Der Liedermacher Konstantin Wecker war vor einigen Tagen zu Gast in Landau, wo er mit der Thomas-Nast-Gastprofessur der Universität geehrt wurde und sich ins Goldene Buch der Stadt eintrug. Der 1947 geborene Münchner widmet sich in seiner Musik, aber auch in seinen poetischen Werken seit Jahrzehnten oftmals politischen und philosophischen Themen. Eines seiner bekanntesten Lieder, „Willy“ aus dem Jahr 1977, erzählt beispielsweise von einem Freund, der von Rechtsradikalen niedergeschlagen wurde.

Sie haben im Laufe Ihrer Karriere schon einiges gemacht: Bücher geschrieben, Gedichte, Musik, waren auch als Schauspieler tätig. Welche Rolle liegt Ihnen am besten?

Konstantin Wecker: Ich sehe mich in erster Linie als Poet. Die Poesie ist das, was mich schon ein Leben lang begleitet. Aber auch die Musik habe ich quasi schon im Mutterleib mitbekommen, vor allem durch meinen Vater, der ja Opernsänger war. Natürlich bin ich also Musiker! Aber das was mich am meisten trägt, ist schon immer die Poesie. Weil sie auch etwas ist, was mich immer wieder einfach überfällt. Ich kann mir meine Gedichte nicht erdenken, sie müssen einfach passieren, da sein. Ich werde davon auch immer wieder überrascht – so hat mich die Poesie in meinem Leben in gewisser Weise sogar geleitet. Meistens ist das, was ich schreibe, klüger als ich.

Ist es bei Liedtexten auch so, dass es Sie einfach überkommt?

Konstantin Wecker: Ja, in den allermeisten Fällen ist das so. Beim „Willy“ war es auf jeden Fall so. Ich habe den quasi in Echtzeit geschrieben. Ich war selbst überrascht von dem Lied. Und so ist das eigentlich meistens. Ich habe eine Zeile im Kopf oder einen Refrain – und das trägt sich dann fast von selbst weiter. Oft ist das Ergebnis ganz anders, als ich es erwartet habe. Das passiert oft in der Poesie, denn durch sie hat meine einen Zugang zum Unbenennbaren, zu dem die Ratio keinen Zugang hat. Über die Poesie und auch die Musik wird einem gezeigt, dass es noch viel mehr gibt, als man mit der eigenen Ratio wahrnehmen kann. Was nicht gegen die Ratio spricht, aber gegen den Rationalismus.

Sie sind heute hier an der Uni, also unter jungen Menschen. Was ist Ihr Eindruck von der Studenten-Generation heute? Sind die Studenten wirklich weniger rebellisch als früher?

Konstantin Wecker: Ich bin immer sehr vorsichtig mit einer Einschätzung, was „die Jugend“ betrifft. Ich habe zum Beispiel einen unglaublich aufmüpfigen, ganz wunderbaren 18-jährigen Sohn. Er ist in der Antifa und auf vielen Demos unterwegs, ständig droht eine Verhaftung. Und ich kenne auch seine Freunde, die sind ähnlich. Sicher ist so nicht die Mehrheit, aber es gibt sehr viel mehr engagierte junge Menschen, als man denkt. Die Art der Demonstration ist eine andere geworden. Die meisten nutzen die modernen Netzwerke, um ihre Meinung kund zu tun. Der Gang auf die Straße ist deswegen seltener geworden. So hoffe ich jedenfalls, dass die heutige Generation sieht, was auf uns zukommt.

Sie meinen das Erstarken des Populismus, den Einzug der AfD in den Bundestag?

Konstantin Wecker: Ja, genau. Einige junge Leute, die ich kenne – aber das sind natürlich wieder die üblichen Verdächtigen aus dem Bekanntenkreis meines Sohns –, sind sich der Gefahr durchaus bewusst. Anderen scheint es egal zu sein, weil sie halt zu stark vom Leistungsprinzip vereinnahmt wurden. Ich kann das zum Teil verstehen. Die heutige Studenten-Generation hat viel mehr Zukunftsängste, als wir das damals hatten.

Heute sind die Themen aber auch andere als damals, oder?

Konstantin Wecker: Das würde ich nicht unbedingt sagen. In München fand vor kurzem in der Innenstadt ja eine kleine Pegida-Demonstration statt. Da waren 20.000 Gegendemonstranten da! Das war schon beeindruckend. Gut, im Osten sieht das Verhältnis leider anders aus, das wissen wir alle.

Unser Verlag hat seinen Sitz in Kandel – eine Gemeinde, die in den letzten Monaten leider zu einem Symbolort für die rechte Szene geworden ist. Wie der Ort instrumentalisiert wird, macht einem Angst. Aber solch ein kleiner Ort wie Kandel hat kaum eine Chance, sich zu wehren. In solch einer Situation werden Erinnerungen an Lieder wie Ihr „Willy“ oder auch BAPs „Kristallnacht“ wach. Die sind immer noch aktuell, oder?

Konstantin Wecker: Die sind leider wieder aktuell, ja. Ich habe den „Willy“ derzeit auch wieder bewusst im Programm. Ich habe mir ehrlich gesagt vor 40 Jahren in meinen kühnsten Albträumen nicht vorstellen können, dass das heute noch aktuell sein könnte. Anfang der 90er wurde es aber bereits das erste Mal wieder brisant und ich habe den Song „Sage nein!“ geschrieben. Auch da habe ich aber gedacht, das gehe vorüber. Und nun ist wieder seit ein paar Jahren etwas im Gange. Wir dürfen aber dabei nicht vergessen: Auch die so genannte „Willkommens-Kultur“ war eine echte Bürgerbewegung! Die Menschen waren bereit, die Flüchtlinge zu empfangen. Leider ist ihnen diese positive Gesinnung innerhalb weniger Monate wieder ausgeredet worden. Wer sich engagiert hat, wurde als „Gutmensch“ beschimpft und lächerlich gemacht. Und wer lässt sich schon gerne auslachen? So ist die Stimmung schnell umgeschlagen. Bestimmte Kreise haben diese Stimmung bewusst erzeugt. Und wenn ich sehe, wo diese Entwicklung inzwischen hin geführt hat, was Bundestagspolitiker heute für Äußerungen tätigen – Stichwort: Vogelschiss – da schwillt mir wirklich der Kragen! Das ist ja unfassbar. Da bin ich wirklich der klassische alte 68er: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Das muss immer wieder betont werden.

Wie kam es denn eigentlich, dass Sie sich schon so lange und so intensiv politisch, gegen rechts, äußern?

Konstantin Wecker: Meine Eltern haben das ja alles direkt miterlebt. Sie waren Antifaschisten im Zweiten Weltkrieg. So habe ich dieses Engagement quasi in die Wiege gelegt bekommen. Meine Mama hat vor einigen Jahren im Rahmen einer Demonstration mal zu mir gesagt: „Die Neonazis sind ja noch viel dümmer als die Nazis. Die wissen ja sogar wie es ausgegangen ist. Es ist mir unbegreiflich. Ich sehe diese Menschen, die wissen, ihre Gesinnung hat zu einem verheerenden Weltkrieg geführt. Und die wollen ernsthaft wieder darauf zurückgreifen. Was ist in deren Köpfen los?“

Haben Sie als Poet und Liedermacher denn einen Einfluss auf die Gesellschaft? Haben Sie die Macht, etwas zu verändern?

Konstantin Wecker: Ich glaube schon, ja. Das ist sicherlich eine Aufgabe der Kunst. Was Kunst vor allem kann, ist aber Mut machen. Wenn mir jemand sagt, ich solle meine Lieder doch mal vor der AfD-Parteizentrale singen, lehne ich das ab. Ich singe meine Lieder vor Gleichgesinnten, sonst erreiche ich niemanden mit meiner Botschaft. Den Gleichgesinnten kann ich Mut machen, zu ihrer Haltung zu stehen und sie bestärken, weiterzumachen. Jeder wird dann seinen eigenen Weg finden, sich zu engagieren.

Sie haben nun ja 50 Jahre Karriere hinter sich. Was würde denn der Konstantin Wecker aus den 1970ern zum Konstantin Wecker von heute sagen?

Konstantin Wecker: Dadurch, dass ich auch in den 70ern schon viel mit älteren Herren zu tun hatte, könnte ich mir vorstellen, dass ich mit meinem heutigen Ich gut auskommen würde. Dieter Hildebrand war ein großes Vorbild für mich, ich habe Erich Fromm sehr verehrt, Arno Gruen, Hannah Arendt – ich hatte immer einen guten Draht zu älteren Menschen. Ich könnte mir also gut vorstellen, dass ich mir zuhören würde.

Sie sprechen auch oft von Ihren Eltern als Vorbilder. Wie ist es denn jetzt als Vater? Denken Sie, Ihre Söhne würden Sie auch als Vorbild bezeichnen?

Konstantin Wecker: Das kann man selbst nie sagen. Und es ist auch so: Je älter man wird, desto mehr Verständnis hat man für alles, was die Eltern tun oder getan haben. Die große Liebe zu meinen Eltern ist mir tatsächlich erst vor 15 oder 20 Jahren richtig bewusst geworden. Sie war schon immer da, aber nicht so präsent. Also müssen Sie diese Fragen meinen Söhnen in 20 Jahren nochmal stellen.

Die Musikindustrie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Man hat den Eindruck, es gibt immer weniger handgemachte Musik, weniger Liedermacher … Oder sehen Sie in diesem Bereich keine Nachwuchssorgen?

Konstantin Wecker: Ich habe ja selbst ein Musik-Label. Und ich habe einige junge Künstler unter Vertrag, die sich selbst als Liedermacher bezeichnen. Sie singen auf deutsch, haben sehr couragierte Texte. Darunter sind ein paar ganz großartige Talente, die auch ihr Publikum haben. Sie tauchen aber nicht groß in der Presse auf und nutzen meist YouTube als Plattform. Ich gebe auch an der Uni Würzburg schon seit einigen Jahren ein Seminar zum Thema „Songwriting“. Darunter sind immer ein paar Leute, bei denen ich denke: „Donnerwetter!“ Die meisten streben dann aber doch eher eine andere Karriere an, weil sie Angst davor haben, mit Musik ihr Geld verdienen zu müssen. Das einzige, was ich mit etwas Sorge beobachte, ist die Tatsache, dass so wenige der Nachwuchsmusiker Gedichte lesen. Das bringe ich den jungen Leuten in meinem Seminar dann aber bei: Man lernt das Schreiben nur übers Lesen.

Gibt es auch unter den Rockmusikern Poeten?

Konstantin Wecker: Das kann ich nicht beantworten. Dafür kenne ich mich da zu wenig aus. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn ich privat Musik höre, ist das Mozart oder Puccini, wenn es etwas moderner sein soll, dann Arvo Pärt. Aber alles klassisch. Dieser Musik bin ich mein Leben lang treu geblieben.

Haben Sie nach so langer Zeit immer noch Visionen für die Zukunft?

Konstantin Wecker: Ich träume nach wie vor von einer herrschaftsfreien Welt. Ich weiß, dass ich das nicht erleben werde, aber es ist die Aufgabe eines Künstlers, solche Visionen aufrecht zu erhalten. Erich Fromm hat so schön gesagt: „Hoffen heißt, jeden Augenblick bereit sein für das, was noch nicht geboren ist, und trotzdem nicht verzweifeln, wenn es zu unseren Lebzeiten nicht zur Geburt kommt.“ Das ist ja auch das Bloch’sche Prinzip Hoffnung: Ernst Bloch spricht von der Hoffnung als einer „konkreten Utopie“, er wollte zeigen, dass die Utopie keine Schimäre, sondern eine reale Möglichkeit ist. Und das macht auch meine große Liebe zu Sophie Scholl aus! Sie wusste doch genau, dass sie diese schreckliche Diktatur nicht beenden kann. Trotzdem war sie voller Hoffnung. Und diese Haltung brauchen wir alle!