Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmern – teilweise mit rechtsradikalem Hintergrund – hielten 2018 die Stadt Kandel in Atem. Eine Person, die in dieser Zeit besonders viel Hass und Hetze ausgesetzt war, ist der Verbandsbürgermeister Volker Poß. (Foto: hea/Archiv)

Fast jeden Monat unterzeichnet Thomas Hirsch (CDU) als Oberbürgermeister der Stadt Landau mehrere Strafanzeigen wegen Beleidigung oder Hassrede – weil er selbst oder Mitarbeiter:innen aus der Verwaltung respektlosen Umgang erfahren. Eine Häufigkeit, die nachdenklich stimmt. Wer sich jedoch näher mit dem Thema befasst, wird kaum überrascht sein. Im vergangenen Frühjahr veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der Körber-Stiftung eine Studie: Demnach ist mehr als die Hälfte der Bürgermeister:innen in Deutschland schon einmal beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen worden. Die Mehrheit der Befragten (68 Prozent) hat aus Sorge vor Beleidigungen oder Angriffen sogar ihr Verhalten geändert. Mehr als ein Drittel (37 Prozent) verzichtet weitgehend auf die Nutzung sozialer Medien.  

Einer von ihnen ist der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kandel, Volker Poß (SPD). Seine Webseite hat er stillgelegt, sein Profil auf Facebook existiert zwar noch, bleibt jedoch weitergehend ungenutzt. Für das innere Seelenheil hat der Schritt gut getan: „Was ich nicht sehe oder lese, regt mich auch nicht auf“, erklärt er im Gespräch mit dem PFALZ-ECHO. Was Poß vor wenigen Jahren an Anfeindungen aushalten musste, ist sicher ein Extrembeispiel, doch zeigt es deutlich, was es bedeuten kann, sich als Kommunalpolitiker:in dem Diskurs mit den Bürger:innen direkt zu stellen. Im Zusammenhang mit dem Mord an einem Mädchen in Kandel im Dezember 2017 stand der Politiker wochenlang im öffentlichen Fokus. Hunderte E-Mails und Postings warfen ihm (und einigen ehrenamtlich engagierten Menschen aus Kandel) eine Mitverantwortung vor, er wurde als „Kuppler von Kandel“ bezeichnet, erhielt Drohungen gegen sich und seine Familie, wurde beleidigt usw. Volker Poß hat damals mehrere hundert Aussagen gesammelt – am Ende wurden allerdings nur sieben Anzeigen erstattet. „Die Anzeigen wegen Drohungen verliefen leider alle im Sand, da die Behörden nicht zurückverfolgen konnten, wer die Absender waren. Die Anzeige wegen übler Nachrede wird nun in hoffentlich letzter Instanz verhandelt.“ Der Fall ging mehrere Male in Berufung – nach aktuellem Stand wird die Angeklagte zu einer Geldstrafe in Höhe von ca. 2.000 Euro verurteilt. „Für mich stellt sich nach den erfolglosen Anzeigen und dem langen Gerichtsverfahren die Frage, wie effektiv Anzeigen überhaupt sind. Und was jemand, der wie ich in der Öffentlichkeit steht, vielleicht auch einfach hinnehmen muss.“ Er könne verstehen, wenn öffentliche Ämter immer unattraktiver würden. 

Seither ist aber auch einiges passiert: Sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene gibt es Initiativen, die Mandatsträger:innen unterstützen, wenn sie Hass oder (auch verbale) Gewalt erfahren. So hat u. a. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Schirmherr vor Kurzem das Portal „Stark im Amt“ (www.stark-im-amt.de) vorgestellt.

Rechtliche Schritte einzuleiten, nachdem man negative Erfahrungen gemacht hat, ist das eine. Präventionsarbeit das andere: „Wenn wir gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern wertschätzend handeln und unsere Dienstleistungen und Services an diesen Werten ausrichten, dann kann dies schon ein erster Schritt hin zu mehr gegenseitigem Respekt sein“, meint der Landrat des Kreises Germersheim, Fritz Brechtel, zum Thema. Auch er musste sich schon mehrfach mit respektlosen Angriffen auseinandersetzen, u. a. im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen. Ein Shitstorm auf Facebook entbrannte, während er einer Beerdigung beiwohnte: „Ich habe mich in dem Moment von einem mir sehr nahestehenden Verwandten verabschieden müssen, der an den Folgen einer Coronainfektion verstarb.“ In solchen Momenten gelassen und sachlich zu bleiben, ist natürlich nicht einfach. Aber das sei das Entscheidende, wie auch OB Hirsch betont: „Sprachliche Abrüstung ist wichtig. Debatten sollten immer auf der Sachebene geführt werden.“Auch Andy Becht (FDP), Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, stimmt zu: „Wenn ich an das erschreckende Ereignis in Idar-Oberstein, die schlimme Tat vor einigen Jahren in Kandel oder zunehmende Angriffe auf Politiker denke, dann sind das Beispiele, die zeigen, dass es ernsthafter Bemühungen um ein solidarisches und respektvolles Miteinander innerhalb der Gesellschaft bedarf. Jeder muss in seiner Position einstehen für gegenseitigen Respekt, für eine angemessene Sprache, für Debattenkultur und Meinungsfreiheit. Die rheinland-pfälzische Landesregierung verfolgt diese Ziele und hat mit ihrer 2020 gestarteten Initiative ‚Miteinander gut leben – Rheinland-Pfalz gegen Hass und Hetze‘ ein besonderes Zeichen gesetzt.“  

Solidarität und gegenseitige Unterstützung – über die Parteigrenzen hinweg – macht in Zeiten von Hass und Hetze Mut. Im Bild: Kundgebung in Kandel im Jahr 2018 gegen die rechten Demonstrationen. (Foto: hea/Archiv)

Die Grünen-Politikerin Jutta Wegmann, die die Ereignisse in Kandel im Winter 2017/18 ebenfalls hautnah miterlebt hat, wirbt als präventive Maßnahme außerdem für Netzwerke und klare Positionierung: „Für Demokratie, Toleranz, Respekt – das hat Vorbildfunktion und zieht andere mit.“ Gegen tatsächliche Angriffe empfiehlt sie: „Deeskalation macht Sinn in akuten Situationen – dazu sollte man aber vorbereitet und trainiert sein oder jemanden hinzuziehen, die/der darin Übung hat.“

Die Sozialen Medien haben dazu beigetragen, dass die Hemmschwelle für Hass und Beleidigungen gesunken ist – das bestätigen die Gesprächspartner alle. „Früher hatten die klassischen Medien eine Art Filter-Funktion und Einfluss darauf, wie intensiv die Themen behandelt und diskutiert wurden,“ meint Thomas Hirsch und ergänzt: „Die Netzwerke haben allerdings natürlich auch gute Seiten. Ich nutze sie ja selbst sehr intensiv, um mit Menschen direkt ins Gespräch zu kommen, die ich anders nicht erreichen würde.“ Und auch Fritz Brechtel möchte nicht die ganze Schuld auf die Plattformen schieben: „Grundsätzlich hat es respektlosen oder sogar aggressiven Umgang als Ausnahmesituation auch in früheren Jahren gegeben. Ich erinnere mich an Situationen, wo ich als junges Ratsmitglied z. B. verbale, beleidigende Angriffe auf Bürgermeister erlebt habe.“

Volker Poß hat ebenfalls auch außerhalb der digitalen Welt damals negative Erfahrungen machen müssen und er verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Rolle der klassischen Medien: „Das habe ich in dieser Zeit gelernt: Die Gier der Medien nach O-Tönen ist grenzenlos. Selbst öffentlich-rechtliche Anstalten haben mich regelrecht bedrängt. Private sowieso. Als ich mich geweigert habe, ein Statement anzugeben, hat man mich teilweise stark unter Druck gesetzt.“

Deeskalation, mehr Sachlichkeit und Fairness in der Debatte und ein offener, aber höflicher Umgang miteinander auch bei kontroversen Meinungen – das sind die Grundlagen für einen respektvollen Umgang, darüber sind sich alle einig. Und Volker Poß ergänzt: „Respekt ist einer der wichtigsten Aspekte der Demokratie.“