Der Schauspieler Heino Ferch, der national sowie international durch zahlreiche Rollen bekannt ist, u. a. in „Lola rennt“, „Der Untergang“, „Vincent will Meer“ und „Der Baader Meinhof Komplex“ spielt nun in dem ZDF-Krimi „Ein Kind wird gesucht“ eine seiner emotionalsten Rollen. In dem Film geht es um den realen Fall des zehnjährigen Mirco Schlitters aus Grefrath, der 2010 entführt und getötet wurde. Der Fall Mirco ging in die deutsche Kriminalgeschichte ein.

Der Film „Ein Kind wird gesucht“ hat mich sehr betroffen gemacht. Wie ging es Ihnen, als Sie sich zum ersten Mal intensiv mit dem Fall Mirco Schlitter beschäftigt haben?

Heino Ferch: Als Schauspieler muss man die professionelle Distanz wahren. Wenn man ständig denkt „Oh Gott, das ist so furchtbar“, würde das nicht funktionieren. Ich habe selber Kinder. Da löst die Thematik natürlich noch einmal eine ganz andere Betroffenheit in einem aus, wenn man sich etwas vorstellt, das man sich eigentlich gar nicht vorstellen möchte… Man muss den Abstand halten und pragmatisch an die Szenen rangehen. Dann funktioniert das.

Eindrücke aus dem Film. (Foto: ZDF/Kerstin Stelter)

Wie haben Sie sich auf die Rolle des Polizeikommissars Ingo Thiel vorbereitet?

Heino Ferch: Es gab ein tolles Drehbuch und einen tollen Regisseur, mit dem ich vorher schon zusammengearbeitet hatte. Und dann gab es im Vorhinein noch das Treffen mit dem echten Ingo Thiel. Ein Mensch, der ungefähr in meinem Alter ist und nach wie vor in Mönchengladbach Hauptkommissar ist und gemeinsam mit seinem Kompagnon zahlreiche Fälle aufklärt. Ihn kennenzulernen, ihn einen Nachmittag ausfragen und erleben zu können, war unglaublich. Bei ihm und seinen Kollegen kamen beim Berichten die Gefühle und das Adrenalin von damals, von 2010, wieder hoch. Wir sind sehr tief in die Details des Falls Mirco gegangen. Wir waren an dem Nachmittag zu sechst mit dem Regisseur, dem Autor und dem Produzenten. Das war für mich ein großes Geschenk, dass ich Ingo Thiel vor mir hatte und ihn mir anschauen konnte, wie er ist, wie er geht, wie er wirklich Kette raucht und welchen Schalk er im Nacken hat, wie er einfach tickt und was das für ein Mensch ist, der so eine konsequente Arbeit macht. Ingo Thiel hat unglaublich viel Erfahrung und eine gigantisch hohe Aufklärungsquote – die liegt bei fast 100 Prozent. Er ist ein Ermittler-Star in Deutschland. Er geht breitschultrig mit dem Kopf durch die Wand. Ich denke, nur mit so einer Leidenschaft kann man sehr schwierige Situationen und knifflige Fälle lösen – mit Ausdauer und einer guten Portion Intuition. Das waren für mich die wichtigsten Vorbereitungen auf die Rolle – die Treffen mit Ingo. Er und sein Kompagnon Ecki haben auch die Sets besucht und immer gesagt: „Wenn ihr Fragen habt, ruft uns jederzeit an, schreibt uns eine E-Mail, wir sind immer erreichbar!“ Das war natürlich eine ganz außergewöhnliche Situation.

In dem Film rauchen Sie ganz schön viel. Wer von Ihnen ist denn der stärkere Raucher?

Heino Ferch: Ich selbst bin Nichtraucher. In dem Film habe ich Kräuterzigaretten ohne Nikotin geraucht. Die riechen übrigens ein bisschen nach Haschisch (lacht).

Unabhängig von dem gleichen Alter und der aufbrausenden Art, wie stark identifizieren Sie sich mit dem echten Ingo Thiel?

Heino Ferch: Komplett! Ich gebe meinen Figuren immer Recht, egal, wen ich spiele – sonst würde das auch gar nicht funktionieren. Dennoch sind Ingo Thiel und ich schon zwei sehr verschiedene Menschen. Aber ich denke, die Leidenschaft für unseren Beruf haben wir beide. Sonst wäre Ingo nicht dort, wo er ist – und ich auch nicht. Wir haben beide Ausdauer und eine große Leidenschaft für das, was wir tun.

Eindrücke aus dem Film. (Foto: ZDF/Kerstin Stelter)

Haben Sie aus der Rolle etwas für das echte Leben mitgenommen? Sehen Sie heute bestimmte Dinge aus einer anderen Perspektive? Haben Sie mehr Angst um ihre eigenen Kinder?

Heino Ferch: Nein, mehr oder weniger Angst als vorher habe ich nicht. Meist wird in Krimis die Polizeiarbeit ganz anders gezeigt, als sie wirklich ist. Ingo sagte, dass in den meisten Krimis die Bullen zu zweit unterwegs sind, einen 7er BMW fahren, nie etwas aufschreiben und am Schluss sitzt der Täter im Gefängnis. In „Ein Kind wird gesucht“ ist es das genaue Gegenteil. Über die Dauer des gesamten Films wird sehr ausdauernde und unglaublich akribische und vielschichtige Polizeiarbeit gezeigt. Indizien werden ausgewertet, wir rennen in Sackgassen, es wird die Verzweiflung der Polizisten gezeigt, die den Eltern das Versprechen gegeben hatten „Wir finden Mirco“. In dem Film wird die pure Arbeit der Polizei gezeigt, die echte. Und die ist unheimlich interessant. Der Regisseur Urs Egger und sein Kameramann haben einen Film mit sehr viel Sogkraft gemacht.

Sie haben schon unheimlich viele Rollen gespielt – u. a. einen Gangster in „Lola rennt“ oder den NS-Rüstungsminister Albert Speer in „Der Untergang“ – würden Sie dennoch sagen, dass die Rolle des Ingo Thiel eine Ihrer herausforderndsten und emotionalsten war?

Heino Ferch: Sie war etwas ganz Besonderes, einfach dadurch, dass ich jemanden spiele, der nach wie vor aktiv in der Polizeiarbeit ist. Und emotional war die Rolle, ja, weil es so ein präsenter Fall ist. Ich würde sagen, dass die Rolle des Ingo Thiel meine bisher authentischste war. Ingo Thiel hat ein Buch über den Fall Mirco geschrieben und auch über andere sehr präsente Fälle aus seinem Berufsleben. Und auch das Ehepaar Schlitter hat ein Buch über das Schicksal ihres Jungen geschrieben und ist damit an die Öffentlichkeit gegangen. Familie Schlitter war Teil des Films, seiner Entwicklung. Und das von Anfang an. Die Produzenten haben es geschafft, diese Leute zusammenzubringen und zu überzeugen, diese Art Film zu entwickeln. Das ist das Außergewöhnliche an „Ein Kind wird gesucht“ – der Zuschauer bekommt eine erschreckende Authentizität gezeigt durch die Mitarbeit der Betroffenen.

Wie war es für Sie, auf die Schlitters zu treffen?

Heino Ferch: Im Vorfeld der Dreharbeiten habe ich die Schlitters nicht getroffen. Johann von Bülow und Silke Bodenbender haben Sandra und Reinhard Schlitter im Vorfeld getroffen – sie haben das Ehepaar in dem Film ja auch gespielt. Johann hat von seiner Nervosität erzählt, das Ehepaar zu treffen. Man begleitet als Schauspieler die Ermordung des eigenen Sohnes fiktional – diese Angst konnte ich gut verstehen. Ich habe Familie Schlitter am Set einmal kennengelernt, hatte aber keine längeren Gespräche mit ihnen. Was Johann, Silke und auch mir fremd war, ist die sehr tiefe Religiosität der Familie. Das wirkte sehr verunsichernd auf uns.

Im Film sind Sie als Ingo Thiel nicht sonderlich religiös. Wie ist das im wahren Leben? Sind Sie gläubig?

Heino Ferch: Ich bin nicht religiös, bin auch nicht religiös aufgewachsen. Aber ich lebe heute in Oberbayern – einer sehr christlichen Region. Ich glaube, dass jeder von uns an etwas glaubt, das ihn in schwierigen Situationen den Kopf über Wasser halten lässt. Das tue ich auch. Trotzdem weiß man nie, wie man in solchen schwierigen Zeiten, wie die, die die Schlitters durchleben mussten, reagiert.

In Köln sprachen Heino Ferch und Patrizia Bär über die Dreharbeiten zu dem Krimi, der am
22. Oktober ausgestrahlt wird. (Foto: honorarfrei)

Die Rolle des Ingo Thiel scheint perfekt auf Sie zugeschnitten. Könnten Sie sich auch in der Rolle des Reinhard Schlitters vorstellen, also als Vater des ermordeten Jungen?

Heino Ferch: Die Frage kann ich gar nicht beantworten, weil die Rolle nie an mich herangetragen wurde.

Darf ich Ihnen noch ein, zwei persönliche Fragen stellen?

Heino Ferch: Natürlich!

Was wären Sie geworden, wenn es mit Ihrer Schauspielkarriere nicht geklappt hätte?

Heino Ferch: Das weiß ich nicht. Mich hat der Beruf oder die Bühne schon im jugendlichen Alter von 15 Jahren angesprochen. Ich war Kunstturner und bin als Artist engagiert worden.

Sie haben auch Ballett getanzt…

Heino Ferch: Genau, auch das habe ich gemacht. Der Weg zum Abitur war von vielen Bühnen-Produktionen begleitet. Deswegen war das schon früh für mich klar, dass ich Schauspieler werde. Ich bin mit Hans Hass und Jacques Cousteau aufgewachsen. Meeresforscher und Abenteurer haben mich auch sehr interessiert. Vielleicht wäre ich aber auch zum Zirkus gegangen, wenn ich kein Schauspieler geworden wäre. Das ist nämlich auch eine Leidenschaft, die mich in jungen Jahren gepackt hatte. Oder vielleicht wäre ich auch an der Sporthochschule in Köln gelandet – ich habe ja viel Sport gemacht. Das sind alles Themen für mich gewesen, die immer Bestandteil meines Lebens gewesen sind. Aber frühzeitig wurde mir die Tür in die Schauspielerei geöffnet.

Ist die Schauspielerei für Sie ein Beruf oder eine Berufung?

Heino Ferch: Ganz klar Berufung.

Was gefällt Ihnen besonders daran?

Heino Ferch: Es ist sehr schön, dass man seine Arbeit anschauen und dass man Urlaub von sich selber machen kann. Es ist toll, dass man in unterschiedliche Rollen schlüpft und mit unheimlich vielen interessanten Menschen zu tun hat. Die Schauspielerei ist immer Teamarbeit. Und es ist natürlich schön, Erfolg zu haben. Aber man muss auch mit Kritik umgehen können, das gehört einfach dazu.