„Wofür so ein Munschutz nicht alles herhalten muss ... (Foto: Freepik)

„Moin zusammen!“ Günthers Konterfei ploppt in der täglichen Videokonferenz auf und zeigt seine linke Schokoladenseite im Profil. Er schielt in die Bildschirmkamera ohne den Kopf zu bewegen. „Was’n los, Günther? Genickstarre?“ stichelt Herr Schmidt hämisch, der bereits den Grund für Günthers altägyptisch anmutende Pose kennt. „Hach“, ergibt sich Günther und zeigt sein Gesicht in der Totale. Ein großer weißer Wundverband verpflastert seine rechte untere Kinnpartie. Allgemeines erschrockenes und lautstarkes Luftholen im Kollegium.

„Du meine Güte, Günther! Ärger daheim?“, ruft Elli entsetzt. „Nee. Ich hab mir doch gestern endlich das Muttermal wegoperieren lassen“, erklärt Günther und nippt an seinem Kaffee. „Der Zeitpunkt ist günstig. Die aktuelle Pflicht zur Mund-Nasen-Bedeckung in der Öffentlichkeit lässt den hässlichen Verband einfach verschwinden, und ich muss nicht jedem Rede und Antwort stehen.“ „Ganz schön clever“, meint Paula. „Ich hab ja gehört, dass es im Allgemeinen mehr Schönheits-OPs geben soll, seit die Maskenpflicht eingeführt ist. Vor allem Lidstraffung und so. Man guckt halt wieder mehr auf die Augen“, ergänzt sie und zeigt ihr Rechtes in Nahaufnahme, um sich den verrutschten Lidstrich zu korrigieren. Herr Schmidt lehnt sich zurück und nimmt mit spitzen Fingern eine Mini-Gewürzgurke aus dem Glasschälchen neben seiner Tastatur. „Und nicht jeder hat die Corona-Auszeit so wie ich zum Sportmachen und Abnehmen genutzt. Ich hab nämlich auch gelesen, dass Fettabsaugungen an Hüften, Bauch und Po momentan hoch im Kurs stehen.“ Er steckt sich die Gurke genüsslich in den Mund. Paula zieht die Stirn in Falten. „Hä? Die Maske wird aber doch über Mund und Nase getragen!“ Herr Schmidt rollt mit den Augen. „Das Extrem-Couching aufgrund der mageren Veranstaltungslage und die Home-Office-Umstellung mit Schokolade, Chips und Cola am Schreibtisch subventionieren eben auch das Ansetzen von Hüftgoldpölsterchen“, erläutert er, und untermalt seine Aussage mit einer schwungvollen kurvenförmigen Handbewegung im mittlerweile nicht mehr vorhandenen Bauchrundungsbereich.

Paula fängt nach einem prüfend-kritischen Blick auf Günthers Videofenster zu grinsen an: „Gib’s zu. Bei der günstigen Gelegenheit hast du dich gleich von deinem Zweitkinn verabschiedet, oder?“ Günthers Teint wechselt abrupt ins Sonnenbrandrötliche. „Also, es könnte eventuell sein, dass beim Vernähen der Wunde die Kinnhaut etwas straff gezogen werden musste – aus rein medizinischen Gründen, versteht sich. Das konnte ich praktisch nicht verhindern.“ Er nimmt wieder Pharaonenhaltung ein. Schokoladenseite in die Kamera. „Tja, wofür so ein Mundschutz nicht alles herhalten muss“, resümiert Elli spitz. „Und so manches Gesicht wertet er einfach schon beim Tragen optisch auf – ganz ohne Schönheits-OP…“.