, Gebärmutter, Scheide, Mastdarm und Afterschließmuskel auswirkt. Am Asklepiosklinikum Kandel arbeiten deshalb drei Spezialisten eng zusammen, um eine übergreifende Behandlung zu gewährleisten. Chefarzt Prof. Dr. Frank Axel Wenger, Prof. Dr. Dietmar Molitor und Chefarzt Dr. Karl Kunz klären im Interview über die häufigsten Gründe für eine Beckenbodeninsuffizienz auf und erläutern Behandlungsmöglichkeiten.

Was sind Beckenboden-insuffizienzen und warum und wann treten sie beim Menschen auf?

Mit fortschreitendem Lebensalter kommt es bei vielen Frauen infolge einer Schwächung der Beckenbodenmuskulatur zu einem Absinken der Beckenorgane wie Harnblase, Gebärmutter, Scheide, Mastdarm und Afterschließmuskel. Beim Beckenboden handelt es sich um eine Muskel- und Sehnenplatte, die wie ein Sprungtuch im knöchernen Beckenring gehalten wird. Infolge des aufrechten Ganges des Menschen steht der Beckenboden unter einer erheblichen Belastung, denn er muss das Gewicht der im Bauchraum befindlichen Organe tragen.

Ferner muss der Beckenboden eine ausreichende Durchgängigkeit haben, um das tägliche Wasserlassen, den in der Regel einmal täglich stattfindenden Stuhlgang und bei Frauen das Durchtreten eines Kindes im Rahmen der Geburt zu ermöglichen.

Da der Beckenboden von Frauen infolge von Schwangerschaften und Geburten einer deutlich höheren Belastung ausgesetzt ist und hier andere anatomische Gegebenheiten vorliegen als bei Männern, sind Frauen häufiger als Männer von Beckenbodeninsuffizienz betroffen. Weitere Ursachen für eine Beckenbodeninsuffizienz sind schweres Heben, langes Sitzen, starker Husten oder das Gewicht.

Die Beckenbodeninsuffizienz führt zur Schwächung der Aufhängung von Mastdarm (Rektum) und Darmausgangskanal (Analkanal) und damit des gesamten Kontinenz-organs. Je mehr sich das Rektum unter Stuhlentleerung mit der hinteren Scheidenwand im Rahmen einer Knickbildung nach vorne ausbeult (Rektozele) oder sich nach innen einstülpt (Intussuszeption), desto unvollständiger wird die Stuhlentleerung unter dieser mechanischen Behinderung. Umso mehr wird gepresst, ein Teufelskreis, der zur Verstärkung der Ursache führt. Viele Betroffene suchen oft mehrfach am Tag erfolglos die Toilette auf  oder können immer nur ganz kleine Stuhlportionen absetzen.

Sowohl Rektozele als auch Intussuszeption entsprechen einem partiellen Vorfall des Enddarms. 

Eine Rektozele ist bei etwa jeder dritten Frau zu finden und führt häufig zu einer Darmentleerungsstörung. Einige Frauen behelfen sich dadurch, dass sie die Darmentleerung durch Druck mit den Fingern auf den Damm oder die Scheidenhinterwand unterstützen. 

Eine dritte Ursache der Darmentleerung kann eine Enterozele sein. Hierbei kommt es durch Kompression des Enddarmes durch einen anderen Darmanteil, der sich zwischen Gebärmutter und Scheide auf der anderen Seite hinunter schiebt. Alle drei genannten Störungen, die Rektozele, die Intussuszeption und die Enterozele sind im Gegensatz zum kompletten Enddarmvorfall nach außen nicht ohne weiteres äußerlich erkennbar und werden häufig erst nach Auftreten von Symptomen im Rahmen der speziellen ärztlichen Diagnostik (u. a. MR-Defäkographie) erkannt.

Bei der Beckenbodenschwäche kann es darüber hinaus zum Tiefertreten der Harnblase mit der vorderen Scheidenwand (Zystozele), der Scheide und Gebärmutter kommen. Durch die Senkung der Harnblase kann die Harnröhre abknicken, mit der Folge von Blasenentleerungsstörungen oder vermehrten Blasenentzündungen und Harninkontinenz. Der Beckenboden kann nicht mehr optimal angespannt werden und viele Frauen berichten  außerdem über ein Fremdkörpergefühl in der Scheide, manchmal auch über Probleme beim Geschlechtsverkehr. „Man fühle sich, als säße man auf einem Ei“, berichten viele Patientinnen mit einer großen Zystozele. 

Die Erkrankungen von Harnblase, Harnröhre, Gebärmutter und Scheide werden durch Spezialisten in der Gynäkologie und Urologie behandelt, während sich Chirurgen (Koloproktologen) mit den Problemen des Enddarmvorfalls (Mastdarmvorfall, Rektumvorfall) beschäftigen. Da bei der überwiegenden Zahl der betroffenen Patienten Beschwerden in mehreren Organsystemen vorliegen, für deren Behandlung es jeweils einen eigenen Spezialisten gibt, haben „wir 3“ (Chirurg, Gynäkologe, Urologe) uns als Zentrum für Beckenbodenchirurgie der Asklepiosklinik Kandel zusammengetan. Dies bietet die Möglichkeit alle Komponenten der Erkrankung einer Beckenbodeninsuffizienz zu analysieren und ein gemeinsames Behandlungskonzept zu entwickeln. Somit ist auch die Durchführung einer gemeinsamen Operation der verschiedenen Fachgebiete in einer einzigen Narkose in der Asklepiosklinik Kandel möglich.

Prof. Dr. Dietmar Molitor – Dr. med. Karl Kunz – Prof. Dr. Frank Axel Wenger (von links). (Foto: Asklepios)

Welche Qualifikationen bringen Sie und Ihre Mitarbeiter zur Behandlung dieser Erkrankung?

In unserer chirurgischen Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie mit der Sektion Proktologie und Enddarmchirurgie mit Chefarzt Prof. Dr. Frank Axel Wenger liegt eine weitreichende Erfahrung in der chirurgischen Behandlung der Folgen der Beckenbodeninsuffizienz (Rektozele, Intussuszeption, Anal- und Rektumprolaps), aber auch anderen Erkrankungen (Fisteln, Hämorrhoiden, Darmtumoren, Fissuren, Kondylomen) vor. Auch die hiesige Abteilung für Gynäkologie mit Chefarzt Dr. Karl Kunz verfügt über eine langjährige Erfahrung. Des Weiteren zeichnet sich Prof. Dr. Dietmar Molitor als urologischer Belegarzt durch eine ausgewiesene Expertise als ehemaliger Chefarzt für Urologie aus.

Wie kann man vorbeugen?

Frauen sollten nach Geburten darauf achten, eine gute Rückbildungs- und Beckenbodengymnastik durchzuführen und dabei ein Training des analen Schließmuskels nicht zu vernachlässigen. Dies gilt insbesondere bei einer familiären Belastung für Beckenbodeninsuffizienz und Inkontinenz im Alter. Wer darüber hinaus etwas tun möchte, um eine Inkontinenz zu vermeiden oder zu beheben, sollte in den Sattel steigen – ob aufs Fahrrad oder Pferd, denn Reiten und Fahrradfahren gelten als gesunde Sportarten für den Beckenboden. Im Trab und Galopp wird der Beckenboden besonders gefordert und auf dem Fahrrad ist die Wirkung umso besser, je stärker man in die Pedale tritt. Die Südpfalz bietet sich hierfür geradezu an! Der Stuhl sollte geschmeidig geformt sein, zu harter Stuhl ist zu vermeiden. Ideal sind biologische Methoden durch ballaststoffreiche Kost und eine adäquate Trinkmenge. Der Darm sollte auf Pünktlichkeit erzogen werden – das Training für normalen Stuhlgang beginnt im Jugendalter. Eine hormonell bedingte Darmträgheit ist schwierig zu behandeln, verführt aber zur Einnahme von Abführmitteln. Gewöhnt sich der Darm daran, macht es ihn allerdings noch träger.

Wie hat sich das Krankheitsbild in den vergangenen Jahren verändert?

Das Krankheitsbild der Beckenbodeninsuffizienz mit den Folgen der Urin- oder Stuhlinkontinenz sowie der Stuhlentleerungsstörung selber hat sich in den vergangenen Jahren nicht verändert. Es hat jedoch infolge der umfangreicheren Aufklärung der Patienten über Internet oder andere Medien eine zunehmende Enttabuisierung der Themen Harn- oder Stuhlinkontinenz sowie Darmentleerungsstörungen stattgefunden. Die operative Behandlung der Ursachen führt zu einer deutlichen Steigerung der Lebensqualität.

Inwiefern wurde die Medizin angepasst und was kann das Klinikum Kandel auf dem Gebiet vorweisen?

Bei Nachweis einer symptomatischen Beckenbodeninsuffizienz mit Stuhlinkontinenz oder Darmobstipation (Verstopfung) wird der tiefer tretende Enddarm wieder „hochgezogen“ und in seiner richtigen Position am Kreuzbein befestigt (Rektopexie). Bei dieser Operation wird der Darm nicht gekürzt, damit ist keine Darmnaht notwendig. Die Operation verläuft über einen Schnitt im Unterbauch.

Die Beseitigung eines Enddarmvorfalls ist in vielen Fällen ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung von Stuhlinkontinenz bei Beckenbodenschwäche. Die Beseitigung des Vorfalls führt zu einer Entlastung des Beckenbodens, wodurch Schließmuskel und Beckenboden wieder in der Lage sind, ihre Funktion aufzunehmen. Eine alternative Therapiemöglichkeit für die Rektozele sowie auch für die häufig begleitende Intussuszeption ist die STARR-Operation (Stapler Transanale Rektum-Resektion). Die überschüssige Darmwand wird dabei in ein durch den Analkanal eingeführtes Klammergerät gezogen und abgetragen; die dann neu in Nachbarschaft gebrachten proximalen und distalen Darmteile werden mit Metallklammern wieder aneinander geheftet. Es kommt dadurch zu einer Verkürzung des Rektums. Die Operation wird stationär durchgeführt. Bei einer Beckenbodeninsuffizienz mit Senkung der Scheide erfolgt über einen Bauchschnitt eine Anhebung (OP nach …), bei Absenkung der Harnblase wird diese ebenfalls über eine plastische Anhebung über einen Bauchschnitt des Unterbauches durchgeführt (OP nach …). Dies kann dann bei Bedarf mit einer chirurgischen Rektopexie kombiniert werden.

Im Falle einer Beckenbodeninsuffizienz mit ausschließlichem Absenken der Gebärmutter ist mit Hilfe von kleineren oder mehrarmigen Prolene-Netzen die Rekonstruktion des Beckenbodens möglich. Das Netz wird entlang der Vorder- oder Hinterwand der Scheide eingelegt, die Arme des Netzes werden über den Beckenboden seitlich ausgeleitet.

Die früher häufig durchgeführte Hysterektomie (Entfernung des Gebärmutterkörpers) im Rahmen der operativen Therapie der Beckenbodeninsuffizienz kann hierdurch vermieden werden, die Tendenz geht in Richtung der Gebärmuttererhaltung. Während früher die genannten Operationen einzeln durchgeführt wurden, ist es heute vermehrt üblich diese chirurgische, urologische oder gynäkologische operative Behandlung je nach Schweregrad der Beckenbodeninsuffizienz zu kombinieren. An der Asklepiosklinik Kandel ist dies möglich und wird seit mehreren Jahren auch derart praktiziert.

Bei Beschwerden können sich Betroffene mit der gynäkologischen Ambulanz unter 07275-711501 in Verbindung setzen. Außerdem findet am Mittwoch, 23. Oktober, ab 18.30 Uhr, eine Veranstaltung zum Thema „Beckenbodenchirurgie“ in der Asklepiosklinik Kandel (Luitpoldstraße 14) statt. Prof. Dr. Frank Axel Wenger wird zunächst über die chirurgische Behandlung bei Veränderungen der Beckenbodenorgane referieren.
Um 19.10 Uhr berichtet Dr. Karl Kunz über Aktuelles aus der gynäkologischen Beckenbodenchirurgie. Um 20 Uhr gibt es eine kurze Pause samt Imbiss, bevor um 20.15 Uhr der Vortrag „Medizinische Alternativen zu Vor- und Einlagen“ von Prof. Dr. Dietmar Molitor beginnt.

Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. (per)