SÜW. Nur 9 Euro im Monat zahlen und den gesamten Regionalverkehr in Deutschland nutzen – das klingt doch gut, oder? Was man damit alles machen kann! In Urlaub fahren zum Beispiel – darüber wird im Netz schon heftig diskutiert. Doch ist die eigentliche Intention ja eine ganz andere: In Zeiten hoher Energiepreise soll das 9-Euro-Ticket in erster Linie die Bürger:innen im Alltag finanziell entlasten. Voraussetzung für eine Entlastung ist allerdings nicht nur ein niedriger Preis, sondern auch ein guter und attraktiver öffentlicher Nahverkehr. Wie es damit in der Südpfalz aussieht, habe ich schon vor gut zwei Jahren einmal getestet. Fazit damals: gemischt. Ich habe meine wichtigen Termine alle pünktlich erreicht, aber konnte aus Zeitgründen einige Orte nicht besuchen. Wer nicht täglich die gleiche Strecke zurücklegt, sondern einen flexiblen Alltag hat, kommt nicht ums gründliche Vorausplanen drumrum. So viel kann ich jetzt schon verraten: Das ist auch 2022 noch so. Dieses Mal versuche über einen längeren Zeitraum, möglichst viele Strecken per ÖPNV zurückzulegen. 

Ausgerechnet zu meinem Termin in der SÜW-Kreisverwaltung zu diesem Thema komme ich jedoch nur mit dem Auto. Eine Anreise mit Bus und Bahn wäre theoretisch machbar gewesen, hätte jedoch meine verfügbare Zeit mehr als gesprengt. Lothar Zimmermann, der im Landkreis Südliche Weinstraße für den ÖPNV zuständig ist, zeigt Verständnis – auch wenn er mir, ganz im Sinne seines Aufgabenbereichs, im Vorfeld unseres Termins alle Anreisemöglichkeiten sogar persönlich rausgesucht hat.

Für meine Recherche rede ich aber nicht nur mit Herrn Zimmermann, sondern auch mit der Ebene „ganz oben“: Immerhin sitzt an der Spitze des Bundesverkehrsministeriums inzwischen auch ein Südpfälzer, Dr. Volker Wissing. Und der sagt, passend zu meiner Kreisverwaltungssituation: „Im ländlichen Raum wird das Auto auch in Zukunft eine sehr große Rolle spielen, weil der Individualverkehr für die Menschen hier aus vielen Gründen unverzichtbar ist. Wir arbeiten darum ganz gezielt daran, den Invididualverkehr zu dekarbonisieren und gleichzeitig das ÖPNV-Angebot durch gut angebundene regionale Knotenpunkte zu verbessern.“

Alle Vertreter der öffentlichen Stellen, mit denen ich in den letzten Wochen gesprochen habe, arbeiten am gleichen Ziel und sind sich in einer Sache einig: Der ÖPNV soll attraktiver werden. Aber wie? 

Besser als man denkt

„Der öffentliche Nahverkehr ist oft jetzt schon deutlich besser als man denkt“, betont der Landrat der Südlichen Weinstraße, Dietmar Seefeldt. Das stimmt, das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Sehr oft kommt man sehr schnell von einem Ort in den nächsten. „Wir haben in den letzten zehn Jahren das Liniennetz stark ausgebaut und auch an vielen Stellen die Taktung erhöht“, erklärt Lothar Zimmermann. Er setzt sich mit extrem viel Fachwissen und Engagement für die Vernetzung der Region ein und vermittelt dabei zwischen den Beteiligten – Verkehrsverbunden, Busunternehmen, Arbeitgebern, Verwaltungen und Nutzern. Wenn er von seinem Alltag berichtet und davon, wie schwer es sein kann, auf alle Bedürfnisse einzugehen und alle Faktoren zu berücksichtigen, hat man als Fahrgast sofort viel mehr Verständnis für jede nicht ganz so perfekte Busverbindung. Eine Großbaustelle in der Stadt zieht einiges nach sich: Haltestellen müssen verlegt und die Streckenführung geändert werden. Dadurch erhöht sich die Fahrtzeit, was zu Problemen an Umsteigepunkten führen kann, weil Anschlüsse nicht rechtzeitig erreicht werden. Die Alternative wäre ein Weglassen von Haltestellen, damit der Bus Zeit einspart, was wiederum die Anwohner dort verärgert. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Die Koordination von zahlreichen Akteuren ist die Hauptaufgabe Zimmermanns. 

Für Wissing spielt ebenfalls die Vernetzung eine zentrale Rolle: Seine Vision vom ÖPNV sieht vor allem den Aufbau von belebten Knotenpunkten vor, zu denen man individuell, durch die Vernetzung unterschiedlichster Angebote anreist – also mit dem Bus, dem Auto, dem Fahrrad, über Carsharing- oder On-Demand-Angebote usw. „Die Taktung dieser Knotenpunkte muss so hoch sein, dass es sehr attraktiv ist für die Menschen, den ÖPNV zu nutzen.“ Wenn verschiedene Mobilitätsmöglichkeiten ineinandergreifen sollen, braucht es auch eine digitale Vernetzung dieser Angebote. Das Bundesverkehrsministerium hat hierfür vor wenigen Wochen „Mobility Inside“ – eine Smartphone App vorgestellt: ein unternehmens- und verkehrsmittelübergreifendes Portal, das die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Sharing-Angeboten erleichtert. Alltagstauglich ist die Software allerdings aktuell noch nicht.

Reaktivierung: Vorsichtiger Optimismus 

Ein großes analoges Anliegen der Verwaltungen in der Südpfalz ist dagegen die Reaktivierung von Bahnstrecken, insbesondere die Linie zwischen Landau und Germersheim ist hier im Fokus. Erst vor Kurzem wurden die Bewertungskriterien hierfür erleichtert, so dass man von den Verwaltungschefs vorsichtigen Optimismus in der Sache vernimmt. Und auch Volker Wissing betont: „Von der Überarbeitung der Kriterien könnte auch dieses Vorhaben profitieren.“ 

Für meinen Selbstversuch spielt diese Strecke allerdings zugegebenermaßen keine Rolle, aber ich bin sehr dankbar für die bereits umgesetzte Aktivierung einer ganz bestimmten Strecke: Nachdem ich Ende 2019 noch vor dem großen Problem stand, von Herxheim nicht in den Nachbarort Rohrbach zu kommen, sitze ich dieses Mal gleich mehrfach in einem der kleinen blauen Busse der Linien 553 und 554. „Dieses neue Fahrplankonzept haben wir unter anderem dem großen Engagement und den finanziellen Mitteln aus dem Haushalt der Verbandsgemeinde Herxheim zu verdanken“, klärt Lothar Zimmermann auf. Mit den neu geschaffenen Linien kommt man unter anderem auch regelmäßig nach Rülzheim, wo man u.a. direkt in die Stadtbahnen des KVV einsteigen kann. 

Klimaschutz spielt große Rolle

Eine solche Weiterentwicklung ist natürlich ganz in Zimmermanns Sinne. Er betont auch die Relevanz des ÖPNV für den Klimaschutz: „Selbst wenn nur drei Personen in einem Linienbus sitzen, der noch mit Diesel betrieben wird, ist das umweltfreundlicher als wenn alle mit ihrem eigenen Auto anreisen.“ Deswegen und auch vor dem Hintergrund stark steigender Preise an den Tankstellen, hält er eine weitere Stärkung des ÖPNV für unumgänglich. Ob dieser in Zukunft durch selbstfahrende Autos, On-Demand-Angebote oder ähnliche Innovationen ergänzt wird, bewertet er hingegen kritisch: „Das wird sicher eine größere Rolle spielen und eine wichtige Ergänzung sein. Aber ohne klassische Bus- und Bahnverbindungen als Massentransportmittel wird es nicht gehen, denn auch nur dann ist es klimafreundlich. Unser primäres Ziel muss es also sein, Menschen, die sich heute noch fast ausschließlich individuell fortbewegen, ein so attraktives Angebot zu machen, dass sie immer öfter auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen.“  Wissing dagegen betont: „Ich möchte, dass die Menschen frei wählen können, welches Verkehrsmittel sie nutzen, und niemandem etwas vorschreiben oder verbieten.“ Dennoch führt er weiter aus – und da hat auch er, wie Zimmermann, das Klima im Blick: „Jeder Mensch braucht ein attraktives Mobilitätsangebot. Dieses Angebot muss CO2-neutral werden.“

Apropos, ein wenig CO2 habe ich durch meine Fahrten mit dem ÖPNV in den vergangenen Wochen sicher auch eingespart. Ich bin aber ehrlich: Vermutlich werde ich auch weiterhin eher unregelmäßig im Bus oder in der Bahn sitzen. Wer, wie ich, so unterschiedliche Strecken zurücklegen muss – mal nach Neustadt, mal nach Wörth, mal vormittags noch über Offenbach, mal am frühen Abend mit Halt in Rülzheim – müsste sehr viel Zeit in Planung und Anreise stecken. Und auch bei der Preisgestaltung wird es für solch individuelle Ansprüche schnell kompliziert und teuer. Immerhin letzteres Problem wird mir (und allen anderen) in den kommenden Monaten genommen. Trotzdem bleibt die Finanzierbarkeit – für beide Seiten, Nutzer und Betreiber – das entscheidende Thema im Bereich ÖPNV. (hea)

Im Moment sind auf der Strecke zwischen Landau und Germersheim nur Draisinen unterwegs – das könnte sich in den nächsten Jahren ändern. -Foto: hea.